Inge Seiffge-Krenke: Neid
Rezensiert von Prof. Dr. Katharina Gröning, 30.10.2025
Inge Seiffge-Krenke: Neid.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2024.
144 Seiten.
ISBN 978-3-8379-3348-2.
D: 19,90 EUR,
A: 20,50 EUR.
Reihe: Analyse der Psyche und Psychotherapie - Band 25.
Entstehungshintergrund
In der Reihe „Analyse der Psyche und Psychotherapie“ legt die Entwicklungspsychologin, Psychoanalytikerin und klinische Forscherin Inge Seiffge-Krenke eine mit 144 Seiten kurze, doch bemerkenswert anschauliche und systematische Arbeit zu einem in der Psychotherapie und klinischen Psychologie eher randständigen Thema vor. Nach Angaben des Psychosozial-Verlags greift die Reihe „Analyse der Psyche und Psychotherapie“ grundlegende Konzepte und Begrifflichkeiten der Psychoanalyse auf und thematisiert deren professionelle, therapeutische Verwendung. Es geht in der Reihe „Analyse der Psyche und Psychotherapie“ um die Vermittlung von Basiswissen zu bedeutenden Konzepten der Psychoanalyse, wobei zum einen historische Entwicklungslinien der Konzepte nachvollzogen werden, zum anderen wird deren professioneller und praktischer Stand diskutiert.
Aufbau des Buches
Das Thema wird in acht Kapiteln entfaltet, die einen hinreichend guten, gleichzeitig tieferen Bedarf eines Basiswissen abdecken, einen sowohl historischen als auch systematischen Zugang zur Thematik informativ und gründlich aufzeigen und damit ein Verstehen der Vielfalt und komplexen Dynamik ermöglichen.
- Die frühe Entwicklung des Neidkonzepts;
- Die Neidkonzeption von Melanie Klein „Envy and Gratitude“;
- Kritik, Weiterentwicklung und die heutige Rezeption;
- Historische, gesellschaftliche und kulturelle Perspektiven;
- Neid und Neidstrukturen erkennen, Neidbearbeitung in Psychotherapien;
- Neid in der therapeutischen Beziehung.
Inhalt
Das erste Kapitel des Buches widmet Frau Seiffge-Krenke der Entstehung und frühen Entwicklung des Neidkonzeptes in der Psychoanalyse. Das Anfangskapitel befasst sich deshalb zuerst mit der Entdeckung des Penisneids bei Freud. Faktisch verwirft die Autorin, ohne sich moralisch zu empören, das Freud’sche Konzept souverän und bettet es später lediglich in eine allgemeine Anmerkung zum Geschlechterneid ein. Die Autorin besteht aber auf der Bedeutung des Entdeckungszusammenhangs des Neidphänomens durch Freud.
Das Kapitel 2 hingegen, zur Neidkonzeption bei Melanie Klein, zeichnet sich nicht nur durch einen reichen Informationsgehalt und eine hohe Systematik aus. Die Autorin macht die Psychoanalyse Kleins sowohl theoretisch wie klinisch verständlich und vertritt die Auffassung, dass Melanie Klein und ihre Psychoanalyse den Neid in seiner Psychodynamik und Bedeutung für die Psychoanalyse entdeckt und die praktische therapeutische Arbeit verwertbar gemacht hätten. Seiffge-Krenke erklärt die Kleinianische Psychoanalyse, die wesentlich auf die Mutter als Beziehungsobjekt gerichtet ist, und führt ein in die von Melanie Klein durchgeführten Kinderanalysen. Die Mutter ist hier eine potente und mächtige Figur, die alles zu haben scheint, was das Kind begehrt, die über Milch, Sexualität, ein Territorium verfügt Seiffge-Krenke entfaltet Schlüsselbegriffe von Klein und ihren Nachfolgerinnen und Nachfolgern. Beginnend mit den Erläuterungen zu den frühen Abwehrmechanismen Spaltung, Projektion, Introjektion stellt die Autorin bildhaft die psychische Entwicklung im ersten Lebensjahr dar.
Im Kapitel über die Weiterentwicklungen des Konzeptes durch die Kleinianer Bion, Winnicott und Bowlby setzt die Autorin sich dann kritisch zu Klein in Beziehung, vor allem in Bezug auf Melanie Kleins radikale klinische Perspektive. Durchgängig zeichnet sich auch dieses Kapitel durch eine sorgfältige Systematik zur „englischen Schule“ der Psychoanalyse aus. Es schließt sich ein gehaltvolles und ebenfalls narratives Kapitel zur Neid in der Kultur und Gesellschaft an. Mit der Aufnahme dieses Kapitels und der Diskussion der Neidthematik in der Bibel in der Kunst etc. bereitet die Autorin faktisch ihre Argumentationen vor, die Neid nicht nur als Laster und Unfähigkeit zur Dankbarkeit sehen, sondern Objektbeziehungsschicksale als objektive Lebensbedingungen anzuerkennen. Die Verfasserin betont mehr als einmal das dem Neid zugrunde liegende Sozialgefühl der Scham, die Erfahrung von Ungerechtigkeit und die daraus entstehende Beschämung sowie das Erleben von objektivem Mangel.
