Silvia-Iris Beutel, Hans Anand Pant: Lernen ohne Noten
Rezensiert von Sebastian Kron, 28.11.2024
Silvia-Iris Beutel, Hans Anand Pant: Lernen ohne Noten. Alternative Konzepte der Leistungsbeurteilung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2024. 2., überarbeitete Auflage. 262 Seiten. ISBN 978-3-17-045031-8. 34,00 EUR.
Thema
Themen, wie inklusive Teilhabe an vielschichtigen Bildungsprozessen mit einer angemessenen „Entlohnung“, scheinen fortläufig in aller Munde zu sein. Es kommen Fragen nach einer angemessenen „Entlohnung“ vielschichtiger Bildungsphänomene auf. Sind Ziffernnoten vielleicht längst überholt? Können Ziffernnoten mehrdimensional sein oder verfolgen sie eigentlich nur das Ziel, alle Menschen vergleichbar zu machen? Sind sie dann nicht gefährdend für das Grundmerkmal eines jeden Menschen, individuell und einzigartig zu sein? Haben Noten nicht oft einen faden „Beigeschmack“, wenn sie über die Zukunft jedes Einzelnen entscheiden und liefern sie dadurch nicht eine wesentliche Beeinträchtigung einer angemessenen Beurteilungsgrundlage? Alles das sind Fragen, die sich auftun, wenn Kritiker*innen über die Ziffernnote debattieren.
Das vorliegende Buch nennt einige Schulen, in denen Alternativen zur ausschließlichen Benotung umgesetzt werden.
Autor:in
Frau Prof. Silvia-Iris Beutel ist Professorin für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik an der TU Dortmund.
Herr Prof. Hans Anand Pant ist Professor für Erziehungswissenschaftliche Methodenlehre an der Humboldt-Universität zu Berlin und Direktor der Abteilung Fachbezogener Erkenntnistransfer am Leibnitz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel.
Entstehungshintergrund
Die Debatte um eine gute Bildung schlägt Wellen und scheint längst Bestandteil von Diskussionen mit sich zu ziehen, ob eine Bewertung mithilfe einer einzigen „Zahl“ auszudrücken ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Bildung als Grundrecht eines Menschen verstanden werden kann, zieht die Debatte weite Kreise und ist längst in der Wissenschaft angekommen.
Aufbau
Grundsätzlich eröffnet das vorliegende Buch eine Debatte, die einen ersten Schritt in Richtung einer inklusiven Beurteilung von (Schul-)Leistungen ermöglicht. Kritisch hinterfragt werden Ziffernnoten als eine Form der Leistungsbeurteilung. In einem weiteren Teil diskutieren die Autor*innen alternative Möglichkeiten der Leistungsbeurteilung und wagen einen Blick auf Schulen, die alternative Leistungsbeurteilungskonzepte zur ausschließlichen Notenbeurteilung innehaben und diese fest in den Schulalltag integriert haben.
Inhalt
Das Buch wendet sich dem wichtigen Thema (Schul-)Bildung zu. Mit der Überschrift „Lernen ohne Noten“ zeigen die Autor*innen einen Blick auf, der bereits seit vielen Jahren Bestandteil einer hitzigen Debatte ist. Noten haben schon lange einen „faden Beigeschmack“, wenn es darum geht, Schüler*innen angemessen zu beurteilen. Oft kritisiert wird eine subjektive Einschätzung einer eigentlich objektiv zu beurteilenden Schulleistung. Durch das Einbringen alternativer Beurteilungs- und Leistungserfassungsmöglichkeiten, wie Lernprotokolle, Portfolios, Lerntagebücher, Lernverträge, verbaler und Lernentwicklungsgesprächen ermöglicht das Buch einen weitreichenden Blick auf ein kontrovers diskutiertes Thema. Auch die Beurteilung von Schüler*innenleistungen mittels KI scheint in dem Buch eine besondere Rolle einzunehmen. Bei der Erfassung der Leistungen ist es immer wichtig, prozessorientiert, individuell und erfolgsorientiert zu handeln.
Die Autor*innen diskutieren den Umgang renommierter Schulen mit alternativen Leistungskonzepten zur „reinen“ Notenbeurteilung. Dazu zählen:
- German International School Boston: Im Rahmen individueller Lern-Leistungsgespräche bekommen Schüler*innen eigens relevante Rückmeldungen zum individuellen Lernstand. Es werden Prognosen gestellt, wo ein tiefgründigeres Arbeiten sinnvoll wäre. Analysen für einen weiteren Lernerfolg stehen im Fokus. Am Ende eines Schuljahres bekommen Schüler*innen, abhängig nach Jahresstufe, ein Zeugnis, welches allerdings durch umfangreiche, kompetenzweisende Berichtsblätter, die nach einem standardisierten Raster erfolgen, ausgehändigt werden. Nach Durchführung einer qualitativen Interviewstudie wird erwähnt, dass es den Lehrenden mehr um die Leistungsentwicklung als um den Leistungsstand gehe und sich dadurch die Schüler*innen auf ihre Noten freuen, die von ihnen auch respektiert werden.
