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Hubert Klingenberger, Erika Ramsauer et al.: Praxishandbuch Biografiearbeit mit Paaren und Familien

Rezensiert von Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers, 09.10.2025

Cover Hubert Klingenberger, Erika Ramsauer et al.: Praxishandbuch Biografiearbeit mit Paaren und Familien ISBN 978-3-7799-7856-5

Hubert Klingenberger, Erika Ramsauer, Leslie Seymor: Praxishandbuch Biografiearbeit mit Paaren und Familien. Mit Online-Materialien. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2025. 172 Seiten. ISBN 978-3-7799-7856-5. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR.

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 Thema

Das Buch befasst sich mit dem Thema Biografiearbeit mit Paaren und Familien. Dem Titel vorangestellt ist ausdrücklich der Begriff Praxishandbuch. Es konzentriert sich nach einer kurzen Einführung in das Thema auf Impulse für die Biografiearbeit mit Individuen und in einem weiteren Teil mit Interventionen anlässlich von Lebensphasen und Lebensereignissen von Paaren und Familien.

Autor:innen

Dr. Hubert Klingenberger, freiberuflicher Dozent, Projektmanager und pädagogischer Berater mit den Themenschwerpunkten Lernen, Führen, Persönlichkeitsentwicklung

Erika Ramsauer, MA., Freiberufliche Trainerin für Biografiearbeit, Heilpraktikerin und Mentorin für Logotherapie und Existenzanalyse.

Leslie Seymor, Diplomtheologin, Pastoralreferentin, Dozentin für Biografiearbeit, Mitbegründerin des Netzwerks „katholisch&queer“

Entstehungshintergrund

Die Autor:innen verfügen über umfangreiche Erfahrungen mit dem Thema Biografiearbeit, Kompetenzen in Institutionen und langjährige Erfahrungen als freiberuflich Tätige im Bereich Fort- und Weiterbildung.

Aufbau

Der Inhalt des Buches gliedert sich in drei Teile. Der -stärker theorieorientierte- Teil I stellt eine kurze Zusammenfassung des pädagogischen Handlungskonzepts „Biografie“ vor. Der Begriff „Biografie“ wird reflektiert, die Aufgaben der Biografiearbeit sowie ihre Prinzipien werden erläutert und die Wirkungen des biografischen Arbeitens vorgestellt.

In Teil II werden in drei Kapiteln Impulse vorgestellt für die Arbeit mit Frauen, Männern, und queeren Personen.

In Teil III geht es um Phasen und Ereignisse in Paar- und Familienbiografien. Die entsprechenden Kapitel befassen sich mit „jungen Paaren“ in Kapitel 1, mit den Möglichkeiten, in „Beziehung zu sein und zu bleiben“ in Kapitel 2, den institutionell typischen Themen und Aufgaben in der Institution Familienbildung in Kapitel 3, dem Thema des „miteinander Altwerdens“ in der Arbeit mit älteren Paaren in Kapitel 4, und schließlich die Darstellung von Möglichkeiten der Biografiearbeit mit Menschen in ihrem Umgang und irgendwann in ihrem Abschied von den Eltern.

Zu diesem Buch stehen Online-Methoden als inhaltliche Vertiefung bereit, die mit einem Passwort beim Verlag abgerufen werden können. Diese Materialien wurden für die Rezension nicht genutzt

Inhalt

Die bereits erwähnte, stärkere Theorieorientierung im Teil eins wird in der Begriffsklärung deutlich, wobei neben den wissenschaftlichen Bezügen auch alltagsweltliche Bedeutungen des Begriffs gewürdigt werden. Der grundsätzliche Wandel der Biografien im Sinne einer Veränderung des „Normallebenslaufs“ hin zu einer an individuellen Zielvorstellungen orientierten Biografie wird ebenfalls erwähnt. Besonders deutlich wird das im Qualitätsrahmen für die Biografiearbeit, in dem Kategorien wie Selbstbestimmung, Freiwilligkeit, Akzeptanz der biografischen Wirklichkeit, Ressourcenorientierung, aber auch Ergebnissicherung und Verschriftlichung eingefordert werden. Weiterhin werden sieben Aspekte des Biografiebegriffs präzisiert:

  • Sozialbiografie
  • Kulturbiografie
  • Ökobiografie
  • Weltanschauungsbiografie
  • Genderbiografie
  • Lernbiografie
  • Persönlichkeit

Abschließend werden in diesem Teil die positiven Wirkungen der Biografiearbeit skizziert.

Im ersten Kapitel des zweiten Teils werden unter dem Grundgedanken „Frauen stärken Frauen“ feministisch geprägte Grundannahmen zur Biografiearbeit vorgestellt, was sowohl den Wandel der Frauenbiografien als auch die politischen Veränderungen des Umgangs mit Frauen umfasst. Zahlreiche methodische Hilfen bzw. kreative Methoden werden vorgestellt, die bei der Thematisierung zentraler Entwicklungsschritte aber auch bei der Thematisierung von Entwicklungshindernissen hilfreich sein können. 

Im zweiten Kapitel werden unter dem Grundgedanken „Stark, verletzlich und auf der Suche“ ähnliche Schritte wie im ersten Teil vorgenommen. Das Kapitel startet mit einem alten, aber mittlerweile wohl gut bekannten Zitat von Doris Lessing, in dem sie beklagt, dass in unserer Kultur die Abwertung alles Männlichen so selbstverständlich ist, dass sie kaum noch wahrgenommen wird und die Grundüberzeugung lautet, dass Männer das Problem und Frauen die Lösung sind. Diesem ungewöhnlichen Einstieg entsprechend sind die methodischen Hilfen auf die Entwicklung eines konstruktiven und produktiven Männlichkeitsbildes fernab der klassischen Definition gerichtet und nicht auf häufig benannte Defizite.

