Dieter Adler: The Missing Manual
Rezensiert von Klaus Seifried, 06.10.2025
Dieter Adler: The Missing Manual. Das Handbuch der besonderen, aber weniger bekannten psychotherapeutischen Interventionen. Schattauer (Stuttgart) 2024. 351 Seiten. ISBN 978-3-608-40181-3. D: 48,00 EUR, A: 49,40 EUR.
Thema
Das Handbuch von Dieter Adler basiert auf den praktischen Erfahrungen als Psychotherapeut. Es ist ebenso für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Ausbildung als auch für berufserfahrene Kolleginnen und Kollegen gedacht. Dieter Adler versucht, seine 30-jährige Berufserfahrung in diesem Handbuch zu dokumentieren. Das Buch ist sehr praxisorientiert und gut lesbar. Es wird im Text nur die männliche Form genutzt und nicht gegendert.
Dieter Adler ist ausgebildeter Psychoanalytiker, geht jedoch eher eklektizistisch vor und arbeitet methodenübergreifend: Er sammelt erfolgreiche psychotherapeutische Interventionen aus der psychodynamischen Psychotherapie, der systemischen Familientherapie, der Verhaltenstherapie und der Interaktionstheorie. „Fundament …, ist in allen Therapien die Beziehung zwischen Patient und Therapeut. Und zentraler Wirkfaktor ist die Interaktion zwischen beiden.“ (23) „Es ist wichtig, dass die seelischen Selbstheilungskräfte bei Patienten aktiviert werden. Es ist egal, wie sie aktiviert werden.“ (24)
Autor
Dieter Adler ist Diplom-Sozialarbeiter und Diplom-Psychologe und arbeitet in einer psychotherapeutischen Praxis in Bonn. Er ist ausgebildeter Psychoanalytiker dpv/ipv, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut und Gruppenanalytiker d3g.
Inhalt
Das Buch ist in drei große Teile gegliedert:
Teil 1: Auswahl geeigneter Patienten und Therapieverfahren
Ursachen psychischer Erkrankungen, psychotherapeutische Wirkfaktoren, Auswahl der Verfahren, Therapieplanung
Teil 2: Theoretische und praktische Überlegungen
Übertragungsbasierte versus interaktionelle Therapie, Wirkfaktoren der Behandlung,
therapeutische Herausforderungen, Interventionstechniken, die vier Systeme der
menschlichen Psyche, therapeutische Kniffe und Techniken
Teil 3: Schwierige Situationen
Ausnahmesituationen, Beenden von Stunden, wenn die Therapie ins Stocken gerät,
gefürchtete therapeutische Situationen, Verwaltungsarbeit, ethische Fragen,
der Schutz des Therapeuten, Erfolg, Misserfolg und Beendigung der Therapie
Die Stärke des Buches ist die klare Sprache, die auf praktischer, beruflicher Erfahrung beruht. Sehr komprimiert stellt Adler die Ursachen psychischer Erkrankungen dar:
- Innere Konflikte, Hemmungen
- Traumatische, traumatisierende oder deprivierende Erfahrungen.
„Unter traumatisierenden Erfahrungen verstehe ich eine permanent wirksame oder regelmäßig auftretende Traumatisierung, die im Lauf der Zeit kumulativ wirken und seelische Erkrankungen auslösen kann, beispielsweise der permanente sexuelle, seelische oder narzisstische Missbrauch eines Kindes oder permanente Entwertungen, Demütigungen, Sadismen usw.“ (27)
Ebenso einfach, komprimiert und präzise beschreibt Adler psychotherapeutische Wirkmechanismen:
- Der Patient lernt sprechen. „Er lernt es, seine Befindlichkeiten, Gefühle, Aversionen, seine Abwehr … zu erspüren, in Worte zu fassen, sie dem Anderen mitzuteilen und mit ihm zu besprechen. … Er lernt Affekte bei sich zu identifizieren …“ (29)
- Der Patient lernt, „…in Beziehung zu leben, sich anzunähern oder Nähe und Distanz zu regulieren. Er erfährt dabei, wie es ist, im Kontakt mit dem Anderen sich selbst zu spüren, ohne mit dem Anderen zu verschmelzen oder sich real trennen zu müssen …“ (29)
- Wichtig ist auch, negative Übertragungsprozesse zu reflektieren, „…über Ärger (in der Therapie) reden zu können …“, wie es Adler formuliert.
