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Klaus Wernecke, Peter Heller: Medienmacht und Demokratie in der Weimarer Republik

Rezensiert von Sebastian Elsbach, 09.06.2025

Cover Klaus Wernecke, Peter Heller: Medienmacht und Demokratie in der Weimarer Republik ISBN 978-3-95558-347-7

Klaus Wernecke, Peter Heller: Medienmacht und Demokratie in der Weimarer Republik. Das Beispiel des Medienzaren und vergessenen Führers Alfred Hugenberg. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2023. 226 Seiten. ISBN 978-3-95558-347-7. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.

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Thema und Inhalt

Der demokratiegefährdende Missbrauch von modernen Massenmedien steht uns allen täglich vor Augen. Was heutzutage in Form von kaum oder unmoderierten Internetforen oder dezidiert politisch ausgerichteten social media Plattformen auftritt, findet ein Äquivalent in der Tages- und Wochenpresse des vorherigen Jahrhunderts. Zur Bildung von sich selbst verstärkenden Meinungsblasen braucht es keine Algorithmen. Es genügen bewusst handelnde Zeitungsredaktionen, die mit ihren Geldgebern in Industrie, Handel und Politik in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Das vorliegende Buch über den „Medienzaren“ Alfred Hugenberg (1865–1951) widmet sich in diesem Sinne einem hochaktuellen Thema. Es basiert auf einer frei zugänglichen Dokumentation (https://www.youtube.com/watch?v=vYTongQeykU) über Hugenbergs Aufstieg vom Industriellen zum Verbandsfunktionär und Lenker eines verzweigten Medienimperiums, das aus zahllosen Zeitungen, Verlagen sowie Radio- und Filmproduktionen bestand. Auf dieser Grundlage verbreiteten Hugenberg und sein Umfeld bewusst eine demokratie- und parlamentsfeindliche Weltsicht, die stattdessen auf imperialistische Machtexpansion im Ausland und nationalistische Repression im Inland abzielte. Hugenberg gehörte bereits im Kaiserreich zum rechten Rand des politischen Spektrums und war eine maßgebliche Führungsfigur des Alldeutschen Verbandes. In der Weimarer Republik schloss er sich der rechtsradikalen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) an und gehörte allein in seiner dortigen Funktion als Parteichef von 1928 bis 1933 zu den wichtigsten Wegbereitern der „Machtergreifung“ Hitlers. Es gab vor 1933 wohl keinen zweiten Medienunternehmer von Hugenbergs Reichweite und Einfluss. Im „Dritten Reich“ geriet Hugenbergs aufgrund seiner Machtfülle jedoch schnell ins politische Abseits. Seine Rolle als Wirtschaftsminister im Kabinett Hitlers währte nur kurz und sein Medienimperium wurde zerschlagen. Nach seinem Rückzug aus der Politik verfolgte Hugenberg die weitere Entwicklung des NS-Regimes gleichwohl mit Zustimmung. Aufgrund der Kürze seines Ministeramts konnte sich Hugenberg nach Kriegsende als Minderbelasteter präsentieren.

Autoren

Klaus Wernecke ist emeritierter Professor für Geschichte und arbeitet als freier Autor in Hamburg. Peter Heller ist Dokumentarfilmer und befasste sich u.a. mit geschichtlichen Themen.

Diskussion

Die hervorgehobene Position Hugenbergs in der deutschen Rechten und seine Mittlerrolle zwischen den rechten Verbandsstrukturen des Kaiserreich und der Weimarer Republik steht außer Frage. Das grundsätzliche Problem des Buches ist, dass eine inhaltliche Überarbeitung seit der Erstauflage von 1982 nicht stattgefunden hat. Auch das Vorwort scheint unverändert übernommen worden zu sein. Die hierin enthaltene Anklage gegen den Springer-Verlag und dessen vermeintlich demokratiegefährdenden Einfluss ist heute völlig fehl am Platz. Einerseits ist die Idee einer Neuauflage bei einem Geschichtsbuch nicht grundsätzlich abzulehnen, da die historischen Fakten, die im Buch dargelegt und analysiert werden, sich in den letzten 45 Jahren nicht geändert haben. Die Forschungslandschaft und Quellenlage hat sich andererseits in diesem Zeitraum radikal geändert, sodass das Buch aus wissenschaftlicher Sicht als veraltet betrachtet werden muss. Die dem Buch zugehörige Dokumentation hat gewiss auch heute aufgrund der ausführlichen Interviews mit Zeitzeugen ihren Reiz. Maßgebliche Werke der deutschsprachigen und internationalen Forschung werden im Buch aber nicht berücksichtigt. Darunter wären mehrere Werke des britischen Historischers Larry Eugen Jones über die deutsche Rechte zu zählen. Insbesondere das Standardwerk „The German Right“ von 2021. Die Literaturlage zum Alldeutschen Verband ist inzwischen mit Werken von Rainer Hering, Uta Jungcurt, Björn Hofmeister und Barry A. Jackisch auf einem völlig neuen Stand als in den späten 1970ern. Rechte Strukturen und deren gesellschaftlicher Einfluss in der Weimarer Republik sind beispielsweise in den Dissertationen von Matthias Grünzig und Dennis Werberg neu erforscht worden. Die reichhaltige Medienlandschaft wird ebenfalls multiperspektivisch erforscht, wie etwa ein Sammelband von Andreas Braune und Tim Niendorf von 2022 beweist. Jüngst wurde mit der Publikation einer Hugenberg-Biographie von Michael Schellhorn auch diese Personalie eingehend behandelt. Kurz und gut: die nicht-nationalsozialistische Rechte der Weimarer Republik wurde in den letzten Jahrzehnten intensiv, wenn auch nicht abschließend erforscht. Eine Einzelperson wie Hugenberg – so einflussreich er auch war – zum geheimnisvollen, „vergessenen“ Strippenzieher zu erheben und ihn in den Fokus einer Geschichte der Zerstörung der Weimarer Republik zu nehmen ist nicht zeitgemäß. Schon die Zeitgenossen wussten um den Einfluss Hugenbergs, aber die Probleme Weimars reichten viel tiefer.

Fazit

Aus wissenschaftlicher Sicht kann das Buch daher nicht empfohlen werden, doch als populärwissenschaftlicher Einstieg in die Geschichte der Weimarer Rechten und die mediale Einflussnahme auf demokratische Prozesse hat die Publikation eine gewisse Berechtigung. Leserinnen und Leser sind aber auf eigenständige Recherchen angewiesen, falls vertiefende Einblicke gesucht werden. Eine Hilfestellung der Autoren in Form eines aktualisierten Vorwortes oder einer Forschungsübersicht mit weiterführenden Hinweisen wäre wichtig gewesen.

Rezension von
Sebastian Elsbach
Post-Doktorand an der Forschungsstelle Weimarer Republik – Jena
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Es gibt 4 Rezensionen von Sebastian Elsbach.

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ISSN 2190-9245