Kai Michel, Harald Meller et al.: Die Evolution der Gewalt
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 03.01.2025
Kai Michel, Harald Meller, Carel van Schaik: Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte | Krieg, Mord und Totschlag: Ein Biologe, ein Archäologe und ein Historiker beschreiben die Evolution menschlicher Gewalt. Deutscher Taschenbuch Verlag (München) 2024. 368 Seiten. ISBN 978-3-423-28438-7. D: 28,00 EUR, A: 28,80 EUR, CH: 36,90 sFr.
Thema
Was bringt Menschen dazu, andere Menschen zu töten? Die Autoren verbinden die Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaften, um in dieser Menschheitsgeschichte der Gewalt aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen es zu Krieg, Mord und Totschlag kommt. Und wie wir diese in Zukunft verhindern können.
Autoren
Harald Meller, geboren 1960 in Olching, ist einer der prominentesten Archäologen weltweit. Als Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt rettete er unter erheblichen persönlichen Risiken die Himmelsscheibe von Nebra aus kriminellen Kreisen. Als Direktor des Museums für Vorgeschichte verzaubert er mit Ausstellungen, Büchern und Medienauftritten ein riesiges Publikum. Aktuell ist er zudem kommissarischer Direktor des als UNESCO-Weltkulturerbe eingetragenen Gartenreichs Dessau-Wörlitz. Harald Meller hat die erste internationale Ausstellung über die Archäologie des Krieges ausgerichtet. Er lebt in Halle. Mit Kai Michel schrieb Meller die Bestseller „Die Himmelsscheibe von Nebra“, „Griff nach den Sternen“ und „Das Rätsel der Schamanin“. Kai Michel, geboren 1967 in Hamburg, ist Historiker und Literaturwissenschaftler. Seine Bücher finden sich regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Mit Carel van Schaik las er die Bibel als „Tagebuch der Menschheit“; gemeinsam legten sie mit „Die Wahrheit über Eva“ eine preisgekrönte Analyse über die Erfindung der Ungleichheit der Geschlechter vor und erklärten in „Mensch sein“, warum wir eine Existenz im Ausnahmezustand führen. Mit Harald Meller schrieb Michel die Bestseller „Die Himmelsscheibe von Nebra“, „Griff nach den Sternen“ und „Das Rätsel der Schamanin“. Er lebt als Buchautor in Zürich und im Schwarzwald. Carel van Schaik, geboren 1953 in Rotterdam, ist Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe. Er erforscht die Wurzeln der menschlichen Kultur, Kooperation und Intelligenz bei Menschenaffen und hat viele Jahre im Dschungel Indonesiens Orang-Utans beobachtet. Er war Professor an der Duke University in den USA und Professor für biologische Anthropologie an der Universität Zürich, wo er als Direktor dem Anthropologischen Institut und Museum vorstand. Carel van Schaik ist korrespondierendes Mitglied der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften und Fellow der Max-Planck-Gesellschaft. Er lebt in Zürich.
Aufbau und Inhalt
Das Unvorstellbare ist eingetreten: Der Krieg ist zurück – und bedroht uns alle. War der lange Frieden in Europa nur ein kurzes Intermezzo? Ereilt uns nun das Schicksal, weil wir nicht gegen unsere kriegerische Natur ankönnen? Höchste Zeit, den evolutionären Wurzeln der Gewalt nachzuspüren. Die drei Bestsellerautoren brechen zu einer Menschheitsgeschichte der anderen Art auf. Sie präsentieren die aktuellen Forschungen über Schimpansen und Bonobos, spüren der Archäologie von Mord und Totschlag nach und zeigen, wie der Krieg Despoten und Staaten, aber auch Götter groß machte. Ihre Botschaft: Wir sind nicht zum Krieg verdammt, fallen ihm jedoch, wenn wir nicht aufpassen, nur allzu leicht zum Opfer – gelenkt von den wenigen Menschen, die Krieg wollen und davon profitieren. Das bedeutet gleichzeitig aber auch, dass Krieg eben nicht ein Schicksal ist, das von Anfang an über die Menschheit gekommen ist. Und trotzdem sind Kriege kaum erforscht und werden, wie die Autoren schon in der Einführung deutlich machen, schon immer wissenschaftlich mehr oder weniger ignoriert. Natürlich sind die diversen Kriege und ihre Schlachten über die Jahrhunderte historisch ausführlich betrachtet und beschrieben, aber eben nicht im Hinblick darauf, warum es sie überhaupt gibt. Und so nehmen die Autoren die Leser:innen mit auf eine Reise zu den evolutionären Grundlagen der Menschheit und des Krieges und beleuchten unter anderem die Entwicklung von Aggression und kollektiver Gewalt. Anschließend geht es um archäologische Detektivarbeit, wenn sich die Autoren dem ersten Mord widmen und dann versuchen, die Frage zu beantworten, ob der Krieg nun schon immer da war oder sich irgendwann zu einem ständigen Begleiter der Menschen entwickelt hat. Wenn das geklärt ist – und das Ergebnis soll an dieser Stelle nicht verraten werden – geht es darum, Lehren zu ziehen, um sich aus den Fängen des Krieges zu befreien und ihn gerade in den aktuellen Zeiten zu begreifen. Das Ende des Buches bilden zwölf Lektionen, die die Autoren aus ihrer vorherigen Arbeit entwickeln: Diese, so sind sich die drei Experten sicher, „werden ihn kaum besiegen, aber seiner Legitimation berauben“ (S. 329).
Diskussion
Es ist nicht immer leichte Kost, was aber bei einem Buch über Gewalt und Kriege wohl in der Natur der Sache liegen dürfte. Dafür liest es sich aber über weite Strecken unfassbar spannend und flüssig, zieht die Leser:innen in seinen Bann: Das liegt sicherlich unter anderem daran, dass alle drei Autoren ausgewiesene Experten in ihrem Fachgebiet sind. Und gerade dieses multiperspektivische Team und seine unterschiedliche Herangehensweise liefern einen faszinierenden Einblick in ein Thema, das uns alle sowohl im Kleinen als auch im großen Weltgeschehen ängstigt: Gewalt und gerade Krieg sind über Jahrhunderte Begleiter der Menschheit, aber sie sind eben kein Schicksal, was sich überraschenderweise sowohl im Tierreich als auch eben beim Menschen aufzeigen lässt. Und noch eine Überraschung erwartet die Leser:innen dieses Buches: Es ist am Ende wesentlich optimistischer, positiver und sogar fast ein bisschen versöhnlicher, als man meinen möge. Denn am Ende, so wird klar, bringt Kooperation wesentlich mehr Vorteile als der Krieg, wie sich bei dieser faszinierenden Zeitreise zeigt. Insofern ist dieses Buch eine echte Empfehlung für all jene, die sich beruflich oder privat mit dem Thema Gewalt auseinandersetzen wollen.
Fazit
Ein Buch über die Saat der Gewalt und die Schrecken des Krieges, das trotz all der Grausamkeiten eine positive Nachricht zu vermitteln hat: „Wir sind erstmals in der Geschichte der Menschheit in der Lage, dem Krieg wirklich etwas entgegenzusetzen“ (S. 328).
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 03.01.2025 zu:
Kai Michel, Harald Meller, Carel van Schaik: Die Evolution der Gewalt. Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen. Eine Menschheitsgeschichte | Krieg, Mord und Totschlag: Ein Biologe, ein Archäologe und ein Historiker beschreiben die Evolution menschlicher Gewalt. Deutscher Taschenbuch Verlag
(München) 2024.
ISBN 978-3-423-28438-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32907.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.
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