Cornelia Schneider: Gesund Führen in der hybriden Arbeitswelt
Rezensiert von Thomas Reinhardt, 13.05.2025

Cornelia Schneider: Gesund Führen in der hybriden Arbeitswelt. Soziale Resonanz statt Führen auf Distanz. Hogrefe AG (Bern) 2024. 208 Seiten. ISBN 978-3-456-86311-5. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,50 sFr.
Thema und Autorin
„Gesund führen in der hybriden Arbeitswelt“ ist ein weiteres Buch der Diplompsychologin und Physiotherapeutin Cornelia Schneider zum Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM). Auf 208 Seiten stellt sie die besonderen Herausforderungen dar, die die hybride Arbeitswelt den Führungspersonen stellt, wenn diese auch weiterhin „gesund“ führen wollen. Cornelia Schneider, die auch als systemische Coach arbeitet und Lehrbeauftragte an der Universität Lübeck ist wurde mit dem Wissenschaftspreis des Zentralverbands der Physiotherapeuten und dem internationalen Balintpreis des Schweizerischen Roten Kreuzes ausgezeichnet. Sie legte mit ihrem ersten, 2010 erschienenen Band „Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz“, bereits ein praxisorientiertes Handbuch vor. Dieses Buch beeinflusste viele Fachpersonen, die sich mit der Umsetzung von BGM in den Betrieben befassen, wie der Rezensent aus seiner eigenen Erfahrung als Dozent in diesem Bereich zu berichten weiß (siehe Rezension: https://www.socialnet.de/rezensionen/​11029.php )
Ziel dieses Bandes ist es, konkrete Handlungshilfen in unterschiedlichen Formen, wie Reflexionsfragen oder Videos, anzubieten, damit „Führungskräfte…… eine Form des ‚digitalen Humanismus‘; vorleben.“ (siehe Klappentext)
Angesprochen werden „Führungskräfte aller Ebenen und alle, die an gesunden Arbeitswelten interessiert sind“ (S. 15).
Aufbau
Das vom Hogrefe Verlag herausgegebene Buch wird mit illustrierenden Grafiken, blau hinterlegten Zusammenfassungen und zu Videos weiterführenden QR-Codes angeboten. In 6 Kapiteln wird das Thema beleuchtet. Die Quellen sind mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis belegt und ein Stichwortverzeichnis fehlt auch nicht.
Inhalt
Im Prolog stellt Cornelia Schneider fest, dass es die Aufgabe von Führungsverantwortlichen ist, „arbeitsplatzspezifische Verhaltensweisen zu steuern und Strukturen und Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Menschen gut und gesund arbeiten können.“ (Seite 11). Dazu müssen sie unterscheiden zwischen BGF (Betrieblicher Gesundheitsförderung) und PGF (Privater Gesundheitsförderung). Diese Unterscheidung ist eine Basis zum Verständnis der nachfolgenden Ausführungen. Im Zentrum steht die hybride Arbeitsform, die sich im Überlappungsbereich von analogem und digitalem Arbeiten verorten lässt. Die Autorin geht der Frage nach, die Ergebnisse von Studien zur Produktivität bei hybridem Arbeiten aufwerfen: Wie kann es sein, dass Studien eine Produktivitätssteigerung von bis zu 24 % feststellen und andere einen Verlust von 8–19 %? Könnte es vielleicht sein, dass dieses Delta durch unterschiedliche Führungsqualität zu erklären ist, wie das der Wirtschaftswissenschaftler Nick Bloom vermutet?
