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Liane Pluto, Andreas Mairhofer et al.: Einrichtungen stationärer Hilfen zur Erziehung

Rezensiert von Christian Busch, 07.05.2025

Cover Liane Pluto, Andreas Mairhofer et al.: Einrichtungen stationärer Hilfen zur Erziehung ISBN 978-3-7799-8558-7

Liane Pluto, Andreas Mairhofer, Christian Peucker, Eric van Santen: Einrichtungen stationärer Hilfen zur Erziehung. Empirische Analyse zu Organisationsmerkmalen, Adressat:innen und Herausforderungen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 563 Seiten. ISBN 978-3-7799-8558-7. D: 78,00 EUR, A: 80,20 EUR.
Reihe: Eine Veröffentlichung des Deutschen Jugendinstituts e.V. München (DJI).

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Thema

Die vorliegende Publikation aus dem Jahr 2024 analysiert eine Vielzahl von Einrichtungen stationärer Hilfen zur Erziehung mit Hinblick auf Organisationsmerkmale, Adressat:innen und Herausforderungen. Die aktuelle, empirische Datenlage zu den strukturellen und organisatorischen Rahmenbedingungen des Arbeitsfeldes sei lt. Aussagen der Autor:innen (vgl. S. 37) defizitär, worauf die Publikation mit vorwiegend quantitativen Daten aus Befragungen reagiert. Ausgewertet wurden Ergebnisse von Untersuchungen des DJI und der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik, die aus Institutionenperspektive (vgl. S. 29) stattfanden. In Form einer Überblickserhebung wird die Fragestellung untersucht, welche Rahmenbedingungen zur Leistungserbringung der stationären Unterbringung vor dem Hintergrund der großen Diversität von Einrichtungen und Organisationsformen existieren (vgl. S. 13). Untersucht wurde, wie aktuelle Entwicklungen, z.B. die Coronapandemie oder das KJSG und weitere (vgl. S. 30) das Feld innerhalb der stationären Hilfen zur Erziehung beeinflussen.

Entstehungshintergrund

Die Veröffentlichung wurde vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) herausgegeben, einem renommierten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut mit Standorten in München und Halle. Finanziert wird das DJI unter anderem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Die Institution betreibt das Projekt „Jugendhilfe und sozialer Wandel – Leistungen und Strukturen“ seit 1993 in regelmäßigen Abständen, die hier ausgewertete Erhebung zu stationären Hilfen stammt aus dem Jahr 2019 (vgl. S. 510). Die Befragung wurde zum sechsten Mal durchgeführt, rund 33 % der angeschriebenen Einrichtungen beteiligten sich durch Rücksendung der Fragebögen (vgl. S. 14). Die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik diente zudem als wichtige Referenz und wurde an vielen Stellen hinzugezogen. Die statistischen Daten wurden dabei vorwiegend von der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik (AKJS-tat) an der TU Dortmund aufbereitet.

Autoren:innen

Die Projektmitarbeitenden am DJI Pluto, Mairhofer, Peucker und van Santen, die langjährige wissenschaftliche Expertise im Bereich stationärer Erziehungshilfen mitbringen, verantworten die Veröffentlichung.

Aufbau und Inhalt

In der Zusammenfassung auf den Seiten 13 bis 29 werden zentrale Erkenntnisse aller Kapitel prägnant dargestellt. Der Aufbau wird im Abschnitt 1.3.2 (vgl. S. 41) beschrieben, es werden differenziert: Strukturen, Ressourcen, Merkmale der Adressat:innen und Hilfeverläufe, fachliche und konzeptionelle Ausrichtungen, Methodik und Literatur. Einleitend wird die Ausgangslage skizziert und eine kritische Reflexion sowie Definition des Begriffs „Heimerziehung“ vorgenommen (vgl. S. 29–32). Aktuelle Entwicklungen im Arbeitsfeld sowie die zunehmend ausdifferenzierte, aber disziplinär fragmentierte Forschungslage der letzten drei Jahrzehnte werden aufgezeigt (vgl. S. 32–36).

A- Strukturen

In Kapitel A werden die strukturellen Rahmenbedingungen der Leistungserbringung mit konzeptionellen Ausrichtungen verknüpft. Seit den 1970er Jahren lasse sich eine zunehmende Differenzierung der Angebotsstruktur beobachten – mit dem Ziel, lebensweltnahe, bedarfsorientierte und dezentrale Angebote zu schaffen (vgl. S. 48). Betrachtet werden u.a. klassische Strukturmerkmale wie Platz- und Gruppenzahlen (vgl. S. 48–53), Alters- und Geschlechterverteilungen (vgl. S. 53–58) und ergänzende ambulante Angebote (vgl. S. 68–71). Die Analyse zeige eine weiterhin kaum überschaubare Angebotsvielfalt (vgl. S. 80).

Daneben wird die Spezialisierung der Angebotsstruktur vertieft: Diese erfolge meist auf konzeptioneller Ebene, etwa anhand der Entwicklung der Platzzahlen (vgl. S. 87–91) oder der Personalschlüssel (vgl. S. 102–107). Resümierend lassen sich vier zentrale Trends feststellen, darunter eine verstärkte konzeptionelle Profilierung – z.B. in heilpädagogischer Richtung (vgl. S. 108).

