Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung
Rezensiert von Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt, 03.12.2024
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Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung.. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit.
PapyRossa Verlag
(Köln) 2024.
239 Seiten.
ISBN 978-3-89438-834-8.
D: 17,90 EUR,
A: 18,40 EUR.
Reihe: Neue Kleine Bibliothek - 342.
Thema und Entstehungshintergrund
„Ich bin heute frei, weil ich mich des Journalismus schuldig bekannt habe“. Mit diesen Worten kommentierte Julian Assange seine Freilassung aus jahrlanger Haft und Verfolgung durch die US-Behörden. Assange hält daran fest, dass es Aufgabe des Journalismus sei, über Tatbestände zu berichten, ohne dies gleich mit einer Parteinahme für diejenigen Machthaber zu verbinden, die Gegenstand der Berichterstattung sind. Blickt man allerdings auf die alltägliche Berichterstattung in den Medien, dann ist von der geforderten Objektivität wenig zu spüren. Die moralische Unterscheidung von gut oder böse erweist sich in vielerlei Hinsicht als durchgängige Richtschnur medialer Meinungsbildung. Diesem Tatbestand widmet sich Renate Dillmann in ihrem neuen Buch.
Autorin
Dillmann ist studierte Politikwissenschaftlerin und arbeitet als freie Journalistin. Neben vielfältigen kritischen Veröffentlichungen zu Staat und Gesellschaft betreibt sie auch das Podcast-Format 'Der real existierende Wahnsinn' bei 99 ZU EINS.
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in drei Teile: im ersten Abschnitt wird der Frage nachgegangen, warum (halbwegs) verlässliche Informationen von den Leitmedien nicht erwartet werden können. Hierzu werden „einige Lektionen in Medienkompetenz“ aufgearbeitet und anhand von Beispielen gezeigt, wie neuralgische Punkte in der Berichterstattung der politischen Medien erkennbar werden.
Im zweiten Teil des Buches wird versucht, eine Erklärung für den festgestellten Sachverhalt zu liefern. Hierzu analysiert und systematisiert dieser Abschnitt das nicht immer konfliktfreie Zusammenspiel von Politik, Presse und Publikum.
Im dritten und letzten Teil des Buches werden anhand dreier Beispiele (Ukraine, Gaza, China) mediale Vorgehensweisen aufgegriffen, die Renate Dillmann als „Weg in die Kriegstüchtigkeit“ charakterisiert. Die dabei zu Tage tretenden „geistigen Zumutungen“ werden in kritischer Absicht für den Leser des Buches aufgefächert.
Die in Teil 1 thematisierten Methoden und Mechanismen der politischen Berichterstattung lassen sich aus Sicht der Autorin nicht ohne Rückgriff auf die Sachebene behandeln. Dabei illustriert sie, dass die Leitmedien nur über ausgewählte Inhalte berichten. Die Auswahl des zu Berichtenden erfolgt entlang des nationalen Interesses an diesen Sachverhalten. Redaktionen und Journalisten schauen durch eine nationale Brille auf das, was in der Welt passiert, so die Autorin.
Im weiteren Verlauf des Buches wird diese These am Beispiel von Schlagzeilen konkretisiert, die nicht einfach das Thema eines Berichts angeben. „Argumentiert wird dabei implizit oder explizit von einem nationalen „Wir“ aus, einem alternativlos feststehenden Allgemeinwohl, das ein Bekenntnis zum ungestörten Wachstum der deutschen Wirtschaft und zur erfolgreichen Umsetzung des deutschen Staates zum Inhalt hat“ (S. 41). Am Beispiel der Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg werden die Folgen des Auslassens wichtiger Tatbestände, die zu diesem geführt haben, thematisiert. Mit dieser De-Kontextualisierung wird – so Dillmann – das Publikum auf die nationale Sichtweise zu diesem Krieg eingeschworen. Weitere Beispiele, wie die Berichterstattung zu Afghanistan, fundamentieren diesen Befund und in der Gesamtschau ihrer vielfältigen Beispiele kommt sie zu der Schlussfolgerung, dass die freie Presse keineswegs sachlich und um Objektivität bemüht berichterstattet. Dieser, so Dillmann, „betrübliche Befund“ wirft aus ihrer Sicht die Frage auf, was die Gründe für diese (selektive) Vorgehensweise des Journalismus sind und inwieweit der Vorwurf der „Lügenpresse“ auf diesen Sachverhalt reagiert, ohne sich weiter mit diesen Gründen zu beschäftigen.
