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Wolfgang Landgraeber: Kritischer Journalismus im Kampf um Aufklärung

Rezensiert von Arnold Schmieder, 20.12.2024

Cover Wolfgang Landgraeber: Kritischer Journalismus im Kampf um Aufklärung ISBN 978-3-95558-376-7

Wolfgang Landgraeber: Kritischer Journalismus im Kampf um Aufklärung. Medienfreiheit in Zeiten von Manipulation, Überwachung und Verfolgung. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2024. 199 Seiten. ISBN 978-3-95558-376-7. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.

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Thema

Kritischer, freier und unabhängiger Journalismus musste auch in Demokratien gegen oft heftige Widerstände aus Politik und Wirtschaft erkämpft werden, was bis heute – wenn auch scheint’s rechtlich domestiziert – anhält, wie der Autor mit seinen Erfahrungsberichten aus vier Jahrzehnten belegt und deutlich vor Augen führt. Kritischer Journalismus sei eine „bisweilen immer noch bedrohte Disziplin“ (S. 8), beendet Landgraeber sein Vorwort. Das ist sicherlich angesichts dessen, was an Behinderungen und Einschränkungen überwunden worden und noch zu überwinden ist, richtig. Vergegenwärtigt man sich, womit der Autor beginnt, wie der Kampf um die Neuordnung von Presse und Rundfunk nach Nazidiktatur und gleichgeschalteten Medien im Nachkriegsdeutschland ausgefochten wurde und mit welchen Mitteln, wird einmal mehr deutlich, von welcher Relevanz kritischer und auch investigativer Journalismus für Demokratien und ihre Weiterentwicklung ist. Dass und wie Regierungen und Unternehmen kritischem Journalismus Hemmschuhe in den Weg legen oder es zumindest versuchen, wie Medienfreiheit gefährdet oder missbraucht wird, belegt der Autor mit seinen Berichten, die mehr sind als eklatante Fallbeispiele, weil sie einen zwar abgeschwächten, aber anhaltenden Trend anzeigen, dem zu wehren ist, auch weil dadurch Demokratien inhaltlich ausgehöhlt bzw. interessiert instrumentalisiert werden können. Insofern reihen sich die einzelnen Beiträge in das ein, was Thema des gesamten Bandes ist: Kritischer Journalismus im Kampf um Aufklärung.

Autor (und Gastbeiträger)

Wolfgang Landgraeber studierte Sozialwissenschaften, Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik, war Redakteur bei politischen Magazinen, später auch Leiter für Kultur-, Geschichts- und Naturdokumentationen, war Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen und Universitäten. Einen Gastbeitrag hat Peter Heller beigesteuert, der seit ihrer Gründung Mitglied in der deutschen Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm und freier Dokumentarfilm-Regisseur und -Produzent ist und mehrere Bücher veröffentlichte. Ein weiterer Gastbeitrag ist von dem ehemaligen WDR-Redakteur Gert Monheim, der ebenfalls Dokumentarfilmer und Journalist und Mitglied im Netzwerk Recherche und in der Journalisten-Ausbildung der ARD tätig ist.