B- Ressourcen

Das Kapitel B befasst sich vorwiegend mit den Themen: Personal, Finanzierung und Kooperation mit dem Jugendamt (vgl. ab S. 111). Seit dem Ende der Corona-Krise im Jahr 2022 sei die Fachkräfteproblematik in der Öffentlichkeit angekommen, die zuvor nur wenig thematisiert wurde. Mittlerweile resultiert diese Problematik darin, dass Angebote nicht ausgebaut werden können, teils sogar abgebaut werden müssen. Einrichtungen sehen sich daher teilweise gezwungen zu schließen – es besteht sogar die Gefahr, dass Kinder im „worst case“ in gefährdenden Familiensystemen verbleiben müssen, da keine Unterbringungsmöglichkeit vorhanden ist (vgl. S. 112). Weiter werden Personalstruktur und mögliche Ursachen der Krise beleuchtet. Mit Hinblick auf die Finanzierung wird das Prinzip der Leistungs-, Qualitäts- und Vergütungsvereinbarung (LQV) eingeführt. Dabei auftretende Schwierigkeiten mit den Jugendämtern können teilweise durch Schiedsstellen abgefedert werden ( vgl. S. 166–169). Darüber hinaus werden Auslastungsquoten, Belegung und Tagessätze detaillierter behandelt.

C- Merkmale der Adressat:innen und Hilfeverläufe

Kapitel C widmet sich verschiedenen Zielgruppen (z.B. Kindern und Jugendlichen mit einer Beeinträchtigung) und geht dabei spezifisch auf (mögliche) Etappen in der Hilfe ein: z.B. Unterbringungsdauer, ungeplante Hilfeabbrüche oder Kinderschutzfälle in der Einrichtung. Inklusion – die hier im Rahmen des neuen KJSG beschrieben wird – sei für viele Einrichtungen bereits gelebte Praxis. Dennoch bleiben Fragen insbesondere zur Gestaltung der Übergänge nach der Jugendhilfe bestehen (vgl. S. 220–222). Exemplarisch für die bisher unzureichende Datenlage sei zudem die Tatsache, dass Rückführungen in die Herkunftsfamilie häufiger erfolgen als bislang angenommen, eine anschließende Wiederunterbringung sei dennoch nicht selten. Hierbei fehle es häufig an abgestimmter Kooperation und Einvernehmen zwischen den Akteuren, was negative Folgen mit sich bringen kann (vgl. S. 306).

D- Fachliche und konzeptionelle Ausrichtungen

Kapitel D behandelt vielfältige Aspekte wie z.B.: Aufnahmekriterien oder Qualitätsentwicklung, die nicht zwingend miteinander zusammenhängen. Letztere habe sich aus Sicht der Einrichtungen positiv entwickelt. Der Fokus liege jedoch weniger auf formalisierter Wirkungsmessung, sondern auf klassischen Professionalisierungsprozessen – was auch ein Indikator für die Ressourcenknappheit in den Einrichtungen sei (vgl. S. 507–508). Bei den Aufnahmekriterien sei eine zunehmende Selektivität erkennbar. Diese resultiere weniger aus fachlicher Spezialisierung als vielmehr aus hoher Auslastung und dem Mangel an Fachkräften. Ob die Angebotslandschaft künftig allen Bedarfen gerecht werden könne, bleibt fraglich (vgl. S. 362–363).

E -Methodik und Literatur

Im abschließenden Kapitel wird das klassische Forschungsdesign erläutert. Die methodische Vorgehensweise der beiden oben genannten Datenquellen (Erhebung des DJI und amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik) wird mit Hinblick auf folgende Faktoren dargestellt: Erhebung, Stichprobe, Erstellung des Fragebogens, Methoden der Auswertung, Interpretation. Hervorgehoben wird die Auswahl der „Institutionenperspektive“, welche sich als Besonderheit in der Befragung und der Interpretation der Ergebnisse darstellt. Weiter wird die Frage diskutiert, inwiefern verallgemeinernde Rückschlüsse vor dem Hintergrund des Rücklaufes an Fragebogen und Teilnahme gezogen werden können (vgl. ab S. 510).

Diskussion

Die vorliegende Publikation liefert insgesamt eine dichte empirische Faktenbasis zu den Bedingungen, welche die Leistungserbringung in den stationären Hilfen zur Erziehung umrahmt. Sie gibt einen Gesamtüberblick über die Institutionen und ihre Art mit den Adressat:innen zu arbeiten. Die Daten wurden überwiegend aus einer Einrichtungsperspektive generiert, was zur Folge hat, dass die Adressat:innenperspektive nicht im Schwerpunkt berücksichtigt wird. Zudem wurden quantitative Methoden eingesetzt, eine Rekonstruktion von Lebenswelten der Adressat:innen findet hier nicht statt. Vor dem Hintergrund der Zielstellung, der strukturierten Bestandsaufnahme aus Sicht der Einrichtungen, scheint diese Vorgehensweise jedoch angemessen und lässt Spielraum für ergänzende Interpretationen und Untersuchungen. Insgesamt finden wir eine methodisch saubere und strukturierte Arbeitsweise vor, die die Ergebnisse ohne Weiteres nachvollziehbar macht. Eine Platzierung der Erläuterungen zur Methodik und Literatur (Kapitel E) zu Beginn hätte der Leseführung eher entsprochen, die Darstellung erfolgt letztlich jedoch sehr detailliert.

Fazit

Die vorliegende Publikation bietet eine beeindruckend umfassende empirische Bestandsaufnahme des Arbeitsfeldes stationärer Hilfen zur Erziehung. Besonders wertvoll ist der systematische Blick auf strukturelle Merkmale, Ressourcen sowie fachliche und konzeptionelle Ausrichtungen von Einrichtungen. Das methodisch saubere Vorgehen und die Einbettung in eine langjährige Forschungstradition des DJI verleihen den Ergebnissen hohe Aussagekraft. Insgesamt handelt es sich um ein wichtiges Referenzwerk für Fachpraxis, Wissenschaft und Jugendhilfepolitik, das zur weiteren Diskussion über Strukturen und Entwicklungen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe anregt.

Rezension von
Christian Busch
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Es gibt 4 Rezensionen von Christian Busch.

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ISSN 2190-9245