Verena Breitbach (Hrsg.): Die Welt im Wandel
Rezensiert von Volker Fenchel, 05.12.2024
Verena Breitbach (Hrsg.): Die Welt im Wandel. Gesellschaft – Gesundheit – Pflege. Springer (Berlin) 2024. 210 Seiten. ISBN 978-3-662-68460-3. D: 79,43 EUR, A: 87,37 EUR, CH: 94,00 sFr.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist im September 2024 erschienen und greift die vielfältigen Veränderungen und Krisen auf, die nicht allein durch die Corona-Pandemie entstanden sind, durch diese aber zumindest verstärkt und beschleunigt wurden. Leitthema sind Megatrends, wie sie der Herausgeberin zufolge von den Medien propagiert wurden. Die Schwerpunkte des Buches liegen auf drei Bereichen: den gesellschaftlichen Entwicklungen und – in sehr unterschiedlichen Perspektiven – deren Folgen für Gesundheit und Pflege.
Herausgeber und Autoren
Herausgeberin des Sammelbands ist die Wissenschaftsjournalistin Verena Breitbach, die bei der Stiftung „Humor Hilft Heilen“ für Presse und Kommunikation zuständig ist. Die Autorinnen und Autoren der Beiträge sind Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis.
Aufbau und Inhalt
Der Sammelband enthält neben einer Einführung und einem abschließenden Ausblick vier Hauptteile, die entsprechend der Kernidee der Herausgeberin jeweils einen aktuellen Bezug zu den Megatrends haben. Nach einem Überblick wird aus jedem Hauptteil ein Beitrag ausführlicher vorgestellt:
- „Gesellschaftliche Folgen“: Doris Lucke wirft einen kritischen soziologischen Blick auf die „Welt aus den Fugen“ und Diana Auth fokussiert in ihrem Beitrag auf die Problematik der ungleichen Verteilung der Care-Arbeit auf Mütter und Väter. Frank Schulz-Nieswandt nimmt die Post-Corona-Zeiten mittels einer „kulturgrammatischen Sichtung als Spurensuche auf psychodynamischer Grundlage“ in den Blick.
- „Gesundheitsfragen“: Werner Hofmann knüpft mit seinen Ausführungen an die kritische Analyse der Pandemie an und fragt nach den Lehren aus ärztlicher Sicht. Kerstin Blum und Friederike Keßler thematisieren die Rolle des Gesundheitswesens vor dem Hintergrund der Klimakrise, während Lisa Feldmann in ihrem Beitrag aus der Sicht einer Psychotherapeutin die Folgen multipler Krisen für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aufzeigt.
- „Entwicklungspotenzial der Pflege“: Hermann Brandenburg reflektiert die gesellschaftliche Haltung gegenüber der Pflege und konstatiert eine Ambivalenz zwischen Geringschätzung und Hochachtung. Miriam Peters und Henrike Sappok-Laue loten Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung in der Pflegeausbildung auf. Leah Dörr und andere schildern in ihrem Beitrag die Etablierung einer Pflegekammer in Nordrhein-Westfalen während der Corona-Pandemie.
- „Szenarien für Gesellschaft – Gesundheit – Pflege“: Christian Schuldt erkundet Möglichkeiten, wie auf unterschiedlichen Ebenen eine resiliente Gesellschaft gefördert werden kann. Marek Bartzik, Kirsten Handschuch und Corinna Pfeifer stellen Konzepte und Praxisanwendungen vor, die zeigen, wie Ansätze der Positiven Psychologie zu gesünderer Arbeit beitragen können. In einer thematisch ganz anderen Richtung zu verorten sind die Gedanken von Jeannine Fasold-Wilms zur Rolle von Influencern in der Pflege und zwar unter der Fragestellung, inwiefern diese das Image der Pflege in der Öffentlichkeit positiv beeinflussen können.
Im Folgenden werden vier Beiträge ausführlicher vorgestellt; diese Auswahl gibt zugleich einen Eindruck von der Multiperspektivität des Buches:
- „Rückschläge und Hoffnungsschimmer: Die Verteilung von Sorgearbeit zwischen Müttern und Vätern im Krisenmodus“ lautet der Beitrag von Diana Auth. Sie geht der Frage nach, ob infolge der Corona-Pandemie in diesem gesellschaftspolitisch hochaktuellen Bereich Veränderungen in Gang gekommen sind. Die während des Lockdowns erzwungenen Einschränkungen hatten zur Folge, dass viele Eltern im Home-Office arbeiteten, während die Kinder zeitweise digitalen Unterricht zu Hause hatten. Auth analysiert aktuelle Studien hinsichtlich der Frage, ob sich in dieser Zeit Trends erkennen lassen und zwar in Richtung einer „Retraditionalisierung“ oder einer „Egalisierung“, also ob sich Väter stärker an der Care-Arbeit beteiligt haben oder nicht. Stabile langfristige Trends lassen sich laut der Autorin aus den vorliegenden Studien nicht ableiten, die Befunde stützten aber eher einen Trend zur Retraditionalisierung. Dennoch erkennt die Autorin zumindest auch Anzeichen für Hoffnungsschimmer.
