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Klaus Kokemoor, Thomas Harms (Hrsg.): Blackbox Medienkonsum

Rezensiert von Stefanie Witter, 24.03.2025

Cover Klaus Kokemoor, Thomas Harms (Hrsg.): Blackbox Medienkonsum ISBN 978-3-8379-3380-2

Klaus Kokemoor, Thomas Harms (Hrsg.): Blackbox Medienkonsum. Kinder beim Aufwachsen in der digitalisierten Welt gut begleiten. Eine Orientierung für Eltern und Fachkräfte. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2024. 282 Seiten. ISBN 978-3-8379-3380-2. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.
Reihe: Neue Wege für Eltern und Kind.

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Thema

Steigender Medienkonsum stellt Eltern und PädagogInnen vor die Herausforderung, einen verantwortungsbewussten Umgang mit Medien für ihre Kinder und Schützlinge zu finden. Was passiert, wenn Kinder Medien in erhöhtem Umfang konsumieren? Wie viel Medienkonsum ist einerseits zu viel und andererseits notwendig, um Medienkompetenz zu erlangen? Und was heißt überhaupt zu viel? In „Blackbox Medienkonsum“ geht Klaus Kokemoor auf diese und weitere Fragen ein und gibt damit eine Orientierungshilfe für Eltern und Fachkräfte. Den Medienkonsum als Blackbox darzustellen, ergibt sich für ihn aus der Unwissenheit vieler Menschen um die negativen Folgen eines überhöhten Medienkonsums. Es fehle großen Teilen der Gesellschaft an einem „intuitiven Gefühl, welche Folgen es hat, dem Konsum von Medien ausgesetzt zu sein“ (S. 11). Durch sein Buch soll diesem Missstand entgegengewirkt und die Folgen von zu hohem Medienkonsum aufgezeigt werden. Dabei geht es hauptsächlich um Kinder im Säuglings-, Kita- oder Vorschulalter, wobei auch die Grundschulzeit angeschnitten wird.

Autor

Klaus Kokemoor ist Diplom-Sozialpädagoge und Erzieher mit dem Schwerpunkt Heilpädagogik. Er hat Zusatzqualifikationen in der Entwicklungsbegleitung Doering und in der psychomotorischen Praxis Aucouturier. Er arbeitet außerdem mit der Video-Interaktionsalnalyse nach der Marte-Meo-Methode. Durch seine Beratungstätigkeiten in Bildungseinrichtungen erhält der Autor tiefergehende Einblicke in die alltäglichen Herausforderungen dieser Einrichtungen.

Aufbau & Inhalt

Das Buch ist in zwölf Hauptkapitel gegliedert, Einführungs- und Schlussgedanken nicht mitgezählt. Diese Kapitel gliedern sich jeweils nochmals in mehrere Unterkapitel. In seinem Buch wechselt Klaus Kokemoor stets zwischen theoretischen Ausführungen, die durch diverse Studienergebnisse untermauert werden, und der Schilderung von Beispielfällen, die er selbst in seiner Beratungsarbeit betreute.

Im ersten Kapitel „Hulk oder Spiderman“ schildert der Autor, wie bei Kleinkindern häufig ein Autismusverdacht besteht, sich jedoch dann ein erhöhter Medienkonsum als Auslöser für auffälliges Verhalten herausstellt. Dies begründet sich mit ähnlichen Symptomen, da auch bei einem erhöhten Medienkonsum die Kompetenz, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen, in Mitleidenschaft gerät. Diese Auseinandersetzung als selbst handelnde Person wird von Kolkemoor als essenziell angesehen, um ein stabiles Selbst auszubilden.

Das zweite Kapitel mit dem Titel „Einblicke in die Blackbox“ dient zunächst der Aufklärung des Mythos, nachdem Erwachsene Multitasking fähig seien und gleichzeitig ihren Kindern und ihrem Smartphone Aufmerksamkeit schenken könnten. Er betont den Vorbildcharakter vom Medienverhalten Erwachsener für Kinder und erklärt darauf aufbauend, wann von einer Mediensucht gesprochen werden kann.

Da Kinder häufig keine Grenzen akzeptieren und sich zusätzlich auf der Grenze zwischen analoger und digitaler Welt bewegen, trägt das dritte Kapitel den Titel „Grenzgänger“. Hier stellt Kokemoor das pädagogische Konzept der offenen Arbeit vor, da dies das Potenzial habe, in Problemfällen bzgl. erhöhten Medienkonsums zu unterstützen.

Die „Qualitäten der Analogen Welt“ werden im vierten Kapitel beschrieben, in dem der Autor die Bedeutung des konstruktiven Spiels von Kindern schildert. Kinder mit einer hohen Fixierung auf digitale Spiele seien oftmals nicht in der Lage zum kreativen Spiel. Er appelliert einerseits an Fachkräfte, Anstöße für Veränderung zu geben, und andererseits an Eltern, diese Anstöße wahrzunehmen und den Medienkonsum zu verändern.

