Thilo Scholle, Mike Schmeitzner (Hrsg.): Hermann Heller, die Weimarer Demokratie und der soziale Rechtsstaat
Rezensiert von Ronny Noak, 25.04.2025

Thilo Scholle, Mike Schmeitzner (Hrsg.): Hermann Heller, die Weimarer Demokratie und der soziale Rechtsstaat.
Verlag J.H.W.Dietz
(Bonn) 2024.
200 Seiten.
ISBN 978-3-8012-4291-6.
D: 36,00 EUR,
A: 37,10 EUR.
Reihe: Politik- und Gesellschaftsgeschichte - 114.
Thema
Filtert man im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek nach Hermann Heller (1891 – 1933) erscheinen 79 Publikationen, an denen der vor allem als Jurist bekannte Heller beteiligt war und 38 Publikationen über ihn. Dies zeigt zweierlei: zum einen besteht offenbar (noch) ein gewisses Missverhältnis zwischen dem Werk des Autors und der Beschäftigung mit seinem Wirken. Da macht Heller selbst das Rennen – obwohl ihm aufgrund seines frühen Todes 1933 nur gut 15 aktive Jahre blieben. Zum anderen ist aber auch nicht mehr von einem gänzlich unbekannten Protagonisten der Weimarer Republik zu sprechen – davon zeugt die umfassende Befassung mit ihm. Wie vielschichtig Hermann Heller dabei war und warum sich eine Befassung mit ihm lohnt, geht der vorliegende Sammelband auf den Grund.
Autor:in oder Herausgeber:in
Der Band wird herausgegeben von Thilo Scholle und Mike Schmeitzner. Erstgenannter ist Jurist und Referatsleiter in einem Bundesministerium und befasste sich bereits 2023 in einer knappen Monografie aus der Reihe „Jüdische Miniaturen“ mit Hermann Heller. Der zweite Herausgeber ist Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut und Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der TU Dresden, was auch sein Forschungsfeld umreißt. Zu den Herausgebern treten als Autor*innen beispielsweise mit John Philipp Thurn ein Sozialrichter oder mit Tamara Ehs eine Demokratieberaterin. Insgesamt publizieren im Band elf Autor*innen.
Entstehungshintergrund
Vorangegangen war dem Band eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden am 17. Juni 2022 in Berlin. Dabei hatten die Ausrichter den 90. Jahrestag des sogenannten „Preußenschlags“, der Entmachtung der Demokratie im Land Preußen, zum Anlass genommen. Im Zuge des Preußenschlags war es schließlich Hermann Heller gewesen, der die Demokratie zu verteidigen suchte.
Aufbau
Der Band enthält, neben der üblichen Einleitung durch die Herausgeber, zehn Kapitel. Diese sind unterteilt in vier Themenblöcke. Der erste Block befasst sich mit dem Wohl bekanntesten Tätigkeitsfelds von Hermann Heller: seiner Positionierung als Anwalt des sozialen Rechtsstaates. Darüber berichten drei Beiträge. Im zweiten Block befassen sich zwei Aufsätze mit der Bedeutung Hellers für eine wehrhafte Demokratie – was auch das Feld der Bildung einschließt. Anschließend geht es im dritten Abschnitt mit dem Titel „Zum materiellen Fundament einer demokratischen Verfassung“ vor allem um Hellers Begriffe der Homogenität und Wirtschaftsdemokratie. Abschließend finden wir einen Blick in die Rezeptionsgeschichte Hellers bis in die Gegenwart, wobei der Band mit einem Interview mit Gertrude Lübbe-Wolff, einer Richterin des Bundesverfassungsgerichts a.D. beendet wird.
