Rainald Manthe: Demokratie fehlt Begegnung
Rezensiert von Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker, 23.12.2024
Rainald Manthe: Demokratie fehlt Begegnung. Über Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts.
transcript
(Bielefeld) 2024.
154 Seiten.
ISBN 978-3-8376-7141-4.
D: 24,00 EUR,
A: 24,00 EUR,
CH: 30,40 sFr.
Reihe: X-Texte zu Kultur und Gesellschaft.
Entstehungshintergrund und Thema
Der Autor vertritt die These, dass es aufgrund weniger gewordener „ungepflegter, exklusiver und getrennter“ (S. 19) Orte einen Mangel an Begegnung gebe, die konstitutiv für die Demokratie sei. Die institutionalisierten und weniger formalisierten Formen von Begegnung sicherten zu, die Andere oder den Anderen als Person mit je eigenen Interessen anzuerkennen und befördere Kompromisse einzugehen. Im Kennenlernen anderer würden vorhandene Stereotype irritiert und Verständigung eingeleitet. Die Dorfkneipe stilisiert Manthe zum Sinnbild für „barrierearme Begegnungen“ (S. 21) und deren demokratieförderliche Auswirkungen.
Autor
Dr. Rainald Manthe ist Soziologe, hat über die Weltsozialforen promoviert, war Direktor des Programms „Liberale Demokratie“ beim Think-Tank Zentrum Liberale Moderne. Er arbeitet als freier Autor, Podcaster und setzt sich aktiv für zivilgesellschaftliches Bildungsengagement ein.
Aufbau und Inhalt
Im Vorwort (S. 7–8) bezieht sich der Autor auf die Demonstrationen zu Beginn des Jahres 2024, mit denen Menschen ihr Bekenntnis für eine offene Gesellschaft gezeigt haben. Manthe begrüßt dieses Eintreten für den Erhalt der Demokratie, vermutet die Ursache für ihre Krise (und den Ansatz für Veränderungen) jedoch im fehlenden Vertrauen, das nur durch Begegnungen entsteht. Und genau solche Begegnungen werden seltener, weil sich Orte verändert haben – so seine These.
In den folgenden Kapiteln, die jeweils mit Zwischenüberschriften versehen sind, entfaltet der Autor seine Argumentation:
1. Die Dorfkneipe wird unterschätzt (S. 9–22)
Nicht nur die Anzahl an Kneipen, in denen „Gemeinschaft für einen Abend“ (S. 9) entstehen könne, sei nach Manthe rückläufig, sondern auch andere Orte wie Schwimmbäder und Parks würden nicht mehr Treffpunkte sein und Begegnung mit Menschen, die anders sind als man selbst, einschränken. Alltägliche Begegnungen seien jedoch substanziell wichtig für die Demokratie, weil sich Menschen über die Regeln des Zusammenlebens und die Vielfalt ihrer Auffassungen verständigen, die Form des Austauschs und der Mitbestimmung als „Lebensstil“ erkennen und in demokratische Institutionen Vertrauen entwickeln müssten. Die Corona-Pandemie habe Begegnungen ins Virtuelle verschoben und Nähe auf den engsten Kontakt beschränkt, zu einer „berührungslosen, einsamen Gesellschaft“ (S. 16) geführt. Manthe setzt aber auf die analoge, synchrone und auf Resonanz beruhende Begegnung, die auf Wegen geschieht, „die wir sowieso gehen“ (S. 17) ohne großen Aufwand und auch auf geplante und wiederkehrende Begegnungen, die aus gemeinsamen Aktivitäten entstehen oder weil sie Regelmäßigkeit erfordern.
