Anna Grebe, Dominik Ringler (Hrsg.): Partizipation aus der Sicht von Mädchen* denken
Rezensiert von Jörg Raeder, 17.03.2025

Anna Grebe, Dominik Ringler (Hrsg.): Partizipation aus der Sicht von Mädchen* denken. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2025. 90 Seiten. ISBN 978-3-7799-8611-9. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR.
Thema
Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Entscheidungen und Themen ist ein gesamtgesellschaftlich relevantes Anliegen und rechtlich verankert (vgl. Hurrelmann 2001). Dennoch scheint sich der Partizipationsgedanke insbesondere bei jungen Menschen innerhalb bestehender Geschlechterverhältnisse zu entfalten (vgl. Pfanzelt/Spies 2019) und in den Strukturen und Mechanismen der Kinder- und Jugendhilfe zu reproduzieren. Mit dieser Problematik beschäftigt sich der von Anna Grebe und Dominik Ringler herausgegebene Band Partizipation aus Sicht von Mädchen* denken.
Herausgeber:in
Der Titel wurde von Anna Grebe und Dominik Ringler herausgegeben. Grebe ist Medienwissenschaftlerin und als Mediatorin für verschiedene Organisationen tätig. Ringler, Sozialwissenschaftler, leitet das Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg und arbeitet als Sachverständiger auf kommunaler sowie Bundesebene.
Neben den Herausgeber:innen kommen in dem Band auch weitere Sozialwissenschaftler:innen und Sozialpädagog:innen sowie, ganz dem Titel des Bandes verpflichtet, engagierte Mädchen und junge Frauen zu Wort.
Entstehungshintergrund
Ein Teil der Beiträge des Bandes geht auf den von der Bundesstiftung Gleichstellung und dem Kompetenzzentrum Kinder- und Jugendbeteiligung Brandburg organisierten, bundesweiten Fachtag Mädchenbeteiligung zurück. Ferner enthält der Band drei Interviews mit Akteur:innen aus Jugendarbeit, Mädchenarbeit und Mädchenpolitik und dabei mit Mädchen und jungen Frauen selbst. Diese Interviews können als praktische Ergänzung der Erkenntnisse des Fachtags Mädchenbeteiligung verstanden werden.
Aufbau und Inhalt
Obwohl der Band keiner starren Gliederung folgt – es gibt also keine sichtbare Struktur durch Kapitelüberschriften in einer Dezimalgliederung –, lassen sich die Beiträge anhand ihrer methodischen Rückkopplung unterscheiden.
Nach einer Einleitung, die das zentrale Anliegen des Buches skizziert und einen Überblick über die einzelnen Beiträge bietet, widmen sich die ersten fünf Beiträge der Dokumentation und Diskussion der Inhalte des Fachtags. Die abschließenden drei Beiträge hingegen loten die Erfahrungen von in der Praxis tätigen Mädchen und jungen Frauen mit geschlechtersensibler Kinder- und Jugendbeteiligung aus.
Insgesamt decken die Beiträge ein Spektrum ab, das das zentrale Anliegen des Bandes repräsentiert. Die fünf Beiträge zur Auswertung des Fachtags befassen sich unter anderem mit den Grundlagen erfolgreicher Mädchenbeteiligung, mit Macht- und Strukturfragen, die sich in diesem Kontext stellen, sowie mit einer intersektionalen Perspektive auf das Thema. Die Interviews wiederum greifen praxisnahe Aspekte auf, etwa Handlungsempfehlungen für die Mädchenarbeit im ländlichen Raum oder die Sichtweisen von Jugendgremien auf Mädchenbeteiligung.
Jeweils ein Beispiel dieser unterschiedlichen Beiträge soll die Inhalte des Bandes exemplarisch nachzeichnen.
Einen Überblick über die Grundlagen, Qualitätsstandards und Gelingensfaktoren der Mädchenbeteiligung bietet der erste Beitrag des Bandes von Anne Bergfeld und Dominik Ringler.
Die Verfasser:innen stellen zu Beginn ihrer Ausführungen fest, dass trotz aller Fortschritte im Bereich der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Jugendarbeit – sei es durch die gesetzliche Verankerung des Rechts auf Partizipation oder die Erweiterung von Informations- und Weiterbildungsmöglichkeiten – kritisch zu hinterfragen bleibt, inwieweit die damit verbundenen Ansprüche an die praktische Umsetzung der Mädchenbeteiligung tatsächlich eingelöst werden. „Die Verankerung in der Praxis steckt vielerorts in den Kinderschuhen“ (S. 14), so die Autor:innen.
