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Lutz Hachmeister: Hitlers Interviews

Rezensiert von Wolfgang Schneider, 08.01.2025

Cover Lutz Hachmeister: Hitlers Interviews ISBN 978-3-462-00240-9

Lutz Hachmeister: Hitlers Interviews. Der Diktator und die Journalisten. Verlag Kiepenheuer & Witsch (Köln) 2024. 384 Seiten. ISBN 978-3-462-00240-9. D: 26,00 EUR, A: 26,80 EUR.

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Thema

Adolf Hitler hat im Verlauf seiner politischen Karriere der ausländischen Presse mehr als hundert Interviews gegeben. Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt fanden den deutschen Diktator als Gesprächspartner faszinierend. Lutz Hachmeister erzählt nun erstmals die aufschlussreiche Gesamtgeschichte dieser Treffen – und zeigt dabei auch, welche Lehren sich auch fast einhundert Jahre später noch aus diesen Veröffentlichungen ziehen lassen.

Autor

Lutz Hachmeister, 1959–2024, arbeitete als Publizist, Filmemacher und Medienforscher in Köln. Er war u.a. Medienredakteur beim Tagesspiegel (Berlin) und Direktor des Grimme-Instituts, 2005–2024 Geschäftsführer des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM). Zahlreiche Sachbücher und Dokumentarfilme zu medien- und zeithistorischen Themen, u.a. „Schleyer – Eine deutsche Geschichte“, „Das Goebbels-Experiment“ und „Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS“.

Aufbau und Inhalt

Schon vor dem Putschversuch von 1923 erschien in den USA ein erstes längeres Hitler-Interview, geführt von dem prominenten Deutsch-Amerikaner George Sylvester Viereck. Nach seiner Landsberger Haft zunächst einmal in der internationalen Versenkung verschwunden, wurde Hitler dann mit dem NS-Wahltriumph 1930 ein enorm begehrtes Objekt der Berichterstattung. Vermittelt durch seinen Medienberater Ernst „Putzi“ Hanfstaengl, gaben sich bald Journalist:innen aus aller Welt die Klinke in die Hand. Für viele von ihnen bedeuteten die Interviews einen Karrieresprung – die ultimative Trophäe. Nur wenige erkannten sein sinistres Potenzial, viele waren vor allem von der Obersalzberg-Inszenierung beeindruckt. Lutz Hachmeister wertet die Interviews im Hinblick auf Hitlers jeweilige Medienstrategie im zeithistorischen Kontext aus und untersucht die Komplizenschaft zwischen Propaganda-Strategen und Reportern und liefert so anhand von Originalquellen und Archivmaterial einen neuen und modernen Blick auf ein von vornherein als Mediendiktatur geplantes Führersystem – und seine sich wandelnden Einschätzungen im Ausland. Insgesamt sind so über die Jahre rund 100 Interviews zustande gekommen, die Adolf Hitler der internationalen Presse gegeben hat, wovon der größte Teil durch anglo-amerikanische Journalist:innen geführt wurde. Sehr viele dieser Interviews finden sich in Auszügen in diesem Buch wieder, anhand derer Lutz Hachmeister aufzeigt, dass nur die wenigsten Interviewer:innen wirklich auf das vorbereitet waren, was sie bei den Gesprächen erwartete: einen Gesprächspartner, der die freie Presse verachtete. Aus seinen Analysen generiert der kurz vor der Veröffentlichung des Buches verstorbene Autor dann seinen Prolog, in dem er der Frage nachgeht, was sich in der aktuellen politischen und medialen Landschaft aus den Hitler-Interviews lernen lässt. Und noch viel wichtiger. Macht es überhaupt Sinn, Diktatoren diesen Raum zu geben? Denn – und das ist wohl die zentrale Erkenntnis für die Gegenwart aus diesem Buch – häufiger sind „die Propagandaeffekte für den Tyrannen (…) nicht gewichtiger sind als alle kurzfristigen Nachrichtenwerte“ (S. 316).

Diskussion

Die Erkenntnis, die sich aus diesem Buch ziehen lässt, dürfte in vielen Medienhäusern nicht gerne gehört werden und dementsprechend leider wohl kaum zum Umdenken führen: Interviews mit diktatorisch agierenden Machthabern (und das ist bewusst nicht gegendert) ist fast immer ein Teil deren Strategie. Die Medien werden hier zum Spielball auf dem Weg zum Ziel. Dass das keine Kaffeesatzleserei ist, sondern sich aus dem Wirken Hitlers herauslesen lässt, ist ein Verdienst des leider zu früh verstorbenen Lutz Hachmeister. Die Veröffentlichungen über Adolf Hitler sind kaum zu zählen, aber über seinen Umgang mit den Medien gibt es nur wenig Texte. Dabei – und das ist beim Lesen dieses Buches erschreckend – lassen sich daraus unzählige Parallelen zur Gegenwart herauslesen. An manchen Stellen wirkt es dann auch so, als schreibe der Autor über so manchen Machthaber des 21. Jahrhunderts. Und so bleibt den Leser:innen am Ende wohl vor allem eine Frage im Kopf: Warum fallen Menschen offensichtlich auch noch 100 Jahre nach dem Emporkommen Adolf Hitlers auf die gleichen Mechanismen herein?

Fazit

Auf den ersten Blick scheint der Zusammenhang zwischen der Gegenwart und dem Aufstieg Adolf Hitlers aus medialer Sicht gar nicht einmal so klar. Doch wer dieses Buch liest, dem öffnen sich die Augen, ob der Teil erschreckenden Parallelen, die sich aus der Zeit zwischen 1923 und 1945 zur aktuellen Situation ziehen lassen. Eigentlich kann niemand am Ende sagen, es sei nicht vorauszusehen gewesen.

Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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Zitiervorschlag
Wolfgang Schneider. Rezension vom 08.01.2025 zu: Lutz Hachmeister: Hitlers Interviews. Der Diktator und die Journalisten. Verlag Kiepenheuer & Witsch (Köln) 2024. ISBN 978-3-462-00240-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32930.php, Datum des Zugriffs 24.01.2025.


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