Sally M. Winston, Martin N. Seif: Tyrannen in meinem Kopf
Rezensiert von Prof. Dr. Carsten Rensinghoff, 16.12.2024
Sally M. Winston, Martin N. Seif: Tyrannen in meinem Kopf. Zwangsgedanken überwinden - ein Selbsthilfeprogramm. Junfermann Verlag GmbH (Paderborn) 2024. 2. Auflage. 176 Seiten. ISBN 978-3-7495-0583-8. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR.
Thema
Es geht in dieser Publikation um Zwangsgedanken, um innere Stimmen, die sich in uns einbrennen, uns aufdrängen. Derartige Gedanken führen zu Angst. Die Publikation liefert Techniken, die den Kobold in meinem Kopf zähmen (vgl. Baer 2010; vgl. Rensinghoff 2024).
Autor:in oder Herausgeber:in
Dr. Sally M. Winston ist Leiterin eines Instituts, das sich mit Angst- und Belastungsstörungen auseinandersetzt.
Dr. Martin N. Seif ist kognitiver Verhaltenspsychologe. Er behandelt in einer Klinik und in einer eigenen Praxis Angststörungen und Phobien.
Aufbau
- Wie man sich von belastenden aufdringlichen Gedanken befreit
- Die Artenvielfalt aufdringlicher Gedanken
- Was Gedanken bedeuten – Fakt versus Fiktion
- Wenn aufdringliche Gedanke zur Last werden: Fragen und Antworten
- Wie das Gehirn unerwünschte Gedanken kreiert
- Warum bislang nichts funktioniert hat
- Was tun, wenn man von Gedanken belästigt wird?
- Unerwünschte Gedanken für immer loswerden
- Der Weg zur Besserung
- Professionelle Hilfe
Inhalt
Hilfreich ist die These, dass sich nahezu allen Menschen bestimmte Gedanken aufdrängen. Man ist also nicht alleine oder etwas Besonderes. In der Regel „verursachen diese ‚Eindringlinge‘ kaum oder gar keine Beschwerden, denn man vergisst sie einfach sofort“ (S. 15). Besorgniserregend sind diese sich aufdrängenden Gedanken, wenn sie oft und mit immer stärkerer Intensität auftreten.
Aufdringliche Gedanken sind vielfältig. Sie treten beispielsweise als unmoralische Gedanken, als Gedanken zu Lebensfragen oder absurde Gedanken auf.
Winston/Seif widmen sich der Bedeutung von Gedanken, die sich vor allem dann festsetzen, wenn hierzu falsche Informationen vorliegen. Bei diesen Ammenmärchen handelt es sich um:
- die Fiktion der Kontrolle unserer Gedanken;
- die Fiktion, „dass Gedanken mit dem Charakter zu tun haben, Aufschluss geben über wahre Intentionen und die dunkle Seite des Menschen offenbaren“ (S. 53);
- die Fiktion, dass die Gedanken das Innenleben eines Menschen offenbaren
- die Fiktion, dass das Unbewusste unser Tun bestimmt;
- die Fiktion, dass die Gedanken an etwas die Auftretenswahrscheinlichkeit erhöhen;
- die Fiktion, dass die Gedanken an etwas die Auftretenswahrscheinlichkeit senkt
- die Fiktion, dass jemand, dem sich Gedanken aufdrängen, krank ist;
- die Fiktion, dass jeder Gedanke es wert ist, gedacht zu werden;
- die Fiktion, dass wiederkehrende Gedanken wichtig sein müssen.
Die Autorin und der Autor befassen sich exemplarisch mit Fragen, die ihnen von Patientinnen oder Patienten häufig gestellt werden. Es sind Fragen, die vorgenannte Personen „mit niemandem besprechen können, weil sie sich dafür schämen oder sich nicht dazu bekennen mögen“ S. 63), als da beispielsweise wären:
- „Bedeutet der Gedanke, dass ich meinen Kindern wehtue, dass sich ‚tief in mir‘ Wut und Aggression verbergen“ (ebd.)?
- „Ich bin wirklich ein lebensfroher Mensch und liebe mein Leben. Warum muss ich dann dauernd an Selbstmord denken“ (S. 69)?
- „Wie kann der Inhalt meiner Gedanken irrelevant sein? Das kann ich mir nicht vorstellen“ (S. 71).
