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Ralph Gerstenberg: Wir Schlaflosen

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 10.01.2025

Cover Ralph Gerstenberg: Wir Schlaflosen ISBN 978-3-8497-0555-8

Ralph Gerstenberg: Wir Schlaflosen. Kritik der Übermüdungsgesellschaft. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2024. 96 Seiten. ISBN 978-3-8497-0555-8. D: 14,00 EUR, A: 14,40 EUR.
Reihe: update gesellschaft.

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 Thema

„Schlaf Hänschen schlaf…“; Schlaflosigkeit ist ein schleichender Prozess. Sie entsteht individuell und hat meist ihre Ursachen in äußeren, hektischen Bedingungen. „Die Übermüdung ist zu einem Dauerzustand einer auf Ökonomisierung und Optimierung ausgerichteten Gesellschaft geworden“. Die Rede ist von „chronischer Insomnie“, die sich zeigt, wenn ein Mensch dreimal pro Woche (oder ständig) 30 Minuten wachliegt und nicht einschlafen kann. Nach dem Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK von 2017 klagen rund 80 % der Erwerbstätigen über Schlafstörungen.

Entstehungshintergrund und Autor

In der historischen, vorindustriellen und (vor-)kapitalistischen Entwicklung war es üblich, die Wach-, Ruhens- und Schlafzeiten im Tages-, Nachtrhythmus zu dritteln: 8 Stunden Schlaf, 2 x 8 Stunden Tätigsein, einschließlich der Siesta: bi- und monophasisch. Die Moderne schätzt ein: Schlafen ist Zeitverschwendung und nutzlos. Die Auswirkungen des Schlafmangels – „Benommenheit beim Aufwachen, ein Gefühl der Zerschlagenheit, die den ganzen Tag anhält, eine bleierne Müdigkeit“ – führt zu Krankheits- und Unzufriedenheits-Symptomen, wie auch zu enormen ökonomischen Schaden: „Wer schläft, verpennt sein Leben“; und: „Wer schläft, ist ein Looser, ein Penner, eine Schlafmütze“. Der Autor und Schriftsteller Ralph Gerstenberg reflektiert Schlafbedürfnis und -mangel, indem er seine eigenen Schlafprobleme als Grundlage nimmt und sich theoretisch und praktisch damit auseinandersetzt.

Aufbau und Inhalt

Der Autor plädiert, angesichts der individuellen und kollektiven Unsicherheiten, der lokalen und globalen Gereiztheiten, der Ängste und Schwierigkeiten, im Alltag zu einer Work-Live-Balance zu kommen, für „Mut zur Müdigkeit“. Die Chronobiologen warnen: Zu wenig Schlaf führt zu verringertem Leistungsvermögen, zu reduzierter Reaktionsgeschwindigkeit, zu Gedächtnisschwierigkeiten und zu nachlassender Urteilskraft. Es ist die Erkenntnis und Erfahrung, dass Macht und Müdigkeit im politischen Denken und Tun, etwa bei Politikern, eine unheilige Verbindung eingehen. Es sind die ganzheitlichen Voraussetzungen, der die Notwendigkeit des Schlafs in Einklang bringt mit den Lebenswerten: „Wer unruhig und unzufrieden mit sich und seiner Lebenssituation ist, sich Sorgen um die Zukunft macht, den Abstieg fürchtet, Beziehungsstress hat, an sich selbst zweifelt, einsam und isoliert in der Peripherie lebt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nachts keine Ruhe finden“. Schlaftabletten und Tranquilizer als medikamentöse Gaben sind Hilfs- keine Lebensmittel. Ein grundlegender Paradigmenwechsel ist angesagt: „Die Menschheit steht vor der Herausforderung umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“ (Weltkommission „Kultur und Entwicklung“, 1995).

Diskussion

Es ist der Aufruf, gegen die lokal und global deutlichen Zerfallsprozesse des Sozialen, des Gemeinsamen und des Gemeinschaftlichen zu opponieren, um den scheinbar unaufhörlichen und unauflösbaren Prozess der Ermächtigung von egoistischen, antidemokratischen und konsumtiven Gewalttätigkeiten zu befreien, um zur „vita contemplativa“ zu gelangen und der „Erschöpfungsmüdigkeit“ zu entgehen (Byung-Chul Han, Topologie der Gewalt, 2011, www.socialnet.de/rezensionen/​12785.php).

Fazit

„Übermüdungsgesellschaft“ ist ein Symptom dafür, dass in der menschlichen Entwicklung eine ganze Menge schief läuft, individuell, lokal und global. Egozentrismus, Populismus, Unsicherheit, Angst, Gereiztheit, Nervosität, Erregbarkeit, Stress und Burnout rauben den Menschen den Schlaf. Schlafhygiene, nicht Schlafökonomie ist gefordert!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1683 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 10.01.2025 zu: Ralph Gerstenberg: Wir Schlaflosen. Kritik der Übermüdungsgesellschaft. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2024. ISBN 978-3-8497-0555-8. Reihe: update gesellschaft. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32792.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.


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