Nicole Strüber, Gerhard (Verfasser eines Roth: Die erste Bindung
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 24.12.2024
Nicole Strüber, Gerhard (Verfasser eines Roth: Die erste Bindung. Wie Eltern die Entwicklung des kindlichen Gehirns prägen. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2024. 336 Seiten. ISBN 978-3-608-98799-7. D: 16,00 EUR, A: 16,50 EUR.
Thema
Das menschliche Gehirn ist dafür verantwortlich, wie wir fühlen und wie wir uns verhalten.
Aber warum tickt das Gehirn bei jedem unterschiedlich? Warum kann der eine gut mit Stress umgehen und der andere nicht? Nicole Strüber erklärt, wie unser Gehirn durch unsere Gene und aller frühesten Erfahrungen beeinflusst wird und warum die frühen Bindungserfahrungen so wichtig für unsere weitere Entwicklung sind.
Autorin
Dr. Nicole Strüber ist Neurobiologin. Sie ist als Wissenschaftsautorin und Referentin im Rahmen von Vorträgen und Seminaren tätig. Zusammen mit Gerhard Roth veröffentlichte sie das erfolgreiche Sachbuch „Wie das Gehirn die Seele macht“. 2016 erschien ihr Buch „Die erste Bindung“ in der Erstauflage, 2019 ihr Buch »Risiko Kindheit«. Die erfahrene Rednerin zu Themen aus der Hirnforschung ist einem breiten Publikum bekannt.
Aufbau und Inhalt
Kapitel 1: Einleitung: Was wollen wir?
Nicole Strüber gibt einen ersten Ausblick auf den Inhalt und die Kernfragen ihres Buches. Wie beeinflusst das elterliche Handeln das Kind? Wie wird die Kita oder die Tagespflege das Kind beeinflussen und ab wann sollte es dorthin gehen? Wie können Eltern ihr Kind dabei begleiten, eine ausgeprägte Bindungskompetenz, gute Stressbewältigungsstrategien und eine hohe soziale Kompetenz zu entwickeln?
Kapitel 2: Das Gehirn und Ich: Ein Überblick
Wie ist das menschliche Gehirn aufgebaut und welche Entwicklungsschritte durchläuft es – das sind die leitenden Themen dieses Kapitels. Näher betrachtet werden die Epigenetik und das limbische System, quasi das emotionale Alarmsystem und Herzstücks des menschlichen Gehirns.
Kapitel 3: Erste Schritte in Richtung Persönlichkeit
Die Erklärungen des vorherigen Kapitels werden hier mit konkreten Inhalten erläutert: Bereits im Mutterleib können Gene Einfluss auf das Kind haben. Und auch die Schwangerschaft an sich, hat Einfluss auf die kindliche Hirnentwicklung. Beschrieben wird auch, welche Rolle die Geburt spielt, sowie der Einfluss des kindlichen Geschlechts vor allem auf hormoneller Grundlage angerissen.
Kapitel 4: Das kindliche Gehirn: Wie Bindung die Persönlichkeit reifen lässt
Die zuvor eingeführten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse werden in diesem Kapitel mit den Inhalten der Bindungstheorie und der Bindungsforschung zusammengebracht. Wie kann die Bindung des Kindes zu mindestens einer Fürsorgeperson (in der Regel einem Elternteil) Stress regulieren und dazu beitragen, dass es seine Gefühle kennenlernt und das kindliche Lernen gefördert wird. Außerdem geht Nicole Strüber der Frage nach, wie das frühe Temperament entsteht und welchen Einfluss es auf Bindung hat.
Kapitel 5: Das elterliche Gehirn: Auf Bindung eingestellt
Nachdem bisher die kindliche Entwicklung im Fokus stand, wechselt nun die Perspektive: Was passiert im Gehirn der Mutter und was im Gehirn des Vaters in bindungsrelevanten Interaktionen mit dem Kind? Gibt es Unterschiede zwischen Müttern und Vätern? So erklärt Nicole Strüber viele neurobiologischen Vorgänge im Gehirn sowie im Hormonsystem – wie zum Beispiel die Rolle von Oxytocin und Testosteron. Auch das Konzept der Feinfühligkeit aus der Bindungstheorie wird in diesem Kapitel näher beschrieben.
