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Pierre-Carl Link, Noëlle Behringer et al. (Hrsg.): Mentalisierungsbasierte Inklusions- und Sonderpädagogik

Rezensiert von Sebastian Kron, 28.11.2024

Cover Pierre-Carl Link, Noëlle Behringer et al. (Hrsg.): Mentalisierungsbasierte Inklusions- und Sonderpädagogik ISBN 978-3-525-70017-4

Pierre-Carl Link, Noëlle Behringer, Agnes Turner, Tillmann F. Kreuzer, Nicola-Hans Schwarzer (Hrsg.): Mentalisierungsbasierte Inklusions- und Sonderpädagogik. Bildungsraum Schule. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2024. 458 Seiten. ISBN 978-3-525-70017-4. D: 45,00 EUR, A: 47,00 EUR.

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Thema

Die Fähigkeit zu mentalisieren beschäftigt die Psychologie und die Soziale Arbeit seit einiger Zeit. Das Konzept stammt aus der Psychoanalyse, anteilig auch aus der Kognitionswissenschaft und beschreibt Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Menschen, das eigene Erleben (mentale, innerpsychische Vorgänge) oder das Erleben Anderer zu erkennen und es als Ausgangspunkt für das Verhalten des jeweiligen Individuums zu begreifen. Dabei geht es unter anderem darum, wie Menschen unmittelbare, innere Erfahrungen aufgreifen und diese dem eigenen Verhalten zuschreiben.

Das vorliegende Werk beschränkt sich auf Mentalisierungsdynamiken im Lebensfeld Schule unter Berücksichtigung sonder- und inklusionsbezogener Pädagogik.

Herausgeber:innen

Prof. Pierre-Carl Link ist Professor für Erziehung und Bildung im Feld sozio-emotionaler und psychomotorischer Entwicklung an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) in Zürich.

Prof.in Noëlle Behringer ist Professorin für Soziale Arbeit im Kontext psychischer Krisen an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen.

Prof. Agnes Turner ist Professorin am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung der Universität Klagenfurt.

Tillmann F. Kreuzer ist Akademischer Rat am Institut für Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Freiburg.

Jun.-Prof. Nicola-Hans Schwarzer ist Juniorprofessor für Grundlagen der Sonderpädagogik mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung am Institut für Sonderpädagogik der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.

40 Autor*innen wirkten an dem vorliegenden Buch mit.

Entstehungshintergrund

Das Werk entsteht in einer Zeit, in der vieles in Bewegung geraten ist. Viele Lebenswelten und -gewohnheiten werden von enormem Stress und enormer Hektik begleitet. Empathisch, wohlgesonnen und verständnisvoll zu reagieren, ist wichtiger denn je, insbesondere, wenn Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen im Lebensfeld Schule aufeinandertreffen und gemeinsam in einen interaktionellen Diskurs treten. Das Konzept des Mentalisierens kann sinnstiftend sein, um Individuen zu verstehen. Zeitgleich kann es helfende Berufsgruppen unterstützen, im Kontext Inklusions- und Sonderpädagogik auf den Menschen gegenüber einzugehen, ihn zu verstehen und das Erleben als Ausgangspunkt vieler Verhaltensweisen zu sehen. Ebenso ist das Konzept der Mentalisierung für gelingende Beziehungsstrukturen fundamental.

Aufbau und Inhalt

Das vorliegende Buch lässt sich in drei große Kapitel untergliedern:

  1. Grundlagen zu sozialem Lernen, Mentalisieren und inklusiver Bildung
  2. Entwicklungs- und Handlungsfelder in der inklusions- und sonderpädagogischen Arbeit im Bildungsraum Schule
  3. Mentalisierungsbasierte Professionalisierung für Sonderpädagogik und inklusive Bildung

Nach den Vorworten der Herausgeberschaft, in denen eine Verortung des Mentalisierungskonzepts vorgenommen wird, werden elementare Grundlagen diskutiert. Dabei wird der tiefenpsychologisch-psychodynamische, bindungstheoretische und kognitionswissenschaftliche Blick auf das mentalisierungsbasierte Konzept geschärft, Weichen für den Blick auf menschliche Eigenschaften und sozial-heilpädagogische Herangehensweisen gesetzt, der Versuch einer Überleitung auf inklusive Bildungsprozesse unternommen und die Zielgruppe, Menschen mit besonderen Hilfe- und Förderbedarf, in den Fokus gezogen. Ferner wird der Blick auf Gefühlsebenen und charakterliche Strukturen thematisiert, die dann bestimmte Verhaltensweisen in Bindungs- und Zugehörigkeitserfahrungen mit sich ziehen. Tages-, Gefühls- und Denkabläufe zu strukturieren kann bei hochbelasteten Kindern helfen, Klarheit zu erreichen und Mentalisierungsfähigkeiten auszubauen. Im weiteren Verlauf diskutieren die Autor*innen den Zusammenhang zwischen dem Mentalisierungskonzept und dem Erwerb von Sprache, Interaktion und Kommunikation. Hierbei werden dem Spiel und der spielerischen Auseinandersetzung in kommunikativen Prozessen eine besondere Bedeutung auch für den Mentalisierungsprozess beigemessen. Mentalisieren wird ebenso als Fähigkeit verstanden, um einen erfolgreichen interaktiven Diskurs einzugehen. Der Einbezug verschiedener Handlungsfelder (z.B. in der Psychomotoriktherapie, in der systemischen Therapie mit heilpädagogischem Schwerpunkt) schärft einen mehrdimensionalen Blick.