2. Demokratie, Zusammenhalt und Vertrauen (S. 23–36)
Manthe macht auf den inflationären Gebrauch des Begriffs Zusammenhalt aufmerksam, der zur Überwindung von Krisen in der Demokratie beschworen würde, wobei ihm bisweilen konträre Wertvorstellungen zugrunde lägen und er selten analytisch verwendet würde. Zur Konkretisierung der Faktoren des sozialen Zusammenhalts rekurriert der Autor auf den Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt (Bertelsmann Stiftung), die Zusammenhaltsstudie des Think-Tanks More in Common und die Vermächtnisstudie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und resümiert, dass der Kern des gesellschaftlichen Zusammenhalts „ein Set von Vertrauensbeziehungen von Bürger:innen ineinander und in das Gemeinwesen“ (S. 26) ist, die stärker oder schwächer ausgeprägt sein können. Die Resultate dieser sich in der Fragestellung unterscheidenden Studien ergeben insgesamt, dass im Nahumfeld Vertrauen (u.a. in sich selbst) herrscht, Begegnung aber notwendig ist, um Vertrauen in das Fernumfeld (u.a. in die Institutionen) aufzubauen. Ca. ein Drittel der Bevölkerung gerate in den politischen Debatten aus dem Blick, weil man wenig über sie wisse. Bei fast allen Menschen herrsche die Meinung, dass Politiker sich nicht für sie interessierten. Bildung erweise sich als die Variable, die den Unterschied im Vertrauen zu sich, zum Umfeld und zur Gesellschaft ausmache. Anders als vielfach behauptet, konstatiert Manthe, dass bei bestimmten Themen zwar verschiedene Meinungen existieren würden und es auch Ablehnung gegenüber Menschen gäbe, es die gesellschaftliche Polarisierung (ideologisch und affektiv) in große Lager – im Unterschied etwa zu den USA – nicht gäbe. Die Deutschen würden, so der Autor unter Rekurs auf die Untersuchung von Steffen Mau, auf bestimmte Triggerpunkte reagieren, die an Selbstverständlichkeiten nagen (z.B. Genderstern, Regulierung von Migration, Klimaschutz) und zu Konflikten führen. Basis von Demokratie sei das Vertrauen in die Strukturen und Institutionen, weswegen Toleranz, Rücksichtnahme oder Engagement für das Gemeinwesen so wichtig sei.
3. Begegnungsorte als Infrastruktur von Demokratien (S. 37–53)
In Anlehnung an Jan-Werner Müller setzt Manthe auf (intermediäre) Institutionen (Parteien, Medien, Gewerkschaften), welche die Infrastruktur für Interessens- und Konfliktaushandlung seien, Entscheidungen vorstrukturierten und die Grundlage für Vertrauen bildeten. Auch Begegnungsorte gehörten nach Manthe zu dieser Infrastruktur, weil sie Absprachen und Bindungen befördern und Resilienz erzeugen. Der Autor verweist darauf, dass in Autokratien diese gesellschaftlich relevanten sog. „dritten Orte“ infolge deren meinungsbildender Kraft besonders reglementiert würden. In Deutschland seien die „anderen“ oder „sozialen“ Orte ungleich zwischen Zentren und Peripherie verteilt und führten zu weniger allgemeiner Begegnung, welche die Gefahr des Rückzugs in Echokammern und Blasen mit sich bringe. Am Leitbegriff der inklusiven Teilhabe könne sich nach Manthe die Qualität der zivilen Infrastruktur messen lassen, jedoch hätte der gesellschaftliche Strukturwandel infolge von Privatisierungsprozessen, Sparzwängen und des Verlusts der Bedeutung von Großorganisationen verursacht, dass genau diese Infrastruktur vernachlässigt worden sei, und so zu Vereinzelung, Verinselung und Vereinsamung geführt habe. „Territoriale Ungleichheit“ (Begriff von Claudia Neu) zu überwinden und wieder heterophile Begegnungen zu erreichen, könne nicht zentral geplant werden, sondern müsse vor Ort passieren, indem z.B. generalisierte Reziprozitätserwartungen (soziales Kapital) entstünden, die auch zu Vertrauen führten. Studien zufolge begegne man sich in Deutschland am häufigsten am Arbeitsplatz, an den Orten der Alltagsroutine (Einkaufen u.a.), an öffentlichen und Freizeitorten, jedoch sei der Zugang regional sehr unterschiedlich möglich. Eine Kartografie dieser Begegnungsorte sei nicht vorhanden.