Im dritten Kapitel werden für die Arbeit mit queeren Personen zunächst zentrale Begriffe wie Normalität und Normativität, Gender und Geschlecht und Flexibilität von Lebensentwürfen vorgestellt. Methodisch besonders bedeutungsvoll ist der Umgang mit dem Coming-out und der Suche nach Normalitäten. Die keineswegs abgeschlossenen Diskussionen in diesem Bereich – gerade vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung – werden nur kurz gestreift.

Im dritten Teil geht es um die bereits benannten Phasen und Ereignisse im Leben von Paaren und Familien. Für alle Phasen und Ereignisse werden neben der Einführung in zentrale Begriffe (z.B. „Was verstehen wir unter Liebe?“) und Reflexionen über alltagsweltliche und eher wissenschaftliche Zugänge zu den benannten Themen methodische Anregungen und kreative Hilfen gegeben. Diese beziehen sich sowohl auf die Förderung der systemeigenen Reflexivität (Was hat mich wie geprägt?) wie auch auf die korrekte Erfassung von Paar- und familienbezogener Realität (z.B. „Workloadverteilung der Care-Arbeit“). Das sechste Kapitel im dritten Teil ist ausnahmsweise nicht auf Phasen der Entwicklung bezogen, sondern auf die Möglichkeiten der Biografiearbeit im Arbeitsgebiet Familienbildung.

Das Buch endet mit dem Literaturverzeichnis. Nach jedem Kapitel werden darüber hinaus Leseempfehlungen für die inhaltliche Vertiefung gegeben – nicht unbedingt mit einer Nutzung als Zitat verknüpft.

Diskussion

Das Buch bietet eine knapp gehaltene, gut lesbare Einführung in die Praxis der Biografiearbeit. Die Einordnung als Praxishandbuch dürfte vor allem für Nutzer in relevanten Einsatzgebieten wichtig sein. Hier steht nicht die Diskussion wissenschaftlicher Zugänge im Mittelpunkt, sondern eher kurz gehaltene reflexive Teile und eine von viel Erfahrung getragene Palette von methodischen Möglichkeiten und kreativ orientierten Zugängen. Speziell das Kapitel über queere Personen ist in der Tat eine Novität. Dieser Teil der Arbeit ist nach meinem Kenntnisstand in anderen Veröffentlichungen gar nicht oder nicht mit vergleichbarer Sorgfalt gewürdigt worden.

Befremdet hat mich ein von mir massiv empfundener inhaltlicher Mangel, der sowohl im Kapitel über Männer, als auch im Teil drei über Phasen der Paar- und Familienbiografie von Bedeutung ist. In der ansonsten recht kompletten Auflistung von Aspekten männlicher Biografie fehlt die Berufsgeografie (fast) vollständig, obwohl sicher Einigkeit darin besteht, dass die Berufsbiografie mit ihren Chancen, aber auch Belastungen, für Männer von höchster Bedeutung ist. Im Kapitel zur Arbeit mit Frauen wird das Thema Erwerbsarbeit/​Leistung immerhin in einem Zitat von Hilarion Petzold zu „Säulen der Identität“ erwähnt (S. 36). Damit inhaltlich verbunden ist der Mangel an Überlegungen zur Organisation der Erwerbsarbeit bei Paaren und Familien. Bei aller Wertschätzung für Care-Arbeit und bei allen berechtigten Forderungen, diese Wertschätzung gesellschaftlich stärker zu verankern, ist die Ignoranz gegenüber dem Faktor Erwerbstätigkeit/​Sicherung der familiären Existenz völlig unerklärlich. In dem Zitat von Doris Lessing wird auf die bei uns tief verankerte Geringschätzung von Männern und ihrer Rolle verwiesen. Hier ist ein praktisches Beispiel, denn nach wie vor wird in der Mehrheit der Paarbeziehungen genau dieser Teil der Aufgaben mehrheitlich von Männern wahrgenommen und dies ist nicht nur mit einer Benachteiligung von Frauen bei der Realisierung ihrer Berufskarrieren zu erklären.

Trotz dieser Kritik bin ich der Ansicht, dass das Buch mit seinen methodischen Anregungen auch genutzt werden kann, auch dieses Thema in angemessener Weise in der Arbeit zu integrieren.

Fazit

Von Praktikern für Praktiker. Besonders erwähnenswert ist die selbstbewusste Thematisierung von queeren Realitäten und die Thematisierung gesellschaftlicher Veränderungen, wobei angesichts der derzeitigen politischen Entwicklung keineswegs von gesicherten Fortschritten besprochen werden kann. Ein bedauerlicher „blinder Fleck“ beim Thema Erwerbsarbeit fällt auch auf.

Rezension von
Dipl. Soz.-Päd. Gerd Schweers
Systemischer Familientherapeut, Ausbilder der GwG (GF, SV), Supervisor DGSv
Lehrer für besondere Aufgaben (Theorien und Methoden der Sozialarbeit) i.R.
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Es gibt 22 Rezensionen von Gerd Schweers.

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ISSN 2190-9245