Kapitel 6: Was bedeutet das alles für uns Eltern?
Was bedeuten nun all die Informationen aus den vorherigen Kapiteln in der Realität? Gibt es die perfekte Kindheit überhaupt? Und sind all jene Menschen, die eben jene nicht hatten, für immer gefangen in unsicheren Bindungsmustern? Im weiteren Verlauf finden Eltern Forschungsergebnisse zum Thema Fremdbetreuung in der frühen Kindheit, um sich hier eine eigene Meinung zu bilden.
Kapitel 7: Ausblick: Das Bedürfnis des Gehirns nach Bindung und die Gesellschaft
Wie lässt sich eigentlich das kindliche Bedürfnis nach Bindung und der Betreuung von Kleinkindern vereinbaren? Eine klare Antwort dazu gibt Nicole Strüber nicht, hält stattdessen ein Plädoyer dafür, hitzige Diskussionen, wie Eltern es nun richtig machen mit zu beenden und stattdessen einen Weg der Toleranz einzuschlagen.
Diskussion
Als der Kinderarzt uns gestressten frischen Eltern in den ersten Lebenswochen unserer Tochter die Erstauflage von „Die erste Bindung“ empfahl, waren wir nervlich am Ende: eine schwierige Geburt, die mehr kaputt gemacht hat als Vorfreude auf die gemeinsame Zeit zu wecken, ein High-Need-Baby, das (zumindest gefühlt) nie schlief und (ebenfalls gefühlt) nur blökte. Das Eltern-Sein hatten wir uns ganz anders vorgestellt. Und in einer jeden durchwachten Nächte nahm ich dann dieses Buch zur Hand – und begann zu verstehen; zu verstehen, warum es so unfassbar wichtig ist, in den ersten Wochen verlässlich, zugewandt und schwingungsfähig zu sein; zu verstehen, dass das aber bei akutem Schlafmangel und Angst, etwas falsch zu machen, gar nicht so einfach ist. Dafür sind meine Frau und ich auch heute noch Nicole Strüber unfassbar dankbar. Mit ihrem Buch hat sie einen Nerv getroffen, weil sie uns – naturwissenschaftlich eher im Bereich der Lernbehinderung verortet – mit ihrer Sprache, ihrem Schreibstil, ihrer persönlichen Note und dem Talent, wissenschaftliche Forschung verständlich zu erklären, von der ersten bis zur letzten Seite abgeholt hat. Die Qualität dieses Buches spiegelt sich auch darin wider, dass es gar nicht so einfach ist, es einem Genre zuzuordnen: Ist es populärwissenschaftlich oder ein Sachbuch mit dem Anspruch, faktenbasiert Informationen zu vermitteln? Des Rätsels Lösung: Die Leser:innen können es zu dem machen, was im individuellen Fall passt. Und das ist einfach großartig. An dieser laut Verlag aktualisierten Neuauflage gibt es inhaltlich nun wirklich keinen Makel. Schön gewesen wäre es lediglich, wenn an irgendeiner Stelle im Buch ersichtlich werden würde, was denn nun aktualisiert wurde.
Fazit
Nicole Strüber gelingt es mit ihrem Schreibstil, auch schwierige Themen – und da gehört die Neurobiologie sicher dazu – prägnant, informativ und sehr gut lesbar zu vermitteln. Aus eigener Erfahrung kann der Rezensent daher unzweifelhaft sagen, dass dieses Buch ein wichtiger Schritt dafür ist, trotz des Schlafmangels und des Stress‘ der ersten Wochen und Monate ein sicherer Hafen für das Neugeborene zu sein. Denn für uns ist es auf unser Alter gerechnet nur eine verhältnismäßig kleine Zeitspanne, in der wir aber den Grundstein für ein zufriedenes und auf verlässliche Beziehungen aufgebautes Leben unseres Kindes legen.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 24.12.2024 zu:
Nicole Strüber, Gerhard (Verfasser eines Roth: Die erste Bindung. Wie Eltern die Entwicklung des kindlichen Gehirns prägen. Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2024.
ISBN 978-3-608-98799-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32819.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
Urheberrecht
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