4. Zufällige Beobachtung. Was Parks, Bahnen und Straßen für die Demokratie leisten (S. 55–71)
Exemplarisch greift Manthe den Jardin du Luxembourg als Beispielort für einen Begegnungsort heraus und beschreibt, wie Menschen sich erleben können „ohne dass es anstrengend wird“ (S. 55). Während eines Tages, einer Woche oder einer Jahreszeit wechseln sich Nutzer:innen ab, weil Parks ein „multicodierter Ort“ (S. 56) sind (Erholung, Hitzereduzierung, Senke, Sportstätte u.a.), die einfach funktionieren: zufällige Beobachtung von Diversität, Koordination von Verhalten im Spiel, belanglose und inhaltsreiche Gespräche seien möglich. Beim Beobachten entstehen Erwartungen, die eintreten oder nicht, weil Menschen sich anders geben oder mit ihren nonverbalen Gesten etwas zum Ausdruck bringen, was im Kontext anders zu deuten sei. Daraus entstünden Irritationen, die nur in der Auseinandersetzung mit ihnen geklärt werden können. Ähnliche Multifunktionalität zeige sich bei Freibädern und (mobilen) Bibliotheken. Öffentlicher Nahverkehr und die Straßen seien Beispiel für Kooperation, wenngleich mit reduzierter Sprache. Der Autor berichtet über Versuche, Straßen als Mobilitäts- und Begegnungsraum umzugestalten (z.B. mittels Parklets) und sog. autofreie Zonen einzurichten und zeigt deren Wirkungen auf. Öffentliche Orte und Räume stehen nach Manthe im Kontrast zu Orten, die nicht leicht für alle zugänglich sind. Stadt- und landschaftsplanerisch seien kaum noch Zweifel an ihrer Bedeutung vorhanden. Es bleibe die Frage, ob sie Begegnung, Gespräche und Kooperation verändern: Die unmissverständliche Antwort von Manthe lautet ja, weil sie Beobachtung und Wahrnehmung aller Mitglieder eines Gemeinwesens ermöglichen, dadurch Vertrauen schaffen und dieses wiederum die Basis der Demokratie sei.
5. Sprachlicher Austausch. Wie Gespräche in Cafés, Kneipen, Buchläden und der Politischen Bildung für Verständnis sorgen können (S. 73–86)
Cafés und Kneipen befänden sich nach Manthe „an der Schwelle von Beobachtungs- zu Gesprächsmöglichkeiten“ (S. 74), hätten geringe Zugangshürden und seien von einer „fröhlichen Informalität“ (S. 75) gekennzeichnet, die sie neben Familie und Arbeitsstelle zu einem Dritten Ort werden ließen, an dem ohne Relevanz der gesellschaftlichen Rolle gesellige Interaktionen stattfänden. Statistischen Angaben zufolge schrumpfe das Gastgewerbe aber, in ländlichen Regionen gäbe es weniger Betriebe und teilweise würden einfache von schickeren Vergnügungsorten verdrängt. Gemeinsam sei den Orten der themenoffene und ungezwungene sprachliche Austausch, der bisweilen irritiere, neugierig mache und zu einer Verständigung (nicht zwingend zum Verstehen) führe. Am Beispiel des immateriellen Kulturerbes der Trinkhallen und Kioske, Spätis oder Büdchen sowie der Friseur- und Buchläden um die Ecke demonstriert Manthe wie Verständigung beim Einkauf, beim Haareschneiden oder im Austausch über ein Buch entsteht. Was an o.g. Orten alltäglich geschehe, werde in unterschiedlichen Formaten politischer Bildung (schulisch oder außerschulisch) und mit dem Ziel des Verstehens bewusst initiiert, jedoch sei die Anzahl der Veranstaltungen rückläufig. Manthe berichtet über neue Formate, Menschen ins Gespräch zu bringen, wie z.B. Begegnungsabteile in Zügen, Gesprächskassen oder Begegnungsbänke oder andere Aktionen, wie „My Country Talks“, die das Bedürfnis belegen, sich „über politische und weltanschauliche Grenzen hinweg auszutauschen“ (S. 85) und sich besser kennen zu lernen.
