Michaela Huber: Narzissmus und Bindungstrauma
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 21.10.2025
Michaela Huber: Narzissmus und Bindungstrauma. Entstehung, Formen, Therapie. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2024. 176 Seiten. ISBN 978-3-7495-0608-8. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR.
Thema
Das Interesse am Thema Narzissmus ist nach wie vor groß. Das Cluster von Symptomen, das Menschen mit einer ungewöhnlich intensiven Selbstbezogenheit kennzeichnet, beinhaltet: überhöhtes Gefühl der eigenen Bedeutung, Streben nach Bewunderung, Mangel an Mitgefühl für andere. In Studien haben sich zwei Ursachen herauskristallisiert, die mit der Kindheit der Betroffenen zu tun haben: Die einen wurden verhätschelt, die anderen gequält. Vernachlässigt wurden beide Gruppen, denn immer mangelte es an angemessener Sorge und Aufmerksamkeit der Eltern. Neben Fragen wie ‚Wie wird man eigentlich Narzisst?‘ beschäftigt sich Michaela Huber mit Kernmerkmalen einer narzisstischen Störung, mit dem Unterschied zwischen pathologischem und »gesundem« Narzissmus sowie mit Fragen der Diagnostik. Unterschiedliche narzisstische Strategien werden ebenso erörtert wie Möglichkeiten des Ausstiegs aus narzisstischen Beziehungen sowie die Psychotherapie narzisstischer Störungen.
Autor
Michaela Huber ist dem Fachpublikum aufgrund ihrer großen Expertise im Bereich Traumafolgen und ritualisierte sexuelle Gewalt ein Begriff. Sie ist psychologische Psychotherapeutin, Supervisorin und Ausbilderin in der Traumabehandlung.
Aufbau und Inhalt
Wie im Subtitel genannt, beschäftigt sich Michaela Huber in diesem Buch mit drei Hauptaspekten – der Entstehung, den Formen und auch der – zugegeben sehr schwierigen – Therapie des Narzissmus. Dabei untersucht sie zunächst, welchen Zusammenhang es zwischen schlechten frühkindlichen Bildungserfahrungen und dem Entstehen einer narzisstischen Persönlichkeit gibt. Denn, so lassen es praktische Erfahrungen der Autorin und auch wissenschaftliche Erkenntnisse vermuten, traumatisierende Bindungserfahrungen können zur Entwicklung narzisstischer Schutzmechanismen beitragen – ist es letztlich also eine Mischung aus erlernt oder erblich? Oder doch nur ein erlerntes Muster?
Und so ist das Buch der Versuch, folgende Frage zu beantworten: „[W]ie zwei gegensätzliche Kindheiten – gepampert oder geprügelt, verwöhnt oder vernachlässigt, zart oder zynisch behandelt – zu demselben Ergebnis narzisstischer Persönlichkeitszüge führen können“ (S. 14)? Betrachtet werden dabei sowohl die medial derzeit sehr präsenten Narzissten, aber auch Narzisstinnen, wozu Michaela Huber sehr klar formuliert: „Narzisstische Frauen können nämlich nicht nur ihre Partner tyrannisieren – Sie alle kennen den lieben Kerl, der eine regelrechte ‚Zicke‘ zur Partnerin hat, die ihn herumkommandiert. Sie können auch ihre Kinder quälen, indem sie kaum deren Bedürfnisse wahrnehmen, sondern sie regelrecht ‚dressieren‘ und für ihre Zwecke benutzen“ (S. 16). Egal, ob männlich oder weiblich, gemeint ist Menschen mit dieser Persönlichkeit(sstörung), dass sie zwar sehr nach Grandiosität lechzen und sich entsprechend präsentieren, tief im Inneren aber häufig eine Ahnung haben, dass sie es nicht sind.
Um die Formen des Narzissmus verständlich zu machen, greift die Autorin an erster Stelle den Weg der Diagnostik auf und wendet dann einen geschickten Trick an. Die Frage, ob es gesunden Narzissmus gibt, lässt sie aus verschiedenen Sichten beantworten: ‚Zu Wort‘ kommen ein erfolgreicher Einzelgänger, ein seelisch stabiler Mensch, Traumapatient:innen und pathologische Narzissten. So entsteht eine Annäherung an ganz verschiedene Typen, was in der Folge an verschiedenen Aspekten beleuchtet wird: Was haben eigentlich Narzissmus, Influencer und soziale Medien gemein? Und was ist eigentlich mit der Gegenseite, die Michaela Huber als „Co-Narzisstin“, „Empathin“ oder „Echoistin“ bezeichnet? Erklärt werden auch Strategien von narzisstischen Menschen. Zum Abschluss wirft das Buch einen Blick auf die Psychotherapie – sowohl mit Narzisst:innen als auch mit deren Opfern. Auch hier berichtet Michaela Huber aus ihrem schier unermesslichen Erfahrungsschatz: „Narzissten leiden nicht unter zu viel, sondern unter zu wenig echtem Selbstwertgefühl. Natürlich gibt es die Angeber, die sich nicht auf eine genaue Durchsicht ihrer inneren Welt einlassen wollen – die werden nicht lange in Therapie bleiben. Doch mit der heute weitaus größeren Gruppe, mit den vulnerablen unter ihnen, kann und sollte man arbeiten, wenn sie dazu bereit sind“ (S. 146).
Diskussion
„Sie glaubten, andere beeindrucken zu müssen. Sie selbst seien als kleines Licht ständig in Gefahr zu verlöschen. Nur das ständige Anfachen des inneren Lichts durch andere und deren konkrete Hilfe könne sie retten.“ (S. 146) Dieser Satz zeigt beeindruckend, was dieses Buch kann: Nämlich gleichzeitig deutlich machen, wie gefährlich narzisstische Menschen sein können und gleichzeitig aufzeigen, wie dramatisch schlimm es sein muss, wirklich nie genug zu sein. Man mag Michaela Hubers Ansichten zum Beispiel zum Umgang des Staates mit Corona – was auch in diesem Buch wieder durchaus seinen Platz findet – nicht teilen, kommt aber trotzdem nicht umher, ihre Art des Schreibens zu bewundern. Klar und deutlich, niemals beschönigend, aber beim Themenfeld Narzissmus alle Seiten der Medaille beleuchtend. Und so spricht auch aus diesem Buch eine Neugier auf Menschen und ihre Geschichte(n) und das Bewusstsein, das Verstehen gerade von psychischen Störungsbilder der Schlüssel ist, um viel Leid zu verhindern.
Fazit
Ein lesenswertes Buch, das deutlich macht, wie gefährlich Narzissmus ist und wie Opfer von Narzisst:innen leiden und warum das so ist, das sich aber trotzdem mit der notwendiger distanzierten Empathie jenen Menschen nähert, die man trotz der zur Schau gestellten Grandiosität eigentlich bemitleiden müsste.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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