Venki Ramakrishnan: Warum wir sterben
Rezensiert von Dr. Franziska Sophie Proskawetz, 30.12.2024
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Venki Ramakrishnan: Warum wir sterben. Die neue Wissenschaft des Alterns und die Suche nach dem ewigen Leben. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2024. 352 Seiten. ISBN 978-3-608-98492-7. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR.
Thema
Was ist der Tod? Warum sterben wir? Warum leben manche Lebewesen weitaus länger als andere? Können wir ewig leben? Und falls ja, sollten wir ewig leben wollen? Diesen Fragen geht Venki Ramakrishnan in seinem populärwissenschaftlich aufbereiteten „Rundumschlag durch große Teile der modernen Molekularbiologie“ (S. 18) nach.
Autorin und Entstehungshintergrund
Der renommierte Ribosomenforscher Venkatraman „Venki“ Ramakrishnan wurde 1952 im indischen Bundesstaat Tamil Nadu geboren. Nach seinem Studium promovierte er 1976 an der Ohio University in Physik. Seine wissenschaftliche Karriere führte ihn an angesehene Institutionen wie die Yale University und die Universität Cambridge. Ramakrishnan widmete seine Forschung der Struktur und Funktion von Ribosomen – einem zentralen Element der Proteinsynthese in Zellen. Für seine bahnbrechenden Arbeiten auf diesem Gebiet wurde ihm 2009 der Nobelpreis für Chemie verliehen.
Aufbau und Inhalt
Auf knapp 250 Seiten beleuchtet Venki Ramakrishnan auf populärwissenschaftliche Weise zentrale Fragen rund um die Themen (Un-)Sterblichkeit. Im Folgenden möchte ich einige der besonders spannenden Gedanken aus seinem Werk anhand der Buchkapitel chronologisch vorstellen.
Einleitung
Zu Beginn seines Werks setzt sich Ramakrishnan mit grundlegenden gesellschaftlichen Aspekten und der menschlichen Haltung zum Sterben auseinander. Er zeigt, wie der Tod in unserer Sprache oft beschönigt wird, etwa durch Begriffe, wie „verscheiden“ oder „von uns gehen“. Diese sprachliche Schönfärberei offenbart das menschliche Bedürfnis, dem Tod zu entkommen. Dieses Bedürfnis spiegelt sich in unterschiedlichen Kulturen wider und manifestiert sich in Religionen sowie im Glauben an ein Jenseits oder an eine Wiedergeburt.
Gleichzeitig versucht der Mensch instinktiv, Risiken, die zum Tod führen könnten – etwa durch Unfälle, Feinde oder Krankheiten –, zu vermeiden und strebt nach einem möglichst langen Leben. Auch die Forschung ist Ausdruck dieses Bestrebens: Sie widmet sich intensiv der Frage, wie Alterung verlangsamt oder sogar überwunden werden könnte. Allein in den letzten zehn Jahren wurden laut Ramakrishnan über 300.000 wissenschaftliche Fachaufsätze zur Alterung veröffentlicht. Dies verdeutlicht, wie sehr die Unsterblichkeit das Denken und Streben der Menschheit prägt.
1. Das unsterbliche Gen und der Wegwerfkörper
Ramakrishnan widmet sich der Frage, wann ein Mensch wirklich tot ist, und zeigt auf, dass sich juristische Definitionen des Todes im Laufe der Zeit immer wieder verändert haben. Er stellt fest, dass der Tod ebenso schwer zu definieren ist wie der Beginn des Lebens: „Wir stellen uns Geburt und Tod als Augenblicksereignisse vor – im einen Augenblick treten wir ins Dasein, im anderen hören wir auf zu existieren –, in Wirklichkeit sind die Grenzen des Lebens aber verschwommen“ (S. 25).
