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Gottfried Orth, Hilde Fritz-Krappen: Gewaltfreie Kommunikation in der Schule

Rezensiert von Martina Good, 03.11.2025

Cover Gottfried Orth, Hilde Fritz-Krappen: Gewaltfreie Kommunikation in der Schule ISBN 978-3-7495-0630-9

Gottfried Orth, Hilde Fritz-Krappen: Gewaltfreie Kommunikation in der Schule. Wie Wertschätzung gelingen kann. Ein Lern- und Übungsbuch für alle, die in Schulen leben u. arbeiten. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2024. 256 Seiten. ISBN 978-3-7495-0630-9. D: 32,00 EUR, A: 32,90 EUR.

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Thema

Die Publikation widmet sich der Bedeutung von Beziehungsgestaltung im schulischen Kontext und rückt insbesondere das Verhältnis zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen in den Mittelpunkt. Sie vermittelt theoretische Grundlagen der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach Marshall Rosenberg und verknüpft diese mit der Gestaltung von Schul- und Klassenkultur. Ausgehend von den Praxiserfahrungen gelingt es dem Autor und der Autorin sehr nachvollziehbar darzulegen, mit welchen Herausforderungen und Themen Lehrpersonen im Alltag konfrontiert sind und, dass „Beziehung Wunder wirken kann“ (S. 10). Durch die Beschreibungen und die Übungsbeispiele wird nachvollziehbar gezeigt, wie Kommunikation und Beziehungsgestaltung zusammenhängen und wie GFK dazu beitragen kann, bestehende Machtverhältnisse sowie institutionelle Zwänge konstruktiv zu reflektieren und in gemeinsamer Verantwortung zu bearbeiten. Damit können Lehrpersonen nicht nur Konflikteskalationen unterbrechen, sondern grundlegend die Empathie, Wertschätzung und den respektvollen Umgang als Klassenwerte vermitteln und damit nachhaltige Gemeinschaftsförderung erreichen – denn „ohne Gefühl geht gar nichts“ (S. 10)

Der Autor und die Autorin verstehen diesen Prozess nicht als abschließbare Kompetenz, sondern als fortdauernden Lernweg, den Lehrpersonen gemeinsam mit Schüler:innen beschreiten und indem auch sie weiterhin Erfahrungen sammeln. Die Lehrpersonen werden mit ihrer verantwortungsvollen Rolle als Bildungsbegleitende darin gestärkt, ihre Beziehungsgestaltung mit den Schüler:innen anhand der GFK zu reflektieren und umzusetzen. Damit lädt das Buch dazu ein, eigene Erfahrungen einzubringen und eine empathische, konstruktiv-kritische und beziehungsförderliche Haltung im professionellen Alltag einzunehmen.

Autor:in oder Herausgeber:in

Hilde Fritz ist Förderschullehrerin und Mitglied des Schulleitungsteams der Albert-Schweitzer-Schule in Gießen. Sie verfügt über Zusatzqualifikationen in Sprachheilpädagogik, Ausländerpädagogik sowie im Darstellenden Spiel und absolviert derzeit eine Weiterbildung in systemischer Beratung.

Gottfried Orth war Professor für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Technischen Universität Braunschweig und ist seit 2019 im Ruhestand. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Theologien der Gewaltfreiheit, Friedensethik, interkulturelle Kommunikation, Konfliktmanagement und Erwachsenenbildung.

Beide eint die Überzeugung, dass die GFK nach Rosenberg nicht nur methodisches Instrument zu verstehen ist, welches ihre Handlungsoptionen im Alltag erweitert, sondern vor allem Ausdruck einer Haltung, die ihrer inneren Überzeugung entspricht, dass die Beziehung zwischen den Schüler:innen und ihren Lehrpersonen wichtig ist. Diese den Schüler:innen zugewandte Haltung und Fehlerfreundlichkeit in der Bewältigung von Herausforderungen überträgt sich auf die Leser:innen.

Entstehungshintergrund

Die Publikation schließt an weitere Veröffentlichungen beider zur GFK an. Grundlage sind die vielfältigen positiven Erfahrungen, die sie in der schulischen Praxis mit diesem Ansatz gesammelt haben und weiterverbreiten möchten.

