Manfred Berg: Das gespaltene Haus
Rezensiert von Wolfgang Schneider, 06.03.2025

Manfred Berg: Das gespaltene Haus. Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von 1950 bis heute. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2024. 541 Seiten. ISBN 978-3-608-98408-8. D: 35,00 EUR, A: 36,00 EUR.
Thema
In den 1950er Jahren galten die USA als Vorbild einer stabilen Demokratie, in der ein breiter Konsens über die gesellschaftliche und politische Ordnung herrschte. In den 1960er Jahren jedoch zerbrach dieser Konsens in den Auseinandersetzungen über den Vietnamkrieg, den Rassenkonflikt und die Kulturrevolution der Radical Sixties. In den folgenden Jahrzehnten veränderten Globalisierung, Einwanderung, Wertewandel und Medienrevolution die amerikanische Gesellschaft dramatisch, führten aber gleichzeitig zu unerbittlichen Kulturkämpfen und einem lange unterschätzten Polarisierungs- und Radikalisierungsschub, der insbesondere das konservative Milieu erfasste. Heute stehen sich rote und blaue Staaten, Republikaner und Demokraten, Konservative und Liberale als unversöhnliche Feinde gegenüber. Die amerikanische Demokratie ist zum Krisenfall geworden. Wer die Krise der amerikanischen Demokratie und ihre jüngere Geschichte verstehen will, dem bietet dies Buch umfassende historische Orientierung.
Autor
Manfred Berg, geboren 1959, ist seit 2005 Professor für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung, die Rassenbeziehungen in den USA, Lynchjustiz und Mobgewalt sowie die Geschichte der US-Außenpolitik und die Politikgeschichte der USA. Er ist Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und schreibt regelmäßig für die ZEIT.
Aufbau und Inhalt
17 Kapitel lang erwartet die Leser:innen ein Ausflug in die USA der Spaltung und des Trumpismus, ohne dass jener im Mittelpunkt steht – auch wenn es am Ende darauf hinausläuft, wie es sein kann, dass dieser Mann zum zweiten Mal gewählt wurde. Der Fokus des Buches liegt auf einer ganz anderen Ebene: Wie konnte es innerhalb weniger Jahrzehnte passieren, dass eine der – wenn nicht die – stabilsten Demokratien der Welt plötzlich zu einem „Krisenfall“, wie Manfred Berg es nennt, werden konnte. Spannend dabei ist, welche Aspekte dieses Wandels sich auf Europa und insbesondere Deutschland übertragen lassen. Denn eines ist klar und wird auch in diesem Buch deutlich: Die Einflüsse des Populismus, der Globalisierung und der Macht der vermeintlich sozialen Netzwerke lassen Rückschlüsse darauf zu, was die Probleme mit dem aufkeimenden Rechtspopulismus- und -extremismus auch in Deutschland sind. Diese Entwicklung zeichnet Manfred Berg mit einer Zeitreise nach, die auf dem Höhepunkt dessen beginnt, was er als „Konsensdemokratie“ benennt und als Höhepunkt des US-Liberalismus beschreibt. Doch dieser Konsens hielt nicht lange: Vietnamkrieg, der Rassenkonflikt und auch die Radical Sixties, die Kulturrevolution der 1960er-Jahre waren letztlich eine schwere Bürde.
Schnell steht das im Fokus, was sich – nicht nur – in den USA als erfolgreiches Geschäftsmodell erwiesen hat, nämlich die politische und gesellschaftliche Polarisierung, deren Geburt der Autor in einem „Grundsatzkonflikt über die nationale Identität“ (S. 19) sieht. Und wie sich jene so entwickelt hat, dass am Ende einer Kette von Ereignissen und Strömungen eine zweite Präsidentschaft von Donald Trump Bahn brechen konnte, wird dann deutlich. Die ersten Spaltungstendenzen im Zuge des Vietnamkriegs oder die drohende Eskalation zwischen dem weißen und schwarzen Amerika sind hier erste Anzeichen. White Backlash, Black Power und das gescheiterte Versprechen einer Great Society sind nur einige der Stichpunkte, die dafür sorgten, dass die Gräben im Land begannen, an Tiefe zu gewinnen und waren einige der Gründe für die offenkundig werdende Spaltung der Gesellschaft. Kapitel wie diese führen deutlich vor Augen, wie tief die Gräben wurden, aus denen sich die Polarisierung entwickelte, und wie schwierig, ja gar unmöglich, eine Depolarisierung sein könnte. Die 1970er-Jahre mit ihren Krisen boten nicht die Möglichkeit, dass die politischen USA den Weg der Polarisierung aufhalten konnten, ganz im Gegenteil.
