Bernhard A. Sabel, Armin Fuhrer: Fake-Mafia in der Wissenschaft
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 21.01.2025

Bernhard A. Sabel, Armin Fuhrer: Fake-Mafia in der Wissenschaft. KI, Gier und Betrug in der Forschung. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2024. 264 Seiten. ISBN 978-3-17-045557-3. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR.
Wissenschaft – Wissen schafft!
„Die wahre Wissenschaft wird zur ‚Ware‘ Wissenschaft“. Es sind die „Paper Mills“, die Papiermühlen, die als mafia-ähnliche Einrichtungen und Netzwerke „Fake-Publikationen“ veröffentlichen. Es sind „organisierte Verbrecherringe, die Betrug im großen Stil begehen“ (Matt Hotkinson). Es sind Lügen-Patrone, die den hehren Zielen des wissenschaftlichen Arbeitens (Jim Holt, Als Einstein und Gödel spazieren gingen. Ausflüge an den Rand des Denkens, 2020, www.socialnet.de/rezensionen/​26803.php) Fake-Parolen bieten. Es sind Egozentriker und Fälscher, die die „Wunschmaschine Wissenschaft“ (Julian Nida-Rümelin, Hrsg., Wunschmaschine Wissenschaft. Von der Lust und dem Nutzen des Forschens, 2006, www.socialnet.de/rezensionen/4391.php) umsteuern wollen. Es sind die Bösartigen, die Hoffnungen und humane Entwicklungen (Michael Shermer, Der moralische Fortschritt. Wie die Wissenschaft uns Menschen zu besseren Menschen macht, 2019, www.socialnet.de/rezensionen/​25201.php) zerstören.
Entstehungshintergrund und Autor
Informationen, Fakten und Wissen fälschen ist zum einen ein individuelles, persönliches Vergehen, zum anderen auch eine kriminell organisierte Aktion. Es sind „Fälschungsagenturen“, die gezielt, spekulativ und manipulativ Fake-Publikationen in die populäre, fachwissenschaftliche und gesellschaftspolitische Öffentlichkeit bringen – und Gläubige, Populisten, Extremisten und Ideologen finden. Wissenschaftliche Integrität und Verlässlichkeit sind Fundamente des alltäglichen, guten Lebens der Menschen. Verifizierungs- und Falsifizierungs-Parameter sind Mittel der „Integrität der Wissenschaft“. Mit dem „Journal Impact Factor“ (JiF) wird ermittelt, wer, wo und welche tatsächliche, seriöse und faktische Forschungsergebnisse publiziert.
Der Autor Bernhard A. Sabel von der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hat mit seinem Team und in Zusammenarbeit mit dem Psychologen Gerd Gigerenzer (siehe dazu auch: Risiko. Wie man die richtigen Entscheidungen trifft, 2013, www.socialnet.de/rezensionen/​15271.php), im Jahr 2020 veröffentlichte Forschungsergebnisse zu biometrischen Themen untersucht (16.200 Artikel). Sie ermittelten dabei, hochgerechnet auf die weiteren, globalen Veröffentlichungen zur Thematik, dass rund 13 % der Publikationen, KI-unterstützt, auf Fakes beruhen; nicht nur für Wissenschaftsverlage, sondern auch für Beratungsagenturen und politische Entscheidungsträger ein Schock. Er führte z.B. dazu, dass die zur Open-Access-Initiative gehörende Hindawi Publishing Corporation 2023 rund 8000 publizierte Artikel zurückzog. Der pekuiäre und wissenschaftliche Schaden ist enorm – „Die Wissenschaft hat ihre Unschuld verloren“; der größte Wissenschaftsbetrug der Geschichte ist fakt!
Aufbau und Inhalt
In 14 Kapiteln werden die Forschungsergebnisse der „Wissenschaftskrise“ dargestellt. Mit dem Text „Wa(h)re Wissenschaft“ werden die Manipulationen der „Papiermühlen“ aufgezeigt. „Ghostwriter“ und verantwortungslose, käufliche, korrupte Schreiber Innen und Fake-AkteurInnen produzieren „Dopings des Wissens“ und schädigen so die Integrität der Wissenschaft. Die traditionellen, Verifizierungs- und Falsifizierungsmechnismen versagen angesichts der KI-Entwicklung. Eine Bemerkung ist notwendig: „Es geht nicht darum, die Entwicklung von KI zu hemmen“; aber darum, sie zu kontrollieren. Wissenschaftsfälschungen freilich hat es immer schon gegeben. Darauf wird mit dem Artikel „Fälschungen in der Wissenschaft seit der Antike“ hingewiesen.
Mit der Überschrift „Ein Schrei im Weltall“ thematisiert der Autor Fakes und Oberflächlichkeiten, die durch innovative Aktivitäten, wie z.B. dem Wissenschafts-Blog „Retraction Watch“ und anderen Initiativen kritisiert und aufgedeckt wurden. Mit dem Text „Das Uhrwerk der Wissenschaft“ wird aufgezeigt, wie wissenschaftliche Publikationen zustande kommen, welche Rolle und Motive „Ehrgeiz und Erfolg der Wissenschaftler“ ausmachen, welche Bedeutung bei Karriere und Aufmerksamkeit der „Journal Impact Factor“ einnimmt.
Im fünften Kapitel wird mit dem Beitrag „Doping durch ‚Fake-Publikationen: Keine Grenzen des Wachstums“ auf die Probleme aufmerksam gemacht, die durch Fake-Publikationen entstehen: 16,3 % verdächtiger Publikationen im Jahr 2023.