Das Kapitel 5, zur Dynamik, Diagnostik und Umgang mit Neid wendet sich dann an die Praxis, weshalb nun Fallvignetten zur Veranschaulichung zu lesen sind. Einige der Fallvignetten entstammen einer Längsschnittstudie zur Diabetes bei Kindern. In diesem Zusammenhang wird die Neidthematik in eine Theorie psychosomatischer Erkrankungen eingebunden. Die Verfasserin stellt wiederum systematisch eine Reihe von familiendynamischen Mustern und Strukturen vor, die Neid zwischen Eltern und Kindern, zwischen Geschwistern und zwischen Geschlechtern zum Inhalt haben. Der Zusammenhang von Neid und (sexueller) Gewalt, Neid und Hass, Neid und Rache, Neid und Selbstzerstörung wird eindrücklich aufgezeigt (Kap. 7). Das letzte Kapitel schließlich handelt von der Bedeutung der therapeutischen Beziehung, der Neidbearbeitung und dem, was Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen in der Übertragung ihrer meist depressiven und psychosomatisch erkrankten Patienten aushalten müssen. Im Mittelpunkt steht hier der Gedanke von Winnicott, dass das Objekt unzerstörbar sein muss, damit Vertrauen (wieder) entstehen und Heilung stattfinden kann. Die Verfasserin systematisiert Muster, Maskierungen, Beziehungsdynamiken der Neiddimension in der Psychotherapie.
Diskussion
Die Autorin verbindet einen erzählenden Stil mit vielen kenntnisreichen und wichtigen Informationen zum Stand und zur Entwicklung der Forschung, sodass sich das Buch sehr gut lesen lässt. Es ist anschaulich und bildhaft geschrieben. Gleichzeitig zeigt sich, dass die Verfasserin eine gründliche Kennerin der Materie wie auch der Geschichte der Psychoanalyse ist. Im Kapitel 1 wird viel über Details aus der Anfangszeit der Psychoanalyse erzählt. Die Verfasserin wählt dazu ein Familiennarrativ, die psychoanalytische Familie, Freud als Übervater und die Nachfolger in den Positionen der rivalisierenden Kinder. Theoretische Erkenntnis und gelebte Biografie scheinen bei Sigmund Freud sichtbar zusammenzuhängen. Ggf. ist das auch der Grund, warum die Verfasserin dem Freud’schen Neidkonzept eher distanziert gegenüber zu stehen scheint. Theoretisch erklärt Inge Seiffge-Krenke dann weiter, dass es Melanie Klein in ihren Forschungen ausschließlich um die innere Welt des Kindes ging, eine Art Laborperspektive, die ihre Berechtigung hat. Indem die Autorin überzeugend erklärt, was für ein Affekt der Neid eigentlich ist, auf was er sich richtet und was sein Ziel ist, bettet sie ihn in eine psychodynamische Psychoanalyse quasi ein, wie dies Wurmser z.B. mit der Scham getan hat. Aufgezeigt wird die Bedeutung des Mangelerlebens, der Vergleich mit anderen Menschen und die die kränkende Erkenntnis, dass andere mehr haben, der Wunsch sich zu rächen und das Gute zu zerstören, das man selbst nicht haben kann und nicht zuletzt macht die Verfasserin klar, welche Stärke der Neidaffekt hat, nicht zuletzt weil es sich um ein frühes Erleben handelt. Es entsteht der Eindruck, dass Seiffge-Krenke mit dem Neider/der Neiderin mitfühlt, womit sie einen tabuisierten und verachteten Affekt nicht nur theoretisch ins Sozialleben holt. Neid ist etwas Unreifes, Kindliches und damit auch Hilfloses. Er wurzele in der Beobachtung und Phantasie, dass andere mehr und Besseres haben.
Fazit
Immer wieder nimmt die Verfasserin die Leserinnen und Leser mit in das seelische Erleben von Kindern und auch die Erzählungen zu Anna Freud und ihrer Schwester oder die Erläuterung des Konzeptes der „altruistischen Abtretung“, führen dazu, dass man das Buch nur ungern aus der Hand legt. Unbedingt anschaffen!
Rezension von
Prof. Dr. Katharina Gröning
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