Inhalt
Im Zentrum des Bandes steht Hellers Verteidigung der Weimarer Republik als demokratischer und sozialer Rechtsstaat – ein Konzept, das er sowohl theoretisch fundierte als auch politisch engagiert vertrat. Die Autorinnen und Autoren des Bandes beleuchten Hellers kritische Auseinandersetzung mit autoritären und technokratischen Staatsvorstellungen, insbesondere mit Carl Schmitt, und stellen seine Überlegungen in den Kontext der damaligen politischen Kämpfe.
Da – wie Anfangs eingeführt – Heller vor allem in der Geschichte des Staatsrechts kein gänzlich Unbekannter mehr ist, sei an dieser Stelle erwähnt, dass der Sammelband dies alles aufgreift. Als Konterpart zu Carl Schmitt machte der Jurist bereits während seiner Lebensjahre auf sich aufmerksam und verteidigte die Demokratie und unterfütterte sie mit dem Ideal der Homogenität. Dies mag bereits ein Hinweis für die Gegenwart sein, wo die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht und wir aktuell in den Vereinigten Staaten sehen können, wohin ein Auseinanderdriften der Besitzverhältnisse führen kann.
In dieser Rezension will ich aber drei Felder aufgreifen, die nicht zur klassischen Heller-Rezeption gehören, im Band aber dennoch vertreten sind.
Heller als politischer Bildner
Da Hermann Heller den Wenigsten als Theoretiker und Praktiker der politischen Bildung bekannt sein wird, ist es positiv anzumerken, dass Frank Schale in seinem Aufsatz mit dem Titel „Hermann Heller: Volksbildung zwischen Demokratie und Nation“ ausführlich die Genese der Volks- und Erwachsenenbildung bis in Hellers Zeit auf 13 Seiten zusammenfasst. Anschließend verdeutlicht der Autor die Konzeption von Volks- und vor allem Arbeiterbildung bei Heller. Dabei zeigt er, dass das „Staatsbewußtsein“ (S. 115) elementarer Bestandteil der Konzeption ist und somit zu einem positiven Verhältnis gegenüber der Demokratie gedeihen soll und damit auch einen Beitrag zu ihrer Wehrhaftigkeit leiste. Abgeschlossen wird der Beitrag – der auch darauf eingeht, dass Heller nicht nur theoretisch sondern in seiner Anfangszeit auch praktisch als Gründer der Kieler Volkshochschule aktiv wird – mit einer politiktheoretischen Kritik an den Konzepten Hellers.
Heller als Analytiker des Faschismus
Für die Zeitgenossen der Weimarer Republik war der Aufzug des Faschismus noch mit einem ungewissen Faktor versehen. Weder war seine Entwicklung – vor allem in Deutschland – noch seine Erfolgsbedingungen offensichtlich. Hermann Heller hatte aber bereits Ende der 1920er Jahre eine Publikation vorgelegt, die sich mit eben jenem Massenphänomen der Zeit befasst hatte („Europa und der Fascismus“[sic!]). Damit lässt er sich zu den Begründern der zeitgenössischen Faschismusforschung rechnen.
Und es verwundert nun auch nicht, dass Hellers Leidenschaft zur Bildung auch gegen den Faschismus ihre Ausprägung fand. Schmeitzner kann zeigen, dass Heller sich unter anderem vor Studenten für Aufklärung einsetzte. Er wurde so zum „Experten für Faschismus“ (S. 92). Immer wieder unterfütterte er seine Positionen mit aktuellen Beobachtungen. Dass es dabei auch zu Fehlschlüssen kam – so unterschätzte Heller die Bedeutung des Antisemitismus und überschätzte die Macht des „uncharismatischen Hugenbergs“ (S. 95) – wird im Aufsatz dabei nicht ausgespart; gibt aber gerade einen hervorragenden Einblick in die Analyse der Zeitgenoss*innen, der gegen die Schablone des Historikers gehalten werden kann.