Dies leitet über zu Teil II des Buches, welches wiederum in verschiedene Kapitel gegliedert ist. Kapitel 1 befasst sich mit dem Verhältnis von Medien und Herrschaft, im zweiten Kapitel werden die Inhalte der Meinungs-und Pressefreiheit als im Grundgesetz garantierte Rechte thematisiert. Im dritten Kapitel geht es um die Frage, warum eine stetige Tendenz der Einschränkung der gewährten Rechte in den parlamentarisch verfassten Staaten des Westens beobachtet werden kann und im vierten Kapitel wird der Frage nachgegangen, wie die privatwirtschaftlich organisierten Medien und der öffentlich-rechtliche Rundfunk ihrer Aufgabe der Information der Wahlbevölkerung und der Kontrolle der Regierung als politische Exekutive nachkommen. Im fünften Kapitel werden dann Beispiele vorgestellt, wie die demokratische Öffentlichkeit unter Einschluss der Adressatinnen und Adressaten agiert und im sechsten Kapitel stellt die Autorin die Frage, warum die Empfängerinnen und Empfänger der Berichterstattung die darin enthaltenen Zumutungen nicht als solche wahrnehmen.
Renate Dillmann konstatiert in diesem Kapitel, dass der „freie Streit der Meinungen“ zu einer Gesellschaft konkurrierender und widerstreitender Interessen „essentiell“ dazugehört (S. 96). Allerdings, so ihre Schlussfolgerung aus diesem Tatbestand, gibt es Schranken der freien Meinungsäußerung, die der Gesetzgeber setzt: nur diejenige Meinungsäußerung wird toleriert, die „in Ausübung ihrer Freiheit zugleich das staatliche Gewaltmonopol und seine verfassungsmäßige Grundordnung“ anerkennt (S. 99). Der Staat beansprucht die Definitionsmacht über die Grenzen der freien Meinungsäu0erung, sodass die Frage, was geduldet wird und was nicht, stets dazugehört.
Als Beispiel für die Absurditäten, die bei dieser Kontrolle der Meinungsfreiheit entstehen, zitiert sie eine Einlassung der Bundesregierung, nach der die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde widerspricht. Die Parteinahme für Waffenlieferungen – so Dillmann – ist mit dieser aber problemlos zu vereinbaren.
Die im vierten Kapitel dieses Abschnitts behandelte Frage, wie Medien ihrer Aufgabe der Nachrichtenversorgung und Kontrollfunktion gegenüber Wirtschaft und Amtsträgern nachkommt (also als Vierte Gewalt agiert) wird eingeleitet durch Überlegungen zur finanziellen Basis der Medien. Als Zwischenergebnis zu ihrer Analyse medienkritischer Tatbestände hält Dillmann fest: „Die Kritik ist letztendlich meist von einer sehr konstruktiven Sorge getragen, dass die Vierte Gewalt der etablierten Medien ihren Einfluss verliert, wenn sie verbreitete politische Standpunkte ignoriert und sogar in arroganter Weise das Urteilsvermögen ihres Publikums beleidigt“ (S. 145/146).
Im weiteren Fortgang dieses Abschnitts des Buches finden sich prinzipielle Überlegungen zu Bewusstsein und Stellung der Menschen in einer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft mit Blick auf Regierung und Staat. Diese Überlegungen bilden die Basis für eine grundsätzliche Funktionsbestimmung der Medien, die in ihrer Berichterstattung die aktuellen nationalen Anliegen verdolmetschen und gerade dadurch, dass sie den verantwortlichen Politikerinnen und Politikern durchweg kritisch begegnen, deren Anliegen affirmieren und deren schnelle, effektive und möglichst reibungslose Umsetzung zum Maßstab ihres Urteilens machen.
In Teil III des Buches werden drei Fallbeispiele vorgestellt, an denen das Vorher Gesagte exemplarisch analysiert wird. Am Beispiel der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg, den Gaza-Krieg und der Berichterstattung zur Volksrepublik China soll aufgezeigt werden, wie die moralische Unterscheidung von Gut und Böse medial funktioniert und welche Rolle hierbei die nationale Brille als das alles bestimmende Nadelöhr des medialen Focus spielt. Renate Dillmann demonstriert in den jeweiligen Fallbeispielen Vorgehensweisen der Berichterstattung, die den parteilichen Moralismus der tätigen Journalisten deutlich machen und eine Erklärung dafür liefern, warum ihnen nichts ferner liegt als sich um die jeweilige Sachlage zu bemühen.