Mit dem Text „Papiermühlen – Fälscherwerkstätten mit Lust und List“ werden die mafiosen Strukturen der Paper Mills konkretisiert: „Papiermühlen sind professionelle Fälschungsagenturen, die … darauf spezialisiert sind, ihre gefälschten Waren auf industrielle Weise wie eine Druckpresse in großen Stückzahlen zu produzieren“.
Im siebten Kapitel werden mit dem Text „Mehr Schein als Sein“ die Merkmale und Strukturen der Fakes. Es sind Tricks und Versuche, den Fake-Beitrag ähnlich den faktischen Texten zu gestalten. Pseudo-wissenschaftliche Texte können als „Highjacking“ (Artikel-Piraterie) das Übernehmen oder leichten Verändern von vorhandenen (älteren) Veröffentlichungen sein; es kann sich um Text- und Bild-Plagiate, oder um frei erfundene, modifizierte oder fehlerhafte Fake-Materialien handeln.
Die kritische Auseinandersetzung mit medialen Entwicklungen erfolgt mit der Aussage: „Künstliche Intelligenz behindert die wahre Intelligenz der Wissenschaft“. Dabei ist nicht Negation gefragt, sondern kritische, intellektuelle und reale, faktische Auseinandersetzung: Denn KI ist weder Zauberei noch Rezept, sondern Hilfs- und Innovationsmittel im humanen So-Sein und in der dialogischen Kommunikation.
Im neunten Kapitel geht es um „Raubjournale“, um „Piraten der Wissenschaft“. In dem 2022 veröffentlichten Report „ Combatting Predatory Academic Journals and Conferences“ kommt zum Ausdruck, dass weltweit rund 15.000 Raubjournale existieren. Als „Phishing“ werden sogenannte wissenschaftliche Tagungen und Konferenzen abgehalten und erheischen öffentliche Aufmerksamkeit.
Mit dem zehnten Beitrag „Wissenschaftsverlage“ setzt sich der Autor mit Sinn und Zweck und den unterschiedlichen Zielsetzungen von ökonomischen Unternehmungen und wissenschaftlichen Einrichtungen auseinander. Profit und Allgemeinbildung.
Elftens wird mit dem Beitrag: „China, Indien, Russland & Co“ im wissenschaftlichen Diskurs „die Aufholjagd autokratischer Länder“ thematisiert. In der Liste der aktuellen weltweiten wissenschaftlichen Veröffentlichungen rangieren die außereuropäischen, asiatischen Länder ganz obenan.
Zwölftens geht es darum, welche Interessen und Motive Verlage verfolgen, welche Lobby- und Zielgruppen sie erreichen wollen oder abhängig sind: „Lobby-Gruppen der Verlage und ihre maximale Halbherzigkeit“. Die zunehmende, kritische, intellektuelle Aufmerksamkeit hat bewirkt, dass 1997 das gemeinnützige, internationale „Commitee on Publication Ethics“ (COPE) die „White Papers“ vorgelegt hat, mit denen den Akteuren des wissenschaftlichen Publikationswesens (Verleger, Redakteure, Forscher) Handhabungen für ihre Arbeit angeboten werden. Dem Autor und seinen Apologeten allerdings reichen die Vorschläge nicht, wie er auch vermutet, dass die bestimmenden und monumenten Verlage wenig Interesse an einer grundlegenden Revision des wissenschaftlichen Publikations- und Veröffentlichungswesens zeigen.
Mit dem dreizehnten Artikel „Folgeschäden des Angriffs auf das Weltwissen“ warnt der Autor vor „Oligopole(n) des Wissens“, die von undemokratischen, hierarchischen und diktatorischen Staaten und Einrichtungen als Machtinstrumente genutzt werden.
Mit dem 14., letzten Beitrag „Call-to-Action“ wirbt Sabel für eine Reformation des wissenschaftlichen Publizierens. Er stellt Kontrollmechanismen vor und fordert einen Perspektivenwechsel und bietet dazu einen „Wahrhaftigkeits-Check“ und eine „Integritäts-Prüfung“ an.
Diskussion
„Wenn Du immer nur das tust, was Du immer schon tust, dann bekommst Du auch immer nur das, was Du schon immer bekommst“. Die Weisheit erinnert an die „positive Subversion“, wie sie der Umwelt- und Friedensaktivist Hans A. Pestalozzi (1929 – 2004) in seinem Buch „Nach uns die Zukunft“ (1979) formuliert hat:
Wo kämen wir hin
wenn alle sagten
wo kämen wir hin
und niemand ginge
um einmal zu schauen
wohin man käme
wenn man ginge.
Im Titel der Studie wird die italienische Mafia als krimineller, großfamilienähnlicher, geheimer ökonomischer Zusammenschluss genannt und damit auf die weltweite Verbreitung von verbrecherischen Aktivitäten verwiesen: Von der kalabrischen 'Ndrangheta bis hin zum lateinamerikanischen Drogenkartell, den russisch-nordkaukasisch-dominierten OK-Strukturen und den chinesischen Triaden. Die globalen, kriminellen Tätigkeiten wirken über ökonomische Zielsetzungen hinaus, hin zur gesellschaftlichen und politischen Manipulation, Propaganda und Machteinfluss.
Fazit
Fakes, Fälschungen und fiktive Forschungen beeinflussen und beeinträchtigen Wissenschafts-Ethik. „Nichts-tun ist keine Option. Sonst wird der modernen, wissenschaftlichen und hochtechnologischen Zivilisation des 21. Jahrhunderts durch den größten Wissenschaftsbetrug aller Zeiten der Teppich unter den Füßen weggezogen“. Die umfangreichen Quellennachweise und die ausgewählten Literaturhinweise bieten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, Schreibern und Verlagen die Chance zur intensiven Wahrnehmung und Nutzung für verantwortungsbewusstes eigenes Tun.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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