Das liegt vorwiegend an einer Herangehensweise, die die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vorrangig aus einer institutionellen, systemzentrierten und erwachsenen Perspektive denkt. Dadurch werde die Frage nach den Grundlagen, Standards und Gelingensfaktoren von Kinder- und Jugendbeteiligung im Allgemeinen und der Mädchenbeteiligung im Speziellen erst notwendig.
Dabei stellt sich aus Sicht der Autor:innen zunächst die Frage, inwieweit Mädchenbeteiligung bewusst als Teil der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen gedacht wird. Es sei zu fragen, welche Strukturen die Beteiligung von Mädchen ermöglichen oder letztlich verhindern. Eine geschlechtersensible Perspektive auf räumliche Zugänge, Machtstrukturen und Geschlechterrollen wird dabei ebenso notwendig wie der Blick auf die pädagogische Begleitung von Beteiligungsprozessen. Ein tieferes Verständnis der Dynamiken zwischen Geschlechtsidentitäten und Beteiligungsformen kann dabei helfen, Mädchenbeteiligung pädagogisch zu etablieren.
Die Autor:innen weisen jedoch darauf hin, dass differenziertere Perspektiven auf geschlechterspezifische Zugänge allein nicht ausreichen, damit Mädchen die Möglichkeiten zur Partizipation auch wahrnehmen. Weitere Grundlagen gelingender Beteiligung spiegeln sich deshalb in einer lebensweltorientierten Gestaltung von Beteiligungsprozessen wider, die an die Kompetenzen von Mädchen anknüpft und die Einbindung ihrer Lebenskontexte ermöglicht. Nur so können Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht und aktive Beteiligung gefördert werden. Dabei darf jedoch nie der Blick auf die geschlechtsbezogenen Lebensrealitäten vernachlässigt werden.
Schließlich fragen die Autor:innen nach den wichtigsten Einflussfaktoren von Mädchenbeteiligung. Unbestreitbar spielen individuelle Faktoren – wie sozioökonomischer Status, Motivation oder Bildungsniveau – eine tragende Rolle, wenn es darum geht, sich beteiligen zu können und zu wollen. Diese werden wiederum häufig durch das Geschlecht bestimmt. Geschlechtsbezogen sind auch institutionelle Faktoren, die etwa beeinflussen, wie, wann und wo Mädchen Zugang zu Beteiligungsmöglichkeiten erhalten. Schließlich sind es Kontextfaktoren wie patriarchale Gesellschaftsstrukturen oder die Risiken einer pluralisierten Gesellschaft, die sich erheblich auf die Möglichkeiten der Mädchenbeteiligung auswirken können.
Eingedenk der verschiedenen Grundlagen schließen die Autor:innen ihren Beitrag mit der Aufforderung, diese kontinuierlich im Blick zu behalten und gemeinsam mit Mädchen und jungen Frauen zugunsten ihrer Beteiligung aktiv zu gestalten. Eine Aufgabe, die insbesondere Pädagog:innen zukommt, die mit diesen Mädchen und jungen Frauen arbeiten.
Das erste der drei im Band versammelten Interviews, welches zwischen Anna Grebe und Anna Dörnenburg, Yvonne Everhartz sowie Katrin Krumrey geführt wurde, thematisiert die Zusammenarbeit zwischen kommunaler Gleichstellungsarbeit und Jugendbeteiligung im Hinblick auf eine stärkere Mädchenbeteiligung. Zunächst umreißen die Autor:innen einleitend, inwieweit sich Gleichstellungsarbeit und Kinder- und Jugendarbeit überschneiden. Ausgehend davon stellen sie fest, dass bereits positive Ergebnisse der Zusammenarbeit zwischen beiden Instanzen verzeichnet werden können. Das sich anschließende Interview beleuchtet „Kooperationsmöglichkeiten, Synergieeffekte und gemeinsame Herausforderungen“ (S. 60) von Gleichstellungsarbeit und Jugendbeteiligung.
Im Interview werden zunächst die Herausforderungen für eine Zusammenarbeit angesprochen. Die Befragten sprechen von einem „gleichstellungspolitischen Flickenteppich“ (S. 61), der unter anderem durch einen Mangel an Stellen trotz gesetzlicher Verankerung, teilweise ungeregelte Zuständigkeiten und unklare Aufgabenbestimmungen sowie grundlegend durch Zeit- und Kapazitätsmangel geprägt ist. Diese Faktoren erschweren es, ein effektives Zusammenwirken zwischen Gleichstellungsarbeit und Jugendbeteiligung zu ermöglichen.