Aufbau

Das Buch gliedert sich in 17 Kapitel, die jeweils mit einleitenden Zitaten und/oder Praxisbeispielen beginnen und mit Übungen abschließen. Neben einer theoretischen Einführung in die Grundannahmen und Instrumente der GFK (z.B. die „vier Schritte“) werden Themen des schulischen Alltags wie Machtstrukturen, Wertschätzung, Fehlerfreundlichkeit, Rollenverständnis von Lehrpersonen sowie Elternarbeit behandelt. Der Aufbau erlaubt sowohl lineares Lesen als auch die gezielte Arbeit mit einzelnen Kapiteln. Theoretische Ausführungen, literarische Einschübe und Erfahrungsberichte mit Schüler:innen-Zitaten machen das Buch abwechslungsreich und praxisnah. Es gliedert sich in zwei Teile: Zunächst die Darstellung des Modells der GFK mit Anwendungsbeispielen und anschliessend die Behandlung konkreter schulischer Herausforderungen, bei denen GFK zu konstruktiven Lösungen und Beziehungsstärkung beiträgt. Nach der Einleitung folgt im 2. Kapitel die Kontextualisierung der Gewaltfreien Kommunikation nach Rosenberg, wobei Verhalten, Bedürfnisse, Konflikte und Strategien verknüpft werden. Kapitel 3 stellt zentrale Instrumente vor, insbesondere die vier Schritte und den Umgang mit einem „Nein“. Kapitel 4 fokussiert auf Beziehungsgestaltung durch Wertschätzung und Empathie, ergänzt durch Praxisübungen. Kapitel 5 thematisiert Machtstrukturen im schulischen Alltag und fordert zur Reflexion der eigenen Position auf. Kapitel 6 vertieft die Bedeutung von Wertschätzung als Grundhaltung, die Kommunikationskultur prägt. Das 7. Kapitel bildet eine Zwischenreflexion mit Fragen zu Fehlerfreundlichkeit, Authentizität und Elternkommunikation. Kapitel 8 entwickelt daraus die Perspektive einer fehlerfreundlichen Kultur. Kapitel 9 zeigt, wie GFK auch Schulentwicklungsprozesse beeinflussen kann. Kapitel 10 beschreibt die Auswirkungen auf das Rollenverständnis der Lehrpersonen, Kapitel 11 deren Verhältnis zu Schüler:innen. Die Kapitel 12 bis 16 widmen sich praxisnahen Umsetzungen der GFK: Einzelgespräch, Klassenrat, Klassenkonferenz, Unterrichtsgestaltung und ein Kennenlerntag zur GFK. Das abschließende Kapitel 17 greift die Übungen nochmals auf, reflektiert deren Nutzen und Wirkung und definiert sie als Begleiteinheiten in einem fortlaufenden Lernprozess.

Inhalt

  1. Einleitung: „Sieh die Schönheit in mir…“

Der Autor und die Autorin leiten ihre Interessenslage und den Forschungsstand in Ansätzen her, warum sich Lehrpersonen gut daran tun, sich mit dem Konzept der gewaltfreien Kommunikation auseinanderzusetzen und was deren Grundsätze auszeichnet bezüglich ihrer Annahmen und Aussagen über Haltung, Beziehungsgestaltung, Kommunikation und Selbstreflexion. Dabei beschreiben sie Schule als zwangsmässigen Lernort, welcher sich anhand der GFK als Schulhauskulturelement zentral verändern könnte. Ein bestechendes Argument liegt in der Motivation zur Publikation, die Institution Schule als „Glücklichen Ort“ erfahren zu dürfen, das subjektive Empfinden im schulischen Alltag positiv zu verändern und damit einhergehend das Wohlbefinden aller an Schule beteiligten Personen zu stärken.

  1. Bedürfnisse, Gefühle und Strategien – das Zentrum Gewaltfreier Kommunikation

Das Kapitel eröffnet die Auseinandersetzung mit einem Erfahrungsbericht aus einer herausfordernden Situation im Schulalltag. Anhand dieses Beispiels werden Fragen nach Achtsamkeit, Selbstfürsorge und Bedürfnisbefriedigung aus Sicht von Lehrpersonen und Schüler:innen entwickelt. Im Anschluss erläutern der Autor und die Autorin zentrale menschliche Grundbedürfnisse, die unser Verhalten prägen, und verknüpfen sie mit den entsprechenden Gefühlen. Übungen regen dazu an, sich der eigenen Bedürfnislage bewusst zu werden und diese sprachlich zu reflektieren als Voraussetzung für die Empathie gegenüber der Schüler:innen. Die Übungen und Ausführungen verdeutlichen, inwiefern Bedürfnisse und Gefühle miteinander zusammenhängen und wie genau über diese Erkenntnis der Notwendigkeit der Bedürfnisformulierung und Gefühlsverbalisierung schwierige Situationen bewältigt werden können. Der Autor und die Autorin zeigen Strategien auf, wie sich solche Spannungen konstruktiv bearbeiten und deeskalieren lassen. Abschliessend regen sie an, in scheinbar unvereinbaren Alltagssituationen nach übergeordneten Gemeinsamkeiten zu suchen, um neue Lösungswege zu eröffnen.