- Der Ausgangspunkt von Lisa Feldmann in ihrem Beitrag „Die psychischen Auswirkungen multipler Krisen auf Kinder und Jugendliche – eine übersehene Generation“ ist ein unbeschwertes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen als gesellschaftlicher Zielsetzung. Um dieses gewährleisten zu können, sollte eine Gesellschaft dafür Sorge tragen, dass deren zentralen Grundbedürfnisse befriedigt seien. Dazu zählt Feldmann die Bedürfnisse nach Bindung, Orientierung und Kontrolle, Lustgewinn und Unlustvermeidung, sowie Selbstwerterhöhung. Die Corona-Pandemie hatte der Autorin zufolge für Kinder und Jugendliche „dramatische Auswirkungen“. Die Einschränkungen führten zu einer erheblichen psychischen Belastung, gepaart mit einer psychotherapeutischen Unterversorgung, die Kinder und Jugendliche unverhältnismäßig stark betroffen habe.
- Miriam Peters, und Henrike Sappok-Laue greifen die Folgen des Lockdowns während der Pandemie im Bildungsbereichauf und fragen sowohl nach den Chancen, die der während des Lockdowns erfolgte Digitalisierungsschub in der Pflegeausbildung bietet, als auch nach den Grenzen der Digitalisierung. Der Beitrag geht auch auf die Notwendigkeit der Förderung digitaler Kompetenzen der Auszubildenden ein, um diese für die Anforderungen in ihrem späteren beruflichen Alltag zu wappnen. In der Pflege gewinnen nämlich digitale Technologien zunehmend an Bedeutung. Grenzen der Digitalisierung sehen die Autorinnen vor allem dort, wo es um das Wesen der Pflege geht: nämlich Kommunikation, Beziehungsgestaltung und die körperliche Dimension der Pflege als Leiblichkeit und die Ermöglichung von Resonanzerfahrungen (im Sinne Hartmut Rosas).
- Marek Bartzik, Kirsten Handschuch und Corinna Pfeifer skizzieren die Entstehung und den aktuellen Stand der Positiven Psychologie in der Tradition Martin Seligmans. Auf der Grundlage seines PERMA-Modells diskutieren sie, wie diese zur Entwicklung gesünderer Arbeit beitragen kann. Das Modell beruht auf fünf Säulen mit positiv-psychologischen Konstrukten: positive Emotionen, positive Beziehungen, Engagement, Sinnerleben und Zielerreichung. Anhand von Studienergebnissen zeigen die Autoren Anwendungsmöglichkeiten bei der Gestaltung der Arbeitswelt auf, z.B. in Form von Humorkulturen in Organisationen, bei der Förderung gelingender Arbeitsbeziehungen oder die Steigerung des Wohlbefindens am Arbeitsplatz durch Job Crafting.
Diskussion
Die Beiträge des Buches decken ein weites Feld ab und spannen einen Bogen von wissenschaftlicher Analyse bis hin zu Erfahrungen in der Praxis, wobei auf die Megatrends und die kritische Rolle der Medien bei deren Thematisierung aus den unterschiedlichen Perspektiven prononcierter hätte hingewiesen werden können. Gemeinsamer Bezugspunkt ist die Zeit der Corona-Pandemie und deren Folgen. Das Buch erinnert eindrücklich an die Krisenerfahrungen während dieser Zeit und zeigt zugleich auf, warum sie uns mit ihren Folgen bis heute sehr wohl noch angeht. Genau darin liegt die Aktualität dieses Sammelbands, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Krisenerfahrungen in politischer und institutioneller Hinsicht bis heute nicht annähernd angemessen aufgearbeitet worden sind. Wohltuend ist dabei, dass in dem Buch nicht nur die Krisen thematisiert werden, sondern auch Chancen und ermutigende Perspektiven.
Fazit
Das Buch dürfte vor allem für Leserinnen und Leser von Interesse sein, die sich einen Eindruck von der Vielgestaltigkeit der „Welt im Wandel“ und ihrer Krisen verschaffen wollen. Diese prägen ja den öffentlichen Diskurs bereits seit längerem und ein Ende ist nicht in Sichtweite. Das Versprechen der Herausgeberin, Anregungen zum Nach- und Weiterdenken zu geben, wird mit diesem Buch auf jeden Fall eingelöst.
Rezension von
Volker Fenchel
Diplom-Gerontol., M.A.; Senior Referent für Pflege in der Abteilung Fort- und Weiterbildung an der Hans-Weinberger-Akademie der AWO e.V. in Augsburg und Trainer für My Home Life Deutschland
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Zitiervorschlag
Volker Fenchel. Rezension vom 05.12.2024 zu:
Verena Breitbach (Hrsg.): Die Welt im Wandel. Gesellschaft – Gesundheit – Pflege. Springer
(Berlin) 2024.
ISBN 978-3-662-68460-3.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32604.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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