Susanne Nußbeck: Einführung in die Beratungspsychologie
Rezensiert von Prof. Dr. rer. nat. Annette van Randenborgh, 14.01.2025

Susanne Nußbeck: Einführung in die Beratungspsychologie. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2024. 5. aktual. Auflage. 219 Seiten. ISBN 978-3-8252-6316-4. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR, CH: 32,50 sFr.
Thema
Psychosoziale Beratung ist ein zentrales Querschnittsthema für helfende Berufe – sei es in Form von einem ausführlichem, systematischen Beratungsprozesse oder in Form von „Tür-und-Angel-Gesprächen“. Das vorliegende Werk deckt die psychologischen Beiträge zu einer wirksamen Beratungswissenschaft auf, spart aber auch Beiträge aus anderen Disziplinen und die historische Perspektive nicht aus, sodass ein breites Einführungswerk in die Praxis und Wissenschaft der Beratung entsteht.
Autorin und Entstehungshintergrund
Susanne Nußbeck ist Professorin i.R. an der Humanwissenschaftlichen Fakultät zu Köln, Department Heilpädagogik und Rehabilitation. Sie war Leiterin des Zentrums für Diagnostik und Förderung (ZeDiF). Ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Beratung, Begutachtung und Entwicklungspsychologie. Ihr Werk „Einführung in die Beratungspsychologie“ erschien 2006 in der Erstauflage und ist 2024 in einer aktualisierten fünften Auflage erschienen.
Aufbau und Inhalt
Kapitel 1 führt in die Beratungspsychologie ein, beleuchtet ihre historische Entwicklung, definiert den Begriff der Beratung und grenzt sie von Therapie und Mediation ab. Eine Abgrenzung vom Begriff Coaching hätte zusätzlich interessiert, wird aber an dieser Stelle nicht vorgenommen. Zudem werden ethische und rechtliche Fragen behandelt, die für die Beratungsarbeit von Bedeutung sind.
Kapitel 2 widmet sich den Grundlagen der Kommunikationspsychologie. Es erklärt verschiedene Kommunikationstheorien und Modelle, geht auf nonverbale Kommunikation ein und zeigt deren Bedeutung in der Beratung auf.
Kapitel 3 stellt Beratungsschulen vor, wobei den genuin psychologischen Ansätzen mit ihrem Ursprung in einem Psychotherapieansatz (psychoanalytischer, personenzentrierter und kognitiv-behavioralen Ansatz) Priorität gegeben wird. Erfreulich ist, dass die Autorin einen Ressourcenorientierten Ansatz in der Beratung ausführlich darstellt, obwohl dieser nur selten als eigenständige Beratungsrichtung oder gar als „Beratungsschule“ gilt. Weil er die praktische Arbeit in der psychosozialen Beratung besonders gut charakterisiert, scheint dies aber dennoch gerechtfertigt.
Kapitel 4 beschreibt den Beratungsprozess im Detail. Es thematisiert die Gestaltung von Beratungssettings, den Ablauf von Beratung in Gruppen, Diagnostik sowie die – in aller Kürze – die Anwendung von Techniken und Methoden in der Praxis. Hier findet sich auch ein Abschnitt zur Krisenintervention.
Kapitel 5 befasst sich mit der Beziehungsgestaltung in der Beratung und betont die immense Bedeutung einer tragfähigen Beziehung. Beinahe die Hälfte des Kapitels ist dem Thema Burn-out der Beraterin/des Beraters gewidmet. Es wird herausgearbeitet, wie ungünstige Beziehungsdynamiken ein Burn-out anbahnen können und wie professionelle Beziehungsgestaltung präventiv wirken kann.
Kapitel 6 beschäftigt sich mit der Evaluation von Beratungskonzepten und -prozessen. Es beschreibt, wie Supervision, Forschungsansätze und Qualitätsmanagement dazu beitragen, die Wirksamkeit und Effizienz von Beratung zu überprüfen und zu verbessern. Eine ausgewogene Darstellung von qualitativer und quantitativer Forschungsmethodik macht dieses Kapitel besonders wertvoll.
Kapitel 7 stellt sechs Beratungsfelder mit ihren Besonderheiten in Setting, Beratungsmethoden und rechtlichen Rahmenbedingungen dar: Erziehungs- und Familienberatung, Beratung in Schulen, Aus- und Weiterbildung, Entwicklungsberatung und Frühförderung, Beratung bei chronischer Krankheit/Behinderung, Suchtberatung und Migrationsberatung. Besonders in diesem Kapitel sind die Fallbeispiele sehr lebendig und illustrativ.
Das Buch endet mit einem kurzen Ausblick auf aktuelle Entwicklungen und wünschenswerte zukünftige Entwicklungen des Feldes. Leider wird hier das Thema KI ausgespart, das schon in naher Zukunft viel Einfluss auf die Beratungslandschaft ausüben kann.
Diskussion
Das Fachbuch hinterlässt insgesamt einen positiven Eindruck, bietet aber auch Raum für Verbesserung. Besonders erfreulich ist die hohe Übersichtlichkeit, die durch die gut durchdachten didaktischen Elemente erreicht wird. Symbole am Rand des Fließtextes erleichtern die Orientierung und helfen, wichtige Informationen schnell zu erfassen. Auch das Glossar ist eine willkommene Ergänzung, allerdings wäre es hilfreich, wenn im Text Hinweise darauf gegeben würden, welche Begriffe dort nachgeschlagen werden können.
Eine leichte Irritation ergibt sich aus der Ausrichtung des Buches: Obwohl es „Beratungspsychologie“ heißt, handelt es sich eher um eine allgemeine Einführung in die Beratungswissenschaft, ein interdisziplinäres Feld. Die Referenzen, die das Buch stützen, sind teilweise recht alt, wobei in der aktuellen Auflage einige der älteren Daten durch neue Statistiken ersetzt und ergänzt wurden.
Bei der Auswahl der Inhalte überzeugt das Buch in einigen Bereichen besonders. Themen wie Beratungsforschung und Qualitätsmanagement werden erfreulich ausführlich behandelt, was in anderen Werken oft zu kurz kommt. Dieser Schwerpunkt ist ein echter Mehrwert, insbesondere für Leser*innen, die sich mit der konzeptionellen Ausrichtung und Leitung von Beratungsstellen befassen. Andererseits hätten bei anderen Themen, wie etwa der Diagnostik mit standardisierten Verfahren, mehr Tiefe und psychologische Perspektiven gutgetan, um der Titelbezeichnung „Beratungspsychologie“ voll gerecht zu werden.
Fazit
Zusammenfassend bietet das Buch eine solide Grundlage für Leser*innen, die sich einen Überblick über Beratung als Wissenschaft und Praxis verschaffen möchten. Es punktet mit seiner Übersichtlichkeit und der ausführlichen Behandlung spezifischer Themen, zeigt aber Potenzial für noch stärkere psychologische Fokussierung und Aktualität.
Rezension von
Prof. Dr. rer. nat. Annette van Randenborgh
Psychologische Psychotherapeutin
Fachhochschule Münster
Fachbereich 10, Sozialwesen
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Es gibt 2 Rezensionen von Annette van Randenborgh.