Um das Verständnis für die Komplexität des Lebens zu vertiefen, vergleicht Ramakrishnan den Aufbau einer Zelle mit dem einer Großstadt: Beide bestehen aus zahlreichen, miteinander verbundenen und aufeinander angewiesenen Teilen, die zusammenarbeiten. Er hebt das Paradox hervor, dass wir zwar als Individuen sterben, das Leben an sich jedoch weiterbesteht. Dabei nimmt er die Lesenden mit in eine faszinierende Gedankenwelt: „Bemerkenswert ist vielmehr, dass jedes heutige Lebewesen Nachfahre einer Urzelle ist, die vor Milliarden Jahren existierte. Auch wenn wir uns im Laufe der Zeit verändert und eine Evolution durchgemacht haben, lebt irgendeine Wesensform in uns seit mehreren Milliarden Jahren ununterbrochen weiter“ (S. 26–27). Daraus schlussfolgert er, dass es in dieser direkten Abstammungslinie etwas gibt, das nicht stirbt – unsere Keimbahnzellen, also die Zellen in Hoden und Eierstöcken. Für ihn ist der Tod des*r Einzelnen somit weniger das Ende des Lebens selbst, sondern vielmehr „der Tod eines Gefäßes“, wie es die Überschrift des Kapitels andeutet.
Ein weiterer spannender Aspekt, den Ramakrishnan beleuchtet, ist die Menopause bei Frauen. Menschenfrauen sind einzigartig unter den Lebewesen, da sie nach Beginn der Menopause noch viele Jahre weiterleben. Ramakrishnan fragt: „Warum können Frauen also schon in einem relativ frühen Lebensstadium keine Nachkommen mehr zur Welt bringen?“ (S. 35). Er stellt die Hypothese auf, dass dies mit der langen Entwicklungszeit von Menschenkindern zusammenhängt. Frauen könnten länger leben, um ihre heranwachsenden Kinder und Enkelkinder zu betreuen, was in der Evolution von Vorteil war. Diese Theorie, die als „Großmutter-Hypothese“ bekannt ist, verleiht der Menopause eine wichtige biologische und soziale Bedeutung.
2. Schnell leben, jung sterben
Ramakrishnan zeigt anhand einer Grafik, dass die Lebensdauer von Tieren mit ihrer Größe zunimmt. Kleinere Tiere haben in der Regel eine deutlich geringere Lebenserwartung als größere. Als eindrucksvolles Beispiel nennt er den Grönlandwal, der mit einem durchschnittlichen Gewicht von etwa 100.000 Kilogramm bis zu 250 Jahre alt werden könnte – eine beeindruckende Lebensspanne im Vergleich zu kleineren Tieren, die oft nur wenige Jahre, Monate oder auch Wochen leben.
Von der Tierwelt wendet sich Ramakrishnan anschließend dem Menschen zu und widmet sich den Fragen: Wie lange können Menschen leben? Gibt es eine festgelegte Grenze für die menschliche Lebensdauer, oder lässt sie sich durch wissenschaftliche und medizinische Fortschritte verändern? In diesem Zusammenhang beleuchtet er die bisherigen Rekordhalter im menschlichen Altern – die sogenannten Superager – und nennt beispielsweise Jeanne Calment, die mit 122 Jahren als der Mensch gilt, der nach verlässlichen Aufzeichnungen am längsten gelebt hat.
3. Zerstörung der Schaltzentrale
In diesem Kapitel widmet sich Ramakrishnan ausführlich der Molekularbiologie. Das Verständnis dieser bildet für ihn die Grundlage für das Verständnis von Alterungsprozessen. Er beginnt mit einer Erklärung des DNA-Aufbaus und der Abläufe, die unsere Zellen am Leben erhalten. Darüber hinaus beleuchtet er, wie Mutationen entstehen können – etwa durch Umwelteinflüsse wie Chemikalien oder Strahlung – und erklärt, welche Konsequenzen solche Veränderungen in der DNA haben können. Dabei nimmt er die Leser*innen mit auf eine Reise in die Geschichte der Erforschung der Strahlung und ihrer Auswirkungen auf Lebewesen. Ramakrishnan beschreibt auch, wie Mutationen die genetische Information verändern und in manchen Fällen zu schwerwiegenden Erkrankungen führen können.