  1. Die vier Schritte und der Umgang mit einem „Nein“ auf eine Bitte

Das Kapitel startet mit einer Situationsbeschreibung, die deutlich macht, in welchen Situationen es besonders auf die Art und Weise der Kommunikation ankommt. Nämlich dann, wenn ein Schüler oder eine Schülerin nicht auf eine Aufforderung oder auf eine Bitte einer Lehrperson reagiert und dies zu einer spannungsgeladenen Situation und potenziellen Konflikteskalation im Alltag führt. Damit wird anschliessend an die Ausführungen zur Haltung, die mit der GFK einhergeht, eine konkrete Situation beschrieben, in der diese sich in ihrer Anwendung zeigt. Damit Lehrpersonen den Ansatz der GFK für ihre Praxis anwenden und verinnerlichen können, beschreibt das Kapitel ein Kommunikationsmodell der *vier Schritte». Dieses Modell kann als Handlungsanleitung verstanden werden, wie in konkreten Interaktionen nach dem Ansatz der GFK reagiert werden kann. Die vier Schritte werden anhand von Übungen zur Selbsterfahrung erläutert und es wird eine Anleitung gegeben, wie diese transferiert werden können, um eine gelingende Auflösung von Spannungen zu erreichen. Am Beispiel des „Neins“ auf eine Aufforderung oder Bitte einer Lehrperson wird im Kapitel ausgeführt, wie sich dieses Nein verstehen lässt und wie darauf einfühlsam reagiert werden kann. Der Autor und die Autorin vermitteln nachvollziehbar, dass hinter einer widerständigen Haltung eine Botschaft, bzw. ein Signal eines Bedürfnisses steht. Das Kapitel liefert eine Anleitung zur distanzierten Reflexion konkreter Situationen, die den Lehrpersonen die Möglichkeit bietet, ihr eigenes Handlungsrepertoire zu erweitern und neue Strategien zu entwickeln, um auf potenziell konflikthafte Situationen frühzeitig zu reagieren und gleichzeitig die Beziehungsebene zwischen ihnen und den Schüler:innen zu stärken. Das Kapitel macht deutlich, wie es gelingt, die Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten und auf widerständiges Verhalten konstruktiv zu reagieren und dabei gleichzeitig authentisch zu bleiben und die Anleitung führt zu einem bewussteren Umgang mit Kommunikationsstrategien, die im Alltag als Lehrperson einen effektiven Mehrwert liefern. Der Autor und die Autorin weisen darauf hin, dass durch die mehrfache Einübung des Kommunikationsmodells eine Verinnerlichung des Prozesses erfolgt und dadurch die alltägliche Handlungssicherheit der Lehrperson gestärkt wird.

  1. Weil Beziehung so entscheidend ist …- Wertschätzung, Selbst-Empathie und Empathie

Das Kapitel beginnt mit einer Situationsbeschreibung über destruktive und wechselseitige Dynamiken, die sich in der Kommunikation zwischen Schüler:innen und Lehrpersonen entwickeln können. Dabei wird deutlich, dass Kommunikation immer auch mit der Beziehungsebene zwischen den Beteiligten verknüpft ist. Der Autor und die Autorin leiten daraus ab, dass die in destruktiven Dynamiken gebundene Energie durch konkrete Strategien genutzt werden kann, um positive Prozesse zu unterstützen. Dies wird am Beispiel der „Begeisterung“ illustriert, die exemplarisch an einer Unterhaltung beschrieben wird, wie sie auch zwischen Lehrperson und Schüler:innen stattfinden könnte. Im weiteren Verlauf konkretisieren sie die drei Komponenten Wertschätzung, Selbstempathie und Empathie und zeigen deren enge Wechselwirkung. Sie vermitteln ein ganzheitliches Verständnis, das die Verbindung zur eigenen Person, zu den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen, zur Ausdrucksfähigkeit und zur Fähigkeit zur Selbst-/​Empathie herstellt. Diese Aspekte bilden die Grundlage des Verständnisses der GFK. Zur Veranschaulichung werden Übungen vorgestellt, die bewusst positive und konstruktive Strategien eröffnen. Dabei wird deutlich, dass der Umgang mit Gefühlen und deren sprachliche Ausdrucksfähigkeit zentrale Kompetenzen darstellen. Besonders eindrücklich gelingt dies an Beispielen zu negativ konnotierten Gefühlen wie Ärger, Angst oder Ohnmacht; die Ansätze lassen sich aber auch auf Emotionen wie Scham oder Misstrauen übertragen. Die Übungen können sowohl zur Selbstreflexion dienen als auch in der Interaktion zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen oder im Gruppenkontext eingesetzt werden. Insgesamt verdeutlichen die Ausführungen, dass Sprache und Begriffsverwendung unter den Aspekten Begeisterung, Wertschätzung und Empathie – für sich selbst wie für andere – zu konstruktiven und positiven Prozessen beitragen.