Inhalt

Wie „‚Ausgewogenheit‘ (…) zum Idealbild der politischen Berichterstattung erhoben wurde“, damit führt der Autor in die Geschichte der politischen Magazine ein, die er in der Kapitelüberschrift als „Keimzelle kritischen TV-Journalismus im öffentlich-rechtlichen Fernsehen“ qualifiziert (S. 7), und er zeigt am Beispiel einer „Undercover-Reportage über tierquälerische Schlachtpferdetransporte“ (S. 17) auf, wie öffentlichkeitswirksam solche Reportagen werden können. Das galt auch für einen Bericht über „die ‚Starfighter‘-Affäre“, ein Beispiel für „Frühformen des Investigativjournalismus im Deutschen Fernsehen“ (S. 23). Mit „harten parteipolitischen Frontstellungen“ gegen diese Formen und Inhalte eines aufklärenden Journalismus sahen sich (schon) in den 1960er- bis 1980er-Jahren die kritisch engagierten Medienschaffenden konfrontiert (etwa durch den „Prozesshansel“ Löwenthal, der in Gegnerschaft zur damaligen Ostpolitik stand) (S. 25). Doch auch damals gab es „Beschützer der redaktionellen Unabhängigkeit in den Anstalten“, die aber nach „Beobachtung“ des Autors „bis in heutige Zeiten in der Minderheit“ blieben (S. 28). Erschwerend ist nach wie vor und nicht nur für junge Fernsehjournalisten, dass sie bei ihren Recherchen „leicht in Fallen tappen, vor allem dann, wenn die Fallensteller Vertreter des Staates sind, die etwas zu verbergen haben oder sich wegen nachteiliger Berichte über sich oder ihre Behörde rächen wollen“ (S. 32). Oft ist es das „Ziel von Behörden, Politikern oder Konzernen, die einen öffentlichen Missstand zu verantworten haben“, dem „guten Ruf eines Journalisten zu schaden, ihn und seine investigative Berichterstattung unglaubwürdig zu machen“. Wohl mehr als „ungemütlich“ wird es, „wenn sie direkt oder indirekt zu Staatsfeinden erklärt werden“ (was der Autor am Fall Uwe Barschel verdeutlicht, weiterhin am damaligen „Moderationsverbot“ für Franz Alt und Zensurvorwürfen gegen den Bayrischen Rundfunk, zudem an dem ‚Fall‘ Roland Koch, ehemals hessischer Ministerpräsident, „Eingriffe der Politik in die Personalhoheit eines Senders“) (S. 35 ff.).

Peter Heller als Filmemacher zeichnet in seinem Gastbeitrag den vierzig Jahre vergangenen Konflikt zwischen dem Fast-Food-Konzern McDonald’s und sich nach. In der Folge schien sich erstmals „parallel zur rapiden Ausbreitung der Bulettenbratereien wachsender Widerstand gegen die in das internationale Agro-Business verstrickten Hamburger-Konzerne in einem breiten Aktionsbündnis zu einer bundesweiten Kampagne zu formieren.“ (S. 63). Heller berichtet weiter, wie McDonald’s gegen die Kampagne der Organisation London Greenpeace klagte, die sich auf seinen Film „Dschungelburger“ bezogen hatten. Als „von Greenpeace ersehnte Zeugenschaft“ gegen diese Verleumdungsklage war die Aussage von Heller für das Gericht irrelevant, weil sie „zeitlich überholt“ war. Inzwischen seien diese Produkte zum „Grundnahrungsmittel“ avanciert und, so schließt der Verfasser, „wohl kein Fernsehredakteur mehr würde heute seine in Mayo getauchten Hände gegen die mächtigen Konzernherren in Chicago erheben“ (S. 67). Einen zweiten „Fall“ schildert Gert Monheim in seinem Gastbeitrag über „eine der größten Giftmülldeponien der Republik“, worüber er einleitend sagt, die Recherche liege zwar Jahre zurück, „könnte so aber immer wieder passieren. Überraschend und heute kaum noch vorstellbar war allerdings das Ergebnis“ (S. 68). Es ging um Trinkwassergefährdung. Nach längerem Hin und Her gestand das Unternehmen Bayer sein Fehlverhalten ein und war zur Abwendung größerer Schäden bereit, wohl auch, weil offensichtlich „der öffentliche Druck so groß geworden“ war, „dass auch der Regierungspräsident als Aufsichtsbehörde nicht mehr mitspielte“ (S. 70). Im dritten „Fall“ geht Monheim kurz darauf ein, wie der BASF-Konzern und Gesundheitsminister Heiner Geißler „gegen die Monitor-Redaktion“ antraten, wobei es um die Chemikalie Formaldehyd ging, auch in „zweiter Hinsicht“ im vor Gericht ausgetragenen Streit „um die Kumpanei zwischen Industrie und Politik“ (S. 70). Geißler nannte das Ganze eine „üble Diffamierungskampagne“ (S. 72), gleichwohl wurde die krebserregende Wirkung von Formaldehyd bestätigt und es wurden personelle Konsequenzen gezogen.