6. Wiederkehrende Begegnung. Wen wir in Häusern, Schulen und beim Boule im Park treffen (S. 87–100)
An der Schule verbringen viele Schüler:innen eine lange Zeit ihres Lebens: Weil das Aufeinander-Angewiesen-Sein ein ständiges Aushandeln impliziere, wurde die Schule als „Ort der Demokratie“ bezeichnet, was Manthe zufolge aufgrund ihrer Verfasstheit nur zum Teil zutreffe. Die Nachfrage nach Schulplätzen boome zwar in Deutschland, jedoch spiegele die Schülerschaft nicht mehr die „Heterogenität der umliegenden Straßenzüge“ (S. 88) wider. Trotz Schulsprengelregelungen setze sich die soziale Segregation durch, weil Eltern ihre Kinder nur in homogener Umgebung beschult sehen möchten. Weiterführende Schulen würden sowieso meist von bildungsnahen Milieus besucht, sogar an Ganztagsschulen setze sich der Trend fort, wenn die Privilegierten wiederum auch in der Freizeit im Ganztag nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Lebenslagen zu tun hätten und deren Eltern ebenso wenig in Berührung kämen. Heterogene Milieus lernen sich nicht mehr kennen, hätten kein Verständnis füreinander und kein Vertrauen zueinander. Jede:r verfolge nur die eigenen Ziele, Kompromisse würden seltener. Auch am Arbeitsplatz, so der Verfasser, sei das Zusammenwirken effektiver, wenn die Arbeitnehmer:innen nicht Dienst nach Vorschrift machten, sondern sich um informelle Lösungen bemühten und dabei nebenher viel übereinander – auch an geselligen Orten wie einer Kaffeeküche – erführen. Die Covid-Pandemie habe all das auf ein Minimum zurückgedrängt und die Zahl der realen Begegnungen sinken lassen. Selbst in den boomenden Fitnessstudios würde das individuelle Training („jeder schwitzt für sich allein“, S. 96) vorherrschen, Gruppenangebote seien nicht gefragt, sondern „Sport à la cart“ (S. 97), bei dem kaum ein Beziehungsaufbau stattfinde. Das Modell des Dorfladens, wie es in ländlichen Gegenden versucht werde, habe Potenzial die Begegnung der verschiedenen Menschen wieder herzustellen. Am Beispiel von Singapur verdeutlicht Manthe, wie intelligente Stadtplanung die sozialen Infrastrukturen gleich mitbedenkt und zu einer heterogenen Bewohner:innenschaft führt.