Mentalisieren braucht immer Imagination, um das Verhalten von sich selbst oder von anderen einordnen zu können. Beim Mentalisieren sei es wichtig, lebensweltbezogene, individuelle Faktoren in bestimmte Überlegungen einzubeziehen und gemeinsam einen reflexiven Blick auf das eigene Erleben und Verhalten zu haben. Die Fähigkeit der Mentalisierung kann bei Menschen mit psychischer, kognitiver oder geistiger Behinderung beeinträchtigt sein. Auch Menschen, die von Beeinträchtigungen der Sinneswahrnehmungen Hören und Sehen betroffen sind, scheinen Einschränkungen in der Mentalisierungsfähigkeit aufzuweisen.

Die Fähigkeit zu mentalisieren wird als wesentliche Grundlage verstanden, um Empathie und Einfühlungsvermögen zu entwickeln, um sich auf andere Menschen einzulassen, Möglichkeiten individueller Entwicklungen „auszuloten“ und Beziehungen grundlegend zu gestalten. Eine mentalisierungsbasierte Pädagogik scheint mehr Beachtung in der Arbeit mit herausfordernden Kindern einnehmen zu müssen, um eine passende „professionelle“ Beziehungsgestaltung in einem bildungsspezifischen Rahmen zu entwickeln. Sie ist fundamental für einen Unterricht auf „Augenhöhe“ und hält Möglichkeiten der gemeinsamen Bildung offen. Das Buch diskutiert abschließend die Bedeutung von einem mentalisierungsbasierten Vorgehen im Kontext Schule mit der Möglichkeit Bildungsprozesse inklusiv(er) und gemeinsam zu gestalten. Dabei kann die Fähigkeit zu mentalisieren Möglichkeiten offenhalten, sonderpädagogische Strukturen in Bildung und Teilhabe gemeinsam zu gestalten. Weiterhin wird das Mentalisierungskonzept in einem gesellschaftspolitischen Diskurs im Kontext der thematischen Ausrichtung des Buches gebracht. Mentalisierungsbasierte Pädagogik wird als wesentliches Konzept verstanden, um soziale, emotionale und bindungsspezifische Fähigkeiten auszubauen.

Diskussion

Es kommen gelegentlich Diskussionen auf, dass die „Jugend von heute“ nur geringfügig erlernt hat, Empathie und ein empathisches Miteinander zu pflegen. Oft wird deutlich, dass psychisch labile Kinder und Jugendliche traumatische Erlebnisse erfuhren oder sich dem Gesellschaftsgefüge so weit angepasst haben, dass sie keine Strategien entwickelten, für sich selbst zu sorgen, Wünsche zu artikulieren und für sich selbst einzustehen, sodass ein empathisches, mentalisierungsbasiertes Verhalten auch gegenüber oder insbesondere im Umgang mit Anderen schwer interaktiv-artikulierbar wird. Die Fähigkeit für sich selbst einzustehen, stellt dabei eine Schlüsselrolle dar, um Strategien der Empathiefähigkeit für den anderen Menschen zu entwickeln. Soziale Arbeit kann helfen, einen Schritt zum Selbst zu wagen und Stärken als eine individuelle Ressource jedes Einzelnen zu betrachten, die weitläufig eine Schlüsselrolle auf ein empathisches Miteinander einnehmen kann. Ferner kann sie junge Menschen ermutigen, einen achtsamen Umgang mit sich selbst zu pflegen und sich als ein individuelles Wesen wahrnehmbar zu machen.

Fazit

Das Mentalisierungskonzept wird in den kommenden Jahren eine immer größere Rolle einnehmen. Um für sich selbst einen prägenden und verständnisvollen Umgang mit diesem Konzept zu entwickeln, ermöglicht das Buch, auch durch die Praxis in spezifischen Handlungsfeldern, einen weitreichenden Blick. Es ist daher für helfende Berufsgruppen zu empfehlen, insbesondere jene, die im Kontext Menschen mit Beeinträchtigungen im Lebensfeld Schule aktiv sind.

Rezension von
Sebastian Kron
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Zitiervorschlag
Sebastian Kron. Rezension vom 28.11.2024 zu: Pierre-Carl Link, Noëlle Behringer, Agnes Turner, Tillmann F. Kreuzer, Nicola-Hans Schwarzer (Hrsg.): Mentalisierungsbasierte Inklusions- und Sonderpädagogik. Bildungsraum Schule. Vandenhoeck & Ruprecht (Göttingen) 2024. ISBN 978-3-525-70017-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32747.php, Datum des Zugriffs 09.12.2024.


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