- Jenaplan Schule Jena: Hier erfolgt die Leistungszuteilung durch ein partizipativ-kommunikativen Beurteilungsbogen, der durch einen Selbst- und Fremdbeurteilungsbogen besticht. In der Schule geht es darum, Schüler*innen solange wie möglich nicht mit Noten zu konfrontieren. Abschließende Leistungsbeurteilungen werden durch sogenannte Lernportfolios abgedeckt.
- Matthias-Claudius-Schule Bochum: Die Schule wurde bereits ausgezeichnet. Sie befasst sich mit einer individuellen Beeinflussung der Lernentwicklung bis zum Abitur. Schüler*innen mit klassischen Sonderbedarf werden in einem gemeinsamen Unterricht beschult. In sogenannten Logbüchern dokumentieren die Schüler*innen ihren Lernerfolg und ihre individuellen Lernziele. Zum Schuljahresabschluss erfolgen individuelle Zielgespräche mit den Lehrenden gemeinsam, in denen Lernerfolge gewürdigt werden. Ziel ist es, gute Leistungen als Lernerfolg zu positivieren und Herausforderungen als Lernziele zu festigen, um Anreize zu schaffen, über die Zensurenvergabe hinaus ein gutes Lernklima zu erreichen. In der Schule werden Rechte und Pflichten dokumentiert, die einen gemeinsamen Unterricht ermöglichen. Auch die Leistungen über die fächerbezogene Arbeit hinaus (Engagement im Lernbüro, in der Gruppen- und Einzelarbeit, schriftliche und mündliche Arbeit, etc.) werden würdevoll anerkannt, um diese Tätigkeit entsprechend zu würdigen. Durch die Heterogenität der Klasse können Unterstützungsmöglichkeiten in Anspruch genommen werden.
Das Buch diskutiert mehrdimensional Leistungserfolg und Herausforderungen. Dabei wird der Bezug darauf gerichtet, Lernerfolge zu positivieren und Herausforderungen als Lernziel zu nutzen, um einen positiven Lernerfolg zu entwickeln.
Diskussion
Sicher ist der kritische Diskurs im Umgang mit Ziffernnoten wesentlicher Bestandteil, um Bildung nachhaltig zu transformieren. Was bleibt ist allerdings die Frage, ob es lediglich Noten sind, die in der Bildungsdebatte nachhaltig überdacht werden müssen. Grundlage dessen sind kritische Überlegungen renommierter Neurowissenschaftler, die die aktuelle Schulbildung als kein Indikator von Intelligenz sondern von guter Anpassungsfähigkeit sehen (vgl. Hüther o.J.). Es braucht sicher dahingehend weitläufige Überlegungen, die in der Primärstufe ansetzen und letztlich auch in der Hochschule eine Weiterentwicklung finden. Dennoch sehe ich das Buch als ein Ansatz die Bewertung mithilfe von Ziffernnoten diskutabler zu machen und damit einen ersten wichtigen Schritt zu wagen, Schulbildung in ersten Fassetten zu transformieren.
Das Buch zeigt jedoch auch Weichen, wie Leistungserfolg geschätzt und ein mehrdimensionaler Blick neben der Notenbildung genutzt werden kann. Durch das gemeinsame Lernen kann ein inklusiver Blick erreicht werden, der dienlich ist, neben der Leistungsbeurteilung, Diversität zu leben.
Fazit
Die aktuelle Bildung scheint sich in einer „Zwickmühle“ zu befinden, Leistungen und Leistungsbeurteilung zu eindimensional zu denken, Menschen nicht konkret genug zu beurteilen und daher den Blick mehr auf Vergleichbarkeit zu setzen. Das Buch „weicht“ diese Vergleichbarkeit ein wenig auf und zeigt Möglichkeiten auf, erfolgsorientiert zu denken und das defizitorientierte Denken, welches allein durch eine Note aufgezeigt wird, als Chance für eine (positive) Entwicklung zu betrachten. Beeindruckend formuliert, fokussiert es sich auf eine Bildung, in der Noten keine oberste Priorität darstellen.
Literaturverzeichnis
Hüther, G. (o.J.): Bildung für ein gelingendes Leben. Warum unsere heutige Schule am Ende ist? Online. URL: https://disruptive-bildungsperspektiven.de/gerald-huether/ [Datum der Recherche: 10.11.2024]
Rezension von
Sebastian Kron
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Es gibt 18 Rezensionen von Sebastian Kron.
Zitiervorschlag
Sebastian Kron. Rezension vom 28.11.2024 zu:
Silvia-Iris Beutel, Hans Anand Pant: Lernen ohne Noten. Alternative Konzepte der Leistungsbeurteilung. Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2024. 2., überarbeitete Auflage.
ISBN 978-3-17-045031-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32654.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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