5. Umgang mit Macht

Die einleitende Situationsbeschreibung widmet sich der Frage, wie Macht im schulischen Kontext verteilt ist und welche Rolle sie für Kommunikation und Beziehung spielt. Der Autor und die Autorin führen zu einem selbstkritischen Verständnis im Umgang mit Macht und zeigen, dass Macht nicht per se als negatives Phänomen zu verstehen ist. Sie unterscheiden zwischen strafender und schützender Machtausübung. Macht beeinflusst sowohl die Beziehungsgestaltung als auch die Kommunikation. Das Kapitel bietet anhand von Übungen die Möglichkeit, als Lehrperson die eigene Machtstellung zu reflektieren. Dabei wird Macht nicht als etwas grundsätzlich Negatives beschrieben, sondern es wird zwischen strafender und schützender Machtausübung differenziert. Gerade für den schulischen Kontext stellt diese Unterscheidung einen zentralen Mehrwert für die Gestaltung von Kommunikation und Beziehung dar. Zur Veranschaulichung werden mehrere Übungen beschrieben, sowohl zur Selbstreflexion der Lehrpersonen als auch in Bezug auf häufig verwendete pädagogische Konzepte wie die „rote Karte“ oder das „Trainingsraumkonzept“. Diese Beispiele eröffnen Lehrpersonen eine zusätzliche Reflexionsebene, indem sie in spannungsreichen Situationen ihren potenziellen Machteinsatz überprüfen können.

6. Wertschätzung ausdrücken

Das einleitend beschriebene Beispiel aus der Praxis zeigt, dass Wertschätzung ein Bedürfnis ist, dessen Befriedigung höchst individualisiert erfolgen muss. Der Autor und die Autorin vermitteln in diesem Zusammenhang, dass Wertschätzung eine differenzierte Form der Wahrnehmung von Schüler:innen darstellt und somit eine Alternative zu den pädagogisch weit verbreiteten Belohnungs- und Bestrafungssystemen sein kann. In diesem Kapitel wird ein vertieftes Verständnis des Bedürfnisses nach Wertschätzung vermittelt und praxisnah dargelegt, dass es sich dabei um eine besondere Form der Beziehungsstärkung handelt. Die Übungen machen deutlich, dass die Einschätzung eigener Stärken und positiver Eigenschaften sowohl für Lehrpersonen als auch für Schüler:innen häufig nicht leicht zugänglich ist. Wertschätzung wird als zentrales Element einer Kommunikationskultur verstanden, die sich sowohl zwischen Schüler:innen, zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen als auch auf der Ebene der gesamten Schulkultur reproduziert. Die Übungen können in der Klassengemeinschaft umgesetzt werden, wobei der Autor und die Autorin ausdrücklich darauf hinweisen, dies auch im Kollegium der Lehrpersonen zu praktizieren sei, denn Lob und Wertschätzung seien nicht nur für Schüler:innen bedeutsam, sondern ebenso für Lehrpersonen in ihrer Rolle als Mitarbeitende oder Teamkolleg:innen.

