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Katrin Hansch: Wenn wir alle zusammen lachen

Rezensiert von Werner Fröhlich, 11.12.2024

Cover Katrin Hansch: Wenn wir alle zusammen lachen ISBN 978-3-8497-0542-8

Katrin Hansch: Wenn wir alle zusammen lachen. Mutmacher für Familien im Autismus-Spektrum. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2024. 238 Seiten. ISBN 978-3-8497-0542-8. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR.
Reihe: Fachbücher für jede:n.

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Thema

Das Buch schildert das Leben in einer autistischen Familie. Es erklärt zugleich den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zum Autismus-Spektrum und versteht sich als Ratgeber für Betroffene.

Die Autorin

Die Autorin Katrin Hansch lebt mit Ehemann und zwei Söhnen in Berlin. Sie war 19 Jahre Geschäftsführerin einer Veranstaltungsgesellschaft. Dann hat sie diesen Beruf aufgegeben, um als Systemische Einzel-, Paar- und Familienberaterin zu arbeiten. Seit 2020 betreibt sie im Internet den Blog Different Planet, auf dem sie Berichte und Kommentare über ihre persönlichen Eindrücke und Erfahrungen veröffentlicht und Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen und ihren Angehörigen anbietet. Katrin Hansch kommt nicht aus der therapeutischen oder sozialpädagogischen Szene, sie schreibt allerdings nicht nur aus Laiensicht. Sie hat am Artop Institut der Humboldt Universität Berlin eine Ausbildung zur Systemischen Beraterin absolviert.

Aufbau

Das Buch ist in Vorwort, Einführung, 7 Kapitel und ein Nachwort gegliedert, daran schließen sich ein Abkürzungsverzeichnis und ein ausführliches Literaturverzeichnis an. Der erklärende Sachtext wird immer wieder durch persönliche Erfahrungsberichte ergänzt, die zumeist aus dem Blog Different Planet entnommen sind.

Inhalt

Die Autorin erklärt zunächst, warum in der künftigen ICD 11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) die bisherige Unterscheidung zwischen frühkindlichem Autismus, Asperger-Autismus und atypischem Autismus aufgegeben wird und nur noch von Autismus-Spektrum-Störung (ASS) die Rede ist. In Übereinstimmung mit der aktuellen neurowissenschaftlichen Forschung legt sie Wert darauf, dass Autismus keine Krankheit ist, sondern eine neurologische Besonderheit menschlichen Seins. Das ändert nichts daran, dass Autist:innen von der neurotypischen Mehrheit als „sonderbar“ wahrgenommen und ausgegrenzt werden. Zudem macht es ihnen ihre „Besonderheit“ schwer, sich in die familiären und gesellschaftlichen Abläufe einzugliedern. Um daraus resultierende psychische Erkrankungen und Folgeschäden zu vermeiden oder wenigstens in Grenzen zu halten, brauchen sie Hilfe, auf die sie einen gesetzlichen Anspruch haben. Diese Hilfe wird ihnen in vielfältiger Weise von Ärzt:innen, Heilpädagog:innen, Sonderschullehrer:innen, Psychotherapeut:innen, Einzelberater:innen usw. angeboten.

Um auch solchen Autist:innen, Erwachsenen oder Kindern, die nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, um Unterstützungsleistungen privat zu finanzieren, die Teilnahme an entsprechenden Maßnahmen zu ermöglichen, gibt es Fördermöglichkeiten über staatliche Stellen, Krankenkassen und Sozialversicherungsträger. Diese setzen in der Regel ein aufwändiges, bürokratisches Prüfverfahren voraus, was im günstigsten Fall mit der Anerkennung einer Schwerbehinderung und einer Pflegestufe in der Pflegeversicherung oder bei Schülern in der Beiordnung einer „Schulhelferin“ endet. Diese Einstufung als „schwerbehindert“ muss hingenommen werden, wenn man nicht auf fremdfinanzierte Hilfsleistungen verzichten will. „Das System braucht die Diagnose.“ In einer künftigen Idealwelt, so eine Phantasie Katrin Hanschs, sollte es solche Verfahren nicht mehr geben. Inklusion und Hilfsleistungen sollten dort selbstverständlich sein. Jedem, der „anders“ leben will, sollte zugestanden werden, dass er seinen jeweils eigenen „Pippi-Langstrumpf-Weg“ geht, soll heißen, nicht die Autist:innen müssen sich an die Welt anpassen, sondern die Welt ist so zu gestalten, dass auch Autist:innen darin zurechtkommen. Es genüge nicht, Schwimmhilfen zu verteilen, der Strom müsse geändert werden. Es ist ein fataler und kostenträchtiger Fehler, so Hansch, wenn die Gesellschaft auf die Mitwirkung von Autist:innen verzichtet.