Im fünften Kapitel „Die frühen Jahre“ beschreibt Kokemoor, wie die Eltern-Kind-Bindung schon in frühesten Jahren von Kommunikation geprägt ist und wie das Smartphone als ständiger Begleiter und Aufmerksamkeitsräuber negative Folgen auf diese Kommunikation haben kann. Er betont die Qualität von bewussten Eltern-Kind-Zeiträumen, da hier Raum für spielerisches Handeln und damit nicht zuletzt für Entwicklung geschaffen wird.

Das sechste Kapitel „Spiele, Filme, Games und Social Media“ bietet einen Überblick der beliebtesten Serien und Games bei Kindern, wobei Zitate von UserInnen einen Eindruck davon entstehen lassen, wie diese Medien auf die Kinder wirken. Außerdem werden hier die Vor- bzw. Nachteile von analogen und digitalen Spielen gegenübergestellt.

Da eine Welt ohne Medien unmöglich und auch nicht gewollt ist, widmet sich der Autor in seinem nächsten Kapitel der „Medienkompetenz“ und meint damit eine Kompetenz in Bezug auf die Nutzung von Medien: Was soll und darf wann, wie lange und wie oft genutzt werden? Er gliedert seine Empfehlungen in verschiedene Alterskategorien, von Säuglingen bis ins Grundschulalter. Er erklärt außerdem, wie Grundlagen der Medienkompetenz geschaffen werden können.

Auf die Erläuterungen aus dem vorherigen Kapitel aufbauend erklärt Kokemoor anschließend im achten Kapitel „Leiten und Begleiten“, wie Eltern und Fachkräfte Kinder auf den Wegen zur Medienkompetenz begleiten können. Dabei beschreibt er unter anderem, wie Konflikte gemanagt oder wie Smartphone-lose Räume eingeführt werden können. Er betont zudem die Relevanz des Präsent-seins und gibt Werkzeuge dafür an die Hand.

Das neunte Kapitel „Die Bedeutung der Handlung“ führt durch ein weiteres Beispiel aus dem Berufsalltag des Autors vor Augen, wie mit Kindern, die zu viele Medien konsumierten, umgegangen werden kann. Kokemoor betont die Relevanz von Bonding, Kommunikation und dem Erleben von Gemeinschaft, damit Kinder vom „Destrukteur zum Konstrukteur” (S. 220) werden können.

Im nächsten Kapitel „Innere und äußere Bilder“ wird verdeutlicht, dass der reine Konsum äußerer Bilder nicht ausreicht, um miteinander in kreative, fantasievolle Interaktionen einzutreten. Kindliche Kreativität, die sich auf die inneren Bilder stützt, wird dadurch zerstört und der Autor erläutert Gegenmaßnahmen.

Mit dem elften Kapitel „Schulreife“ beginnt eine neue Etappe, in der der Autor auf den Schuleinstieg zu sprechen kommt. Er beschreibt den Fall eines erschwerten Schul-Einstiegs und wie eine Lehrerin damit umzugehen versuchte. Kokemoor stellt fest, dass es keinen Königsweg für solche Fälle gäbe. Er erklärt jedoch, wie Zuwendung und Verlässlichkeit als Katalysatoren für eine Öffnung wirken können.

Das zwölfte und letzte Kapitel „Schule im Digitalisierungsdilemma“ geht Kokemoor auf die Schwierigkeit von Schulen ein, von denen einerseits Digitalisierung gefordert wird, die jedoch andererseits einem unangemessenen Medienkonsum entgegenwirken sollen. Er geht auf die Gefahren von Social Media im Schulkontext ein, berichtet jedoch auch über die Erfolgsgeschichte einer Schule, welche die Aufgabe der Digitalisierung zu meistern scheint.

Diskussion

Klaus Kokemoor teilt in seinem Buch die Ansicht, dass die Aufklärung der negativen Folgen des Medienkonsums noch in den Kinderschuhen steckt. Die gesundheitlichen Folgen eines überhöhten Medienkonsums seien noch nicht gänzlich absehbar und somit begreift er den Medienkonsum als Blackbox. Der Autor nimmt sich der Aufgabe an, den Lesenden durch den Dschungel der Medienerziehung zu führen, erläutert Beispiele von Kindern, die einem ungesunden Medienkonsum zum Opfer gefallen sind und erörtert Maßnahmen, wie solche Kinder aufgefangen werden können. Er beschreibt sehr genau, wie sich die Auffälligkeiten dieser Kinder äußern und stellt dabei fest, dass mit Autismus diagnostizierte Kinder ähnliche Verhaltensweisen aufweisen. In seinem Buch steckt eine Warnung an alle Eltern und Fachkräfte, sich der Konsequenzen des Medienkonsums bewusst zu sein und gegebenenfalls gegenzusteuern.