  1. Im Zentrum ankommen – Vom Zentrum aus starten: Zwischenreflexion

In diesem Kapitel wird noch einmal verdeutlicht, dass GFK nicht als Technik oder Methodenkatalog zu verstehen ist, sondern mit einer friedvollen und integritätswahrenden Haltung einhergeht. Sie basiert auf einem Menschenbild, das sich durch die Anerkennung von Individualität und Bedürfnisorientierung auszeichnet. Dieses Fundament führt zu Überlegungen zum Transfer auf konkrete Themenbereiche wie Fehlerkultur, Beziehungsklärung und weitere Aspekte, die in den folgenden Kapiteln teilweise konkretisiert werden. Durch diese Zwischenreflexion ist die Notwendigkeit der regelmäßigen selbstkritischen Analyse der eigenen Haltung und Handlungen als Lehrperson verdeutlicht.

  1. Umgang mit Fehlern – Fehlerfreundlichkeit

In diesem Kapitel gehen der Autor und die Autorin der Frage nach, wie im schulischen Kontext mit «Fehlern» umgegangen wird. Dazu erörtern sie ihre Überlegungen zu einem grundlegenden Begriffsverständnis von «Fehler» und zur Frage, wie menschliche Interaktions- und Kommunikationsprozesse unter diesem Gesichtspunkt verlaufen, wenn es nicht einfach ein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Dabei steht die Schule im Spannungsfeld, dass sie sich aufgrund dieser ihr zugewiesenen Funktion gerade stark durch diese Beurteilung auszeichnet. Der Autor und die Autorin laden dazu ein, eher prozessorientiert über «übereinstimmende» und «nicht übereinstimmende» Perspektiven nachzudenken. Sie stellen die Frage, wie Schule aussehen würde, wenn nicht die kausale Zuordnung von richtig und falsch im Vordergrund stünde, sondern das Erfahren von Selbstwirksamkeit und die Entwicklung von Selbstvertrauen.

9. Bitten statt fordern

Das einleitende Beispiel aus dem Praxisalltag verdeutlicht, wie rasch sich aus Bitten und Forderungen von Lehrpersonen problematische Situationen entwickeln können, wenn die Beziehungsebene mit den Schüler:innen nicht geklärt ist. Der Autor und die Autorin formulieren die Einsicht, dass sich das Verhalten eines Gegenübers nicht kontrollieren und damit ändern lässt, sondern dass allein der achtsame Umgang mit dem eigenen Verhalten im Zentrum steht. Es wird eine Übung beschrieben, die diesen Aspekt als Schulentwicklungsthema aufgreift und verdeutlicht, wie diese Einsicht im konkreten schulischen Alltag zu Veränderungen in der Art und Weise von Begegnungen führen kann. Besonders eindrücklich erscheint die zitierte Aussage eines Schülers: „Ja, es wird mehr auf die Schüler geachtet und wir achten auch selbst auf die Lehrer und so. Es ist echt besser geworden.“ (S. 173). In diesem Zitat steckt eine authentische Erkenntnis über den Mehrwert der GFK für alle an der Schule Beteiligten.

10. Zur Rolle der Lehrer:innen

Das einleitende Zitat verdeutlicht, dass das Wohlergehen von Schüler:innen eng mit dem Wohlergehen der Lehrperson verknüpft ist. Es folgen einige bezugswissenschaftliche Ausführungen zum Thema Empathie aus neurowissenschaftlicher Sicht. Nach diesem Exkurs beschreiben der Autor und die Autorin ihre Grundhaltung zu Bildungsprozessen. Wissensaneignung steht aus ihrer Sicht in zentralem Zusammenhang mit Beziehungsgestaltung, Selbstverbindung und Authentizität. Aus dieser Grundhaltung ergibt sich ein Rollenverständnis der Lehrpersonen als Lernberatende und nicht primär als Wissensvermittler:innen. Dieses Rollenverständnis bedingt Aushandlungsprozesse unter den Lehrpersonen als Kollegium. Anhand konkreter Konfliktsituationen – wie unerledigten Hausaufgaben, Unpünktlichkeit oder Grenzverletzungen gegenüber anderen und gegenüber Materialien – wird verdeutlicht, dass die vier Schritte des Kommunikationsmodells der GFK auch in diesen Situationen die Bedürfnisse aus der Sicht der Lehrperson berücksichtigt werden und sie in ihrem Rollenbewusstsein stärken können.

  1. Zum Verhältnis von Lehrerinnen und Lehrern, zu den Schülerinnen und Schülern

Das einleitende Beispiel lässt über das Erziehungsverständnis, welches Lehrerinnen und Lehrer prägt, nachdenken. In diesem kurzen Kapitel gehen der Autor und die Autorin in humorvolle Art und Weise ausgewählten Fragen im Zusammenhang mit ihrer erzieherischen Grundhaltung nach.