Im Folgenden berichtet Katrin Hansch in einer Reihe von Beispielen aus dem Familienalltag, welche Besonderheiten und Komorbiditäten sie bei ihren Kindern und deren Altersgenossen beobachtet hat. Diese Besonderheiten können bestimmten Autismus-typischen Verhaltensweisen zugeordnet werden, für die sich englischsprachige Fachausdrücke eingebürgert haben:

  • Overload (Reizüberflutung)
  • Meltdown (reflexartige, unkontrollierbare Reaktion infolge Stress)
  • Shutdown (Komplette Abschaltung nach einer Reizüberflutung)
  • Masking (Imitation „normalen“ Verhaltens)
  • Stimming („Stimulation“: sich wiederholende und gleichbleibend wirkende Handlungen mit dem Ziel, eine vermehrte Anspannung

abzubauen)

  • Pathological Demand Avoidance (PDA) (Anspruchsvermeidung)

Als negative Auswirkungen einer Autismus- Diagnose hebt Hansch hervor: Stigmatisierung, Diskriminierung, Ablehnung. Ob man in Anbetracht dieser absehbaren Nachteile eine Diagnose anstreben sollte, lässt Hansch offen. Es gebe jedenfalls keine Patentrezepte.

Aus eigener Erfahrung hat Hansch gelernt, dass es für Autist:innen wichtig ist, zum Experten für sich selbst und die betroffenen Angehörigen zu werden. Die Eltern eines autistischen Kindes sollten lernen, Symptome nicht zu vertreiben, sondern sie als Hilferuf seiner Seele anzunehmen und dem Kind einen Raum anzubieten, in dem es ihm gut geht. Darüber hinaus sollte je nach Lage von therapeutischen Unterstützungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht werden. Die wichtigsten werden von der Autorin in kurzen Abschnitten vorgestellt, insbesondere:

  • Psychoedukation
  • Körpertherapien
  • Musik- und Bewegungstherapien
  • Systemische Therapien/​Hypnotherapien
  • Ergotherapien, Heilpädagogik

Die Unterschiede zwischen Exklusion, Integration und Inklusion erklärt Hansch anhand eines anschaulichen Beispiels: Sollen alle Schüler einer Schule Pullover des gleichen Schnitts und der gleichen Farbe tragen oder wird es jedem Schüler überlassen, sich für den jeweils passenden Pullover zu entscheiden?

Diskussion

Das Buch erscheint in der Reihe „Fachbücher für jeden“ des Carl-Auer-Verlags. „Ein Fachbuch für jeden“? Das ist es auch: Diese Publikation ist nicht allein für die Regale der Hochschulbibliotheken bestimmt, sondern als Leitfaden für jeden, der praktisch wissen will, was unter Autismus zu verstehen ist, speziell für Familien im Autismus-Spektrum. Geschrieben von einer Mutter zweier autistischer Kinder und selbst Autistin, die am eigenen Leib und in der eigenen Familie erfahren hat, wie sich die Autismus-Spektrum-Störung im alltäglichen Leben auswirkt und wie man damit umgehen kann.

Das Buch will ein Mutmacher für Familien im Autismus-Spektrum sein und es wird diesem Anspruch gerecht. Von der typischen Ratgeber- und Selbsterfahrungsliteratur unterscheidet es sich dadurch, dass die Autorin gegenüber den zahllosen Therapieangeboten einen vorurteilsfreien, objektiven Standort einnimmt, dass sie nicht als diejenige auftritt, die alles immer besser weiß. Sie vermittelt keine Patentrezepte, sondern sie vertraut auf die Urteilskraft und die Selbstbestimmung der Beteiligten. Es geht ihr nicht darum, „besser“ zu werden, sondern das Anderssein zu akzeptieren.

Ohne die persönlichen Erfahrungsberichte wäre das Buch sicher nur halb so viel wert – umgekehrt wäre es auch nur halb so viel wert ohne die Kenntnisse der einschlägigen Fachliteratur, die die Autorin verarbeitet und mit Belegstellen zitiert hat.

Fazit

Das Buch „Wenn wir alle zusammen lachen – Mutmacher für Familien im Autismus-Spektrum“ von Katrin Hansch vereint Erfahrungsberichte aus dem Alltag einer betroffenen Familie mit Fachtexten aufgrundlage des aktuellen Kenntnisstands der Wissenschaft. Es ist eine verständlich geschriebene Einführung in die Autismus-Thematik und zugleich ein Ratgeber für Autist:innen und Eltern autistischer Kinder.

Rezension von
Werner Fröhlich
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Es gibt 3 Rezensionen von Werner Fröhlich.

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Zitiervorschlag
Werner Fröhlich. Rezension vom 11.12.2024 zu: Katrin Hansch: Wenn wir alle zusammen lachen. Mutmacher für Familien im Autismus-Spektrum. Carl-Auer Verlag GmbH (Heidelberg) 2024. ISBN 978-3-8497-0542-8. Reihe: Fachbücher für jede:n. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32795.php, Datum des Zugriffs 18.01.2025.


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