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Ole Liebl: Freunde lieben

Rezensiert von Dr. André Latz, 10.12.2024

Cover Ole Liebl: Freunde lieben ISBN 978-3-365-00628-3

Ole Liebl: Freunde lieben. Die Revolte in unseren engsten Beziehungen. Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH (Hamburg) 2024. 255 Seiten. ISBN 978-3-365-00628-3. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR, CH: 17,00 sFr.

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Thema

In Freunde lieben erkundet Ole Liebl die transformative Kraft der Freundschaft in modernen Gesellschaften, wo traditionelle Beziehungsmodelle immer häufiger hinterfragt werden. Liebl betrachtet Freund*innenschaften nicht als Nebenschauplätze romantischer Beziehungen, sondern als eigenständige, tiefgreifende Verbindungen, die sogar die gesellschaftliche und emotionale Struktur unserer Beziehungen revolutionieren könnten. Sein Fokus auf Freund*innenschaften als eine Form der «Revolte» gegen kapitalistische und patriarchale Werte verleiht dem Thema eine besondere Tiefe, die an aktuelle Debatten über queere und nicht-binäre Lebensweisen anknüpft. Im Vergleich zu herkömmlichen Partner*innenschaften sind Freund*innenschaften laut Liebl nicht an soziale Erwartungen wie Exklusivität oder romantische Verpflichtungen gebunden, was ihnen eine besondere Freiheit und Authentizität verleiht. Das Buch richtet sich an Leser*innen, die nicht nur an Freund*innenschaft im traditionellen Sinne interessiert sind, sondern an der Verschmelzung von Freund*innenschaft und eher als romantisch markierten, intimen Beziehungen. Liebl bedient sich im Buch unter anderem soziologischer, psychologischer und philosophischer Diskurse.

Autor

Ole Liebl, ein deutscher Autor, Philosoph und Social-Media-Host, hat sich intensiv mit modernen Beziehungsmodellen auseinandergesetzt. Seine Arbeit bietet nicht nur eine theoretische Perspektive, sondern ist auch persönlich geprägt, da Liebl auf eigene Erfahrungen und gesellschaftliche Beobachtungen zurückgreift. Mit Freunde lieben fügt er der Diskussion über alternative Beziehungsformen eine tiefe und differenzierte Betrachtung hinzu, die verschiedene theoretische Zugänge und persönliche Überlegungen vereint.

Entstehungshintergrund

Das Buch entstand vor dem Hintergrund eines wachsenden Interesses an nicht-traditionellen Beziehungsformen und inmitten der aktuellen Diskussionen über queere und polyamore Beziehungsmodelle. Liebl baut auf der These auf, dass Freund*innenschaften heute mehr sind als nur eine soziale Ergänzung zur romantischen Partner*innenschaft. Diese Tendenz, Freund*innenschaft nicht als sekundäre Beziehung zu sehen, sondern als eigenständige, kraftvolle Form von Liebe und Nähe, spiegelt sich in dem Werk wider. Auch der gesellschaftliche Kontext der sozialen Medien, in dem Freund*innenschaften oft oberflächlich erscheinen, bildet eine Art Gegenpol, den Liebl bewusst hinterfragt.

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in zehn Kapitel, die Liebls zentrale Thesen und Analysen zu den verschiedenen Facetten der Freund*innenschaft als Beziehungsform entwickeln. Die theoretische Grundlage bilden sowohl psychologische Modelle wie die Dreieckstheorie der Liebe von Robert Sternberg als auch soziologische und philosophische Überlegungen zur Bedeutung und Konstruktion von Emotionen. Liebl wechselt dabei zwischen theoretischer Analyse und praxisnahen Überlegungen zur Umsetzung freundschaftlicher Liebe im Alltag. Er untersucht das Verhältnis von Intimität, Leidenschaft und Verbindlichkeit und fragt, wie diese Komponenten in freundschaftlichen Beziehungen zur Geltung kommen können. Zunächst skizziert Liebl verschiedene theoretische Perspektiven auf die Liebe und Freund*innenschaft und beschreibt, wie diese in der heutigen Gesellschaft interpretiert werden. Später geht er detailliert auf das Konzept der «Freundschaft plus» ein und untersucht, wie körperliche Intimität und sexuelle Anziehung in freundschaftlichen Beziehungen verhandelt werden können. Hervorzuheben ist sein Kapitel zur «selbstbestätigten Intimität», das den Wert von Authentizität und Ehrlichkeit in freundschaftlichen Beziehungen betont.

Ein zentraler Punkt in Liebls Argumentation ist, dass die Grenze zwischen romantischer und freundschaftlicher Liebe fließend sein kann. Auf Seite 66 betont er, dass Freund*innen „für den gelebten Kontakt, für die Nähe und das offene Ohr, für die zärtliche Berührung und den festen Halt“ geliebt werden. Für Liebl ist die freundschaftliche Liebe ein Gegenpol zur kapitalistisch geprägten Vorstellung von romantischer Liebe, die oft an Bedingungen wie Aussehen und materiellem Status geknüpft ist.

Liebl greift auf die Dreieckstheorie der Liebe des Psychologen Robert Sternberg zurück, um verschiedene Dimensionen von Intimität, Leidenschaft und Commitment in Freund*innenschaften zu beschreiben. So stellt er fest, dass diese Elemente auch in freundschaftlichen Beziehungen stark ausgeprägt sein können (S. 34). Er zeigt, wie Intimität und körperliche Nähe in einer «Freundschaft plus» als Ausdruck tiefer emotionaler Verbindung funktionieren können, und betont, dass solche Beziehungen nicht notwendigerweise die traditionellen Konzepte von Sexualität und Orientierung berücksichtigen müssen (S. 36). Die Möglichkeit, Freund*innen körperlich zu begehren, könnte dabei die gängigen Normen der Sexualität aufbrechen und zu einer „ver-queerten“ Freundschaft führen.