Er stellt dafür direkt in seiner Einleitung einen Vergleich zum Passivrauchen her, bei dem im Gegensatz zum Medienkonsum die Aufklärung weit vorangeschritten sei und die negativen Folgen allbekannt seien. Dadurch bestehe ein Gefühl dafür, nicht in der Gegenwart von Babys zu rauchen. Dieses intuitive Gefühl fehle beim Medienkonsum. Dieser Vergleich scheint im ersten Moment nicht vollständig tragfähig, da das Passivrauchen keinerlei Vorteile für Kinder aufweist, während der Medienkonsum sehr wohl Vorzüge mit sich bringen kann. So ermöglichen die Medien für Kinder die Kontaktaufnahme zu Bezugspersonen über weite Distanzen hinweg, um nur ein Beispiel zu nennen. Im weiteren Verlauf des Lesens wird jedoch deutlich, dass sich der Autor durchaus über die Vorzüge der Medien bewusst ist und sie auch als solche benennt. Er wählte den Vergleich zum Passivrauchen, um in aller Härte aufzuzeigen, dass erhöhter Medienkonsum schwerwiegende, gesundheitliche Folgen mit sich bringen kann: Im Verlauf des Buchs wird der Leser mit einer Vielzahl von Beispielen konfrontiert, bei denen Kinder kognitive Defizite oder belastende Auffälligkeiten aufweisen. Die Tragik dabei besteht mitunter darin, dass diese Kinder Opfer einer unbedachten Medienerziehung waren. Sie sind nicht selbst Akteure schädlichen Handelns, sondern solchem Handeln hilflos ausgesetzt. Und damit klärt sich der Vergleich zum Passivrauchen, da auch hier Kinder einem schädlichen Verhalten ausgesetzt werden.

Durch die beispielhaften Schilderungen werden dem Lesenden die Folgen von zu hohem Medienkonsum nicht nur theoretisch dargelegt, sondern auch mit konkreten Beispielen untermauert. Dieser Wechsel ermöglicht nicht nur einen tieferen Einblick in die Thematik, sondern begünstigt zudem ein abwechslungsreiches Lesen.

Die theoretischen Passagen werden durch Fachliteratur belegt und das Quellenverzeichnis gibt Anstoß für eine tiefergehende Lektüre. Der Autor bezieht sich außerdem auf Handlungsempfehlungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, wonach beispielsweise 0–3 Jährige keiner Bildschirmzeit ausgesetzt sein sollten. 

Die Beispielfälle, die Kokemoor in seinem Buch schildert, stammen aus seiner Funktion als Berater von Kitas. Interessanterweise handelt es sich bei seinen Beispielen nur um Jungen, wobei der Autor darauf hinweist, dass Mädchen laut Studien ein ähnliches Nutzungsverhalten aufweisen wie Jungen. Dennoch bleibt beim Lesenden nach etlichen Fallbeschreibungen, in denen ausschließlich von Jungen die Rede war, Fragen nach möglichen geschlechtsspezifischen Unterschieden, beispielsweise bzgl. Suchtpotenzial oder Medienaffinität, ungeklärt.

In den Beispielen des Autors wird immer wieder die Einstellung der Eltern geschildert. Bei den meisten Eltern ist nicht etwa Ignoranz für den fatalen Umgang mit Medien in der Erziehung der Grund, sondern schlichte Unwissenheit. Der Autor ist überzeugt, dass ein „klares Handlungskonzept” (S. 243) in den meisten Fällen bereits Abhilfe schaffen würde. Obwohl sein Buch das Potenzial hat, ein solches Handlungskonzept daraus abzuleiten, wird nicht weiter darauf eingegangen.

Der Lesende stößt bei seiner Lektüre häufig auf relevante Hinweise und gute Ratschläge im Umgang mit Medien, verliert sie jedoch im weiteren Leseverlauf wieder. Stichpunktartige Zusammenfassungen der wichtigsten Hinweise am Ende aller Kapitel wären wünschenswert. Auch die Kapitelüberschriften sind inkonsistent gewählt, da sich der Lesende unter „Grenzgänger” zunächst nichts vorstellen kann, unter „Medienkompetenz” jedoch sehr wohl. Dadurch wird es erschwert, das Buch als Nachschlagewerk zu nutzen. Etwas mehr Struktur und Passagen, die auf einen Blick relevante Informationen sortieren, würden eine bessere Verarbeitung relevanter Punkte ermöglichen.

Nichtsdestotrotz gelingt es Klaus Kokemoor, ein Bewusstsein für die Gefahren erhöhten Medienkonsums aufzuzeigen und trägt somit unmittelbar der Aufklärung bei. Sein Buch ist geeignet für Eltern sowie für Fachkräfte, die im Alltag mit Fragen des angemessenen Medienkonsums von Kindern konfrontiert werden. Es ermutigt, eigene Routinen zu überdenken und den eigenen Konsum zu überprüfen. Auch für Studierende der Medienwissenschaften bietet das Buch einen inspirierenden Einstieg in die Thematik.

Fazit

Insgesamt ist dieses Buch ein nützlicher Ratgeber zum Umgang mit Medien und Kindern, der im Bücherregal von Eltern und Fachkräften nicht fehlen sollte. Zudem kann es als Weckruf für die Gesellschaft gesehen werden, da es die schwerwiegenden Problematiken eines überhöhten Medienkonsums für Kinder in aller Härte aufzeigt.

Rezension von
Stefanie Witter
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Es gibt 1 Rezension von Stefanie Witter.

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ISSN 2190-9245