Karin Terfloth, Henrike Cesak: Inklusiver Unterricht bei kognitiver Beeinträchtigung
Rezensiert von Dr. Richard Hammer, 16.06.2025

Karin Terfloth, Henrike Cesak: Inklusiver Unterricht bei kognitiver Beeinträchtigung. Praxistipps für Lehrkräfte.
Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2025.
2., überarbeitete Auflage.
74 Seiten.
ISBN 978-3-497-03286-0.
D: 24,90 EUR,
A: 25,60 EUR.
Reihe: Inklusiver Unterricht kompakt.
Thema
Das Buch bietet praxisnahe Unterstützung für Lehrkräfte, um Schüler:innen mit kognitiven Beeinträchtigungen im inklusiven Unterricht wirksam zu fördern – mit didaktischen Hinweisen, konkreten Materialien und Anleitungen zur individuellen Differenzierung und Leistungsbewertung.
Der Fokus liegt auf Umsetzbarkeit im Schulalltag, besonders für Lehrkräfte ohne sonderpädagogische Ausbildung, und zielt darauf ab, Bildungsteilhabe für alle Kinder zu ermöglichen.
Autorinnen
Prof. Dr. Karin Terfloth studierte an der Universität zu Köln Heilpädagogik sowie Sonderpädagogik. Nach ihrem Referendariat in der Rheinischen Schule für Körper- und Geistigbehinderte in Mönchengladbach und Erfahrungen im Schuldienst promovierte sie an der Universität zu Köln zum Thema: Inklusion und Exklusion – Konstruktion sozialer Adressen im Kontext (geistiger) Behinderung. In ihren bisherigen Projekten beschäftigte sich Terfloth mit den vielfältigen Themen der Heilpädagogik/​Inklusion und konnte dabei stets von ihrer Ausbildung und Erfahrung als Sonderschullehrerin profitieren.
Heute lehrt sie Pädagogik bei schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung und Inklusionspädagogik an der PH Heidelberg.
Dr. Henrike Cesak ist Sonderpädagogin mit Schwerpunkt auf inklusivem Unterricht für Schüler:innen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung. Sie war mehrere Jahre in der inklusiven Schulpraxis tätig und lehrte an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg im Bereich Geistig- und Mehrfachbehindertenpädagogik.
Entstehungshintergrund
Der Entstehungshintergrund dieses Buches ist eng mit den praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen der Autorinnen im Bereich der inklusiven Bildung verbunden. Beide Autorinnen verfügen über umfangreiche Erfahrung in der Arbeit mit Schüler mit geistiger und mehrfacher Behinderung sowie in der Lehrerbildung.
Das Buch entstand aus dem Bedürfnis heraus, Lehrkräften ohne sonderpädagogische Vorkenntnisse praxisnahe Unterstützung für den inklusiven Unterricht zu bieten.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in vier Hauptbereiche:
Im 1. Kapitel – Lernen mit einer kognitiven Beeinträchtigung – geht das Buch ein auf Formen kognitiver Beeinträchtigung und auf Auswirkungen, auf mögliche Konsequenzen für die Aktivität und Teilhabe.
Das 2. Kapitel – Kooperation und Teamarbeit- bietet Hinweise zur Zusammenarbeit im Kollegium, mit Eltern und weiteren Fachkräften sowie zur Gestaltung zieldifferenten Unterrichts.
Das 3. Kapitel – Unterrichtsgestaltung – geht ausführlich ein auf didaktische Vorgehensweisen und zeigt Wege zur Planung, Differenzierung, Strukturierung und sozialen Integration – mit vielen praxisnahen Tipps.
Im 4. Kapitel findet die Leserin Praxismaterialien und Beispiele für den Unterricht, die direkt einsetzbar sind, aber auch individuell angepasst werden können.
Abgerundet wird das Buch durch ein Literaturverzeichnis, ein Glossar und einen Bildnachweis.
