Celsy Dehnert: Das Gefühl von Armut
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 26.11.2024
Celsy Dehnert: Das Gefühl von Armut. über knappe Kohle, geringen Selbstwert und einen Sozialstaat, der uns im Stich lässt. Edition Michael Fischer GmbH (Igling) 2024. 240 Seiten. ISBN 978-3-7459-2343-8. D: 16,00 EUR, A: 16,50 EUR.
Thema
Kinder, die nicht mit auf Klassenfahrt fahren können, Teenager, die wegen der falschen Kleidung gemobbt werden, Young Professionals, die allein zu Mittag essen, weil die Kantine zu teuer ist: Armut macht einsam und hält Betroffene klein. Denn Armut prägt und lässt dich niemals los. Und wenn Wohnen immer teurer wird, Lebensmittelpreise immer weiter steigen und wenn die Gehälter hinter der Inflation zurückbleiben, bedroht Armut auch die Mittelschicht. Wie fühlt es sich an, arm zu sein? Es geht um Herzrasen an der Supermarktkasse, Schuldgefühle bei Spontankäufen, ein geringes Selbstwertgefühl.
Autorin
Celsy Dehnert, geb. 1990, wusste bereits mit 14, dass sie in großen Medien über die Ungerechtigkeiten schreiben wollte, denen sie täglich begegnete. Mit 26 machte sie sich aus dem Nichts heraus selbstständig, um ihren Traum zu leben. Mittlerweile finden sich die Texte der zweifachen Mutter aus Niedersachsen in Medien wie der Süddeutschen Zeitung, der Sächsischen Zeitung oder der Brigitte. Sie ist bestens vernetzt und teilt ihre Inhalte mit ihrer Community auf Instagram und ihrem Blog.
Aufbau und Inhalt
Rund 42 Prozent der Alleinerziehenden und fast 22 Prozent der Kinder in Deutschland gelten als arm. Insgesamt sind es in Deutschland rund 14 Millionen Menschen, die von Armut betroffen sind. Auch wenn sie sich aus eigener Kraft aus dieser Situation gearbeitet hat, weiß Celsy Dehnert, wovon sie spricht. Sie ist in Armut aufgewachsen. Und genau davon erzählt sie in ihrem Buch: Wie es ist, plötzlich nicht mit auf Klassenfahrt fahren zu können, erzählt sie genauso wie sie über ihren Weg in ein anderes Leben berichtet: Hier spielen Bildung und Wissensdurst eine große Rolle. Dass trotz aller Bemühungen immer wieder Steine in ihrem Weg lagen – oder im schlimmsten Fall vielleicht sogar (institutionell) gelegt wurden –, schildert die Autorin ausführlich. An vielen Beispielen macht sie deutlich, was Armut wirklich bedeutet und führt damit wahrscheinlich den meistern Leser:innen ein Gefühl vor Augen, dass sie nicht aus eigenem Erleben kennen dürften. Dehnert räumt mit dem aus ihrer Erfahrung völlig falschen Versprechen auf, dass jede:r den Aufstieg in unserem Land schaffen könne, wenn er er/sie denn nur genug harte Arbeit an den Tage lege. Am Ende versucht sie einen Plan aufzuzeigen, wie sich das Schlagwort der Chancengleichheit in die Tat umsetzen lassen könnte: nämlich mit einer großen Umverteilung von Geld. Es müsse wohlhabenden Menschen doch möglich sein, durch höhere Steuern dafür zu sorgen, dass andere Menschen in weniger privilegierten Situationen eine reelle Chance erhalten, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen. Aber – und das ist in den Zeiten, in denen Populist:innen scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme postulieren, ein klares Statement – das Herstellen sozialer Gerechtigkeit lasse sich nicht schnell und einfach herstellen, sondern brauche viel Zeit.
Diskussion
Dieses Buch ist berührend, erschreckend und ist dann besonders stark, wenn Celsy Dehnert mit gewaltigen Emotionen von ihren persönlichen Erlebnissen erzählt. Da werden Scham, die Traurigkeit und auch die Wut förmlich greifbar – und es drängt sich die Frage auf, wieso ein junger Mensch in einem der reichsten Länder der Welt so etwas erleben kann oder muss. An diesen Stellen packt Celsy Dehnert die Leser:innen, weil eben deutlich wird, dass es sich bei diesen Passagen nicht bloß um eine Recherche für eine Reportage handelt, sondern um ihr Leben. In den Phasen des Buches, in denen es etwas abstrakter wird, fällt positiv auf, dass Behauptungen nicht einfach aufgestellt werden, sondern die Autorin – da ist sie ganz Journalistin – Quellenangaben zum Nachlesen liefert. Ärgerlich ist, dass sie ihre Erfahrung über das Ende ihrer Zeit in der Jugendhilfe nach der Volljährigkeit als nach wie vor geltendes Problem darstellt. Dem ist – zumindest in der Theorie des SGB VIII als Kinder- und Jugendhilfegesetz – nämlich ganz und gar nicht so. Der Gesetzgeber hat 2021 die Hilfe für junge Volljährige komplett runderneuert, um solche Erfahrungen wie Dehnert sie gemacht hat im besten Falle zu verhindern. Waren Unterstützungsmöglichkeiten für junge Volljährige früher eher die Ausnahme sind sie heute – hoffentlich überall – die Regel. Der Sozialstaat hat sich hier als zumindest in Teilen lernfähiges Gebilde bewiesen. Insofern wäre es schön gewesen, das auch deutlich zu machen. Aber sei es drum: Diese Schwäche ändert nichts daran, dass das Buch lesenswert ist, dass es fesselt, dass es an manchen Stellen auch wütend, erstaunt und traurig macht. Es zeigt, dass Bildung der Schlüssel für ein ‚besseres‘ Leben ist und die Welt eben nicht nur aus von manchen Politiker:innen gerne als Sozialschmarotzer:innen bezeichneten Menschen besteht. Und so bleibt am Ende großer Respekt für Dehnerts Mut, so offen über sich und ihr Leben zu erzählen, aber auch Kopfschütteln: Es könnte eigentlich so einfach werden, etwas zu verändern. Man muss es nur wollen!
Fazit
Celsy Dehnert zeigt aus eigener Erfahrung, was Armut mit Menschen macht und was das mit unserer Klassengesellschaft zu tun hat. Und sie gibt eine Antwort darauf, was wir tun müssen, damit alle eine Chance bekommen.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 26.11.2024 zu:
Celsy Dehnert: Das Gefühl von Armut. über knappe Kohle, geringen Selbstwert und einen Sozialstaat, der uns im Stich lässt. Edition Michael Fischer GmbH
(Igling) 2024.
ISBN 978-3-7459-2343-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32652.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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