Ute Backmann: Körpermodifikationen
Rezensiert von Prof. Dr. Joachim Thönnessen, 02.06.2025

Ute Backmann: Körpermodifikationen. Interventionen der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT). Schattauer (Stuttgart) 2024. 202 Seiten. ISBN 978-3-608-40178-3. D: 35,00 EUR, A: 36,00 EUR.
Thema
Die Art und Weise, wie wir sitzen, stehen, uns verhalten und denken ist auf eine bestimmte Weise durch unsere Vergangenheit beeinflusst. Wenn wir uns dessen bewusst werden, können wir die Einflüsse von Erfahrungen in der Vergangenheit auf unser gegenwärtiges und zukünftiges Leben minimieren. Damit werden wir offen für neue Erfahrungen und Denkweisen. Wir können das Leben in seiner Vielfalt annehmen und uns ungehindert von Zwängen aus der Vergangenheit weiterentwickeln.
Eine solche Entwicklung bedeutet im Normal- und Einzelfall einen weiten (Lebens-) Weg. Verschiedene Therapien und Praktiken wurden zur Unterstützung entwickelt. Eine davon ist die sog. „Konzentrative Bewegungstherapie“ (KBT). Die KBT ist ein körperpsychotherapeutisches Verfahren, welches mit psychoanalytischen und psychodynamischen Theorien verknüpft ist.
Autorin
Aus dem Klappentext des Buches: „Ute Backmann, M.A., Kultur- und Sozialwissenschaften, Dipl.-Soz. Arb., KBT Lehrtherapeutin (DAKBT), Psychotherapeutin (HeilprG), Supervisorin/Coach (DGSv). KBT-Therapeutin in der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik der Universität Heidelberg, Schwerpunkt Traumafolge- und Persönlichkeitsstörungen“.
Entstehungshintergrund
Ebenfalls übernommen aus dem Klappentext des Buches: „Der Körper ist heute zur Bühne des subjektiven Selbst geworden. Die Autorin erläutert verschiedene Kategorien von Körpermodifikationen und ermutigt Körperpsychotherapeut:innen, zusammen mit ihren Patient:innen ein Bewusstsein für den Hintergrund der Modifikationen zu schaffen. Welche Rolle spielen Bindungsstile, Selbstwerterleben, Traumatisierungen, Körperwahrnehmung und Symbolisierungsfähigkeit? Backmann stellt dar, wie körperpsychotherapeutische Angebote der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) hier heilsam tätig werden können. Die Praxisbeispiele beleuchten Körpermodifikationen psychodynamisch. Es wird deutlich, dass sie oft verbunden sind mit ausgeprägten perfektionistischen Vorstellungen, die im alltäglichen (Er-)Leben zu Konflikten, Schmerzen oder Einschränkungen führen können. Soziologische und kulturwissenschaftliche Betrachtungen runden das Wissen für Therapeut:innen ab“.
Aufbau und Inhalt
Das Buch hat insges. 202 Seiten (inkl. Literaturverzeichnis und Sachverzeichnis) und ist in acht Kapitel aufgeteilt (inkl. Einleitung und Zusammenfassung). Nach der Einleitung (Kap. 1) beginnt Kap. 2 mit einer Darlegung der theoretischen, methodischen und praktischen Grundlagen der KBT. Die Anfänge der KBT werden im Kontext der Lebensreformbewegung verortet, welche den Schattenseiten der Moderne eine ganzheitlich orientierte Lebensweise entgegensetzte. Parallel dazu entwickelten sich im beginnenden 20. Jahrhundert Ansätze der Psychoanalyse entscheidend weiter: „Die in der KBT vorgenommene Verknüpfung des freiheitlichen Körpererlebens mit der Psychoanalyse ist somit auch aus historischer Sicht konsequent“ (Backmann 2019, zit. n. Backmann 2024, S. 18).
In Kap. 3 stellt Backmann Beziehungen zwischen psychoanalytische Konzepten (wie Ich-Trieb, Ich-Psychologie, Selbst-Psychologie, Objektbeziehung und Verführungstheorie) und ihrem Bezug zum Körper bzw. zur Konzentrativen Bewegungstherapie her. Sie erläutert: „Zum einen werden über die Körperwahrnehmung Erinnerungen geweckt, die ressourcenorientiert genutzt werden können, zum anderen lassen sie Störungsmuster und Traumatisierungen erkennen. In diesem Sinne können sichtbar gewordene Themen der therapeutischen Bearbeitung zugänglich gemacht werden“ (S. 23).