Der Beitrag „‚Journalistenblocker‘ – wie Regierungen und Unternehmen kritische Berichterstattung zu verhindern versuchen“ schließt an und zeigt, wie solche ‚Blocker‘ „Recherchen von Journalist*innen bremsen oder ganz zum Erliegen bringen können.“ (S. 75) Auskünfte werden verweigert, Interviews abgelehnt, auch wird gefordert, „das Gespräch oder den ganzen Film (…) vor der Ausstrahlung zu zeigen und es sich sozusagen ‚abnehmen‘ zu lassen“ (S. 77). Mit „falscher Identität“ an Bankinformationen zu kommen, um Geldwäsche aufzudecken (Beispiel ist das Bankgeheimnis der Schweiz), begibt der Journalist in die Nähe einer Kriminalisierung, die im beschriebenen Fall abgewendet werden konnte. Allerdings fragt sich Landgraeber, „ob der Justitiar oder die Justitiarin unseres Senders ihren juristischen Segen dazu geben würden“, was er „bezweifeln“ möchte. „Das Risiko wäre wohl zu hoch“ (S. 87). Auch besteht ein Risiko, sich mit seinen „Filmen gleich eine ganze Stadt zum Feind zu machen“, etwa im Fall streng gehüteter Geheimnisse (hier bei „äußerst schmutzigen Waffendeals“), „wenn sie von öffentlichem Interesse sind“ (S. 95). Da wird man auch mit der Frage konfrontiert, ob man „überhaupt noch auf dem Boden des Grundgesetzes stehen würde“ (S. 99), berichtet der Autor und kommt zu der ernüchternden, verallgemeinernden Einschätzung: „Damit ist erneut klar: Alles ist offen, sofern es nicht geheim ist“, und vieles bleibt halt „im dichten Gestrüpp der Geheimhaltung hängen“ (S. 118 f.).

„Blockaden“ zu überwinden ist schwierig und riskant, da besann sich der Autor auf das „‚Wallraffen‘“ als Methode (nach dem Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff), um sich beim Militär in Argentinien als „Gast bei einer Mördertruppe“ einzuschleichen (S. 123). Dieser schon abenteuerliche Bericht erhellt allerdings auch die weitere Entwicklung des Landes bis heute. Dass die Methode, mit der Günter Wallraff (der „inzwischen Mediengeschichte geschrieben“ hat)eklatante Missstände aufdeckte und öffentlich machte, auch Gegenmaßnahmen provozierte, legt der Autor am „Abhörfall Günter Wallraff“ dar. Dessen „Sieg über den mächtigen Springer-Verlag“ (er hatte die BILD-Zeitung auf’s Korn genommen) brauchte Jahre, aber letztinstanzlich wertete das Bundesverfassungsgericht seine Berichterstattung über die Manipulationen seitens des Blattes als „höherwertig“ als die Interessen des Verlages (S. 139). Wer aber die Drahtzieher dieser Abhöraktion gegen diesen „‚Untergrundkommunisten‘“ (so BILD) waren, der auch observiert worden war, wurde später recherchiert. Bleibt die Frage: „Wallraff als Feindbild nicht nur bei Springer, sondern auch bei den Staatsschützern?“ (S. 141)

Geschmäckle hat es, wenn namhafte Journalisten sich „von staatlichen Institutionen einspannen (…) lassen“, etwa „Politiker, Firmenchefs und andere Personen des öffentlichen Lebens in hoch bezahlten Nebenjobs darauf trainieren, bei Interviews eine gute Figur zu machen“ (S. 146). Auch das unterschlägt der Autor nicht wie ebenso nicht „Journalistenbespitzelung“ und das „Bedürfnis der Herrschenden über Staat und Unternehmen, Journalisten (…) an die Kette zu legen. Die Beispiele dafür sind zahlreich, und es werden jedes Jahr mehr“ (S. 157).

