Gerlinde R. Fritsch: Der Gefühls- und Bedürfnisnavigator
Rezensiert von Gerd Schweers, 30.12.2024
Gerlinde R. Fritsch: Der Gefühls- und Bedürfnisnavigator. Gefühle & Bedürfnisse wahrnehmen. Orientierungshilfe f. Psychosomatik- & Psychotherapiepatienten. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2024. 2. Auflage. 96 Seiten. ISBN 978-3-7495-0618-7. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Das Buch richtet sich an Menschen, die seelisch oder psychosomatisch erkrankt sind. Die Autorin weist schon in der Einleitung darauf hin, dass in jeder Psychotherapierichtung, sei sie verhaltenstherapeutisch, psychodynamisch oder humanistisch orientiert, dem Patient:innen nahegelegt wird, besser auf sich achtzugeben und die eigenen Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen. Das Buch versteht sich bei diesem Prozess als Orientierungshilfe zum besseren Verstehen des Prozesses, und Unterstützung bei eigenen Bemühungen zur Heilung. Damit soll auch die Mündigkeit der Patient:innen gefördert werden
Autorin
Gerlinde Ruth Fritsch, Dipl. Psych., niedergelassene Psychotherapeutin in Hamburg, umfangreiche Erfahrung mit weiteren Ansätzen in der Psychotherapie und Seminararbeit.
Entstehungshintergrund
Im Vorwort wird die Konfrontation der Autorin mit schwer beeinträchtigten Patient:innen, die an einer Selbsthilfegruppe teilnahmen, geschildert. Entgegen ihrem ursprünglichen Konzept (Vorlesung aus ihrem Buch) stellte die Autorin die Erklärung grundlegender Begriffe und Informationen zu Erkrankungsprozessen mit Erfolg in den Mittelpunkt ihrer Arbeit.
Ergänzend zu dieser Begründung kann ich auf meine eigene supervisorische Arbeit verweisen. In beratenden oder therapeutischen Kontexten gibt es häufig Konfrontationen mit Klient:innen, die nur über wenig oder verzerrte Informationen über Ursachen von psychischen Erkrankungen und Vorgehen im Heilungsprozess verfügen.
Aufbau
Das Buch ist in neun Kapitel gegliedert, gefolgt von Literaturempfehlungen zur weiteren Lektüre und einem Anhang mit einem kurzen Bedeutungswörterbuch und der Literaturliste.
Ein Link zum Download einer E-Book-Variante ist beigefügt.
Inhalt
im ersten Kapitel werden neurobiologische Grundlagen zur Psychosomatik in knappster Form auf drei Seiten vorgestellt. Im zweiten Kapitel geht es um immer vorhandene Auslöser für Gefühle, im dritten Kapitel darum, warum Gefühle sinnvoll sind.(Gefühle sind zum Wahrnehmen da). In diesem Kapitel werden in umfangreichen Tabellen Gefühle positiver und negativer Art vorgestellt. Zur Differenzierung werden für zentrale Gefühlsbereiche „Gefühlslandkarten“ eingeführt, die Auslöser, Gedanken, Körperreaktionen und Handlungsimpulse aufführen. Vor „Pseudogefühlen“ wird ausdrücklich gewarnt. Im vierten Kapitel erfolgt eine Darstellung, wie unsere Gedanken unsere Gefühle beeinflussen und welchen Sinn sie im Kontext von Gefühlen haben. Im Kapitel 5 geht es um Bedürfnisse als allgemeine Lebenskräfte, die uns antreiben, damit wir gedeihen und ein erfülltes Leben führen. Auch hier gibt es umfangreiche Tabellen, unter anderem zum Zusammenhang von Bedürfnis und Gefühl. Das Kapitel sechs stellt Zusammenhänge her zwischen Körper, Gedanken und Gefühlen. Im Kapitel 7 geht es um destruktive und konstruktive Lösungen und Ziele. Zur Erklärung wird umfangreicher auf das Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun verwiesen und im nächsten Unterpunkt auf symptomspezifische Entwicklungsziele für häufige Erkrankungen und Störungen. Im Kapitel acht wird ein Denkmodell für Lernprozesse vorgestellt, in dem zwischen Komfortzone, Wachstumszone und Panikzone unterschieden wird. Im letzten Kapitel 9 geht es um konkrete und konstruktive Strategien für neun verschiedene und als zentral erachtete Bedürfnisse. Im folgenden Bedeutungswörterbuch werden diese Bedürfnisse durch die Vorstellung zahlreicher Begriffe weiter differenziert. Danach folgt eine kurze Literaturliste mit Empfehlungen weiterführender Literatur.
