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Philipp Ruch: Es ist 5 vor 1933

Rezensiert von Wolfgang Schneider, 30.12.2024

Cover Philipp Ruch: Es ist 5 vor 1933 ISBN 978-3-453-28175-2

Philipp Ruch: Es ist 5 vor 1933. Was die AfD vorhat – und wie wir sie stoppen. Ludwig (München) 2024. 2. Auflage. 223 Seiten. ISBN 978-3-453-28175-2. D: 16,00 EUR, A: 16,50 EUR, CH: 21,93 sFr.

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Thema

Die Brandmauer bröckelt: War die AfD bis vor einiger Zeit noch nahezu isoliert, scheinen sich immer größere Teile von Politik und Gesellschaft mit ihren menschenfeindlichen Positionen, dem Rassismus, dem Sexismus und der antidemokratischen Rhetorik abzufinden. Philipp Ruch zeigt auf, was droht, wenn eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei an die Macht kommen würde.

Autor

Philipp Ruch, geboren 1981, ist der Gründer und künstlerische Leiter des „Zentrums für Politische Schönheit“, mit dem er sich in spektakulären und radikalen Aktionen seit Jahren dem Rechtsextremismus in den Weg stellt. Seine Arbeiten verwischen dabei bewusst die Grenzen von Fiktion und Realität. Philipp Ruch studierte politische Philosophie und Ideengeschichte mit abschließender Promotion und lebt in Berlin.

Aufbau und Inhalt

Die AfD ist eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei – und sie bereitet sich darauf vor, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sollte ihr das gelingen, würde sie zügig ihren Plan umsetzen: die Demokratie abschaffen und Deutschland von innen her umbauen. Wie können wir das ganze Ausmaß dessen, was ein AfD-Staat anrichten würde, heute schon erfassen? Philipp Ruch blickt zurück in die politische Vergangenheit des Landes und stellt sich der Frage, ob unsere Abwehrpolitik gegen die AfD heute besser ist als die damalige gegen die NSDAP. Dazu hat der Gründer des „Zentrums für Politische Schönheit“ über 2000 Beweisstücke für die Verfassungsfeindlichkeit der AfD zusammengetragen, die keinen Zweifel daran lassen, dass diese Partei längst hätte verboten werden müssen. Er warnt eindringlich davor, der AfD weiterhin so verhängnisvoll tolerant zu begegnen, und ruft stattdessen dazu auf, endlich zu handeln – denn: unsere Demokratie, die Freiheit und viele Menschen sind in ernster Gefahr! Ist die AfD eine Gefahr für Deutschland? Wie radikal ist sie?

Steht die AfD noch auf dem Boden des Grundgesetzes? Das zweite Kapitel bietet dazu eine kleine Orientierungshilfe: Wer will was in der AfD? Dabei räumt Philipp Ruch mit dem seiner Meinung nach verharmlosendem Bild der ‚Protestpartei‘ unter dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland auf, der von vielen einfach nur als ‚konservativ‘ bezeichnet wird. Dass dem bei Weitem nicht so ist, zeigt der Autor auf – und das eben nicht durch Zitate oder verirrte Posts in den sozialen Medien von Randgestalten aus dem AfD-Spektrum. Sondern anhand der obersten Parteiprominenz, die für das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zentral ist, weil das Verbotsverfahren sich auf die Verantwortlichen konzentriert, die die Partei lenken und steuern. Hier treten diejenigen auf, die in einer AfD-Regierung Ministerposten übernehmen und die 15 Geschicke des Landes leiten würden. „Was ich hier ausführe, stammt nicht von verpeilten Hinterbänklern, sondern von den Anführern, den Verführern, den Volksverführern, die in der AfD das Sagen haben (…) Die erste Garde wird Ihnen auf den folgenden Seiten persönlich darlegen, warum der Partei ein Strick gedreht gehört“ (S. 15 f.). Aus den Recherchen von Philipp Ruch, den öffentlichen Quellen, der Forschungsliteratur und den Geheimgutachten des Verfassungsschutzes, die der Öffentlichkeit nur in Teilen zugänglich sind, ergibt sich, dass die Partei längst hätte verboten werden müssen. Und so diskutiert Ruch viele (nicht nur für ihn) brennende Fragen, die er nicht nur an die Leser:innen richtet, sondern eben auch an Vertreter:innen der demokratischen Parteien in diesem Land:

  • Wollen sie die Verfassung preisgeben? Sich in den Staub werfen vor einer Partei, die im Osten des Landes stärkste Kraft ist?
  • Wollen sie ihre Komplizen um sozialen Frieden anflehen?
  • Wollen sie denen freie Hand lassen, die die Freiheit in Deutschland für immer beseitigen wollen? Den idealistischen Versuch wagen, unseren Feinden die Freiheit einzuräumen, alles abzureißen?

Um das einordnen zu können, beschreibt Philipp Ruch, was in der Endphase der Weimarer Republik geschah, ordnet ein, dass diese junge Demokratie sich gegen die Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten erwehrte – und dass ihm genau dieses Gefühl heute fehlt. Was auf dem Spiel steht, wird deutlich, wenn der Autor die Vergangenheit und die Gegenwart zu einem Ausblick vermengt. Aber er zeigt eben auch, dass Demokratie wehrhaft sein kann und dass es sich lohnt zu kämpfen.

Diskussion

Was die AfD will, das wissen wir doch alle, oder? Schließlich sind wir aufmerksam dabei, uns in vertrauenswürdigen Medien jedweder Art politisch zu informieren. Aber – und das ist vielleicht die erschreckendste Erkenntnis an diesem Buch – weit gefehlt: Wir wissen wenig bis nichts. Wer in die Tiefen dieses politischen Kosmos‘ einsteigt, der wird Dinge lesen, von denen er*sie noch nie gehört hat. Und gerade das macht dieses Buch so lesenswert. Wenn Philipp Ruch die Spitzen dieser Partei in seinen Zeilen sprechen lässt, entlarven sie sich selbst, machen Wort für Wort deutlich, was sie wollen – und machen deutlich, was da drohen könnte. Die geschickte Verknüpfung zwischen dem Ende von Weimar und dem Ende des ersten Drittels des 21. Jahrhunderts liest sich dramatisch, an manchen Stellen vielleicht sogar zu dramatisch. Aber vielleicht tut das ja Not, um die Menschen aufzurütteln. Womit wir beim größten Problem wären: Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen, die die AfD wählen, genau diesen lesenswerten Titel kaufen und auch lesen, dürfte (leider) gering sein. Wie so häufig – Stichwort confirmation bias – werden sich hier Menschen informieren, die eh schon eine Ahnung davon haben, für was diese Partei steht, und wahrscheinlich nicht auf dem Wahlzettel das Kreuz für die AfD setzen. Und das ist der vielleicht einzige Schwachpunkt dieses faszinierenden Buches: Gegen das Erstarken der AfD zu kämpfen ist das Eine, verstehen und ändern zu wollen, warum sich auch Menschen ohne ein verfestigtes rechtsextremes Weltbild zu ihren Wähler:innen zählen das Andere.

Fazit

Hinterher soll niemand sagen, es sei nicht klar gewesen, was die AfD wirklich wolle: Philipp Ruch kämpft mit jedem Wort für unsere Demokratie. Ob er mit seinen deutlichen, teilweise erschreckenden Worten jedoch die überzeugen wird können, die sich nicht gesehen, vom ‚System‘ abgehängt fühlen, das darf bezweifelt werden – was aber nicht an diesem grandiosen Buch liegt.

Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 30.12.2024 zu: Philipp Ruch: Es ist 5 vor 1933. Was die AfD vorhat – und wie wir sie stoppen. Ludwig (München) 2024. 2. Auflage. ISBN 978-3-453-28175-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32861.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.


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