Schließlich zeichnet Landgraeber unter dem Titel „Wenn Propagandalügen große Kriege auslösen“ (S. 159) diese lange Lügen-Geschichte nach und kommt auch auf den „Auslöser für Putins Kaukasus-Krieg“ zu sprechen, auf das „Märchen von den irakischen Massenvernichtungswaffen“, auch die „Lüge von den Faschisten in der Ukraine, die Russland zum Verteidigungskrieg zwingen“ (S. 176). Landgraeber hält fest: „Wo Krieg herrscht, da wird die Lüge zur Waffe“. Und weiter: „der virtuose Gebrauch von Lügen als Waffe(.) entwickelte sich im Internet-Zeitalter zur perfekt beherrschten Desinformation. Ihr Ziel: Die Zerstörung jeglichen Vertrauens in den Wahrheitsgehalt von Nachrichten über das Kriegsgeschehen“ (S. 177). Der noch präsente Fall Edward Snowden ist ein trauriges Paradebeispiel dafür, dass und wie Journalisten durch inzwischen „globale Überwachung ausgeforscht und an ihrer Arbeit gehindert werden“, was durch Pegasus, die israelische „Spionage-Software“, „‚eine mächtige digitale Waffe‘“, ruchbar wurde und Jornalist:innen „hellhörig“ machte, nicht nur, weil es sie selbst betreffen konnte, sondern auch weil autoritär regierte Staaten „von der Ausspähung profitieren“ könnten (S. 183 ff.). Umso wichtiger wird ein „Zeugnisverweigerungsrecht“, das es wie bei anderen Berufsgruppen auch für Journalist:innen geben müsse (S. 185), auch im Hinblick darauf, dass die „Gewalt gegen Journalist*innen“ zunimmt, vor allem aus dem „rechtsradikalen und rechtsextremen Spektrum in Deutschland“; wobei, merkt der Autor an, der Polizei häufiger eine unrühmliche Rolle zukam und -kommt (S. 189). Landgraeber bezieht Israel (resp. dessen politische Vertreter) bei seiner Sorge mit ein, dass zusammen mit der „wachsenden Gewalt gegen Journalist*innen bei kriegerischen Auseinandersetzungen“ eine „wachsende(.) Entdemokratisierung“ einhergehe, „die schleichend große Teile der Welt erfasst und unmittelbare Auswirkungen (…) auf die Freiheit von Presse und Medien in den betroffenen Ländern“ hat, die als „Autokratien und Diktaturen“ gegenüber Demokratien in der Überzahl sind, wo die „Pressefreiheit als Erstes auf der Strecke bleibt“ (S. 191 f.). Abschließend verweist Landgraeber auf „Recherche-Netzwerke wichtiger Medien als neue Chance für kritischen Journalismus weltweit“ und hält fest, vernetztes Arbeiten „als neue Art, Journalismus zu betreiben“, setze sich „immer mehr durch“, was sich allerdings „nicht jedes Medium leisten“ könne. Nachwachsenden kritischen Journalist:innen gibt er mit auf den Weg, sie sollten sich – wie gehabt – „nicht einschüchtern“ lassen (S. 193 ff.).

