Gottfried Roller, Manfred Wildner (Hrsg.): Lehrbuch Öffentliche Gesundheit
Rezensiert von Kai Mosebach, 03.04.2025

Gottfried Roller, Manfred Wildner (Hrsg.): Lehrbuch Öffentliche Gesundheit. Grundlagen, Praxis und Perspektiven. Hogrefe AG (Bern) 2024. 608 Seiten. ISBN 978-3-456-86028-2. D: 90,00 EUR, A: 92,60 EUR, CH: 116,00 sFr.
Thema
Das Lehrbuch Öffentliche Gesundheit ist eine umfassende und sehr praxisnahe Einführung in die disziplinären und auch administrativen Grundlagen öffentlicher Gesundheitspolitik bzw. -verwaltung, in deren Mittelpunkt die Gesundheit der Bevölkerung steht. In Ergänzung zu üblichen Handbüchern im Bereich Public Health und Gesundheitswissenschaften dreht sich dieses von Gottfried Roller und Manfred Wildner herausgegebene Lehrbuch insbesondere um die Inhalte, Institutionen und Praktiken, die für die Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitswesen bzw. für die Tätigkeit des öffentlichen Amtsarztes von Bedeutung sind. Aufgrund seiner herausgehobenen praktischen Orientierung an den Strukturen und Tätigkeiten des öffentlichen Gesundheitssystems ist es aber auch für Studierende der Gesundheitswissenschaften von besonderem Interesse. Die dezidierte Praxisorientierung wird auch noch durch das Geleitwort der Ministerialdirektorin Dr. Med. Ute Teichert aus dem Bundesministerium für Gesundheit unterstrichen.
Entstehungshintergrund und Autoren
Seit der Covid-19-Pandemie ist die Struktur und die Praxis des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sehr stark im Fokus von Reformanstrengungen und Bemühungen, ihn effektiver und effizienter auszugestalten. Prof. Dr. med. Gottfried Roller von der Evangelischen Hochschule in Ludwigsburg und auch Prof. Dr. med. Manfred Wildner von der Pettenhofer School of Public Health, die beide auch für die jeweiligen Landesämter für Gesundheit (Bayern bzw. Baden-Württemberg) tätig sind, ist es gelungen, ein ausgesprochen lesbares, bezüglich der Einzelkapitel sehr konzentriertes und insgesamt umfassendes Lehrbuch zu präsentieren, welches sowohl allgemeine Grundlagen als auch einen großen Strauß an speziellen Handlungsfeldern präsentiert, die die Praxis des Öffentlichen Gesundheitswesens in Deutschland auszeichnen.
Es geht hier tatsächlich eher um die staatliche Rolle und staatliche Funktion in einem ansonsten sehr stark korporatistisch ausgerichteten deutschen Gesundheitswesen, zumal und wenn man vor allem auf die über Sozialversicherungen organisierte Krankenversorgung blickt. Folglich steht hier die Bearbeitung von Gesundheitsrisiken, die Struktur, die Organisationsweise des Öffentlichen Gesundheitsschutzes und die Funktionsweise lokaler und kommunaler Initiativen für Gesundheitsförderung und Prävention als auch die Bereitstellung von relevanten Gesundheitsinformationen durch staatliche Institutionen und Organisationen im Mittelpunkt.
Inhalte und Aufbau
Das Lehrbuch besteht aus 14 großen Kapiteln, die intern hochgradig differenziert und zudem in zwei Teile strukturiert sind.
Die ersten sieben Kapitel konzentrieren sich auf die allgemeinen Grundlagen der Öffentlichen Gesundheit stellen damit den ersten Teiles dieses Lehrbuchs dar. Die ersten beiden Kapitel werden von den Herausgebern Manfred Wildener und Gottfried Roller in wechselnder Autorenschaft verfasst. Das erste Kapitel (S. 19–42) fokussiert auf die Gesundheit der Bevölkerung, deren Erhaltung die Zielsetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) oder auch von Public Health ist. Das Kapitel besteht aus einer Skizze der Bedeutung von Lebenserwartung und Gesundheit sowie einer Übersicht über das Gesundheitswesen und einer Skizze der Entwicklungslinien der öffentlichen Sorge um Gesundheit, Aufgaben und Strukturen.
Das zweite Kapitel (S. 43–59) stellt das Öffentliche Gesundheitswesen in Deutschland in einen internationalen Kontext, ohne die die staatliche Gesundheitsvorsorge und das Öffentliche Gesundheitswesen in Deutschland nicht verstanden werden können. Hierzu gehören nicht nur die Weltgesundheitsorganisation, sondern eben auch zunehmend die Europäische Union als auch die Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung im Kontext von Problemfragen des Öffentlichen Gesundheitswesens. Abschließend wird im zweiten Kapitel ein kurzer Blick geworfen auf öffentliche Gesundheitsdienste in anderen, hauptsächlich europäischen Ländern.
