Martin Wazlawik, Thorsten Möller: Beratung in der Kinder- und Jugendhilfe
Rezensiert von Veronika Knoche, 25.04.2025

Martin Wazlawik, Thorsten Möller: Beratung in der Kinder- und Jugendhilfe. Handlungsfelder - Situationen - Entwicklungen.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2024.
265 Seiten.
ISBN 978-3-7799-6662-3.
D: 19,95 EUR,
A: 20,60 EUR.
Reihe: In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779931249. In Beziehung stehende Ressource: ISBN: 9783779967606.
Thema
Der Sammelband beleuchtet die Beratung in der Kinder- und Jugendhilfe, die sich derzeit in einem dynamischen Wandel befindet (S. 7). Angesichts wachsender Nachfrage und unsicherer weltpolitischer Rahmenbedingungen steht sie vor neuen Herausforderungen. Der Band bietet einen Einblick in die vielfältigen und aktuellen Themen der Beratungspraxis.
Herausgeber
Thorsten Möller ist Professor für soziale Diagnostik und methodisches Handeln an der Fachhochschule Erfurt. Martin Wazlawik ist Professor für Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe an der Hochschule Hannover.
Aufbau
Der Sammelband gliedert sich in drei Kapitel. Das erste Kapitel (S. 9–55) behandelt Grundlegungen und Zugänge zur Beratung in drei Beiträgen. Thorsten Möller führt in das Thema ein, skizziert zentrale Beratungskonzepte und ordnet sie ein. Fabian Kessl beleuchtet Beratung als Modus pädagogischer Praxis, während Ronald Lutz diskutiert, ob Beratung in der Krise steckt, und neue Denkansätze entwickelt.
Das zweite Kapitel (S. 57–235), mit neun Beiträgen das zentrale Element des Bandes, widmet sich verschiedenen Beratungsformen in der Kinder- und Jugendhilfe. Anett Kupfer beschreibt die Potenziale von Tür- und Angelgesprächen in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Sarah Schmelzeisen-Hagemann thematisiert die Stärkung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenz durch Video-Feedback in den „Frühen Hilfen“. Patrick Jung beleuchtet die aufsuchende Beratung an der Schnittstelle von Kinder- und Jugendhilfe sowie Eingliederungshilfe. Daniela Cornelia Stix untersucht hybride Beratung über Social Media in halbformalisierten Settings. Heike Schulze setzt sich mit Beratung im Kontext von Trennung und Scheidung auseinander und diskutiert dabei Kindsinteressen, Elternberatung sowie das „advokatorische Dilemma“ der Fachkräfte. Johannes Hüning und Maik Sawatzki beleuchten Elternberatung in Rückführungskontexten. Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit sexualisierter Gewalt: Peter Caspari und Dorothea Zimmermann analysieren Beratungsansätze, während Bernd Christmann schulische Beratungsangebote als Orte der Offenlegung thematisiert. Susanne Metzger schließt das Kapitel mit einem Beitrag zur Bedeutung von Kooperation in der schulischen Beratung ab.
Das dritte Kapitel (S. 237–265) befasst sich mit Perspektiven für Studium und Ausbildung. Saskia Erbring reflektiert die Ausbildung eines professionellen Berater:innen-Selbstverständnisses im Studium. Rainer Schwing ergänzt neurobiologische Perspektiven auf den systemischen Ansatz in der Jugendhilfe.
Inhalt
Kapitel 1: Grundlegungen und Zugänge zu Beratung
Thomas Möller verortet die Notwendigkeit von Beratung in der postmodernen Gesellschaft. Angesichts von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität fällt es vielen schwer, Orientierung zu finden. Hier setzt die Soziale Arbeit an, die selbst Teil dieses dynamischen Umfelds ist. Möller skizziert die Vielfalt der Beratungsfelder – von Erziehungs- bis hin zur Organisationsberatung – und bezeichnet die deutsche Gesellschaft als eine „Beratungsgesellschaft“ (S. 14).
Fabian Kessl betrachtet Beratung als Modus pädagogischer Praxis und diskutiert dies im Rahmen formtheoretischer Überlegungen. Er kritisiert jedoch, dass diese Sichtweise der Vielschichtigkeit des Beratungsbegriffs nicht gerecht wird. Stattdessen plädiert er für eine erweiterte Definition, die neben Interaktion und Personenbezug auch gesellschaftliche Strukturen berücksichtigt (S. 28).
Ronald Lutz fragt, ob Beratung in der Krise steckt, und verweist auf die Herausforderungen durch die Pandemie und den Klimawandel. Er kritisiert die Fokussierung auf das Individuum und fordert eine ganzheitlichere Perspektive. Seine Thesen zur Weiterentwicklung der Beratung betonen den Wechsel von individueller Resilienz hin zu „Resonanzbeziehungen“ (S. 47) sowie eine stärkere politische Positionierung.
