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Lucy Gasser, Anna von Rath: Macht Sprache

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 27.11.2024

Cover Lucy Gasser, Anna von Rath: Macht Sprache ISBN 978-3-550-20291-9

Lucy Gasser, Anna von Rath: Macht Sprache. Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit | Strategien für ein sensibles, diskriminierungsarmes Sprechen. Ullstein Verlag (München) 2024. 240 Seiten. ISBN 978-3-550-20291-9. D: 20,99 EUR, A: 21,60 EUR, CH: 23,90 sFr.
Reihe: Wie wir leben wollen.

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Sprache und Diskriminierung

Der anthrôpos, der Mensch, ist ein Lebewesen, das aufgrund seiner Vernunft- und Sprachbegabung in der Lage ist, Allgemeinurteile zu bilden und sich sprachlich und gestisch zu verständigen. Sein Sozialverhalten ist bestimmt von dem Bedürfnis, in friedlicher, gerechter, empathischer Gemeinschaft mit den Mitmenschen und der Umwelt zu leben. Er ist fähig, sein Befinden, seine Hoffnungen, Wünsche und Lebensziele sprachlich und dialogisch auszudrücken. Weil aber der Mensch ein unvollständiges, verletzliches und fehlbares Lebewesen ist (siehe z.B. dazu auch: Angela Janssen, Verletzbare Subjekte. Grundlagentheoretische Überlegungen zur conditio humana, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/25043.php). 

Entstehungshintergrund und Autorenteam

In der Ullstein-Buchreihe „Wie wir leben wollen“ (hrsg., von Silvie Horch) liegt ein Manifest von der Sprachwissenschaftlerin Lucy Gasser und von der Übersetzerin und Diversity-Trainerin Anna von Rath vor, mit dem sie sich mit diskriminierungskritischer Sprache auseinandersetzen. Sie greifen dabei auf Erfahrungen zurück, die sie mit der Gründung und dem Betrieb des bilingualen, interkulturellen, postkolonialen Online-Magazins pocolit. com machen. Es sind Aspekte der privaten und öffentlichen, gender- und rassistischbewussten Kommunikation, die bewusst gemacht und beispielhaft thematisiert werden. Etwa, indem sie „Sprachgewalt“ als Alltagssituationen darstellen. Mit dem Sprach- und Forschungsprojekt „macht.sprache“ wollen sie Erfahrungen und Lösungsansätze diskutieren, zum Paradigmenwechsel auffordern und zu einer „differenzierten Diskussionskultur“ einladen.

Aufbau und Inhalt

Die Autorinnen gliedern das Manifest in drei Teile. Im ersten Kapitel geht es um „Positionierungen – Privilegien – Macht“. Sie verweisen auf patriarchale Strukturen, setzen sich mit identitätsstiftenden und –verhindernden Situationen auseinander und konfrontieren eigene Positionierungen mit denen anderer. Sie zeigen gesellschaftliche Strukturen auf, die Diskriminierung befördern. Dabei greifen sie Meinungen und Sichtweisen auf, wie sie z.B. von der afroamerikanischen Autorin Toni Morrison formuliert wurden (Die Herkunft der anderen. Über Rasse, Rassismus und Literatur, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/24660.php). Weil ein gutes, gelingendes, menschenwürdiges Leben bedingt, dass Gerechtigkeit vorherrscht, ist bedeutsam, mit welchen Vorzügen und Nachteilen Individuen und Gemeinschaften leben; inwieweit Individual- und Gemeingüter das gesellschaftliche Denken und Handeln bestimmen; ob und wie ökonomisches und ökologisches Bewusstsein entwickelt ist („Dass Mehr wird, wenn wir teilen“, Elenor Ostrom, 2011). Macht wird gemacht! Als Privilegierungs- oder Unterdrückungsmittel.

Sprachliche Ausdrucksmittel sind politisch, weil sie Situationen benennen, die (meist) nicht nur Einzelpersonen und ihr Dasein, sondern gemeinschaftliche, solidarische Existenz betreffen. Die Einheit der Menschheit in Vielfalt ist eine Idealvorstellung, die die Menschen nur selten erreichen. Es kommt darauf an, bedacht, behutsam und gerecht Sprache zu benutzen und „Hate Speech“ zu verhindern.

Es gibt Richtungsanzeiger und Lösungsvorschläge. Wissen, Mentalitäten und Gewohnheiten bilden sich meist aus kollektiver Neugier und Erfahrung. Die Autorinnen nennen diese Eigenschaft „Kollaboration“ – an einem Strang ziehen, etwas gezielt gemeinsam gestalten, das durch Kommunikation entwickelt und durchgeführt wird. Solche Aushandlungsprozesse beruhen darauf, dass die Beteiligten sich auf eine gemeinsam abgestimmte Arbeitsweise und Zielsetzung absprechen. Es sind sich verändernde Begrifflichkeiten, die Wirklichkeit spiegeln sollen; und es sind pragmatische, theoretische und praxisorientierte Entscheidungen, die Wahrheiten ergründen, nach adäquaten Lösungen suchen, Kontexte aufspüren und Kompromisse zur Erreichung der Ziele eingehen. Im kommunikativen, dialogischen Miteinander ist Sprache Verständigungsmittel, das bestimmt aber auch gestört werden kann, wenn die Sprache, der Dialekt, der Slang, nicht verstanden wird, wenn mono- oder bilingual gesprochen wird. Es kommt darauf an, Mut und Kraft aufzubringen, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.

Diskussion

Ausgehend von (fremd-sprachlichen) Übersetzungstätigkeiten, den Grundlagen und Fallstricken, treffenden Kompetenzen und falschen Interpretationen, haben die Autorinnen die Macht der Sprache thematisiert. Es sind pragmatische (Richard Rorty, Pragmatismus als Antiautoritarismus, hrsg. von Eduardo Mendieta, 2023, www.socialnet.de/rezensionen/30605.php) und ethische Positionen (Florian Wobser, Hrsg., Anthropozän. Interdisziplinäre Perspektiven und philosophische Bildung, 2024, www.socialnet.de/rezensionen/32551.php). Sich intellektuell verändern und einen lebenslangen Perspektivenwechsel zu vollziehen, das ist humanes Leben. Es kann durch sprachliche und Ausdrucksfähigkeit erfolgen.

Fazit

Im Titel des Manifests – „Macht Sprache“ – kommt zum Ausdruck, das Sprechen Verantwortung ist und Werkzeug eines humanen Umgangs der Menschen miteinander!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 27.11.2024 zu: Lucy Gasser, Anna von Rath: Macht Sprache. Ein Manifest für mehr Gerechtigkeit | Strategien für ein sensibles, diskriminierungsarmes Sprechen. Ullstein Verlag (München) 2024. ISBN 978-3-550-20291-9. Reihe: Wie wir leben wollen. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/32956.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.


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