4. Das Problem mit den Enden
In diesem Kapitel gibt Ramakrishnan einen Einblick in die Geschichte der Erforschung von Gewebekulturzellen und erläutert dabei den Begriff der Seneszenz – den Zustand, in dem Zellen ihre Teilungsfähigkeit verlieren, ohne jedoch sofort abzusterben. Dieser Prozess ist ein zentraler Bestandteil des Alterns. Ein besonderer Fokus liegt auf der Rolle der Telomere, den Schutzkappen an den Enden der Chromosomen, die bei jeder Zellteilung kürzer werden. Ramakrishnan erklärt die widersprüchliche Bedeutung der Telomere im Alterungsprozess und beleuchtet die Vor- und Nachteile von langen und kurzen Telomeren.
5. Neustart der biologischen Uhr
Ramakrishnan beginnt dieses Kapitel mit einem Rückblick auf die Veröffentlichung der vorläufigen Sequenz des menschlichen Genoms im Jahr 2000 – ein Meilenstein der Wissenschaft. Er vergleicht die Sequenz des Genoms mit einem langen, ununterbrochenen Text, der weder Punkt noch Komma enthält. Dieser Vergleich verdeutlicht, wie komplex die DNA ist. An diesem Punkt schlägt Ramakrishnan den Bogen zur Epigenetik, dem Forschungszweig, der untersucht, wie äußere Einflüsse wie Umweltbedingungen und Ernährung die Aktivität von Genen regulieren können, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern. Um die Bedeutung der Epigenetik anschaulich zu machen, verwendet er das Beispiel der Honigbienen: Obwohl alle Bienen genetisch identisch sind, lebt die Bienenkönigin weitaus länger als ihre Arbeiterinnen. Dieser Unterschied ist ausschließlich auf die unterschiedliche Ernährung und Pflege zurückzuführen, die die Königin erhält.
6. Abfall-Recycling
In diesem Kapitel widmet sich Ramakrishnan der zunehmenden Verbreitung von Demenzerkrankungen, von denen weltweit aktuell rund 50 Millionen Menschen betroffen sind. Er schildert, wie stark diese Zahlen steigen und lässt auch seine persönliche Angst vor der Erkrankung einfließen. Im weiteren Verlauf erläutert er den biologischen Prozess der Autophagie – einen Selbstreinigungsmechanismus der Zellen, bei dem beschädigte oder nicht mehr benötigte Zellbestandteile abgebaut und recycelt werden. Dieser Prozess ist notwendig, um die Zellgesundheit zu erhalten und wird zunehmend mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer in Verbindung gebracht. Ramakrishnan beleuchtet mögliche Ursachen von Alzheimer. Dabei integriert er auch ethnologische Beobachtungen. Besonders betont er die ernüchternde Tatsache, dass es bislang trotz intensiver Forschung keine wirklich wirksame Behandlung für Demenzerkrankungen gibt. Diese Erkenntnis macht deutlich, wie komplex und herausfordernd die Erforschung von Alzheimer und anderen Formen der Demenz ist.
7. Weniger ist mehr
In diesem Kapitel beschäftigt sich Ramakrishnan mit der zunehmenden Verbreitung von Fettleibigkeit weltweit. Vor diesem Hintergrund stellt er die Frage, ob Fasten tatsächlich gesundheitsfördernd und lebensverlängernd sein kann, wie oft behauptet wird. Dabei verweist er auf Studien, die diese Hypothese unterstützen, und zeigt, dass kontrolliertes Fasten oder Kalorienbeschränkung positive Effekte auf die Gesundheit haben können.
Ramakrishnan zeigt sich jedoch auch kritisch: Er gibt zu bedenken, dass Kalorienbeschränkungen nicht nur unseren evolutionären Bedürfnissen – wie dem Überleben in Zeiten des Nahrungsmangels – widersprechen, sondern auch schlecht mit den Strukturen unserer modernen Gesellschaft vereinbar sind. Zudem weist er auf die möglichen Nachteile hin: „Die Wundheilung wird verlangsamt, wir werden infektionsanfälliger und verlieren Muskelmasse, alles im höheren Alter ernste Probleme“ (S. 161). Diese Perspektive zeigt, dass Fasten zwar potenziell nützlich sein kann, aber auch Risiken birgt – insbesondere für ältere Menschen.