Inhalt
Das Buch bietet einen umfassenden Einblick in die schulische Förderung von Schüler:innen mit kognitiver Beeinträchtigung im inklusiven Setting.
Im 1. Kapitel werden verschiedene Formen und Ausprägungen kognitiver Beeinträchtigung vorgestellt und deren Auswirkungen auf das Lernen, die Kommunikation und die soziale Teilhabe erläutert. Dabei wird auch auf die Förderung grundlegender Kompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen eingegangen. Konkret geht es ein auf: Konzepte der Aneignung (mit Zusatzinfo „Kognitive Entwicklung“), Handlungskompetenz (mit Zusatzinfo „Exekutive Funktionen“) und Kommunikation (mit Zusatzinfo „Unterstützte Kommunikation“).
Im Mittelpunkt des Kapitels steht die Vermittlung von Handlungskompetenz im Kontext des Lernens mit kognitiver Beeinträchtigung. Dies ist deshalb von besonderer Bedeutung, da Kinder mit kognitiver Beeinträchtigung oft Schwierigkeiten haben, Handlungen zu planen, auszuführen und zu reflektieren. Bei der Umsetzung ist dabei zu beachten, dass die Lernhandlungen und -materialien klar und übersichtlich gestaltet werden, z.B. durch Visualisierungen und wiederkehrende Abläufe, die für die Schüler:innen konkret erfahrbar sind. Dabei werden die Kinder ermutigt, selbst aktiv zu werden und Aufgaben eigenständig zu bearbeiten. Hilfsmittel wie Bildkarten, Symbole oder technische Geräte unterstützen die Bearbeitung der Lernaufgaben und ermöglichen selbstbestimmtes Handeln.
Das 2. Kapitel widmet sich der Teamarbeit und der Kooperation mit Eltern, Sonderpädagog:innen, weiteren Fachkräften (Schulbegleiter:innen, Physio- und Ergotherapeut:innen). Für das Teamteaching werden die Unterschiede zwischen zielgleichem und zieldifferentem Unterricht erklärt und die Bedeutung von Lebenspraxis hervorgehoben. So kann sich die Kooperation im Unterricht zeigen im Parallelunterricht, Stationenunterricht, alternativen Lernsettings und Zusatz- bzw. Förderunterricht.
Eltern werden als wichtige Partner in den schulischen Entwicklungsprozess einbezogen. Dies geschieht durch regelmäßigen Austausch, gemeinsame Zielvereinbarungen und die Einbeziehung in schulische Aktivitäten.
Im Abschnitt zur Unterrichtsgestaltung erhalten Lehrkräfte zahlreiche didaktische Hinweise zur Planung und Aufbereitung von Unterrichtsinhalten, zur Kompetenzorientierung und zur Leistungsbewertung.
Es wird darauf hingewiesen, dass Unterrichtsinhalte so aufbereitet werden müssen, dass sie für Schüler:innen mit kognitiver Beeinträchtigung verständlich und zugänglich sind. Hierbei werden Methoden wie Vereinfachung, Visualisierung und der Einsatz von Alltagsbezügen genutzt. Es werden individuelle Lernziele formuliert, die sowohl auf fachliche als auch auf soziale und lebenspraktische Kompetenzen abzielen. Dabei helfen Kompetenzraster, die Fortschritte jeder einzelnen Schüler:in sichtbar zu machen und gezielt zu fördern. Auch die Leistungsbewertung erfolgt individuell und zieldifferent, wobei der Fokus auf dem Lernfortschritt und nicht auf dem Vergleich mit der gesamten Lerngruppe liegt.
Der 2. Abschnitt des Kapitels befasst sich mit der Differenzierung des Unterrichts. Es geht ein auf die Notwendigkeit, Aufgaben und Materialien an die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schüler:innen anzupassen, sodass alle – mit und ohne kognitive Beeinträchtigung – erfolgreich lernen können.
