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Hildegard Pruckner: Das Spiel ist der Königsweg der Kinder

Rezensiert von Dr. Birgit Szczyrba, 30.06.2002

Cover Hildegard Pruckner: Das Spiel ist der Königsweg der Kinder ISBN 978-3-929296-10-5

Hildegard Pruckner: Das Spiel ist der Königsweg der Kinder. Psychodrama, Soziometrie und Rollenspiel mit Kindern. inScenario-Verlag (München) 2001. 166 Seiten. ISBN 978-3-929296-10-5. 19,00 EUR.

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Einführung

Hildegard Pruckner beschreibt ihre Arbeit mit Kindern als psychodramatisch orientierte Lehrerin und Therapeutin in Österreich. Mit dem Titel ihres Buches, einem Zitat Morenos, weist sie direkt auf die Wurzeln des Psychodramas hin: Moreno entwickelte seine Ideen und Konzepte im Wien des frühen 20. Jahrhunderts bei der Beobachtung spielender Kinder. Anhand vieler Fallbeispiele schildert Pruckner ihre Arbeit und beschreibt dabei ausführlich ihre Erfahrungen, nimmt Stellung zu vorhandener Literatur in diesem Feld, modifiziert teilweise in der Literatur Empfohlenes nach ihrem dafür Halten und endet schließlich mit einer theoretischen Verortung ihrer Arbeit.

Ihre Stellungnahme zum Psychodrama ist eindeutig: Sie beschreibt die Philosophie, die Ethik und die Theorie des Psychodramas als handlungsleitend in ihrer "Entwicklungsreise" durch die professionelle Praxis in Schule, Sozialpädagogik und Therapie. Besonders hervor sticht dabei der Hinweis auf das "riesige kreative Potential", das das Verfahren Psychodrama unter strikter Einhaltung von Sorgfalt und Genauigkeit bietet.

Aufbau und Inhalte

Das erste Kapitel befasst sich mit den großen lebendigen Arrangements des Psychodramas als Bühnenarbeit, der Soziometrie als Abbildung unsichtbarer sozialer Tiefenstrukturen und dem psychodramatischen Rollenspiel, alle Arrangements transponiert auf die Arbeit mit Kindern. Hier ergeben sich wichtige zu beachtende Unterschiede zur Arbeit mit Erwachsenen: Während Erwachsene meist davon abgehalten werden müssen, zu sehr der diskursiven Symbolik in langen Gesprächsphasen zu verfallen, bringt man Kinder nicht leicht dazu, das Spiel zu unterbrechen, aus Rollen wieder heraus zu schlüpfen und Geschehenes zu reflektieren. Kinder sind es, die sich hauptsächlich der präsentativen Symbolik, also einer ganzheitlichen Ausdrucksweise von Emotionen, Phantasien und Realem, bedienen.

Pruckner beschreibt den Rahmen, den Ablauf von Gruppenstunden und die Gruppenprozesse in der Arbeit mit Kindern. Ihr Stil ist der eines ausführlichen Erfahrungsberichtes mit langen Passagen aus Protokollen und Erinnerungen. Die Orte ihrer Arbeit sind die Schule, eine Kinderklinik, ein Schullandheim. Mit den Orten wechselt die Bezeichnung der Funktion einer Psychodramatikerin: mal Trainerin, mal Therapeutin, mal Lehrerin wechselt in uneindeutiger Weise auch die Bezeichnung des Formates, mal Therapie, mal Unterricht. Auch das Setting ist uneindeutig: Kinderpsychodramagruppe ist wohl der übergreifende Begriff für die Autorin, um das Setting ihrer Arbeit zu benennen.

Wesentlich für die Arbeit mit Kindern ist, dass Symbole, also Handpuppen o.ä., dem Rollentausch mit lebendigen Personen aus realen Szenen des Lebens vorzuziehen sind. Dies wiederholt die Autorin auch im zweiten Kapitel zur Arbeit mit intermediären Objekten. Symbole und Objekte, die eine beliebige Symbolfunktion einnehmen können, bieten Gelegenheit, scham- und angstbesetzte Erlebnisse für den Protagonisten gefahrlos zu wiederholen und zu verarbeiten. In einem kleinen Absatz erwähnt Pruckner eine für PsychodramatikerInnen gemeinhin selbstverständliche Tatsache, die in der Arbeit mit Kindern besonderes Gewicht erhält: Die Selbsterfahrung und Reflexion in Hinblick auf das eigene Leben wird zum Muss, wenn Gruppen- oder Einzelprozesse Szenen aus der eigenen Kindheit herauf beschwören. Der sorgfältige Umgang mit eigenen "blinden Flecken" verhindert stellvertretende Wiedergutmachung eigener Verletzungen, die verspätete Erfüllung eigener Kindheitswünsche u.a.m.

Die Soziometrie als großes belebtes Arrangement ist in vielen Kinderspielen implizit: "Mein rechter, rechter Platz ist leer..." macht wie andere soziometrische Spiele das aktuelle Beziehungsgefüge sichtbar und bearbeitbar. Außenseitertum, aggressive Ausgrenzung und Cliquenbildung – durchaus grausame Erfahrungen eines jeden aus der eigenen Kindheit und Pubertät – können bei sorgfältiger soziometrischer Arbeit verändert, erklärt und entmystifiziert werden.

Das zweite Kapitel widmet Pruckner den intermediären Objekten, die sie für unverzichtbar in der Arbeit mit Kindern hält, um je nach Thema von Scham und Angst zu entlasten. Nicht nur Handpuppen sind geeignet; auch Filme, Videos, Fotos oder Texte sind je nach Alter zu empfehlen, um kindliche und jugendliche Entwicklungsprozesse mit ihren Brüchen und Komplikationen voran zu bringen.