Diskussion

Einschüchtern lassen hat sich Landgraeber wohl nie bis in den Bereich, dass er seine geistigen Waffen gestreckt hätte. So liest sich sein Buch wie eine Berufsbiographie, und zwar bis in die heutigen Tage, und ist doch weit mehr. Manch eine Leserin oder ein Leser mag sich an die spektakuläreren Fälle erinnern, denen er als kritischer Journalist auch mit investigativen Methoden nachspürte, wobei er auch die demokratisch unbehandschuhte harte Hand von Macht und Herrschaft zu spüren bekam. Auch wenn es nur ein tief gehängtes Damoklesschwert war, hat er sich eben nicht einschüchtern lassen oder in gleichsam vorauseilendem Gehorsam geschwiegen. Man wird bei der Lektüre (ggf.) an ältere Buchtitel aus den 70er Jahren erinnert wie bspw. „Manipulation der Meinungsbildung“ (hg. v. Zoll), „Der mißachtete Leser“ (Glotz, Langenbucher) oder „Die Tabus der Bundedeutschen Presse“ (hg. v. Spoo) u. v. a. m., mit denen kritische Rezipient:innen sensibilisiert wurden und häufig ihr Scherflein zum „Kampf um Aufklärung“ beisteuerten, der, was der Autor plastisch demonstriert, keineswegs abschlusshaft in ruhigere Fahrwasser umgeleitet werden konnte und der weiterhin vonnöten ist, zumal wir in (nach wie vor) „finsteren Zeiten“ (Brecht) leben, die in Form von „Manipulationen, Überwachung und Verfolgung“, wie es im Untertitel heißt, ihre Schlagschatten eben auch auf „Medienfreiheit“ geworfen haben und werfen. Was noch skandalös ist, kann in Autoritarismus umschlagen. Den Anfängen ist zu wehren. Es ist vorstellbar, dass kritische Leser:innen, die auf Aufklärung setzen, Diskussionen um die „Disziplinargesellschaft“ (Foucault) und (zugleich) „Kontrollgesellschaft“ (Deleuze) assoziieren.

Weiteres an assoziierendem Denken kann durch die Lektüre von Landgraebers Schrift provoziert werden. Aufklärung ist ein großes Wort: Ausgangspunkt ist der Satz von Immanuel Kant zur Aufklärung aus dem Jahr 1784: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“, lautet der nicht unbedingt geläufige Satz von Kant am Anfang seines Essays „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“. Bei der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ werden kritische Journalist:innen nachfragen und tiefer nach den Wurzeln graben wollen, wie auch kritische Soziolog:innen ebenso an mehr als zehn Fingern aufzählen können, was (systemisch gesehen) und auch wer diese „Unmündigkeit“ für fremdbestimmte Zwecke kultiviert und protegiert. Zuchtmeister des „Verstandes“ will wohl kein kritischer Geist sein und auch kein Besserwisser (auch wenn er oder sie es besser weiß), doch ist Aufklärung (ggf.) ein Hebel und bestenfalls gar eine Brechstange, um die „Nebelbildungen im Gehirn der Menschen“ (Marx, Engels) zu lichten. Sie sind „Sublimate“ (dies.) objektiver Lebensumstände (Ideologien, Rechtfertigungsnarrative), die auf überprüfbare Fakten und ‚Wahrheit‘ zurechtgerückt und erst einmal in ihrer Wirksamkeit entschärft werden müssen, was eine Weiterentwicklung Richtung Verstandesgebrauch anschieben kann, die für Demokratien überlebenswichtig ist, um nicht als Deckmäntelchen für autokratische Ambitionen herzuhalten. Auch dazu ruft Landgraeber auf und darum ist sein Buch mehr (s.o.), nämlich selbst ein Beitrag zum kritischen Journalismus und ein Lehrstück zugleich; auch eines, in dem durchaus ausgewiesen ist, wie kritischer Journalismus öffentlichkeitswirksam werden und dazu beitragen kann, weithin den ‚Verstand‘ zu aktivieren und eklatante Missstände aufzuheben.

Hintergründe aufzudecken, unbequeme Wahrheiten auszusprechen, Lügen und Täuschungen zu entlarven, auch Biedermänner zu demaskieren, das alles trägt den kritischen Journalist:innen kaum Wohlwollen als Sachwalter unverzichtbarer Demokratisierung ein. Verwunderlich ist es nicht und umso verwerflicher, wenn sie – meist stillschweigend – aussortiert werden und schlimmstenfalls Arbeitslosigkeit droht. Da kann man leicht darauf bedacht sein, zumal als ‚Freiberufler‘ in diesem Gewerbe, nicht anzuecken. Auch Journalist:innen müssen Miete zahlen. Nicht nur durch solche ‚Zwänge‘ und fundamental durch den Status als ‚Lohnarbeiter:in‘ wird manches mutig schlagende ‚Herz an die Kette gelegt‘ – in die es sich um des eigenen Vorteils willen häufig auch selbst schlägt.