In dem – im Vergleich zum Kap. 3 – knapp gehaltenen Kap. 4 werden soziologische Konzepte angesprochen und ihr Bezug zum Thema „Körper“ verdeutlicht: „Das Streben nach körperlicher Optimierung, nach Subjektivierung und körperlicher Selbstverbesserung oder gar Perfektionierung kann als leitende Idee individueller und gesellschaftlicher Imperative verstanden werden“ (S. 68). Perfektionierung beispielsweise kann als Ausdruck eines „starren Zustands“ (S. 69) verstanden werden.
Bei Kapitel 5.1 handelt es sich um die überarbeitete Version eines früheren Aufsatzes der Verfasserin (Backmann 2023). Insgesamt thematisiert das 5. Kapitel psychodynamische Begriffe und erläutert ihre Zusammenhänge mit dem Körper. Beispielsweise geht es um „körperliche Nähe und Distanz, wahrnehmungsbezogenen Körperkontakt, gemeinsame Bewegungen zur Spiegelung, zur Gestaltung von Bindung, zur Förderung von Mentalisierung und emotionalem Ausdruck“ als wesentlichen Elementen der Konzentrativen Bewegungstherapie (S. 78).
In Kap. 6 wird der Körper als Austragungsort des psychischen Geschehens behandelt. In diesem, wie auch schon in den vorherigen Kapitel, gibt Ute Backmann spannende Einblicke in ihre Praxis als Therapeutin, d.h. nennt viele praktische Beispiele. Themen der Unterkapitel sind beispielsweise „Schönheitschirurgische Eingriffe“ (Kap. 6.1.3) oder „Essstörungen“ (Kap. 6.4).
In Kap. 7 wird das Thema „Die Bedeutung der Berührung in der KBT“ behandelt: „In der KBT wird die physische Berührung des Körpers mit dem psychischen Berührt-Sein gekoppelt“ (S. 173).
Abgeschlossen wird das Buch mit einer Zusammenfassung (Kap. 8). Körpermodifikationen, so Backmann, erzählen eine Körpergeschichte, „die aus diagnostischer Sicht bedeutsam ist und entscheidende Hinweise auf Entstehung und Hintergründe einer möglichen Störung liefert“ (S. 188).
Diskussion
Alle Ankündigungen im Klappentext des Buches werden eingehalten: Ute Backmann – erläutert verschiedene Kategorien von Körpermodifikationen;
- sie ermutigt Körperpsychotherapeut:innen, zusammen mit ihren Patient:innen ein Bewusstsein für den Hintergrund der Modifikationen zu schaffen;
- sie klärt die Rolle von Bindungsstilen, Selbstwerterleben, Traumatisierungen, Körperwahrnehmung und Symbolisierungsfähigkeit;
- Backmann stellt dar, wie körperpsychotherapeutische Angebote der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) heilsam tätig werden können,
- die vielen Praxisbeispiele beleuchten Körpermodifikationen psychodynamisch;
- es wird deutlich, dass sie oft verbunden sind mit ausgeprägten perfektionistischen Vorstellungen, die im alltäglichen (Er-)Leben zu Konflikten, Schmerzen oder Einschränkungen führen können;
- und schließlich: Soziologische und kulturwissenschaftliche Betrachtungen runden das Wissen für Therapeut:innen ab.
Fazit
Ein gelungenes Buch mit hoher Relevanz für (Körper-)Therapeut:innen.
Literatur
Backmann, Ute (2023): Der Körper in der Psychotherapie – Körperliche (Gegen-) Übertragung in der Konzentrativen Bewegungstherapie. Psychotherapie, 68:195-200
Backmann, Ute (2019): Bewegungsfreiraum. Rhythmische Gymnastik im Kaiserreich und der Weimarer Republik zwischen neuem Körperbewusstsein und bürgerlicher Norm. Erfurt: Akademiker Verlag
Rezension von
Prof. Dr. Joachim Thönnessen
Hochschule Osnabrück, Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Studium der Philosophie und Soziologie in Bielefeld, London und Groningen; Promotion in Medizin-Soziologie (Uniklinikum Giessen)
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