7. Gemeinsame Aktivität. Engagement in Warteschlangen, beim Urban Gardening, im Ehrenamt und auf der Arbeitsstelle (S. 101–113)
Selbst das Schlangestehen anlässlich eines begehrten Zweckes erfordere, so der Autor, eine einfache Kooperation im Vorwärtskommen, komplexer seien Aktivitäten zur gemeinsamen Freizeitgestaltung im Freien, wie etwa Boule, Boccia, Schach oder Gärtnern. Spielregeln beachten, sich einmischen, sich beraten, etwas ausprobieren erfordere Interaktion, die auch eine emotionale Facette beinhalte und etwas zum Gemeinwesen beitrage. Manthe breitet das Portfolio der „Ehrenamtslandschaft“ (S. 105) aus, das für viele Menschen, ganz besonders auch Ältere, zum Alltag gehöre und in Ergänzung zu staatlichen Leistungen wirksam werde. Die genaue Datenanalyse mache deutlich, dass sich ein „unsichtbares Drittel“ (S. 106) aus pragmatisch Orientierten und Enttäuschten weniger einbringe. Insgesamt sei die Zahl der Vereine im Sinken begriffen, wobei die Sportvereine die höchsten Verluste zu verzeichnen hätten. Die geringer werdende Zahl an Mitgliedern in den größten beiden Kirchen habe eine Erosion deren Bedeutung eingeleitet. Religiöse Stätten seien weniger häufig Begegnungsorte. Zugleich entstünden veränderte Formen von Engagement: So erfreuten sich weniger normierte Formate wie Urban Gardening oder Patenschaftsprojekte (z.B. Menschen stärken Menschen) zunehmender Beliebtheit und schafften Optionen zivilgesellschaftlichen Tuns. Am Beispiel der Volkshochschulen und auch der Arbeitsstelle verdeutlicht der Autor, wie wichtig eine Infrastruktur sei, um mithilfe derer über gemeinsame Interessen, Aufgaben oder Ziele weitere Verständigung anzubahnen.
8. Digitale Begegnung und Demokratie – die Zukunft? (S. 115–124)
Im Unterschied zu analogen sind digitale Begegnungen, wie Manthe es ausdrückt, „stärker inszeniert“ (S. 117), denn vorwiegend seien nur solche dabei, die auch eingeladen seien. Dating-Apps führen zwar auch zu überraschenden Begegnungen, hinter ihnen liege aber ein Algorithmus, der vorher bearbeitetes Material „vorsortiere“ und matche. Online-Communities, wie z.B. Watch-Parties oder Gaming-Communities simulierten analoge Begegnungen stärker, im Mittelpunkt stehe die gemeinsame Aktivität. Beides sei noch nicht weit verbreitet, maßgeblich würden sie vom Vorhandensein von Digitalkompetenzen bestimmt, die wiederum je nach Bildungsstand, beruflicher Tätigkeit, Alter und Geschlecht stark differierten. Die für die Beurteilung der Qualität von Informationen nötige Medienkompetenz sieht der Autor mit Verweis auf Studien als unterentwickelt an. In einer Zeit, in der kurze Informationen in rascher Geschwindigkeit abgesetzt würden (die auch die Basis von Journalisten darstellten), sei es schwierig, zu erkennen, ob Sachverhalte ausgewogen repräsentiert würden oder sich das durchsetze, was auffälliger, lauter und anders sei. Manthe zufolge seien nicht die Plattformen das Problem, sondern das „false balancing“ (bestimmte Positionen sind stärker medial vertreten als in der Gesellschaft vorhanden) treibe die Polarisierung voran. Resümierend schlussfolgert der Autor, dass digitale Technologien Chancen böten, Menschen einzubeziehen, Distanzen zu überwinden und Entscheidungen zu unterstützen; analoge Begegnungen ersetzten sie nicht.
9. Für eine Politik der Begegnung. Ein kurzer Rückblick und zehn Handlungsempfehlungen (S. 125–135)
Aus der Analyse der Bedeutung von Alltags-Begegnungen leitet Manthe zehn Vorschläge ab, die im Zusammenspiel demokratieförderlich sein können:
- „Vor Ort wissen sie es am Besten“ (S. 128)
- Menschen ausprobieren lassen statt sie mit Bürokratie zu verschrecken
- „Diverse Nachbarschaft verbindet“ (S. 130) oder „Mietenpolitik ist Begegnungspolitik“ (S. 130)
- „Hürden gering halten“ (S. 130) heißt inklusiv sein und eine hohe Qualität aufweisen
- Neue Allianzen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat bilden
- Den Staat z.B. in Begegnungsinfrastrukturen positiv erfahrbar machen
- Orte multifunktional nutzen und neue Partner zusammenbringen
- Orte nicht Demokratie nennen, sondern sie mit Tätigkeiten oder Dingen ansprechen, die sie sowieso interessieren (z.B. Heimwerken)
- „Vergesst das Land nicht“ (S. 134) und
- „Schafft eine grüne, eine liberale, eine sozialdemokratische, eine linke und eine konservative Theorie der Begegnungsorte“ (S. 134).