Kapitel 2: Beratung in der Kinder- und Jugendhilfe
Anett Kupfer beschreibt die Tür- und Angelberatung in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit als niedrigschwelliges, adressat:innenorientiertes Angebot. Sie zeigt auf, dass spontane Gespräche – etwa an der Theke (S. 65) – die Eigenverantwortung Jugendlicher stärken, Fachkräfte aber zugleich zu reflektierter Kommunikation herausfordern.
Sarah Schmelzeisen-Hagemann thematisiert Elternberatung durch Video-Feedback in den Frühen Hilfen. Sie betont die Bedeutung einer stabilen Eltern-Kind-Beziehung für die Entwicklung des Kindes und bewertet die Wirksamkeit entsprechender Interventionsprogramme.
Patrick Jung beleuchtet die aufsuchende Beratung an der Schnittstelle von Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe. Er veranschaulicht deren Potenzial anhand eines Fallbeispiels aus seiner Beratungspraxis und reflektiert Schnittstellen und Gestaltungsoptionen.
Daniela Cornelia Stix untersucht hybride Beratung durch Social Media in der Kinder- und Jugendhilfe. Sie analysiert die Potenziale und Herausforderungen des Messenger-Dienstes WhatsApp für die professionelle Beratungspraxis.
Heike Schulze diskutiert Beratung im Kontext von Trennung und Scheidung und fragt, wie Kinder und Eltern in dieser Krisensituation unterstützt werden können. Sie betont die Bedeutung einer „stellvertretenden Krisenbewältigung“ zur Wiederherstellung elterlicher Autonomie (S. 154 f.).
Johannes Hüning und Maik Sawatzki befassen sich mit der Beratung von „Herkunftseltern“ (S. 159) in den Hilfen zur Erziehung. Sie analysieren verschiedene Rückführungskontexte und skizzieren, worauf sozialpädagogische Fachkräfte in der Elternarbeit achten sollten.
Peter Caspari und Dorothea Zimmermann strukturieren die Beratungsarbeit bei sexualisierter Gewalt anhand von Fallskizzen. Sie leiten daraus theoretische Anschlussoptionen ab.
Bernd Christmann hebt die Rolle schulischer Beratungsangebote bei der Aufdeckung sexualisierter Gewalt hervor und stellt Ergebnisse einer eigenen Interviewstudie vor.
Susanne Metzger beschreibt die Arbeit von Beratungslehrkräften an Gymnasien. Sie reflektiert, wie externe Fachkräfte die schulische Beratung ergänzen und professionalisieren könnten (S. 217).
Kapitel 3: Perspektiven für Studium und Ausbildung
Saskia Ebring diskutiert die Ausbildung eines professionellen Selbstverständnisses als Berater:in im Studium der Sozialen Arbeit. Sie nimmt den Studiengang „Beratung und Intervention“ an der Fachhochschule Erfurt als Beispiel.
Rainer Schwing analysiert die Einflüsse neurobiologischer Erkenntnisse auf die systemische Beratungspraxis. Mit Fokus auf die Arbeit mit Jugendlichen verbindet er wissenschaftliche Erkenntnisse mit seinen Erfahrungen als Praktiker, Supervisor und Lehrender.
Diskussion
Einige Beiträge lassen erkennen, dass sie noch während der Pandemie (Anfang 2022) verfasst wurden. Angesichts der Veröffentlichung im Jahr 2025 deutet dies auf einen langen Publikationsprozess hin. Inzwischen ist klar, dass die damaligen Kita- und Schulschließungen nachhaltige Auswirkungen auf die Bildung von Kindern und Jugendlichen haben – ein Befund, der sich auch in der Beratungspraxis widerspiegelt.
Während das erste Kapitel mit einer breiten theoretischen und gesellschaftlichen Einführung ins Thema einführt, überzeugen besonders die Beiträge des zweiten und dritten Kapitels durch ihre Vielschichtigkeit. Sie beleuchten Theorie, Praxis, Empirie und Ausbildung der Beratung in der Sozialen Arbeit eindrucksvoll und hochaktuell. Der Sammelband bietet somit wertvolle Einblicke in die vielfältige Beratungslandschaft dieses Arbeitsfelds. Studierenden empfiehlt sich zunächst grundlegendere Literatur zum Thema, bevor sie hier praxisnahe Beispiele und Perspektiven kennenlernen.
Fazit
Der Sammelband thematisiert die Beratung in der Kinder- und Jugendhilfe und beleuchtet aktuelle Entwicklungen sowie Herausforderungen in diesem Bereich. Er vereint theoretische Grundlagen, praxisnahe Ansätze und Perspektiven für Studium und Ausbildung. Durch die vielseitige Analyse verschiedener Beratungsformen zeigt er deren Bedeutung in einem sich verändernden gesellschaftlichen Kontext auf.
Rezension von
Veronika Knoche
Professorin für Soziale Arbeit
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