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Burak Caniperk, Alke Wierth: Auf Augenhöhe

Rezensiert von David Kreitz, 18.12.2024

Cover Burak Caniperk, Alke Wierth: Auf Augenhöhe ISBN 978-3-466-37329-1

Burak Caniperk, Alke Wierth: Auf Augenhöhe. Wie wir unsere Jugendlichen nicht verlieren. Ein Berliner Sozialarbeiter erzählt. Kösel-Verlag (München) 2024. 240 Seiten. ISBN 978-3-466-37329-1. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,19 sFr.

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Thema und Autor

Das Buch „Auf Augenhöhe“ von Burak Caniperk, gemeinsam mit Alke Wierth verfasst, thematisiert die Herausforderungen und Erfahrungen in der Jugendsozialarbeit. Caniperk, ein leidenschaftlicher Sozialarbeiter aus Berlin, schildert darin seinen Alltag als Streetworker im Schöneberger Steinmetz-Kiez und seine Begegnungen mit Jugendlichen, die oft am Rand der Gesellschaft stehen.

Entstehungshintergrund

Caniperk schreibt das Buch aus zwei Hauptgründen:

  1. Um mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass Sozialarbeit nur aus „Kuschelpädagogik“ besteht. Er betont, dass seine Arbeit in einem harten, schwierigen Berliner Stadtteil stattfindet und nicht in einem „Streichelzoo“.
  2. Um die Öffentlichkeit über die oft unbekannten schwierigen Lebensumstände vieler Jugendlicher in Deutschland aufzuklären.

Das Buch soll hauptsächlich von den Jugendlichen erzählen, denen der Autor in seiner Arbeit begegnet, um beide Ziele zu erreichen.

Aufbau

Die 22 Kapitel des Buches geben mithilfe von Fallbeispielen Einblicke in Burak Caniperks Arbeitsalltag. Autobiografische Kapitel zeigen seinen eigenen durchaus nicht leichten Werdegang. In anderen Kapiteln wird den Lesenden vor allem Hintergrundwissen zu Sozialarbeit, Jugendsozialarbeit und Streetwork vermittelt. Unter dem Stichwort „Kleiner Exkurs“ und auch typografisch abgesetzt, werden Themen wie Hip-Hop, Integration und Identität, Drogen, Migration, Geschlechterrollen und fehlende Therapieplätze behandelt.

Inhalt

Das Buch lässt sich inhaltlich in drei große Themen aufteilen, die immer wieder in den verschiedenen Kapiteln aufgegriffen werden:

  • Persönliche Erfahrungen: Caniperk beschreibt, wie er selbst aus schwierigen Verhältnissen kam und sich durch Unterstützung – etwa von einem Lehrer – herausarbeiten konnte. Diese Erfahrungen prägen seine Arbeit und sein Verständnis für die Probleme der Jugendlichen.
  • Lebensrealitäten der Jugendlichen: Er erzählt anonymisierte Geschichten von Jugendlichen, die mit Armut, Drogen, psychischen Problemen oder familiärer Vernachlässigung kämpfen. Dabei zeigt er auf, wie wichtig es ist, ihnen Hoffnung und Perspektiven zu geben.
  • Zielsetzung: Das Buch ist ein Plädoyer für Empathie, Respekt und die Notwendigkeit, Vorurteile abzubauen. Es soll die oft unsichtbare Arbeit der Jugendsozialarbeit sichtbar machen und Jugendlichen Gehör verschaffen.

Einige Kapitel möchte ich herausgreifen und näher besprechen. In den ersten beiden Kapiteln 1. Was macht überhaupt ein Sozialarbeiter? sowie 2. Und was ist Jugendsozialarbeit? Erläutert Caniperk die Hintergründe seiner Arbeit:

Die Sozialarbeit, insbesondere die Arbeit mit Jugendlichen auf der Straße, habe folgende Kernaspekte:

  • Unterstützung: Sozialarbeiter helfen Menschen in schwierigen Lebenssituationen, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden.
  • Beziehungsaufbau: Durch konstante Präsenz und Zuhören gewinnen Streetworker das Vertrauen der Jugendlichen.
  • Klientenzentrierung: Der Arbeitsauftrag ergibt sich aus den Bedürfnissen und Zielen der Jugendlichen selbst.
  • Freiwilligkeit: Die Angebote der Sozialarbeiter sind freiwillig und ohne Zwang.
  • Partizipation: Jugendliche werden in Entscheidungsprozesse einbezogen.
  • Vertrauensbildung: Vertraulichkeit und ein sicheres Umfeld sind grundlegend für die Arbeit.
  • „Click Momente“: Sozialarbeiter warten auf Signale der Veränderungsbereitschaft der Jugendlichen.
  • Selbstbestimmung: Ziel ist es, die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Jugendlichen zu fördern.