Im dritten Kapitel (S. 61–106) geht es vor allem um den Staat und seine Verwaltung, der sich für die öffentliche Gesundheit einsetzt. Neben der Beschreibung von Strukturen und Institutionen in regionaler und überregionaler Hinsicht stehen vor allem die Herkunft und die Bedeutung von Rechtsnormen für die Praxis des Öffentlichen Gesundheitswesens im Mittelpunkt der Darstellung. Das dritte Kapitel beginnt jedoch mit einem ausgesprochen lesbaren Übersichtskapitel über den Staat (Staatstheorie, S. 63 ff.) als solchen und die Begründung der Bedeutung staatlichen Handelns in einer Organisationsgesellschaft und dem (öffentlichen) Gemeinwesen. Zwei eher problemorientierende Themen schließen das Kapitel ab, nämlich die höchst fragwürdige und für den weiteren Verlauf der Entwicklung in Deutschland äußerst folgenreiche unmenschliche Rolle des Öffentlichen Gesundheitsdienstes im Nationalsozialismus. Diesem Abschnitt folgen dann die Beschreibung von Grundlagen ethischer Betrachtungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst.
Im vierten Kapitel (S. 107–143) werden Methoden und Professionen im und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes dargestellt, von der Interdisziplinarität und Transdisziplinarität über Fragen von Evidenz, Qualität, Evaluation bis hin zu Implementationsstrategien und dem Öffentlichen Gesundheitsdienst als einem Berufsfeld für vielfältige gesundheitliche Berufe. Insbesondere die Risiko- und Krisenkommunikation ist eine wichtige Methode in der täglichen Arbeit von Professionen im öffentlichen Gesundheitsdienst und wird entsprechend gewürdigt.
Bevor im ersten Teil, im sechsten Kapitel (S. 175–190), einige Grundlagenwissenschaften (Medizin, Pflegewissenshaft, Epidemiologie, Statistik, Technik- und Sozialwissenschaften sowie Geistes- und Rechtswissenschaften) fallorientiert knapp erläutert und exemplarisch beschrieben werden, folgt im fünften Kapitel (S. 145–174) eine kurze Skizze des österreichischen und schweizerischen Öffentlichen Gesundheitsdienstes in einer etwas ausführlicheren Form als bei der Übersicht über andere europäische Systeme im zweiten Kapitel. Den Abschluss des ersten Teils dieses Lehrbuches übernehmen dann wieder die Herausgeber mit einem lesenswerten und zum Nachdenken anregenden Kapitel über die Zukunft der öffentlichen Gesundheit (Kapitel 7, S. 191–213).
Der zweite Teil des Lehrbuchs handelt von speziellen Handlungsfeldern im und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, dessen Grundidee von den Herausgebern im achten Kapitel einleitend erläutert wird (S. 217–219). Gerade im Hinblick auf die bedeutende Rolle des Staates als steuernder Instanz im öffentlichen Gesundheitswesen eröffnet das neunte Kapitel (S. 215–281) mit dem Thema der Planung, Steuerung und Aufsicht die Rolle des Staates als auch der konzeptuellen Grundlagen wie staatliche Planung, Steuerung und Aufsicht erfolgen den Reigen der systematischen und ausführlichen Darstellung der vielen speziellen Handlungsfelder der Öffentlichen Gesundheit. Die Themen des neunten Kapitels gehen von der Darstellung grundlegender Rechtsrahmen und Aufsichtspflichten über die Gesundheitsplanung und kommunale Gesundheitskonferenzen, den (staatlichen) Gesundheitsschutz bis hin zu Fragen der Gesundheitsberichterstattung und der Anwendung gesundheitsökonomischer Fragestellungen für die Bewertung bestimmter Handlungsalternativen und enden mit der Darstellung der bekannten Medizinalaufsicht über Einrichtungen und Fachberufe des Gesundheitswesens.
Dem neunten Kapitel schließt sich dann das zehnte Kapitel (S. 283–417) an, das den staatlichen Handlungsgegenstand des des öffentlichen Gesundheitsschutzes thematisiert. Ähnlich wie bei dem vorangegangenen Kapitel werden nunmehr auf über 100 Seiten fast alle Themen, die staatlichen Gesundheitsschutz in irgendeiner Weise berühren, von Expertinnen und Experten der jeweiligen Gebiete dargestellt. In dieser Rezension ist eine ausführliche Beschreibung der Unterkapitel, die alle mit unterschiedlichen Autoren besetzt sind, nicht möglich. Aber das Kapitel über den staatlichen Gesundheitsschutz thematisiert natürlich Fragen des Impfwesens, der Überwachung von übertragbaren Krankheiten und auch der Praxis von Ausbruchsuntersuchungen und des Ausbruchmanagements. Zudem wird auch die Praxis und die rechtlichen Grundlagen der Bedeutung von Infektionsdynamiken und ihrer Beobachtung thematisiert. Eine besondere Bedeutung haben dabei das Management und die Praxis der Überwachung und Kontrolle hochpathogener Krankheitserreger, aber auch von Aspekten des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes. Das 13. Unterkapitel dieses zehnten Kapitels, um die Differenziertheit des Buches zu verdeutlichen, ist dem Thema Klimawandel und Gesundheit gewidmet.