Vernetzung, auch internationale, ist möglich und notwendig, besonders auch da, wo Journalist:innen über Autokratien und Diktaturen aufmerksam machen und dokumentieren wollen, was solche Systeme für die die Lebenswirklichkeit der ihnen unterworfenen Menschen bedeuten. Auch darauf macht Landgraeber aufmerksam und zeigt auch hier gangbare Wege der Aufklärung. Besinnt man sich wiederum auf Kants Definition von Aufklärung, nämlich sich seines „Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ (s.o.), mutet dieses Ziel utopisch an. Richtig ist, dass dieser Satz auf das zielt, was sein soll. Vorab jedoch ist es notwendig zu zeigen und zu sagen, was nicht sein soll. Weitsichtig heißt es in einer Formulierung des Kategorischen Imperativs in der „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ Kants auch: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ Noch eine Utopie, den Menschen niemals „bloß als Mittel“ zu gebrauchen? Marx hat nach Kant ausbuchstabiert, was Leser:innen ebenfalls assoziieren könnten oder können, wodurch eine „Klasse“ von Menschen zum „Mittel“ wurde, was zu überwinden wäre, was heißt, „sich und die Dinge umzuwälzen, noch nie Dagewesenes zu schaffen“. (Marx) Im Rahmen einer weltweit vorherrschenden Ökonomie scheint das extrem ‚weltfremd‘, was es auch ist in einer Welt, wie sie ist, und wie sie nicht sein soll – eine Botschaft, mit der nicht zuletzt die abschwächend ‚Wandel‘ genannte anrollende Klimakatastrophe an die morsche Tür eines maroden Hauses klopft (in dem sie in historisch kurzer Zeit vom Zwerg zum Riesen gemästet wurde).

Es wäre erfreulich und auch an der Zeit, dass „die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide“ (Marx). Aber das geht wohl nur, wenn Menschen nicht mehr „Mittel“ sind. Es ist offensichtlich so, dass diejenigen, welche „den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit“, die wollen, dass „der Mensch dem Menschen ein Helfer ist“, selbst „nicht freundlich sein“ können. (Brecht) Kritischer und investigativer Journalismus kann nicht freundlich und friedlich sein. Er muss weiterhin Pflastersteine für einen emanzipatorischen Weg verlegen, auf dem die Demokratie sich permanent und über alle Fallstricke hinweg in Richtung einer ‚befreiten Gesellschaft‘ fortbewegen kann. Wie anderes auch, ist kritischer Journalismus im Kampf um Aufklärung eine Form des Widerstandes. Widerstände werden gedeckelt. Journalismus als Hofberichterstattung trägt dazu bei. Wieder einmal kommen gerade in diesen Tagen Zweifel auf, ob diese inzwischen scheint’s Herkulesaufgabe der Aufklärung mit ihrem Ziel gar im Sinne altvorderer Denker und vorab einem für die Demokratie fechtenden kritischen Journalismus gelingen kann und wird. Doch darf man sich vorerst mit dem Wort Adornos bescheiden: „ohne Hoffnung ist kein Gutes.“

Fazit

Hoffnung bleibt, solange kritischer Journalismus weiter um Aufklärung kämpft. Dazu ist das Buch von Wolfgang Landgraeber ein engagierter Beitrag, der unbedingt zu empfehlen ist.

Rezension von
Arnold Schmieder
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Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 20.12.2024 zu: Wolfgang Landgraeber: Kritischer Journalismus im Kampf um Aufklärung. Medienfreiheit in Zeiten von Manipulation, Überwachung und Verfolgung. Brandes & Apsel (Frankfurt) 2024. ISBN 978-3-95558-376-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32782.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.


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