Heller und die Gegenwart
Im letzten Teil des Bandes wird Heller insgesamt nicht nur als bedeutender Denker der Zwischenkriegszeit porträtiert, sondern auch als intellektuelle Figur mit bleibender Relevanz für heutige Debatten um Demokratie, soziale Gerechtigkeit und die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats ins Bild gesetzt. Der Band trägt somit zur Wiederentdeckung und Neubewertung eines lange vernachlässigten politischen Denkers bei und motiviert gerade unter der Formel des demokratischen Sozialismus noch einmal über bestehende Ansätze nachzudenken.
Abseits der Texte überzeugt der Band schließlich auch mit einer nicht geringen Zahl an Illustrationen – seien es Porträts (S. 18 und S. 130), Titelbilder der Zeitung „Das Reichsbanner“ (S. 82) oder des politischen Heller im Kreise von Jungsozialist*innen (S. 46).
Diskussion
Sammelbände sind nicht immer leicht zu strukturieren. Es bleibt ein Kunstgriff einen „roten Faden“ für die Beiträge zu finden. Womöglich ist das bei einem Band über einen Akteur der Zeitgeschichte etwas einfacher, da sich die Verbindung hier quasi von selbst ergibt. Hat man es aber – wie im hier vorliegenden Fall – mit einem derart vielschichtigen und umtriebigen Akteur wie Hermann Heller zu tun, wird es schon wieder aufwendig. Man muss den Herausgebern aber gratulieren, dass es Ihnen gelungen ist die Verbindung von Hellers theoretischer und publizistischer Tätigkeit mit seinem aktiven Leben als wehrhafter Demokrat zu kombinieren – ohne dabei an Kritik zu sparen und seine Einschätzungen immer wieder zu hinterfragen.
Im Sammelband tritt Heller heraus aus einem Schattendasein. Es wird deutlich, dass er – sozialdemokratisch sozialisiert – sich sowohl auf praktischer als auch theoretischer Ebene für ein demokratisches Staatswesen einsetzte. Dabei beobachtete er die Gegenwart scharfsinnig, zog Rückschlüsse auf seine Position und trat schließlich in die vorderste Front bei der Verteidigung der Republik. Man muss dabei deutlich anmerken, dass es sich herbei eben nicht um eine typische Jursiten-Biografie der Weimarer Republik handelte, da der Großteil der Jurist*innen dem Zweiten Reich hinterhertrauerte oder/und dem Dritten Reich zujubelte. Auch diese Umstände würdigt der Band ausreichend.
Es bleibt zu spekulieren, was aus Hermann Heller und der Demokratie geworden wäre, wäre er Ende 1933 im spanischen Exil nicht einer Krankheit erlegen. Allein hätte er die Weimarer Demokratie sicher nicht retten können, aber womöglich hätte er zu den Gründervätern der Bundesrepublik gezählt. Dass in Artikel 20 der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben ist, dass es sich um einen demokratischen und sozialen Bundesstaat handelt, ist vielleicht so etwas wie Hellers Vermächtnis, welches damit bis in die Gegenwart reicht und das Zusammenleben in Deutschland entscheidend prägte.
Fazit
Das von Thilo Scholle und Mike Schmeitzner herausgegebene Werk liefert einen äußerst relevanten Beitrag zur politischen Ideengeschichte, der über rein historische Betrachtungen hinausgeht. Die sorgfältige Auseinandersetzung mit Hellers Denken zeigt eindrucksvoll, wie aktuell seine Überlegungen zum sozialen Rechtsstaat und zur Verteidigung der Demokratie angesichts autoritärer Tendenzen heute noch sind. Die Herausgeber schaffen es, Heller als Vordenker einer wehrhaften und zugleich sozial eingebetteten Demokratie in den Fokus zu rücken und machen damit deutlich, wie fruchtbar und notwendig die Wiederentdeckung jüngster Demokratietheorie für die gegenwärtige politische Debatte ist.
Rezension von
Ronny Noak
Doktorand am Lehrstuhl für politische Theorie und Ideengeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Mailformular
Es gibt 22 Rezensionen von Ronny Noak.