- Akzeptanz: (Wir nehmen den Patienten so, wie er ist)
- Potenzialblick: (Wir glauben an seine Entwicklungsmöglichkeiten)
- Unterstützung: „Wir zeigen, dass wir bereit sind, mit ihm den langen, beschwerlichen Weg zu gehen“ (30)
Spannend ist, dass Adler Elemente der lösungsorientierten Therapie formuliert, ohne diese explizit zu benennen: Er löst sich von der „psychoanalytischen Technik des Aufdeckens und Durcharbeitens“. Er reduziert diese auf die „Ursachensuche“ und fokussiert auf die „Umsetzungsphase im Hier und Jetzt“ (30). Im Hier und Jetzt und in der Zukunft liegen die Veränderungsmöglichkeiten, für die er in seiner therapeutischen Arbeit auch verhaltenstherapeutische Interventionen und Hausaufgaben für Patienten nutzt.
Für Adler ist eine authentische Beziehung zum Patienten ein wesentlicher Heilfaktor.
Sehr hilfreich für Berufsanfängerinnen und -anfänger sind die Ausführungen über die Rahmenbedingungen: Schweigepflicht, Absagefristen, Praxispausen, das Beenden der Therapie, Wegschicken u.a.
Der Therapeut trägt die Verantwortung für passende Rahmenbedingungen und die ordnungsgemäße Durchführung der Therapie. Aber nicht für den Erfolg oder Misserfolg der Therapie: Dies liegt in der Verantwortung der Patienten.
Die Auswahl der Patienten ist für den Erfolg einer Therapie sehr wichtig:
- „Ist der Patient für eine ambulante Psychotherapie geeignet?
- Ist der Patient für eine der Therapiemethoden, die wir anbieten, geeignet?
- Können wir uns vorstellen, mit diesem Patienten zu arbeiten?“ (52)
In Kapitel 5 diskutiert Adler sehr komprimiert und praxisorientiert die Auswahl geeigneter Therapieverfahren.
Sehr hilfreich für die Praxis ist ebenso das Kapitel 6, Therapieplanung und Durchführung.
Die persönliche Vorbereitung und Einstellung des Therapeuten auf den Patienten, die Therapieziele, die Therapiebedingungen und die Dokumentation durch Verlaufsprotokolle.
In Teil 2 diskutiert Adler in Kapitel 7 Wirkmechanismen der Psychoanalyse versus interaktioneller Therapieansätze. In Kapitel 8 wird deutlich, dass Adler stark durch Irvin Yalom geprägt ist, einen bekannten amerikanischen Psychoanalytiker.
Die wertvollen Praxiserfahrungen von Adler werden in Kapitel 9 deutlich. Hier diskutiert er therapeutische Herausforderungen: Den Umgang mit dem Unbewussten oder der Angst vor Aggressionen. Er beleuchtet auch die Frage, wie aktiv der Therapeut sein soll und sein darf, ebenso den Umgang mit therapeutischen und organisatorischen Fehlern. Auch die Frage von Nähe und Distanz in der therapeutischen Beziehung wird reflektiert.
In Kapitel 10 erläutert Adler die zwei Ebenen des psychotherapeutischen Prozesses: Konkretistische Ebene und Konfliktebene. Hier ist bedeutsam, was der Therapeut wahrnimmt und fokussiert: Die Handlungsebene oder die dahinter liegenden Konflikte. Es folgen Konfrontation, Ich-Fokussierung und Aktivierung des Patienten. Sehr anschaulich beschreibt er dies anhand eines Fallbeispiels und Therapieverlaufs.