Sehr differenziert gehen die Autorinnen ein auf die Strukturierung von Lernhandlungen. Aufgrund differenzierter Beobachtung werden die Niveaustufen der Schüler:innen herausgearbeitet und danach der Lernangebote strukturiert. Hilfreich sind dabei klare Abläufe und wiederkehrende Rituale, die für die Schüler:innen Sicherheit und Orientierung geben. Arbeitsphasen werden übersichtlich gegliedert und mit visuellen Hilfen (z.B. Pläne, Symbolkarten) unterstützt.
Es wird beispielhaft darauf hingewiesen, dass Lernmaterialien so gestaltet werden müssen, dass sie übersichtlich und selbsterklärend sind. Leichte Sprache und Visualisierungen werden konsequent eingesetzt.
Auch auf die Gestaltung des Klassenraumes gehen die Autorinnen ein: er muss so gestaltet werden, dass er eine ruhige, anregende und barrierefreie Lernumgebung bietet.
Abgerundet wird das Buch durch einen umfangreichen Praxisteil mit direkt einsetzbaren Materialien, Arbeitsblättern, Vorlagen und Anleitungen für verschiedene Fächer (Rechnen, Deutsch, Biologie) und Unterrichtssituationen. Diese Beispiele und Anregungen unterstützen Lehrkräfte bei der konkreten Umsetzung im Unterrichtsalltag.
Ergänzt wird der Inhalt durch ein Literaturverzeichnis mit weiterführenden Hinweisen, ein Glossar zentraler Begriffe sowie einen Bildnachweis.
Diskussion
Das Buch von Terfloth und Cesak bietet einen fundierten und praxisnahen Leitfaden für Lehrkräfte, die Schüler:innen mit kognitiver Beeinträchtigung im inklusiven Unterricht begleiten. Besonders hervorzuheben ist die klare und übersichtliche Gliederung, die sowohl theoretische Grundlagen als auch praxisorientierte Hinweise und Materialien umfasst. Dies erleichtert den schnellen Zugriff auf relevante Informationen und unterstützt die Unterrichtsvorbereitung im Schulalltag.
Die Autorinnen legen großen Wert auf Differenzierung und Individualisierung. Die zahlreichen Praxisbeispiele und direkt einsetzbaren Materialien ermöglichen es Lehrkräften, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ihrer Schüler:innen einzugehen und den Unterricht flexibel zu gestalten. Die Hinweise zur Teamarbeit und zur Kooperation mit Eltern und anderen Fachkräften sind realitätsnah und bieten wertvolle Anregungen für die schulische Praxis.
Ein weiterer Pluspunkt ist die konsequente Ausrichtung auf Barrierefreiheit und Teilhabe. Die Materialien sind so gestaltet, dass sie für Schüler:innen mit unterschiedlichen Unterstützungsbedarfen zugänglich sind. Die Verbindung von Lebensweltbezug, fachdidaktischer Qualität und Methodenvielfalt entspricht aktuellen wissenschaftlichen Empfehlungen für inklusiven Unterricht.
Abschließend lässt sich sagen, dass das Buch sowohl für erfahrene Sonderpädagog:innen als auch für Regelschullehrkräfte ohne spezifische Vorkenntnisse eine wertvolle Unterstützung darstellt. Es trägt dazu bei, Unsicherheiten im Umgang mit Heterogenität abzubauen und die Qualität des inklusiven Unterrichts nachhaltig zu verbessern.
Fazit
Das Buch ist klar strukturiert und verbindet Grundlagenwissen mit praktischen Tipps und Materialien. Es behandelt die wichtigsten Aspekte des inklusiven Unterrichts bei kognitiver Beeinträchtigung: von der Beschreibung der Zielgruppe über didaktische und methodische Hinweise bis zur Teamarbeit und Kooperation mit Eltern.
Es ist ein sehr empfehlenswertes, praxisorientiertes und wissenschaftlich fundiertes Werk, das die Umsetzung von Inklusion im Unterricht wirkungsvoll unterstützt.
Rezension von
Dr. Richard Hammer
Dipl. Motologe
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