Frank Schulz-Nieswandt: Die Zukunft des Alterns
Rezensiert von Dr. Franziska Sophie Proskawetz, 31.12.2024
Frank Schulz-Nieswandt: Die Zukunft des Alterns. Gemeinwohl und Lebensformen neu denken.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2024.
167 Seiten.
ISBN 978-3-8379-3309-3.
D: 19,90 EUR,
A: 20,50 EUR.
Reihe: Gegenwartsfragen.
Thema und Entstehungshintergrund
Was wird das Leben älterer und hochaltriger Menschen in den kommenden zwei Jahrzehnten prägen? Wie werden sie in Zukunft leben, wohnen und sterben? Frank Schulz-Nieswandt bietet in Essayform einen umfassenden Überblick über Themen des Alters und Alterns und entwickelt vor dem Hintergrund der Megatrends mögliche Zukunftsszenarien. Erschienen ist sein Werk „Die Zukunft des Alterns. Gemeinwohl und Lebensformen neu denken“ in der Buchreihe „Gegenwartsfragen“ des Psychosozial-Verlags.
Autor
Frank Schulz-Nieswandt (geboren 1958) ist interdisziplinärer Sozialwissenschaftler und emeritierter Professor. Er hatte die Univ.-Professur für Sozialpolitik und Qualitative Sozialforschung an der Universität zu Köln inne und war Direktor des Seminars für Genossenschaftswesen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Sozialpolitik, der Gemeinwirtschaftslehre, den Theorien qualitativer Sozialforschung sowie der onto-theologischen Metaphysik des Naturerlebens.
Aufbau und Inhalt
Auf 167 Seiten widmet sich Schulz-Nieswandt Themen des Alters und Alterns, wobei der Schwerpunkt im Hauptteil auf möglichen Zukunftsszenarien liegt. Der Essay ist unterteilt durch Überschriften und Zwischenfazits. Nach einem ausführlichen Einleitungsteil fokussiert Schulz-Nieswandt auf Zukunftsszenarien, die auch im Folgenden im Mittelpunkt stehen sollen:
Was bedeutet Alter? Und ab wann gilt ein Mensch als alt? Schulz-Nieswandt zeigt, dass es keine allgemeingültigen Antworten auf diese Fragen gibt, da das Altern eine große interindividuelle Vielfalt aufweist. Diese reicht von geistig und körperlich äußerst fitten Alten bis hin zu „tragischen Fällen der Kreatürlichkeit“ (S. 44). Daher sei es „nicht sinnvoll […], das Alter chronologisch oder kalendarisch zu fassen“ (S. 62). Stattdessen betont Schulz-Nieswandt die Mehrdimensionalität des Alterns, die sich in vielerlei Aspekten zeigt und sowohl von kulturellen als auch strukturellen Hintergründen sowie genetischen Voraussetzungen geprägt ist.
Schulz-Nieswandt unterscheidet zwischen ökonomischem, sozialem und geistigem Altern und verknüpft diese Dimensionen mit den Kapitalsorten nach Bourdieu. Er zeigt auf, wie diese das Altern beeinflussen und prägen können. Diese Zusammenhänge bilden die Grundlage für die später entwickelten Zukunftsszenarien. Dabei hebt Schulz-Nieswandt hervor, dass Aspekte wie Generationenverhältnisse, Geschlechterverhältnisse und sogenannte Prägehorizonte – kollektive Erfahrungsräume wie Kriegszeiten, die Menschen auf bestimmte Weise prägen – in die Betrachtung einbezogen werden müssen. Besonders Frauen sind im Alter nach wie vor häufiger von Armut bedroht, was die Relevanz von Geschlechterverhältnissen unterstreicht. Ein zentrales Thema des Essays ist die soziale Ungleichheit, die auch im Alter weiterhin eine erhebliche Rolle spielt: „Morbiditätsbiografien und Mortalitätsrisiken sind in massiver Weise sozial ungleich verteilt“ (S. 65). Zudem reflektiert Schulz-Nieswandt die Entwicklung von Altersbildern und zeigt auf, wie sich diese im Laufe der Zeit gewandelt haben.