Liebl diskutiert weiterhin die Bedeutung von Emotionen als sozial konstruiert und beschreibt, wie Gefühle durch soziale Bedeutungen und Erwartungen geformt werden. So argumentiert er auf Seite 43, dass es keine biologisch festgelegte Essenz der Emotionen gebe, sondern dass Emotionen als Handlungsanweisungen verstanden werden, die sich je nach sozialem Kontext verändern. Ein eindrückliches Beispiel ist sein Ansatz zur „selbstbestätigten Intimität“ (S. 152–153), bei der beide Freund*innen ihre Gefühle und Bedürfnisse authentisch ausdrücken können, auch wenn diese nicht immer erwidert werden. Diese Form der Intimität stärke die Beziehung, indem sie auf Eigenständigkeit und Vertrauen beruht und auch ablehnende Reaktionen als Vertiefung der Beziehung betrachtet.

Durch die Darstellung unterschiedlicher Freund*innenschaftsmodelle wird klar, dass Liebl eine Vielzahl von Emotionen und Interaktionen zulässt, die über traditionelle Partnerschaftsdefinitionen hinausgehen. Er argumentiert, dass freundschaftliche Liebe auf körperlicher und emotionaler Intimität beruhen kann, ohne dabei den gesellschaftlichen Druck einer «echten Beziehung» zu reproduzieren. Besonders hervorzuheben ist seine Untersuchung, wie „F+“-Beziehungen (Freundschaft mit zusätzlichen Vorteilen) als subversive Form der Intimität und Nähe funktionieren können. Dabei geht er auch auf Probleme und Einwände ein, die aus der traditionellen Perspektive der Mehrheitsgesellschaft erwachsen können.

Diskussion

Liebls Ansatz ist erfrischend und herausfordernd zugleich. Seine Argumentation ist eine starke Abkehr vom klassischen Modell der romantischen Liebe, das oft als «höchste» Form von Beziehung gilt. Seine philosophische Tiefe und sein theoretischer Rahmen, der unter anderem auf Denker*innen wie Foucault, Illouz und Arendt basiert, verleihen dem Buch eine besondere intellektuelle Schärfe. Die Einbeziehung von Theorien zur Liebe, wie die Dreieckstheorie Sternbergs, und die Verweise auf die Philosophie von Michel Foucault und Hannah Arendt sowie die Analysen von Eva Illouz bieten einen tiefgehenden theoretischen Rahmen, der seine Überlegungen untermauert. Dies verleiht dem Buch eine besondere intellektuelle Schärfe. Liebls Überlegungen zu Freund*innenschaft als Form von Liebe, die sowohl Intimität als auch körperliche Nähe einschließen kann, regen ferner dazu an, das eigene Verständnis von Beziehung und Nähe zu hinterfragen. Gleichzeitig setzt das Buch voraus, dass die Leser*innen sich auf ein Konzept einlassen, das die traditionelle Hierarchie der Beziehungstypen infrage stellt. Und so laden Liebls Ansätze zu einer kritischen Reflexion ein: Ist die romantische Liebe tatsächlich die «höchste» Form der Beziehung, oder kann Freund*innenschaft ebenso viel emotionalen und sozialen Wert bieten? Gleichzeitig könnte Kritik geübt werden an der stark theoretischen Basis, die nicht immer für alle Leser*innen zugänglich ist. Doch wer bereit ist, diese theoretischen Herausforderungen anzunehmen, wird mit einer neuen, faszinierenden Sichtweise auf zwischenmenschliche Beziehungen und Liebe belohnt. Denn besonders Liebls Ideen zur sexuellen Freund*innenschaft erfordern eine Offenheit gegenüber unkonventionellen Beziehungsformen, die möglicherweise nicht jede*r Leser*in teilt. Das wiederum wertet der Rezensent als Vorteil. Denn letztlich kann auch die Lektüre zu mehr Offenheit und Akzeptanz führen. Und auch wenn individuelle Konzepte von zwischenmenschlichen Beziehungen noch konventionellen Mustern entsprechen mögen, so wird deutlich, dass Freund*innenschaft eine Form der Liebe darstellt, die in ihrer Bedeutung und Tiefe der tradierten romantischen Partner*innenschaft ebenbürtig sein kann.

Fazit

Freunde lieben ist ein aufschlussreiches und bemerkenswertes Werk, das die Grenzen zwischen romantischer und freundschaftlicher Liebe verwischt und neue Perspektiven auf die Bedeutung von Freund*innenschaft in modernen Gesellschaften eröffnet. Liebl zeigt auf, wie Freund*innenschaften eine revolutionäre Kraft entfalten können, indem sie soziale Normen hinterfragen und neue Formen der Nähe zulassen. Die zahlreichen theoretischen Ansätze und tiefgründigen Überlegungen machen das Buch besonders für Leser*innen interessant, die an alternativen Beziehungskonzepten und einer intensiven Reflexion über zwischenmenschliche Beziehungen und Liebe interessiert sind.

Rezension von
Dr. André Latz
Unternehmensberater / Coach Führungskompetenz, Soziologie
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Es gibt 6 Rezensionen von André Latz.

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ISSN 2190-9245