In Kapitel 11 thematisiert Adler das Wechselspiel zwischen „reifen“ und „unreifen“ Persönlichkeitsanteilen. Er diskutiert dies in vier Dimensionen: Entwicklung, Neurotisch, Paranoid-psychotisch und Sozial. Diese vier Dimensionen sind nicht überzeugend. Interessant ist aber, wie Adler das Modell der Übertragung und Gegenübertragung zwischen Patient und Therapeut als Wechselwirkung dieser Dimensionen und ihrer reifen und unreifen Anteile gegenüberstellt. (155)
In Kapitel 13 stellt Adler „Abwehrtypen“ dar:
- Der „Und-jetzt?-Typ. Der Patient erkennt die Richtigkeit einer Deutung an, reagiert aber sofort mit einem 'Totschlagargument': „Und was mache ich jetzt?“ (169)
- Der Intellektualisierer. „Der Intellektualisierer nimmt die Deutung an und zeigt deutliche körperliche und nonverbale Anzeichen, dass er 'verstanden' hat. Wir sind frohen Mutes und wähnen uns ein ganzes Stück weiter mit diesem Patienten. Doch dann kommt er in der nächsten Stunde und verkündet uns, … dass er daran weitergearbeitet hat.“ (170)
Das 14. Kapitel „Therapeutische Kniffe“ zeigt die Berufserfahrung und Sicherheit von Adler. Er ist souverän genug, erfolgreiche Interventionen aus verschiedenen Therapieschulen zu nutzen und einzusetzen (176-185).
In Teil 3, Kapitel 17 und 18 des Buches beschreibt Adler „Schwierige Situationen“. Einerseits sind es ganz praktische Fragen (205-242). Aber auch Ängste des Therapeuten und der Umgang mit Aggressionen werden diskutiert.
Kapitel 19 stellt die Frage, wie ein Therapeut mit Geschenken umgehen soll.
In Kapitel 20 werden Ausnahmesituationen in der Therapie besprochen.
In Kapitel 25 geht es um Übergriffe der Patienten, Aggressionen und Gewalt in der Therapie
Zum Ende des Buches werden in Kapitel 26 die Verwaltungsarbeit in einer Psychotherapeutischen Praxis diskutiert. Es folgen Kapitel zum therapeutischen Selbstverständnis, zu ethischen Fragen, zum Umgang mit Erfolg und Misserfolg in der Therapie und zur Lebensqualität von Psychotherapeuten.
Diskussion
The Missing Manual ist ein gut lesbares Buch, das ein komplexes Kompendium der psychotherapeutischen Erfahrung von Dieter Adler darstellt. Es ist sehr hilfreich für Berufsanfänger. Aber auch erfahrene Psychotherapeuten finden sich in vielen Fragen und Fallbeispielen wieder. Spannend ist die Kombination verschiedener Therapieschulen. Dieter Adler orientiert sich am Behandlungsbedarf und den Bedürfnissen seiner Patienten und nicht an Dogmen der Therapieschulen.
Die Gliederung des Buches ist nicht immer stringent. Es gibt thematische Wiederholungen.
Dennoch ist das „Handbuch der besonderen, aber weniger bekannten psychotherapeutischen Interventionen“ sehr empfehlenswert.
Fazit
The Missing Manual ist ein lohnendes Buch für Berufsanfänger und erfahrene Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Es verbindet erfolgreiche psychotherapeutische Interventionen aus verschiedenen Therapierichtungen, von der Psychoanalyse, über verhaltenstherapeutische Impulse, Interaktionstheorie bis zu systemischen und lösungsorientierten Therapiemethoden. Auch sehr praktische Hinweise zur Führung einer psychotherapeutischen Praxis sind sehr hilfreich.
Rezension von
Klaus Seifried
Lehrer, Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut
Schulpsychologiedirektor i.R.
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