Im 11. Kapitel (S. 419–506) wird das (staatliche) Handlungsfeld Prävention und Gesundheitsförderung als auch Gesundheitshilfe thematisiert und auch hier werden in insgesamt acht Unterkapiteln viele differenzierte gesundheitliche Probleme, für deren Bearbeitung staatliche Institutionen und Organisationen zur Verfügung stehen, beschrieben. Dabei geht es sowohl einerseits um die rechtlichen Rahmenbedingungen von Gesundheitsförderung und Prävention, als auch um die Zielsetzung der Erreichung gesundheitlicher Chancengleichheit, sowie die Problematik, wie sich Gesundheit im Verlauf der Lebensspanne entwickelt. Der thematische Bogen spannt sich über die Gesundheit in besonderen Lebenslagen, sexuelle Gesundheit, Suchtprävention auf und endet mit dem Präventionsfeld Mundgesundheit, die nicht nur im Jugendalter, sondern auch für Menschen mit Pflegebedarf bedeutsam ist, wenn auch nur Ersteres im staatlichen Fokus steht.
Die letzten drei Kapitel des Buches und auch des zweiten Teils widmen sich dann wieder Querschnittsaspekten, nämlich im zwölften Kapitel (S. 507–539) einerseits dem Gutachterwesen und den Fragen der (zwangsbewehrten)Unterbringung von Menschen, während das 13. Kapitel (S. 541–560) sich insbesondere der Digitalisierung im Rahmen des organisatorischen Umbaus und des Modernisierungsprozesses im und des Öffentlichen Gesundheitsdienst, gerade auch vor dem Hintergrund der diskutierten Defizite während der Covid-19-Pandemie, auseinandersetzt. Das abschließende Kapitel (Kapitel 14, S. 561–577), thematisiert einen für die Zukunft herausgehobenen Aspekt der Tätigkeit des Öffentlichen Gesundheitswesens: die Techniken zur Bewältigung von gesundheitlichen Notlagen im Sinne einer umfassenden Krisenbewältigung, die eine bevölkerungsweite Bedeutung haben und etwa im Rahmen der Covid-19-Pandemie exekutiert wurden. Ein ausführliches Sachwortverzeichnis (S. 585–605) steht darüber hinaus zur Verfügung.
Diskussion
Den beiden Herausgebern ist es nicht nur gelungen, eine lange Reihe von Hochkarätigen, Expertinnen und Experten aus dem weiten Feld des Öffentlichen Gesundheitsdienstes bzw. Öffentlichen Gesundheitswesens (insgesamt: 55 Fachmenschen), also vor allem staatlicher, länderbezogener oder kommunaler Einrichtungen, heranzuziehen und für einen Beitrag in diesem Lehrbuch zu gewinnen. Das Lehrbuch gibt ebenso kompetent einen Einblick in die unglaubliche Breite und auch Tiefe der verschiedensten Tätigkeiten im Öffentlichen Gesundheitswesen, das nicht nur in der politischen Öffentlichkeit, sondern auch in den Gesundheitswissenschaften oftmals unter dem Radar vieler eher an korporatistischen Organisationen ausgerichteten Darstellungen bleibt. Das ist im Zeitalter des nationalen Präventionsgesetzes schlichtweg unbegreiflich.
Besonders reizvoll an diesem Lehrbuch ist, dass die komprimierte Darstellung (die ebenfalls noch differenzierten Unterkapitel sind zumeist nur um die 8–10 Seiten lang) von Grundinformationen, Grundkonzepten und Anwendungen sehr stark mit einem methodischem Darstellungskonzept arbeitet, was selbst in den allgemeinen Grundlagen eigenständig thematisiert worden ist, nämlich die Orientierung der Darstellung entlang von Fallbeispielen. Dies ist didaktisch äußerst gelungen und hilfreich für die Lektüre und das Lernen des Inhalts.
Aufgrund der hochgradigen Differenziertheit seiner Kapitel eignet sich das Buch mehr als Kompendium und zum problemorientierten Schmökern und wird mit seinen über 600 Seiten insgesamt wohl selten von vorne bis hinten gelesen werden, außer für diejenigen Gesundheitsberufe, die sich zum Beispiel der Weiterbildung als Ärzte und Ärztinnen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst auch in Prüfungen mit den komplexen und reichhaltigen Inhalten dieses Lehrbuches auseinanderzusetzen haben.
Fazit
Mit dem Lehrbuch Öffentliche Gesundheit ist Gottfried Roller und Manfred Wildner ein hervorragendes Kompendium gelungen. Es hilft dabei zu verstehen, dass staatliche Akteure bzw. staatliche Behörden und Gebietskörperschaften selbst eine bedeutende Rolle für die Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland einnehmen. Insofern eignet sich dieses Buch dazu, das (nur halbe) Bild eines korporatistisch geprägten Gesundheitssystems mit dem staatlich organisierten Bereich des Öffentlichen Gesundheitswesen zu komplementieren.
Rezension von
Kai Mosebach
Dipl.-Politologe
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