Das dritte Kapitel befasst sich mit dem Monodrama, der Arbeit im Einzelsetting. Hierzu gibt es wenig theoretische Grundlegungen von Seiten Morenos, noch von andern AutorInnen. Die Autorin beschreibt hier einen gangbaren Weg, wie der Protagonist ohne Interventionen von Seiten des Leiters ein "Geschenk der Selbstbestimmung" erhält, ein Erlebnis, das gerade Kinder und Jugendliche angesichts allanwesender Erziehungspersonen selten haben.

Kapitel 4 ist ein Abschnitt zur Arbeit mit dem sozialen Atom, der grundlegenden These Morenos zur Verortung des Menschen im Sozialen: Der Mensch lebt in und durch seine Beziehungen in Form eines sozialen Atoms, das sich mit anderen sozialen Atomen verbindet und so gesellschaftliche Netzwerke bildet.

In Kapitel 5 versucht die Autorin eine Grenzziehung zwischen Sozialpädagogik und Therapie. Sie unterscheidet in Anlehnung an andere Autoren wie Springer (1995 zu den Grundlagen einer Psychodramapädagogik, einer umstrittenen Wortschöpfung, da das Psychodrama nicht einfach einer Disziplin zugeordnet werden kann, sondern anders herum den Disziplinen Orientierung und Anschlussmöglichkeiten bietet und sie so operationalisiert) zwischen sanktionsfreien Formaten der Therapie und sanktionsbehafteten der Pädagogik (Zensuren, Strafen) und würdigt diese Unterscheidung kritisch. Für Österreich, dem Wirkungsort der Autorin, beschreibt sie die Abgrenzung zwischen den Berufen der LehrerInnen und TherapeutInnen, wobei sie ein negatives Gefälle zur Pädagogik beobachtet. Sie deutet dies als Folge negativer Schulerfahrungen eines jeden, gebunden eben an den Sanktionsauftrag bzw. die –berechtigung der pädagogischen Berufe, die die Kreativität von heranwachsenden Persönlichkeiten in sozialer Hinsicht in kontraproduktive Konserven verwandeln kann. Moreno war nach Deutung einiger Autoren in seiner frühen Arbeit (in Schulen, Mädchenheimen und Gefängnissen) eher an pädagogischen als an psychiatrischen Phänomenen interessiert. Pruckner plädiert daher in Morenos Sinne für eine Kooperation therapeutischer und pädagogischer Berufe unter klarer Grenzziehung ihrer Mandate. Sie verbindet diese Forderung nach Kooperation mit der Empfehlung psychodramatische Arbeit in die Ausbildung von PädagogInnen einzubeziehen, um gesellschaftspolitischem Engagement nach der Philosophie Morenos bereits dort einen Ort zu geben. PädagogInnen sollten demnach folgende Kompetenzen vorweisen:

  • die Fähigkeit, Gruppenstrukturen zu erkennen und die bisher übliche Auseinandersetzung mit Sachthemen und sich selbst auszuweiten auf die Auseinandersetzung mit Anderen und für Andere, ein wesentlicher Grundstein für gesellschaftlich verankerte Solidarität;
  • die Rolle des Hilfs-Ichs für Anvertraute in einem Begegnungs-Ideal, das nicht im reinen Sinne wie bei Moreno verstanden werden darf ("Wir sind alle gleich") sondern durch grundsätzliche Wertschätzung und Achtung Aller mit rollenbedingten Unterschieden gekennzeichnet ist;
  • die Balance in der Vermittlung von persönlicher Freiheit und kollektiver Verantwortung, um schließlich am Ende eines pädagogischen Prozesses die Leitung an Einzelne und die gesamte Gruppe zu übergeben und selbst überflüssig zu werden.

Im dann folgenden Kapitel vergewissert sich die Autorin ihrer theoretischen Wurzeln, die sie aus Mangel an Theorie für die Arbeit mit Kindern aus den Arbeiten diverser Psychodrama-Autoren zusammen stellt. Hier bedient sie sich der Literatur zum Format Therapie ebenso wie zur Pädagogik.

Fazit

Das Buch von Hildegard Pruckner ist ein lebendiger Erfahrungsbericht mit theoretischen Einlagen. In einer strukturierten Weise schildert sie ihre Erfahrungen mit Kinderpsychodramagruppen, wobei sie unterschiedliche Formate und dem entsprechende Rollen als Leiterin darstellt. Ihr Stil ist in großen Abschnitten anekdotenhaft und detailgetreu, teilweise unterscheiden sich die ratgeberisch gemeinten Abschnitte nicht von den zitierten Protokollen ihrer Arbeit. Insgesamt merkt man dem Buch jedoch an, dass die Autorin mit viel Achtung und Wertschätzung "ihr" Verfahren Psychodrama ethisch, theoretisch und philosophisch geleitet einsetzt, um ihr pädagogisches und therapeutisches Mandat zu erfüllen. Das Buch ist wertvoll für LehrerInnen, SozialpädagogInnen und TherapeutInnen, die angesichts pluralisierter pädagogisch/therapeutischer Praxis eine solche Grundlegung ihres professionellen Handelns suchen und eine detailreiche Mischung aus Praxis und Theorie wünschen.

Rezension von
Dr. Birgit Szczyrba
Sozial-und Erziehungswissenschaftlerin, Psychodrama-Leiterin (DFP/DAGG), Leiterin der Hochschuldidaktik in der Qualitätsoffensive Exzellente Lehre der Technische Hochschule Köln, Sprecherin des Netzwerks Wissenschaftscoaching
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Es gibt 24 Rezensionen von Birgit Szczyrba.

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ISSN 2190-9245