  1. Klassenrat – Schülerinnen und Schüler üben Empathie

Einleitend zu diesem Kapitel folgt ein Zitat, das Aussagen über das Menschenbild und das Bildungsverständnis macht. Kinder und Jugendliche sind darauf angewiesen, für sie passende Lern- und Bildungsmomente zu erfahren, um ihr Potenzial darin entfalten zu können. Dies hängt zentral damit zusammen, inwiefern es der Lehrperson gelingt, auf die Bedürfnisse des Schülers, bzw. der Schülerin einzugehen und diese individuell auf ihrem Bildungsweg zu begleiten. Dies ist nicht nur Teil der Interaktion zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen, sondern soll ein konstituierendes Element einer Klassengemeinschaft darstellen. Hierfür beschreiben der Autor und die Autorin den Klassenrat als partizipativ gestalteten und verantworteten Erfahrungsraum. In den Ausführungen wird nachvollziehbar erläutert, welche Themen aufgegriffen und wie sie in der Klassengemeinschaft bearbeitet werden können. Es wird darauf hingewiesen, dass Kommunikations- und Konfliktkompetenzen nur durch eigenes Erleben angeeignet werden können. Sie fordern die Erwachsenen daher auf, entsprechende Gelegenheiten zu schaffen, um Kompetenzerweiterungen zu ermöglichen.

  1. Einzelgespräche mit einer Schülerin oder einem Schüler

In diesem Kapitel verdeutlichen der Autor und die Autorin den Mehrwert von Einzelgesprächen mit Schüler:innen, die dem Verständigungsprozess und darüber hinaus der Beziehungsgestaltung dienen. Besonders anschaulich werden hier zwei Prämissen der GFK dargestellt:

  • Alle Bedürfnisse sind positiv. Sie dienen dem Leben und unserer Lebendigkeit und sind allen Menschen gemeinsam.
  • Gewaltfreie Kommunikation zielt darauf ab, dass wir unsere Bedürfnisse so erfüllen, dass die Strategien, die wir verwenden, weder anderen noch uns selbst Gewalt zufügen, sondern Wertschätzung gegenüber uns selbst und anderen zum Ausdruck bringen.

Am Praxisbeispiel wird deutlich, dass dies ein entscheidender Punkt für Verständigung, Beziehungsgestaltung und den Aufbau einer bedürfnisorientierten und gewaltfreien Kommunikationskultur ist. Die empathische Haltung der Lehrperson ist dabei zentral. Erneut wird die Unterscheidung zwischen schützender Machtausübung und strafendem Machtgebrauch bzw. Schuldzuweisungen hervorgehoben. Es wird deutlich, dass der Kompetenzerwerb in der Anwendung der GFK regelmässiges Üben, kollegiales Feedback sowie reflexiv-diskursive Verständigungsprozesse erfordert.

  1. Klassenkonferenz mit Eltern oder einer Mutter/​einem Vater

Das leitende Zitat zu diesem Kapitel verdeutlicht den Einfluss negativ geprägter Zuschreibungen und fordert Lehrpersonen dazu auf, ihre eigenen subjektiven Eindrücke zu hinterfragen und aus negativen Zuschreibungen positive Unterstellungen zu entwickeln. Dieser konstruktivistische Ansatz unterstützt die gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung, indem er davon ausgeht, dass jedes Verhalten einem eigens konstruierten Sinn folgt, der sich Aussenstehenden nicht unmittelbar erschliesst. In der Sozialen Arbeit lässt sich hierfür das Konzept des Reframings (Bamberger, 2022) heranziehen. Diese Form der Umdeutung unterstützt die Beziehungsgestaltung, indem sie dazu einlädt, die eigenen Eindrücke und Assoziationen zu hinterfragen und bewusst einen ressourcenorientierten Perspektivenwechsel zum Gegenüber vorzunehmen. Dazu ist die Konkretisierung der Differenz zwischen Bedürfnissen und Strategien erforderlich, die auch auf Gesprächssituationen mit Erziehungsverantwortlichen transferiert werden kann. Die Gesprächsbasis bildet sich aufgrundlage der Bedürfnisse, während sich die konkrete Gesprächssituation anhand der gewählten Strategien entwickelt. Die Strategien sind in jedem Fall zu reflektieren, zu hinterfragen und gegebenenfalls zu kritisieren. Die dahinterliegenden Bedürfnisse gilt es jedoch empathisch herauszuarbeiten und anzuerkennen.