Ein weiterer spannender Abschnitt dieses Kapitels führt die Leser*innen auf die entlegene Osterinsel. Dort wurde in Bodenproben ein Bakterium entdeckt, das zur Herstellung des Immunsuppressivums Rapamycin genutzt wird. Ramakrishnan erklärt, dass Rapamycin in der Altersforschung aktuell als sehr vielversprechend gilt.
8. Was wir von einem bescheidenen Wurm lernen können
In diesem Kapitel stellt Ramakrishnan den Fadenwurm Caenorhabditis elegans vor, ein Bodenlebewesen von nur einem Millimeter Länge, das in der Forschung eine bedeutende Rolle spielt. Aufgrund seiner Eigenschaften – er ist leicht zu züchten, hat eine kurze Generationszeit, kann kurzzeitig eingefroren werden, und ist durchsichtig – eignet sich der Wurm hervorragend, um grundlegende biologische Prozesse zu untersuchen. Ramakrishnan zeigt auf, dass Wissenschaftler*innen mithilfe dieses Organismus erforschen können, „wie sich ein komplexes Tier aus einer einzelnen Zelle entwickeln kann und wie Gehirn und Nervensystem funktionieren“ (S. 178).
Im weiteren Verlauf des Kapitels geht er auf das Diabetesmedikament Metformin ein, das in Studien potenziell lebensverlängernde Effekte gezeigt hat. Kritisch betrachtet er zudem den Mythos, dass Wein das Leben verlängern könne, und relativiert entsprechende Behauptungen.
9. Der blinde Passagier in uns
In diesem Kapitel widmet sich Ramakrishnan der Frage, wie sich aus Einzellern komplexe Organismen entwickeln konnten. Im Zentrum stehen die Mitochondrien – die Kraftwerke der Zelle. Ursprünglich, so erläutert er, waren Mitochondrien eigenständige Bakterien, die vor Milliarden Jahren von einer größeren Vorläuferzelle aufgenommen wurden. Diese symbiotische Beziehung entwickelte sich über die Evolution hinweg zu einer lebenswichtigen Partnerschaft, in der die Mitochondrien heute eine zentrale Rolle im Stoffwechsel spielen.
Ramakrishnan erklärt, dass Mitochondrien ausschließlich über die Mutter vererbt werden und für die Energieversorgung der Zellen verantwortlich sind. Ihre Bedeutung im Alterungsprozess ist enorm: Mit zunehmendem Alter können sich in den Mitochondrien Defekte ansammeln, die den Alterungsprozess beschleunigen, die Gesundheit und Lebensdauer der Zellen beeinträchtigen: „Die Mitochondrien waren ursprünglich wahrscheinlich Bakterien, die von einer größeren Vorläuferzelle umschlossen wurden, aber heute sind sie zu einer zentralen Drehscheibe unseres Stoffwechsels geworden. Defekte, die sich bei ihnen mit dem Alter einstellen, setzen eine ganze Abfolge von Ereignissen in Gang, die ihrerseits die Alterung beschleunigen. Sie alle haben Auswirkungen auf die Alterung einzelner Zellen“ (S. 222). Ramakrishnan hebt hervor, dass die Bildung neuer Mitochondrien durch körperliche Aktivität angeregt werden kann.
10. Schmerzen, Beschwerden und Vampirblut
Ramakrishnan geht auf altersbedingte Entzündungen ein, deren Ursache nicht immer klar auszumachen ist. Diese chronischen, unterschwelligen Entzündungen tragen zum Alterungsprozess und zu altersbedingten Erkrankungen bei. Ramakrishnan erläutert, dass seneszente Zellen – Zellen, die ihre Teilungsfähigkeit verloren haben – eine zentrale Rolle spielen. Er berichtet von Experimenten bei Mäusen, deren seneszente Zellen beseitig worden sind und die daraufhin gesünder waren als die Kontrollgruppe.