Was geschieht im Gehirn, wenn man sich erschreckt und dann wieder beruhigt? Was geschieht, wenn man sich erschreckt, aber nicht wieder beruhigt? Diesen Fragen wird sich über die Neurologie der ängstlichen Erregung gewidmet. Man kann das Gehirn so programmieren, dass es aufhört schlechte Gedanken oder Erschreckendes zu produzieren. Dieser Tatsache gehen die Verfasserin und der Verfasser nach.
Alle Selbstbehandlungsaktivitäten, alle Ratschläge von Anderen, alle psychologischen Beratungen und Therapien haben nicht geholfen, von den sich aufdrängenden Gedanken zu befreien. Hierfür sind drei Störprozesse verantwortlich, als da wären:
- der Gedankenfänger, der wie klebriges Fliegenpapier funktioniert. Die Gedanken werden angelockt, kommen immer wieder und bleiben letztlich haften;
- die paradoxe Bemühung, die mit einer chinesischen Fingerfalle vergleichbar ist. Bei diesem Kinderspielzeug werden die Finger in Baströhren gesteckt. „Je stärker man zieht, umso enger zieht sich die Röhre um den Finger, bis man ihn nicht mehr herauskriegt. Erst wenn man dahinterkommt, dass man nicht ziehen, sondern drücken muss, lässt sich der Finger befreien“ (S. 90 f.);
- die Verstrickung, d.h. „sich auf einen inneren Dialog mit aggressiven, sexuellen, absurden oder anderweitig verstörenden, aber flüchtigen Einfällen einzulassen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen“ (S. 92).
Aufdringliche Gedanken verursachen Stress. Um diese Stresssituation gar nicht erst aufkommen zu lassen, werden sechs Bewältigungsschritte aufgeführt, die eingeübt werden sollen – und das sind:
- das Erkennen,
- das Benennen: bloß ein Gedanke;
- das Akzeptieren und Zulassen;
- das neutrale Beobachten und Nachspüren;
- das Gewinnen von Zeit
- das Weitermachen
Eine effektive Methode zum Loswerden unerwünschter Gedanken ist die Konfrontation mit diesen Gedanken. Man denkt absichtlich an schockierende und belastende Dinge.
Diskussion
Das besprochene Buch widmet sich einem Thema, das gegenwärtig von hoher Bedeutung ist. Die hohe Bedeutung liegt aktuell beispielsweise an Gedanken über den Sinn des Lebens. Gerade die zahlreichen Katastrophen, die wir selber erleben bzw. über die wir durch die Medien informiert werden, lassen manche Menschen ununterbrochen und extrem unter der Gewissheit leiden, „dass alles Leben ein Ende hat, und was dies bedeutet. Der kleinste Gedanke daran reicht – und schon sind sie vollkommen davon in Beschlag genommen“ (S. 36).
Für derartige Gedanken ist das besprochene Selbsthilfeprogramm eine gute Hilfe.
Dass das Programm nicht in jedem Fall nutzbar ist, wird von der Autorin und vom Autor bestätigt. So schränken Winston/Seif die Brauchbarkeit ihrer Veröffentlichung für posttraumatische Belastungsstörungen ein. „In diesem Fall empfehlen wir die Behandlung durch eine auf Traumatisierung spezialisierte Psychotherapeutin“ (S. 42).
Fazit
Mit ihrer Publikation streben Winston/Seif eine Immunisierung für die Zukunft an. Die Wiederkehr von aufdringlichen Gedanken soll von den Betroffenen gelassen hingenommen werden, eben weil sie harmlos sind.
Literatur
Baer, Lee: Der Kobold im Kopf. Die Zähmung der Zwangsgedanken. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2010. 3. Auflage.
Rensinghoff, Carsten: Rezension vom 15.09.2011 zu: Lee Baer: Der Kobold im Kopf. Die Zähmung der Zwangsgedanken. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2010. 3. Auflage. ISBN 978-3-456-84949-2 [Rezension bei socialnet]. Wengenroth, Matthias [Übers.]. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/12002.php, Datum des Zugriffs 26.11.2024.
Rezension von
Prof. Dr. Carsten Rensinghoff
Hochschullehrer für Heilpädagogik und Inklusive Pädagogik an der DIPLOMA Hochschule
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Zitiervorschlag
Carsten Rensinghoff. Rezension vom 16.12.2024 zu:
Sally M. Winston, Martin N. Seif: Tyrannen in meinem Kopf. Zwangsgedanken überwinden - ein Selbsthilfeprogramm. Junfermann Verlag GmbH
(Paderborn) 2024. 2. Auflage.
ISBN 978-3-7495-0583-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32728.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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