Die Danksagung (S. 137–138) gibt die Begegnung preis, aus der heraus die Idee zum Buch entstanden ist und erwähnt die vielen, die an der Umsetzung beteiligt waren.
Die Anmerkungen (S. 139–154) enthalten die einen leichten Lesefluss fördernden Fußnoten mit Belegliteratur, jeweils nach Kapiteln sortiert.
Diskussion
Dieses Buch lenkt die Aufmerksamkeit auf das Geschehen im Mikrokosmos des Alltags, in dem der Autor die Basis für eine demokratische Gesellschaft verankert sieht. Und es geht darum, wie in diesen flüchtigen, oft als belanglos wahrgenommenen und häufig vorsprachlichen Interaktionen Momente des Abtastens von Unterschieden und Gemeinsamkeiten passieren, die ebenso wesentlich sind, um demokratische Prozesse in Gang zu setzen. Manthe weist nach, wie und wodurch sich demokratische Infrastrukturen sukzessive zurückgebildet haben, mit der Konsequenz von fehlenden oder erst wieder neu zu etablierenden sozialen Orten, an denen genau diese Nuklei demokratisierender Prozesse entstehen. Der Autor vermag es in der Beschreibung, das Verschwinden und Entstehen von Orten in der Balance zu halten, und damit einer Glorifizierung vergangener Zustände unkritisch zu verfallen. Seine euphorisch behaftete Botschaft über die Chance von alltäglichen Begegnungsorten, milieuheterogene andere Menschen zu treffen, bildet einen konsistenten roten Faden des Buches, der im Kern seine These strukturiert: Manthe selbst weist darauf hin, dass es faktisch viel differenzierter ist, weil sich nämlich auch beim Einkauf und in der Mobilität längst separate Milieus gebildet haben, wenngleich vor Ort (Zentrum oder Peripherie) unterschiedlich ausgeprägt. Unabhängig davon ist sein Buch als Appell an die politische Gestaltung im Kleinen wie im Großen zu lesen, dem Zusammenkommen der Mitglieder wortwörtlich auch Platz einzuräumen, woraus nicht nur Begegnung, sondern auch zivilgesellschaftliches Engagement, Verständigung und Vertrauen in die Demokratie entstehen. Manthe vertraut auf die Selbstorganisationsfähigkeit und Initiative von Menschen, wenn man sie lässt und nicht auf das Verplanen und Durchregieren bis ins Kleinste. In den kleinen Einheiten und Netzwerken liege seiner Ansicht nach der Keim für die Resilienz der Gesellschaft, auch die demokratiegefährdenden Anfeindungen auszuhalten.
Dieses Buch liefert sehr viele Impulse und rekurriert immer wieder auf die Kernaussagen. Die kurzen Zusammenfassungen am Ende der Abschnitte beinhalten auch die Überleitung zum folgenden Gedanken. An manchen Stellen wirken die Zwischenüberschriften leicht irritierend.
Fazit
Das Buch kann als Basislektüre empfohlen werden für alle Anlässe, die demokratieförderliche Initiativen verlangen oder integrieren wollen.
Rezension von
Prof. Dr. Irmgard Schroll-Decker
Lehrgebiete Sozialmanagement und Bildungsarbeit an der Fakultät Sozial- und Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
Website
Mailformular
Es gibt 79 Rezensionen von Irmgard Schroll-Decker.
Zitiervorschlag
Irmgard Schroll-Decker. Rezension vom 23.12.2024 zu:
Rainald Manthe: Demokratie fehlt Begegnung. Über Alltagsorte des sozialen Zusammenhalts. transcript
(Bielefeld) 2024.
ISBN 978-3-8376-7141-4.
Reihe: X-Texte zu Kultur und Gesellschaft.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32854.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.