Ramakrishnan geht in diesem Kapitel auch auf den Blutkreislauf als „eines der wichtigsten Systeme unseres Organismus“ (S. 232) ein. Er untersucht dabei die historische und aktuelle Frage, ob es möglich ist, durch den Austausch von altem Blut gegen junges Blut Alterungsprozesse aufzuhalten oder umzukehren. Tierversuche haben gezeigt, dass das Blut jüngerer Tiere die Gedächtnisleistung älterer Tiere verbessern kann. Ramakrishnan erwähnt den Trend einiger Milliardäre, Bluttransfusionen von jungen Menschen verabreichen zu lassen, in der Hoffnung, dadurch Alterungsprozesse zu verlangsamen.
11. Spinner oder Propheten?
In diesem vorletzten Kapitel setzt sich Ramakrishnan mit den Ideen der Transhumanisten auseinander, die den Alterungsprozess nicht nur aufhalten, sondern den Tod selbst überwinden wollen. Er beleuchtet insbesondere die Kryonikkonservierung, eine Methode, bei der Verstorbene unmittelbar nach ihrem Tod eingefroren werden, in der Hoffnung, dass sie in der Zukunft, wenn medizinische Fortschritte dies ermöglichen, wieder zum Leben erweckt werden und ursprüngliche Sterbeursachen geheilt werden können. Diese Praxis, die vor allem von einigen Tech-Milliardären ernsthaft verfolgt wird, sieht Ramakrishnan äußerst kritisch. Er führt aus: „Es gibt nicht den Hauch eines glaubwürdigen Anhaltspunktes dafür, dass die Kryonikkonservierung von Menschen jemals funktionieren wird. Die potenziellen Probleme sind nicht zu zählen“ (S. 244).
Auch die Idee, die Gehirne Verstorbener zu digitalisieren und in einer virtuellen Cloud weiterleben zu lassen, bewertet Ramakrishnan mit großer Skepsis. Er argumentiert, dass das Gehirn nicht losgelöst vom Körper existieren kann, da seine Funktionsweise stark von chemischen und biologischen Prozessen abhängt, die durch den Körper gesteuert werden. Solche Vorstellungen, so Ramakrishnan, seien oft mehr Science-Fiction als ernsthafte Wissenschaft. Er warnt eindringlich vor fragwürdigen Versprechungen im Bereich der Altersforschung, die jenseits wissenschaftlicher Evidenz liegen und falsche Hoffnungen wecken könnten.
Abschließend wirft Ramakrishnan einen Blick in die Vergangenheit und hebt hervor, dass unsere Vorfahren wahrscheinlich nur selten eine lange Krankheits- oder Leidensgeschichte hatten. Ihr Tod war häufig das Ergebnis von Hunger, Infektionskrankheiten, Raubtieren oder Gewalt durch andere Menschen. Er beschreibt eine harte, aber realistische Perspektive: „Unsere Vorfahren verhungerten, starben an Krankheiten, wurden von Beutegreifern gefressen oder in dem Augenblick, da sie nicht mehr vollkommen gesund und fit waren, von einem anderen Menschen getötet“ (S. 267).
12. Sollten wir ewig leben?
Im abschließenden Kapitel widmet sich Ramakrishnan den globalen Auswirkungen eines verlängerten Lebens und beleuchtet dabei den demographischen Wandel. Er hebt hervor, dass ein langes Leben zwar für das Individuum von Vorteil sein kann, jedoch erhebliche gesellschaftliche Probleme mit sich bringen könnte. Zu den möglichen Folgen zählt er eine noch stärkere soziale Ungleichheit, da der Zugang zu lebensverlängernden Maßnahmen vermutlich vor allem privilegierten Menschen vorbehalten wäre. Außerdem könnte ein weiterer drastischer Anstieg der Weltbevölkerung die Umweltzerstörung und Armut verschärfen.