Trotz solcher und weiterer Herausforderungen lassen sich Synergieeffekte feststellen, sobald die Zusammenarbeit umgesetzt wird. Beispielsweise kann eine Sensibilisierung für den Mangel an Beteiligung von Mädchen dazu führen, dass Mädchen offensiver in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Dies kann wiederum dazu beitragen, dass Mädchen sich als Gruppe wahrnehmen, die das Recht hat, sich zu beteiligen und beteiligt zu werden.
Insgesamt ergeben sich aus der Zusammenarbeit für beide Seiten lohnende Lernsettings, aus denen Lerneffekte resultieren können. So kann die Gleichstellungsarbeit beispielsweise von der aktivistischen Kompetenz der Jugendbeteiligung profitieren, während die Jugendbeteiligung wiederum von den Erfahrungen der Gleichstellungsarbeit in kommunalpolitischer Arbeit und der Mittel-Einwerbung lernt.
Das Interview zeigt, dass bei allen Kooperationsmöglichkeiten zwischen Gleichstellungsarbeit und Jugendbeteiligung und den daraus resultierenden Synergieeffekten auch die damit verbundenen Herausforderungen mitgedacht werden müssen. Dennoch stellt die Zusammenarbeit einen lohnenden Weg dar, um mehr Mädchenbeteiligung zu fördern.
Diskussion
Das Buch widmet sich einem Thema, das zwei gesellschaftspolitisch hochrelevante Anliegen miteinander verbindet. Einerseits wird in den im Buch versammelten Beiträgen immer wieder auf die immense Bedeutung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Entscheidungen hingewiesen. Andererseits problematisieren die Beiträge auch den offensichtlichen Mangel an theoretischen Grundlagen sowie an darauf basierenden methodischen Ableitungen für die Beteiligung von Mädchen und jungen Frauen. Umso bemerkenswerter ist der mit diesem Band unternommene Versuch, bisher gesammelte Erkenntnisse und Erfahrungen zu bündeln und zugänglich zu machen.
Das Buch eröffnet dabei eine Vielzahl an thematischen Zugängen zum Thema, die einen fruchtbaren Boden bereiten, um mögliche Gelingensfaktoren für Mädchenbeteiligung zu erkennen, die Notwendigkeit eines selbstreflexiven Umgangs mit dem Thema zu verstehen, verschiedene Formen der Mädchenbeteiligung kennenzulernen und bisher in der Praxis gesammelte Erfahrungen, Sichtweisen und Erkenntnisse als Grundlage für die Ermöglichung von Mädchenbeteiligung zu nutzen.
Der Band stellt somit eine lohnende Lektüre für Menschen dar, die auf einer grundsatzorientierten Ebene Mädchen und junge Frauen stärken wollen, damit diese sie betreffende Entscheidungen mitbeeinflussen können. Über grundsätzliche Beweggründe hinaus ist der Band jedoch auch ein Ausgangspunkt, um Mädchenbeteiligung als gesellschaftspolitisches Thema auf die Tagesordnung zu setzen und pragmatisch umzusetzen. Es handelt sich also um Grundlagenarbeit, die gleichermaßen weitere wissenschaftliche Auseinandersetzungen anregt und zur praktischen Umsetzung inspiriert.
Fazit
Das von Anna Grebe und Dominik Ringler herausgegebene Buch Partizipation aus Sicht von Mädchen* denken widmet sich dem gesellschaftspolitisch und sozialpädagogisch relevanten Thema der Mädchenbeteiligung. Es setzt sich kritisch mit den begrenzten Teilhabemöglichkeiten von Mädchen und jungen Frauen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen auseinander und bietet zugleich grundlegende Informationen zum Thema sowie einen Überblick zu zentralen Erfolgsfaktoren für eine gelingende Mädchenbeteiligung. Einzelne Beiträge vertiefen in diesem Zusammenhang spezifische Fragestellungen. Besonders aufschlussreich sind die enthaltenen Interviews, die praktische Erfahrungen reflektieren. Damit leistet der Band Grundlagenarbeit und empfiehlt sich gleichermaßen als Lektüre für Theoretiker:innen und Praktiker:innen des Arbeitsfeldes.
Quellen
Hurrelmann, Klaus (2001): Warum die junge Generation politisch stärker partizipieren muss, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B44/2001, [online] https://www.bpb.de/system/files/pdf/B8CEMX.pdf, zuletzt abgerufen am 07.03.2025.
Pfanzelt, Hannah/Spies, Dennis (2019): The Gender Gap in Youth Political Participation: Evidence from Germany, in: sage journals, Political Research Quarterly Volume 72, Issue 1, March 2019, Pages 34–48, [online] https://doi.org/10.1177/1065912918775249, zuletzt abgerufen am 07.03.2025.
Rezension von
Jörg Raeder
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