  1. Gewaltfreie Kommunikation im Unterricht

Als Einstimmung in das Kapitel verwenden der Autor und die Autorin nicht weniger als ein Zitat von Mahatma Gandhi: „Sei der Wandel, den du in der Welt sehen möchtest.“ In diesem Kapitel erfolgt der Transfer der GFK auf die Unterrichtssituation. Sie liefern Ideen und Möglichkeiten, den Ansatz nicht künstlich, sondern als selbstverständlichen Teil der Unterrichtsgestaltung einfließen zu lassen. Besonders erwähnenswert ist an dieser Stelle, dass sich das Auftreten der Lehrperson primär am eigenen Authentizitätsgefühl orientieren soll und, dass Achtsamkeit und Bedürfnisorientierung auch Teil der Professionalität im Lehrpersonenberuf sind. In diesem Kapitel werden Übungen beschrieben, die der professionellen Selbstreflexion der Lehrperson dienen. Dabei wird insbesondere auf die Bedeutung hingewiesen, dass Schule für Schüler:innen ein Ort ist, der mit sehr vielen Emotionen verbunden ist. Lehrpersonen werden eingeladen, diesen Emotionen im schulischen Alltag – auch in den einzelnen, am Lehrplan orientierten Unterrichtslektionen – einen höheren Stellenwert einzuräumen.

  1. …was Sie (fast) gleich mit ihrer Klasse ausprobieren können: Ein Kennenlerntag zu gewaltfreier Kommunikation

Das einleitende Zitat über ungleiche Positionen aber die Gleichwertigkeit von Lehrpersonen und Schüler:innen dient der Auseinandersetzung mit den Rollen und Verantwortlichkeiten im schulischen Kontext. Lehrpersonen sind qua ihrer Funktion mit einem höheren Status und damit mit grösserer Verantwortung ausgestattet. Diese Position berechtigt jedoch nicht dazu, Schüler:innen herabzuwürdigen, sondern verpflichtet sie, jeder Person die gleiche Würde zuzugestehen. In diesem Kapitel wird ein Schultag, indem GFK als prägendes Element verstanden wird, vom Beginn bis zum Abschluss beschrieben. Durch diese Darstellung lässt sich der Transfer der GFK konkret nachvollziehen. Dabei wird deutlich, dass es sich nicht um einen Zusatzaufwand für die Lehrperson handelt, sondern um etwas, das im Kleinen umgesetzt eine sehr weitreichende Wirkung erzielen kann. Der Ablauf des Schulalltags wird durchgehend begleitet, und es werden verschiedene Materialien wie Übungen und Anleitungen vorgestellt, die dazu einladen, ohne intensive oder langwierige Vorbereitung einen Versuch zu wagen, GFK selbstbestimmt als Teil der eigenen Gestaltung von Schule zu implementieren.

  1. Wie wird die ihnen gestellten Aufgaben bearbeitet haben

Das Schlusskapitel steht unter einem einleitenden Zitat von Rumi, welches betont, dass jedes Lernen, jedes Verhalten und jede Handlung des Menschen nicht einer Bewertung unterliegen soll. Vielmehr erfolgt ein effektiver Kompetenzzuwachs in einer empathischen, offenen und konstruktiv-kritischen Auseinandersetzung. Dies ist als abschliessendes Kapitel zu verstehen, in dem die dargestellten Übungen der Publikation diskutiert werden. Das Kapitel bedient das Bedürfnis der Leser:innen nach Rückmeldungen zu den einzelnen Übungen aus den vorangegangenen Kapiteln. Es unterstützt zudem dabei, den eigenen Lernprozess über GFK zu intensivieren und erneut zu reflektieren.