Dillmann, die zu allen drei Fallbeispielen bereits an anderer Stelle publiziert hat, erläutert in verschiedenen Abschnitten, mit welchen Vorgehensweisen die moralisch-nationalistischen Urteile in der medialen Berichterstattung häufig verbunden sind (Dämonisierung des Gegners, Kontextualisierung, Emotionalisierung).
Wenn in der Berichterstattung ein „Feind“ ausgemacht ist (dieser repräsentiert im Normalfall Interessen, die denen des Westens entgegenstehen), dann wird dieser als das „Böse“ charakterisiert, ohne das Gegensätze, Disharmonien, Widersprüche und Interessen auch nur ansatzweise thematisiert werden. Dillmann bezeichnet dies als „Kriegsertüchtigung“, in der Feindbilder sowohl nach außen als auch nach innen aufgebaut und gepflegt werden.
Das Buch endet mit einer Schlussbemerkung, in der die zentralen Aussagen des Buches noch einmal pointiert zusammengefasst werden. Während die Medien der Politik vorhalten, für „diese aggressive Welt“ (Dirk Kurbjuweit, Der Spiegel) nicht gerüstet zu sein, folgen sie, so das abschließende Urteil der Autorin, dem selbstgesteckten Auftrag, der demokratischen Öffentlichkeit das nationale Ziel der Kriegstauglichkeit nahezubringen.
Diskussion
Renate Dillmanns Medienkritik ist eine fundierte Analyse der Funktionsweise der unter dem Signum der Meinungsfreiheit handelnden Berichterstattung. Sie beschränkt sich dabei nicht auf die Vorgehensweise unterschiedlicher Medien und die Prüfung ihrer Thesen anhand von Fallbeispielen, sondern begründet ihre kritische Wahrnehmung des medialen Geschehens mit kaum von der Hand zu weisenden Argumenten. Das Buch ist schlüssig aufgebaut und enthält eine Fülle von Beispielen für die Kernaussage, dass es nicht um sachliche Berichterstattung, sondern um Parteilichkeit für die vorgestellte Sache der Nation geht. Dieser nationale Moralismus wird in dem Buch anhand der Funktionsweise der freien Presse aufs Korn genommen und dabei auch der Frage nachgegangen, warum die „Vierte Gewalt“ stets kritisch und dabei doch stets national-parteilich zu Werke geht.
Wenn noch vor Jahren (und bis heute) der Begriff der Fake-News verwandt wird, um missliebige Berichterstattung zu charakterisieren, so ist nach der Lektüre des Buches von Renate Dillmann überzeugend dargelegt, dass dies nicht nur eine falsche Bestimmung der Vorgehensweise der Medien darstellt, sondern auch den Zwecksetzungen, denen diese aus freien Stücken gehorchen, in keiner Weise gerecht wird. Dabei wird auch deutlich, dass das eingangs von Julian Assange zitierte Ideal journalistischer Berichterstattung wohl zu Grabe getragen werden muss. Wer, wie der Rezensent, erschrocken registriert, mit welch leichter Hand die freie Presse die Kriegstüchtigkeit für ein erstrebenswertes Ziel hält, der ist nach der Lektüre schlauer mit Blick auf die Frage, warum das so ist.
Fazit
Renate Dillmanns Buch zu Medien. Macht. Meinung ist für einen breiten Leserkreis geschrieben und sollte für diejenigen, die Zweifel an der Objektivität der Medien haben, zur Pflichtlektüre werden. Das Buch eignet sich sowohl für ausgewiesene Medienkenner als auch für diejenigen, die sich mit den Funktionsweisen der demokratischen Öffentlichkeit erst einmal vertraut machen wollen. Es ist in jeder Hinsicht zur Lektüre zu empfehlen.
Rezension von
Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt
Professor i.R. für Sozialmanagement, Verwaltung und Organisation am Fachbereich Sozialarbeit der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe Bochum
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Zitiervorschlag
Norbert Wohlfahrt. Rezension vom 03.12.2024 zu:
Renate Dillmann: Medien. Macht. Meinung.. Auf dem Weg in die Kriegstüchtigkeit. PapyRossa Verlag
(Köln) 2024.
ISBN 978-3-89438-834-8.
Reihe: Neue Kleine Bibliothek - 342.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32938.php, Datum des Zugriffs 19.01.2025.
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