Ausgehend von der Frage der „Haltung“ im ersten Kapitel und dem SAR-Modell (Systemisches Anforderungs-Ressourcenmodell von Peter Becker, 2006) und der WISIATI-Regel des Verhaltenspsychologen Daniel Kahnemann, „What I see is all there is“, fordert sie zur Selbstreflexion zum Thema hybriden Arbeitens auf. Wie stehe ich selbst dazu? Schneider beschreibt vier Führungsszenarien, die von der digitalen Ersetzung der Führungskraft bis zur Feststellung, dass gerade im hybriden Arbeiten Führung besonders wichtig ist, reichen. Sie postuliert deutlich eine Abkehr von den selbsterfüllenden Prophezeiungen, die stattfinden können, wenn man Mitarbeitende in „Generationen“ aufteilt und unterscheidbar machen möchte. Sie fordert stattdessen vehement ein „lebensphasenorientiertes“ Führungsmodell, dass auch ein positives Altersbild beinhaltet. Eine Tabelle zur Reflexion gesundheitsförderlicher Führung in altersgemischten Teams stellt Fragen, die helfen sollen, den Veränderungsbedarf zu identifizieren. Ohne sich auf den Soziologen Hartmut Rosa (Autor eines Grundlagenbuches zur „Resonanz“) zu beziehen, befasst sie sich im zweiten Kapitel mit dem „Menschen als soziales Resonanzwesen“ und zitiert dabei das Riemann-Thomann-Modell. Sie nutzt dieses Modell auch in ihren Coachings und webt Fallbeispiele zur Illustration der Bedeutung für das Führungshandeln mit ein. Sie relativiert jedoch sogleich das Modell und betont, dass es keine Persönlichkeitsmerkmale beschreibt, sondern situativ einzusetzen ist, um hilfreich zu sein. In einem Exkurs zum Thema „Wertschätzung und echte Anerkennung“ führt sie ein Kurzinterview mit der Arbeitsmedizinerin, Dr. Anne Katrin Matyssek, zum Kontext „Anwesenheitsmanagement“ durch. Matyssek hat eine „4x2 Mögen-Matrix“ entwickelt, mit der sie Fehlzeiten zugunsten von „Echten Anwesenheiten“ ersetzen möchte. Körpersprache, Fehlerkultur sind weitere Gesichtspunkte, die Cornelia Schneider im Kapitel zur Resonanz beschreibt.
Für den deutschen Lesenden nimmt sie Bezug auf die seit 2013 gesetzlich vorgeschriebene regelmäßige Beurteilung der psychischen Belastung am Arbeitsplatz (GBU) und liefert eine Checkliste zur Verantwortung von Führungskräften. Das Kapitel schließt mit dem im blauen Kasten hervorgehobenen Merksatz: „Führungskräfte können ihre Rolle und ihre Aufgaben in der GBU Psyche jedoch nur erfüllen, wenn das Unternehmen die Rahmenbedingungen dafür schafft und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellt.“ (siehe Seite 69)
Eine Fülle an konkreten Tools zur Entwicklung einer verknappten Kommunikation unter hybriden Bedingungen, die nicht verflacht und dem „Proximity-Bias“ entgegenwirkt, verbindet sie mit vielen Reflexionsfragen und Praxisbeispielen. Der „Proximity-Bias“ beschreibt das psychologische Phänomen, dass wir Menschen, die uns räumlich näher sind, positiver bewerten und mehr bevorzugen als Menschen, die wir seltener sehen.
Im Kapitel „Organisation – Abschied von der Macht der Führungsrolle“ stellt sie neue Formen der Zusammenarbeit vor, die unabhängig von Hierarchien das Ziel verfolgen, dass die Organisation für die Menschen da ist und nicht umgekehrt. Beispielsweise mit Kooperationswerkstätten, die regelmäßig organisiert werden, analysieren die Teams zusammen mit ihrer Führung die zur Verfügung stehenden Ressourcen und die Anforderungen bzgl. der Arbeitsorganisation. Es werden gemeinsam Möglichkeiten zur Verbesserung erarbeitet. Beispielsweise werden „Kooperationssprints“ bei der Otto Group oder hierarchiefreie, länderübergreifende Communities bei T-Systems gefördert. Beim hybriden Arbeiten geht es schließlich um die bewusste Auseinandersetzung mit den beiden Polen Regulation einerseits und Autonomie andererseits.
Der Umgang mit den vielen Ablenkungen, die mit dem digitalen Arbeiten verbunden sind, benötigt „Aufmerksamkeit“. Aufmerksamkeit nach innen, zu anderen Menschen und in Bezug auf das System. Home Office, „Zoom-Fatigue“, „Work-Life-Blending“ (damit ist die flexible Arbeitszeitgestaltung gemeint) erfordern auch ergonomische Rahmenbedingungen und ein Wissen, darüber, seinen Arbeitsplatz gesundheitsfördernd zu gestalten. Auch dieses Kapitel schließt mit „Stimme aus der Praxis“ ab. Cornelia Schneider führt ein Interview mit der Personalchefin der Landeshauptstadt Saarbrücken, Petra Messinger: „Gute Führung kann nur mit gut ausgebildeten und selbstreflexiven Führungskräften gelingen.“ (Seite 139) Um diese zu unterstützen, erhalten die Führungskräfte regelmäßige „Kurzimpulse“ auch zu psychologischen Themen, die bei virtueller Führung zu beachten sind. Sie weist auch auf die Grenzen des digitalen Transformationsprozesses hin, wenn Menschen nicht für diesen bereit sind.