Diskussion

Die Publikation zeichnet sich durch eine konsequente Orientierung an der schulischen Praxis aus. Jede theoretische Einführung ist eng mit konkreten Situationen verbunden, sodass der Nutzen der GFK unmittelbar erkennbar wird. Die einzelnen Kapitel fassen zentrale Herausforderungen im schulischen Alltag auf. Die Kapitel beziehungsweise Praxissituationen folgen thematischen Schwerpunktsetzungen. Eine klare Systematisierung der Ausführungen zur besseren Orientierung der Ausführungen fehlt allerdings. Jeweils ausgehend von Praxissituationen gelingt es, Interesse zu wecken – ausgehend von Bedarf und eigenen Erfahrungen – und gleichzeitig zu verdeutlichen, welchen Nutzen das Konzept der GFK für die Alltagsbewältigung bieten kann. Die Publikation dürfte sowohl Berufseinsteigeden als auch erfahrene Lehrpersonen ansprechen, da die Praxisbeispiele für die gesamte Dauer der Tätigkeit relevant erscheinen. Deutlich wird durchgängig die Anforderung an Lehrpersonen, sich permanent in ihrer eigenen Beziehungsgestaltung zu reflektieren. Das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation ist demnach nicht primär als Handwerkszeug zu verstehen, sondern bedingt eine ehrliche und empathische Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung. Es gelingt, GFK in der Schule als etwas zu vermitteln, das eng mit der professionellen Rollengestaltung der Lehrperson verbunden ist. Offen bleibt die Frage, inwiefern Lehrpersonen in Auseinandersetzungen innerhalb ihrer Schulteams, mit Vorgesetzten, in interdisziplinären Teams oder mit Eltern eine solche Form der Kommunikation tatsächlich erfahren und anwenden können. Hierfür bedarf es der Vermittlung von fundierten Kenntnissen im Verlauf der Aus- und Weiterbildung, sowie der Bereitstellung moderierter Gefäße für kollegialen Erfahrungsaustausch und fachliche Reflexion in der Schule.

Die Publikation aus dem Jahr 2013 lässt sich als praxisnahes, themenspezifisches Einstiegswerk für Lehrpersonen verstehen. Stärken sind die Anschaulichkeit der Beispiele, die Vielzahl an Übungen und die klare Haltung, die GFK als Prozess der Selbstreflexion und inneren Haltung begreifen. Kritisch anzumerken ist, dass die Fülle an Praxisbeispielen zwar inspirierend, aber stellenweise wenig systematisiert wirkt, was die Orientierung erschwert. Zudem bleibt offen, wie die Ansätze der GFK auch im Kollegium, in der Zusammenarbeit mit Vorgesetzten oder in interdisziplinären Teams nachhaltig verankert werden können. Durch die transferorientierte Beschreibung erhalten Lehrpersonen die Möglichkeit, konkrete Übungen und Anwendungserfahrungen zu sammeln. Angesichts der positiven Wirkungen, die potenziell entstehen können, dürfte sich das Interesse der Lehrpersonen weiter verstärken. Den Autor:innen gelingt es, Neugier zum Ausprobieren einzelner Elemente zu wecken und deren potenziell positive Wirkung zu erleben. Sie greifen konkret nachvollziehbare Praxissituationen auf und beschreiben Handlungsoptionen, die nicht nur schwierige Dynamiken entschärfen, sondern zugleich die Beziehungen zwischen Schüler:innen sowie zwischen Schüler:innen und Lehrpersonen nachhaltig stärken können. Eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Konzept der Gewaltfreien Kommunikation ist jedoch erforderlich, um die beschriebenen Instrumente und Übungen nicht in Widerspruch zur betonten Grundhaltung einzusetzen. Das Konzept eignet sich bereits für die Ausbildung von Lehrpersonen, um Herausforderungen im Schulalltag besser bewältigen zu können, und könnte in der Gestaltung kollegialer Austauschgefässe einen Multiplikationseffekt entfalten.

Fazit

In den Ausführungen wird schliesslich deutlich, dass GFK als Element einer Schulkultur zu verstehen ist – mit einem Menschen- und Bildungsverständnis, in dem Bedürfnisse und Emotionen ernst genommen werden und Beziehungsgestaltung sowie respektvolle Begegnung zwischen Schüler:innen, Lehrpersonen und weiteren schulischen Mitarbeitenden im Zentrum stehen, wobei dies teilweise stark appellierend und moralisierend erfolgt. Ebenso gelingt es, Kommunikation als Teil der Beziehungsgestaltung zu vermitteln und dabei auf die Beziehungsgestaltung zwischen Lehrpersonen und Schüler:innen zu fokussieren. Sprache und Wortwahl werden als Medium zur Gestaltung von Beziehungen und Kultur definiert, wobei GFK auch über nichtsprachliche Formen hinaus wirksam ist. Gewaltfreie Kommunikation erzielt, verstanden als Haltung, eine besondere Wirkung und ist daher auch als Element gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse zu betrachten.

Literatur

Bamberger, G. (2022). Lösungsorientierte Beratung. Praxishandbuch (6. Auflage). Beltz

Rezension von
Martina Good
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ISSN 2190-9245