Ramakrishnan hinterfragt zudem, ob ein besonders langes Leben überhaupt sinnvoll oder produktiv wäre. Er argumentiert, dass Menschen oft in jungen Jahren ihre größten Errungenschaften erzielen, insbesondere in der Wissenschaft. Dies illustriert er anhand von Nobelpreisträger*innen, deren bahnbrechende Arbeiten häufig in relativ jungen Jahren erfolgten.
Zum Abschluss bringt Ramakrishnan eine philosophische Perspektive ein. Er betont, dass gerade die Endlichkeit unseres Lebens einen entscheidenden Einfluss darauf hat, wie wir unsere Zeit nutzen und priorisieren. Unsere Sterblichkeit gibt unserem Dasein einen Sinn, indem sie uns dazu anregt, aus jedem Moment das Beste zu machen: „Außerdem dürfte gerade unsere Sterblichkeit den Anreiz bilden und den Wunsch schaffen, aus unserer Zeit auf Erden das Beste zu machen. Eine stark erweiterte Lebensdauer könnte unserem Leben die Dringlichkeit und den Sinn rauben, das Bewusstsein, dass jeder Tag zählt“ (S. 288).
Diskussion
Ramakrishnans Buch richtet sich an interessierte Laien, die ein besonderes Faible für Molekularbiologie mitbringen, aber kein tiefgehendes Vorwissen in diesem Bereich besitzen. Leser*innen sollten Freude daran haben, spannende wissenschaftliche Zusammenhänge auf verständliche Weise erklärt zu bekommen und gleichzeitig ein gewisses Interesse an der Geschichte und Entwicklung der Molekularbiologie haben. Das Buch ist klar und leicht lesbar geschrieben, vereinzelt mit Abbildungen versehen, und verbindet molekularbiologische Fakten mit gesellschaftlich relevanten Themen. Es nimmt die Lesenden mit auf eine Reise in die Welt der Alternsforschung – von den Grundlagen des Lebens bis hin zu aktuellen Debatten über den Alterungsprozess bis hin zu futuristische Visionen wie der Kryonikkonservierung. Ramakrishnan bleibt dabei stets realistisch und teils ernüchternd. Er selbst glaubt nicht an die Möglichkeit eines ewigen Lebens oder dramatisch verlängerter Lebensspannen – zumindest nicht in absehbarer Zeit. Trotz der molekularbiologischen Tiefe des Buches bietet es Zugänge für ein breites Publikum mit einem Interesse an den Grundlagen des Lebens und den ethischen wie gesellschaftlichen Implikationen der Altersforschung. Durch die anschaulichen Erklärungen, historischen Anekdoten und philosophischen Überlegungen bleibt das Buch auch für Nicht-Wissenschaftler*innen spannend und inspirierend.
Fazit
Venki Ramakrishnan beleuchtet in seinem Buch „Warum wir sterben“ die biologischen Grundlagen des Alterns und Sterbens, verknüpft diese mit gesellschaftlichen und philosophischen Fragen und wirft einen kritischen Blick auf Versuche, das Leben drastisch zu verlängern. Er erklärt wissenschaftliche Konzepte wie Zellalterung, Telomere, Epigenetik und Autophagie verständlich und warnt zugleich vor unrealistischen Versprechungen im Bereich der Unsterblichkeitsforschung. Das Buch vermittelt, dass unsere Sterblichkeit nicht nur biologisch unvermeidlich, sondern auch notwendig für den Sinn und den Genuss des Lebens ist.
Rezension von
Dr. Franziska Sophie Proskawetz
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Es gibt 8 Rezensionen von Franziska Sophie Proskawetz.
Zitiervorschlag
Franziska Sophie Proskawetz. Rezension vom 30.12.2024 zu:
Venki Ramakrishnan: Warum wir sterben. Die neue Wissenschaft des Alterns und die Suche nach dem ewigen Leben. Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2024.
ISBN 978-3-608-98492-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32818.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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