Danach stellt Caniperk uns einen ersten erfolgreichen Fall vor (3. Beispiel Alex: Von der Straße an den Strand), beschreibt seinen Alltag als Streetworker (4.) und legt dar, mit welchen Herausforderungen die Jugendlichen konfrontiert sind, mit denen er arbeitet (5.):

Zuvorderst konzediert er einen Mangel an Aufmerksamkeit und Wertschätzung: Dies führt zu geringem Selbstwertgefühl und wenig positiven Selbstwirksamkeitserfahrungen.

Dafür gibt es vielfältige Ursachen:

  • Schulisches Versagen, oft aufgrund unerkannter Lernschwächen
  • Einschränkende familiäre und soziale Lebensumstände
  • Beengte Wohnverhältnisse: Erschwerter Raum für individuelle Bedürfnisse und Träume
  • Ökonomischer Druck auf die Familien
  • Fehlende Zeit und Ressourcen der Eltern
  • Mangel an motivierenden Vorbildern

Und resultierende Konsequenzen:

  • Schwierigkeiten bei der Entwicklung eigener Ziele
  • Beeinträchtigung der persönlichen Entwicklung und des Selbstwertgefühls

Das Buch endet damit, das Burak Caniperk seine Aktivitäten auf Social Media (youtube; instagram) erläutert, die ihm einige Bekanntheit und auch vor diesem Buch einige Reichweite verschafft haben. Abschließend plädiert er für mehr Anerkennung und Respekt und auch finanzielle Unterstützungen für die Sozialarbeit, deren Wichtigkeit, Herausforderungen, Erfolge wie Misserfolge er in den vorangegangenen Kapiteln an seiner eigenen Arbeit gezeigt hat.

Diskussion

Zunächst mutet es etwas merkwürdig an, dass der Autor davon ausgeht, Sozialarbeit würde allgemein als 'Kuschelpädagogik' missverstanden. Dies steht auch im Widerspruch zur Werbung des Verlags, soll doch der Cover-Hinweis: „Ein Berliner Sozialarbeiter erzählt“ verdeutlichen, dass es sich um einen Erfahrungsbericht handelt und darüber hinaus soll der Hinweis auf Berlin sicherlich signalisieren, dass diese Arbeit in der Hauptstadt besonders „krass“ ist.

Der Autor verwendet einen lebendigen und direkten Schreibstil, der durch umgangssprachliche Elemente und persönliche Ansprache geprägt ist, um die Realität der Jugendsozialarbeit authentisch zu vermitteln. Bildhafte Sprache und Metaphern machen komplexe Sachverhalte verständlich und greifbar. Gleichzeitig integriert er präzise Fachbegriffe, die die Professionalität der Sozialarbeit unterstreichen. Insgesamt gelingt es dem Autor, eine Balance zwischen Zugänglichkeit und fachlicher Tiefe zu schaffen, wodurch die Herausforderungen der Jugendsozialarbeit sowohl informativ als auch emotional ansprechend dargestellt werden. Das die Zusammenarbeit mit Alke Wierth nirgendwo im Text mit einem Dank o.Ä. erwähnt wird, und Lesende sich diese Kooperation selbst erschließen müssen, irritiert bei einem Autor, der so viel über Anerkennung schreibt.

Fazit

Das Buch ist in einer klaren persönlichen Sprache geschrieben, mit kurzen Kapiteln und Sätzen. Es bietet sowohl persönliche Einblicke als auch gesellschaftskritische Perspektiven. Es bricht eine Lanze für Berufe in der Sozialen Arbeit und Caniperk präsentiert sich als einen „Überzeugungstäter“, der in seiner Arbeit aufgeht, der eine Berufung gefunden hat. Er kann dieser Berufung auch deswegen besonders gut folgen, weil seine Biografie, sein Musikgeschmack und seine Social Media-Präsenz starke Anknüpfungspunkte und Türöffner bei den Jugendlichen sind. „Auf Augenhöhe“ dürfte alle Leser*innen ansprechen, die sich für soziale Themen interessieren, sowie Fachkräfte in der Jugendhilfe und alle, die die Mischung aus autobiografischem und analytischem Schreiben schätzen. 

Rezension von
David Kreitz
M.A., pädagogischer Mitarbeiter für politische Erwachsenenbildung bei der HVHS Mariaspring und freiberuflicher Trainer für wissenschaftliches Schreiben.
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Zitiervorschlag
David Kreitz. Rezension vom 18.12.2024 zu: Burak Caniperk, Alke Wierth: Auf Augenhöhe. Wie wir unsere Jugendlichen nicht verlieren. Ein Berliner Sozialarbeiter erzählt. Kösel-Verlag (München) 2024. ISBN 978-3-466-37329-1. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32899.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.


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