Diskussion
Das Buch unterscheidet sich -natürlich- erheblich von konventionellen Fachbüchern für Professionelle in der Psychotherapie. Es ist ja auch ausdrücklich gedacht als Anregung für Patient:innen und Nutzer:innen von Psychotherapie. Das rührt an das Grundverständnis für solche Veröffentlichungen. Wer sich eine hilfreiche Funktion derartiger Veröffentlichungen für seine Patient:innen nicht vorstellen kann, wird es diesem Personenkreis natürlich auch nicht empfehlen. Eine Nachfrage im kollegialen Kreis spiegelte jedoch eine Tendenz, dass die weitere Verbreitung von Psychotherapie in den letzten Jahrzehnten auch einen veränderten Nutzerkreis in die psychotherapeutische Praxis bringt. Gemeint sind dann Patient:innen/​Nutzer:innen, denen professionell selbstverständliche Begriffe wie Gefühle und Bedürfnisse wenig oder nichts sagen, die den Wirkmechanismus von Therapie vor allem medizinisch definieren (Ein:e Fachkraft verabreicht eine Medizin, die ich geduldig nehme, auf deren Wirksamkeit ich aber nur wenig bis keinen Einfluss nehmen kann). Es kommt auch vor, dass Nutzer:innen eine grundsätzliche Skepsis gegenüber therapeutischer Einwirkung und ihrer Erfolgsaussicht haben.
Hier kann eine auch für Laien verständliche Einführung in zentrale Begriffe und Mechanismen der Therapie eine wichtige Grundlage für die Therapie sein. Bedauert habe ich, dass dieses Grundlagenwissen schon im Vorwort nur auf verhaltenstherapeutische, psychodynamische oder humanistisch orientierte Therapien bezogen wird. Im Text selber gibt es aber immer wieder Hinweise auf weitere Grundlagen der Arbeit, zum Beispiel körpertherapeutische Aspekte oder Fragen nach dem sozialen Kontext von Menschen in ihrer Problematik. Angesichts der breiten Qualifikation der Autorin und der immer noch wachsenden Verbreitung weiterer Ansätze wäre sowohl ein Verweis auf systemisch-konstruktivistische Annahmen (z.B. Probleme als soziale Konstruktion), wie auch eine pragmatische Nutzung typischer Vorgehensweisen (z.B. Nutzung von Genogrammen als Verstehenshintergrund) vorstellbar gewesen. Vierzehn Jahre nach der Erstveröffentlichung besteht hier meines Erachtens eine interessante Möglichkeit der Aktualisierung.
Fazit
Ein für Laien gut lesbares Buch über grundsätzliche Annahmen psychotherapeutischer Schulen, ihre Umsetzung und daraus resultierende Möglichkeiten für die Patient:innen.
Rezension von
Gerd Schweers
Dipl.-Soz.Päd.
Grundlagen methodischen Handelns in der Sozialen Arbeit, Personenzentrierter Ansatz, Systemische Handlungsansätze, Supervision
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Es gibt 2 Rezensionen von Gerd Schweers.
Zitiervorschlag
Gerd Schweers. Rezension vom 30.12.2024 zu:
Gerlinde R. Fritsch: Der Gefühls- und Bedürfnisnavigator. Gefühle & Bedürfnisse wahrnehmen. Orientierungshilfe f. Psychosomatik- & Psychotherapiepatienten. Junfermann Verlag GmbH
(Paderborn) 2024. 2. Auflage.
ISBN 978-3-7495-0618-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32725.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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