Dr. Clemens Oswald: Fairfassung
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 04.12.2024
Dr. Clemens Oswald: Fairfassung. So geht Demokratie! - Essay für eine Reform des Grundgesetzes. Books on Demand GmbH (Norderstedt) 2024. ISBN 978-3-7597-9107-8.
Demokratie ist menschengemacht
Sie sei, wie das Bonmot Churchill zugeschrieben wird, die schlechteste (anstrengendste) Regierungsform – aber es gäbe keine bessere! Sie ist, nach dem Menschenrechtsdiskurs eine Lebensform, in der die Würde aller Menschen „und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet“ (Menschenrechtsdeklaration vom 10. Dezember 1948). Die Herrschaft des Volkes und des Citoyen ist höchstes, humanes Gut. Global und auch lokal, national betrachtet, sind demokratische Verfassungen in der Minderheit. Es gilt, die Demokratie gegen autoritäre, egozentristische, populistische und rechtsradikale Kräfte zu verteidigen. Wie jedes Menschenwerk hat auch die Demokratie Ecken und Kanten und bedarf der politischen Auseinandersetzung, Verbesserung und Veränderung (Armin Groh, Die blinden Flecken der Demokratie, 2023, www.socialnet.de/rezensionen/​30961.php). Das bekannte Wort des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt – „Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine“ – verdeutlicht, dass Volksherrschaft die Vielfalt der Meinungen zu Wort kommen lassen, aber auch den No goes, den Fake News und Hass-Kommentaren ein demokratisches, eindeutiges Stopp entgegensetzen muss. „Mehr Demokratie wagen“, das gilt heute mehr denn je. Demokratische Werte und in der Geschichte der Menschheit mühsam erworbene Errungenschaften müssen individuell und kollektiv, lokal und global gepflegt, verteidigt und weiterentwickelt werden.
Autor
Der Hamburger Journalist und Jurist Clemens Oswald legt ein Essay vor, mit dem er sich engagiert und erfahrungsreich damit auseinandersetzt, wie es gelingen kann, die deutsche Verfassung, das Grundgesetz, so zu aktualisieren und zu konkretisieren, dass der Leitsatz – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – verwirklicht, gelebt werden kann. Er widmet das Buch „allen Citoyens“. Es braucht ein „neues Haus der Demokratie“ (Bruno Heidlberger, Mit Hannah Arendt Freiheit neu denken. Gefahren der Selbstzerstörung von Demokratien, 2023, www.socialnet.de/rezensionen/​30701.php).
Aufbau und Inhalt
Es ist ein wissenschaftlicher, dialogischer Text, der nicht als Fingerzeig daherkommen will, sondern Fragen stellt, die der Autor mit Bezug auf die zahlreichen (570) Literaturhinweisen und beruflichen, journalistischen Erfahrungen beantwortet. Dabei verweist er auf die historischen, politischen Entwicklungen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, an die Verpflichtung, eine „Erinnerungskultur“ nach dem faschistischen Verbrechen (Holocaust) zu entwickeln und politisches Denken und Handeln zu fördern. Dabei wagt er sich auch an die (scheinbaren) unantastbaren und nicht in Frage gestellten demokratischen Werte der „Gewaltenteilung“ und fragt, ob und inwieweit „Gewaltenverschränkungen“ in einer repräsentativen Demokratie wirksam sind. Dem „Parteienstaat“ setzt er den „Bürgerstaat“ entgegen, gegen „Lobbying“ und Interessenkonflikt. Es sind die juristischen, rechtlichen, parteipolitischen Positionen, die bei der Ernennung und Bestellung von VerfassungsrichterInnen eine Rolle spielen und an der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit zweifeln lassen: „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“. Sein Plädoyer: Bürgerräte, die den Dialog zwischen Regierenden und „Untertanen“ (Bourgeois) erleichtern, Formen von „direkter Demokratie“, Es sind grundlegende Perspektivenwechsel, wenn es um „Gemeinwohl“ geht, weg von kapitalistischen und neoliberalen Strukturen, hin zum „Dass-mehr-wird-wenn-wir-teilen“ (Elinor Ostrom). „Es geht darum, die Demokratie neben dem liberalen Rechtsstaat von unten zu entwickeln“; und zwar nachhaltig und tragfähig. Die lokal und global zu beobachtende Politikverdrossenheit, Couch-Potatoes, Oblomowerei, Weltvergessenheit und Jetzt-Bezogenheit lässt sich auflösen durch Aufklärung und Bildung. Zum Beginn und zum Ende des Essays lässt der Autor die antike griechische Göttin Eunomia, die Tochter des Zeus und der Themis beim Psychiater (I/II) auftreten. Gegen das Schwert der Gerechtigkeit wird Logik und Vernunft gesetzt; und Macht wird gemacht. Im demokratischen Sinn wird sie kontrolliert und menschenwürdig gemacht!
Diskussion
Die „Leipziger Autoritarismus-Studie 2024“ bringt zutage, dass, repräsentativ ermittelt, weniger als die Hälfte der Deutschen sich „von der Demokratie, wie sie in Deutschland funktioniert“ vertreten fühlen. Besonders in den ostdeutschen Bundesländern sind es sogar weniger als 30 %, während es 2022 immerhin noch 53,5 % waren. In Westdeutschland waren es 2022 noch 57,7 % zu heute 46 %. Die Tendenz ist eindeutig: Anstelle von demokratischen, gemeinschaftlichen, dialogischen Strukturen wird der Wunsch nach einer „starken Führung“ deutlich. Autoritäre, diktatorische Strukturen aber machen nicht frei, sondern abhängig.
Fazit
Die Forderung nach einem neuen Gesellschaftsvertrag, hin zu einer „Fairfassung“ bedingt, dass in einer demokratischen Verfassung das „Wir“ über dem „Ich“ steht (Paul Collier/John Kay, Das Ende der Gier. Wie der Indsividualismus unsere Gesellschaft zerreißt…, 2021, www.socialnet.de/rezensionen/​28719.php). Das Essay ist Denkanstoß, und es ist Provokation und Aufforderung zum Perspektivenwechsel: Wer hören will der höre, wer sehen will der sehe, und wer sich für eine bessere, gerechtere (EINE) Welt einsetzen will, der mache!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 04.12.2024 zu:
Dr. Clemens Oswald: Fairfassung. So geht Demokratie! - Essay für eine Reform des Grundgesetzes. Books on Demand GmbH
(Norderstedt) 2024.
ISBN 978-3-7597-9107-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32924.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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