Kapitel 5 widmet sich der Resilienz. Originell erklärt Schneider die ihr zugrunde liegende Theorie der Salutogenese von Antonovsky mit der Melodie der Sesamstraße: „Wer -wie – was? Wieso – weshalb -warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm“ und meint damit das Kohärenzgefühl mit den drei Komponenten der Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit. Für jedes der für die Resilienz verantwortlichen Entwicklungsfelder, bei Schneider sind dies acht, führt sie Beispiele aus der Praxis zur Illustration heran, um eine ressourcenorientierte Haltung zu unterstützen.
Abschließend geht es im Kapitel „Die gesunde Führungskraft“ um die vier Lebensqualitäten: Körper, Arbeit, soziale Beziehungen und Kreativität/Spiritualität. Sie stellt dies anhand eines vier-poligen Spinnenmodells dar. Auch hier hilft ein QR-Code zu einem von Schneider selbst gesprochenen Video zur Illustration des Modells, das die Energieverteilung in diesen Bereichen zu visualisiert. Schließlich geht es darum, sich klarzumachen, über welche Bereiche wir einen Einfluss haben und über welche nicht, und dass wir „machen“ sollten statt zu „meckern“ und „umschalten“ sollte statt „abschalten“.
Philosophische Zitate stellt sie über Praxisbeispiele ihrer Coachingarbeit und zeigt die existentielle Tiefe des Themas auf. Das letzte Zitat von Georg Lichtenberg möchte ich hier wiedergeben: „Und man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.“ (Seite 192).
Diskussion
Auf weniger als 200 Seiten stellt Cornelia Schneider mit „Gesund führen in der hybriden Arbeitswelt“ Wissen zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement für Führungsverantwortliche zur Verfügung. Dieses Buch ist die praxisorientierte Fortsetzung ihres Grundlagenbuches adaptiert auf die Herausforderungen der neuen Arbeitswelt mit ihren Mischformen aus analoger und digitaler, selbstbestimmter und fremdbestimmter Arbeitsorganisation. Fundierte Modelle aus der verhaltenspsychologischen Forschung und neue, originelle Ansätze und Hilfsmittel kombiniert sie mit vielen Beispielen und Gesprächen mit Führungsverantwortlichen. Das Buch liefert von daher Hintergrundwissen und konkret einsetzbare Tools. Führung, die auch die Gesundheit fokussiert ist selbstreflexiv, aufmerksam und selbstfürsorgend. Im ausführlichen Literaturverzeichnis vermisse ich zwei Hinweise auf Autoren, die für das besprochene Thema aus meiner Sicht sehr relevant sind und ich kann es mir nicht verkneifen, diese zu erwähnen: Hartmut Rosa mit seiner Arbeit, insbesondere zur Resonanz und Heinrich Geissler mit seinem Buch zum „Anerkennenden Erfahrungsaustausch“.
Fazit
Cornelia Schneider möchte ich für dieses für das Betriebliche Gesundheitsmanagement in hybriden Zeiten sehr wichtige Buch danken. Es liefert effektiv eine Vielzahl von situativ brauchbaren Instrumenten zur Unterstützung selbstreflexiven Führungshandelns.
Rezension von
Thomas Reinhardt
Diplomierter Berater für Organisationsentwicklung. Arbeitet freiberuflich in «Organisation & Gesundheit» in den Bereichen Organisationsentwicklung, Gesundheitsmanagement, Konfliktmoderation, Coaching für Führungsverantwortliche, Teamentwicklung und Supervision. Schwerpunkte: Gesundheit und Führung, Change-Management, Leadership, Kommunikation, Psychohygiene und Glück. Er ist Präsident der Sozialhilfebehörde in der Gemeinde in der Schweiz, in der er lebt.
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