Vor dem Hintergrund zentraler Megatrends wie dem demographischen Wandel, dem epidemiologischen Wandel, der Globalisierung, dem Siedlungsstrukturwandel und dem moralökonomischen Wandel entwirft Schulz-Nieswandt mögliche Zukunftsszenarien für das Alter in der nahen Zukunft. Einige der aufgeworfenen Szenarien werden im Folgenden knapp skizziert:
Durch die Bildungsexpansion wird sich das durchschnittliche Kompetenzprofil im Alter verbessern. Gleichzeitig wird die Zukunft des Alters zunehmend heterogen: Während viele ältere Menschen von ihrem gestiegenen Bildungsniveau profitieren, bleiben „Bildungsverlierer“ mit brüchigen Erwerbsbiografien weiterhin benachteiligt. Dies trägt zu einer Zunahme der sozialen Ungleichheit im Alter bei, die sich auch in Einkommensarmut und unterschiedlich ausgeprägten digitalen Kompetenzen widerspiegelt.
Schulz-Nieswandt thematisiert die Frage, wie die sogenannten „neuen Alten“ – geprägt von höherer Bildung und teils spirituellen Orientierungen – psychodynamisch auf die Bewältigung ihrer Endlichkeit reagieren werden. Dabei bleibt unklar, wie diese Gruppen mit Tod und Sterben umgehen: „Es ist nicht geklärt, wie die sogenannten neuen Alten, die im Durchschnitt eine höhere Bildung haben und/oder […] spirituelle Orientierungen aufweisen, psychodynamisch aufgestellt sind in der Bewältigung der Endlichkeit“ (S. 132).
Einsamkeit im Alter entsteht laut Schulz-Nieswandt nicht primär dadurch, dass alte Menschen „abgeschoben“ werden, sondern durch Netzwerkausdünnungen. Dieser Prozess ist häufig auch der Grund für einen Umzug ins Pflegeheim und betrifft insbesondere Frauen, die oftmals ihre Ehemänner und teilweise auch ihre Söhne überleben.
Schulz-Nieswandt verweist auf die Ambivalenzen in den Beziehungen zwischen Generationen. Diese seien nicht konfliktfrei, doch Studien zeigen sich dennoch hoffnungsvoll, was die Zukunft der Generationensolidarität betrifft.
Schulz-Nieswandt lässt im Ausblick seines Essays auch dystopische Sichten auf das Alter in der nahen Zukunft einfließen und zeichnet düstere Bilder: Steigende Armut und Wohnungslosigkeit, einen Rückgang der Pflegequalität und einen Mangel an Pflegeplätzen, Überlastung der Akutmedizin und infolgedessen massive Fälle eigentlich vermeidbarer Mortalitäten.
Mit diesen Überlegungen gibt der Autor einen differenzierten Einblick in die Herausforderungen und Chancen, die das Altern in einer zunehmend von Megatrends geprägten Welt mit sich bringt.
Diskussion
Das Buch in Essayform umfasst 167 Seiten und lockt mit kreativen, teils spielerischen Überschriften, die neugierig machen. Es steckt voller philosophischer Gedankenspiele – mal praxisnah, mal abstrakt – und lädt zu einem intensiven Nachdenken über das Alter und die Zukunft des Alterns ein. Die Sprache ist literarisch und anspruchsvoll, was den Lesenden durchaus herausfordern kann. Überraschende Wendungen und eine Prise Humor verleihen dem Werk zusätzlichen Charme. Die Darstellung ist dicht und gehaltvoll, wodurch sich das Buch trotz seines flüssigen Stils nicht als leichte Kost erweist. Es setzt ein gewisses Grundlagenwissen voraus, da der Autor häufig auf Konzepte und Gedanken anderer Philosoph*innen, Soziolog*innen und Denker*innen Bezug nimmt.
Fazit
Frank Schulz-Nieswandt bietet in seinem Essay einen anspruchsvollen Blick auf die Zukunft des Alterns, der sowohl philosophische Tiefe als auch praxisnahe Perspektiven vereint. Mit literarischem Stil und einem Fokus auf Megatrends zeigt er die Chancen und Herausforderungen des Alterns in einer zunehmend komplexen Welt auf, ohne dabei soziale Ungleichheiten und individuelle Vulnerabilitäten zu verschweigen. Das Werk regt zum Nachdenken an, erfordert jedoch auch ein solides Vorwissen, um die Dichte und Vielschichtigkeit seiner Gedanken vollständig erfassen zu können.
Rezension von
Dr. Franziska Sophie Proskawetz
Website
Mailformular
Es gibt 8 Rezensionen von Franziska Sophie Proskawetz.
Zitiervorschlag
Franziska Sophie Proskawetz. Rezension vom 31.12.2024 zu:
Frank Schulz-Nieswandt: Die Zukunft des Alterns. Gemeinwohl und Lebensformen neu denken. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2024.
ISBN 978-3-8379-3309-3.
Reihe: Gegenwartsfragen.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32844.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.