Über einige andere Aspekte hinweg gelangt Manfred Berg zu dem Punkt, an dem das Vertrauen in die politische Führung immer mehr schwindet. Dabei wird deutlich, dass das Problem tiefer liegt, als man glauben mag, besteht diese extreme Polarisierung doch offensichtlich auf mehreren Ebenen. Es geht eben nicht nur um das bisweilen brutale Bekämpfen zwischen Demokraten und Republikanern, sondern auch um eine „Polarisierung der Werte, die dazu führt, dass der Unterschied zwischen Meinungen und Tatsachen verschwimmt und ein Konsens über Fakten unmöglich wird.“ (S. 302). Was Manfred Berg klar konstatiert: Trump ist nicht die Ursache, sondern das Ergebnis einer bedrohlichen Entwicklung. Er hat den Gedanken seiner Fans Worte und Öffentlichkeit gegeben, er hat sie nicht erschaffen. Weitere Kapitel widmen sich speziellen US-amerikanischen Phänomen wie „Der amerikanische Waffenkult und die Radikalisierung des rechten Rands“ oder „9/11: Der Krieg gegen den Terror“, an dessen Ende der Irak-Krieg stand, der sich in vielerlei Hinsicht als katastrophal herausstellte. Auch die Pleite der Investment-Bank Lehman Brothers beleuchtet das Buch, war der „Crash [doch] die Bankrotterklärung der neoliberalen Verheißung, die Deregulierung der Märkte werde mehr Wohlstand für alle schaffen“ (S. 375). Eine kleine Chance auf Versöhnung habe es gegeben durch die Präsidentschaft Obamas, doch letztlich war es da wahrscheinlich schon zu spät, da zum Abschluss seiner Zeit im weißen Haus das unversöhnliche Gegeneinander der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Strömungen auf ihrem Höhepunkt zustrebte. Offene Feindschaft trat zutage. Und aus all diesen Faktoren – das führt Manfred Berg zum Ende zusammen – speist sich der Erfolg des Donald Trump, dessen zweiter Einzug ins Weiße Haus am Ende des Buches noch nicht absehbar, aber erspürbar war. Der Blick auf den Wahlkampf bildet den Abschluss.
Diskussion
Das kann einfach nicht wahr sein, mag man sich denken, wenn man von Deutschland aus über den Atlantik in Richtung USA blickt. Dieses riesige Land mit seinen krassen Gegensätzen war einst das Land, in dem alles möglich war: Der American Dream war die Verkörperung eines Versprechens: Strengst du Dich genug an, dann kann etwas aus Dir werden. Und nun? Dieses Land ist gespalten, im Weißen Haus regiert ein Mann, der nicht so heilig zu sein scheint, wie seine eigene Agenda. Unterstützt wird er von einem anderen Mann, der zufällig der reichste Mensch dieses Planeten ist und wie ein verblendeter Wüterich durch Behörden zieht, um im Namen der ‚Regierungseffizienz‘ tabula rasa macht. Das kann man sich nicht ausdenken; muss man auch leider nicht, da es bittere Realität ist. Aber wie kann es sein, dass dieses Duo in diesem einst so stolzen Land ganz unverhohlen seinen Weg gehen kann? Wieso stehen sich politische Lager, Nachbarschaften, Kollegien oder sogar Familien unversöhnlich gegenüber? Antworten darauf liefert Manfred Berg in seinem analytisch scharfen Buch – und diese Antworten finden sich ganz tief in der amerikanischen Gesellschaft, nicht bloß in der Politik. Das, was Manfred Berg, ist hervorragend recherchiert, großartig formuliert und zeigt, dass Erklärungen von politischem oder gesellschaftlichem Phänomen auch eingängig geschrieben werden können. Wer die USA liebt und um das Land trauert, das die Vereinigten Staaten einst waren, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Es wird nicht heilen, aber es hilft beim Verstehen.
Fazit
Das Buch ist zwar vor der Wiederwahl Trumps geschrieben worden, aber das ist nicht schlimm. Denn es geht um weit mehr als um einen alten Mann am Hebel der Macht. Es geht um uns alle und wie es sein kann, dass Gesellschaften auseinanderdriften. Burger, Microsoft und das Internet waren einst in den USA gestartet, um auch Deutschland zu erobern. Insofern bleibt zu hoffen, dass uns dieses gesellschaftlich-politische Phänomen erspart bleibt und wir lernen, dass wir nicht alles adaptieren müssen, was aus den USA kommt. Dafür bietet dieses Buch genügend Möglichkeiten.
Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
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