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Lola Maria Amekor: Dazwischen

Rezensiert von Dr. Franziska Sophie Proskawetz, 14.03.2025

Cover Lola Maria Amekor: Dazwischen ISBN 978-3-8288-4857-3

Lola Maria Amekor: Dazwischen. Das Phänomen der Zwischenleiblichkeit aus der Perspektive beruflich Pflegender. Tectum (Baden-Baden) 2023. 182 Seiten. ISBN 978-3-8288-4857-3. D: 26,00 EUR, A: 26,80 EUR.
Reihe: Young academics - Perspektiven auf Pflege - 1.

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Thema und Entstehenshintergrund

Die qualitative Studie beschäftigt sich mit dem Phänomen der Zwischenleiblichkeit aus der Perspektive beruflich Pflegender und geht der Frage nach, wie beruflich Pflegende zwischenleibliche Ereignisse erleben. Ursprünglich ist die Arbeit als Masterarbeit im Bereich der Pflegewissenschaften eingereicht worden. Die Autorin ist dafür 2021 mit dem Hochschulpreis der Region Koblenz ausgezeichnet worden ist.

Autorin

Lola Maria Amekor, geboren 1970, ist ausgebildete Krankenschwester, studierte Theaterpädagogin, Pflegewissenschaftlerin sowie Coach.

Aufbau und Inhalt

Im Folgenden folgt eine Darstellung des Inhalts der Studie:

Theoretischer Hintergrund

Amekor führt in das Konzept der Leiblichkeit bzw. Zwischenleiblichkeit ein, indem sie zunächst Begriffe der Philosophie Merleau-Pontys genauer definiert, der die Grundlagen des Konzepts der Zwischenleiblichkeit geschaffen hat. Unter anderem behandelt sie Begriffe wie Empfindung, Leib (im Unterschied zum Körper), seine Ambiguität, seine Räumlichkeit und seine Intentionalität.

Im Mittelpunkt des Konzepts steht der Leib als Medium zwischen Mensch und Umwelt, durch den die Welt erlebt, empfunden und gespürt wird und wodurch sie für den Menschen überhaupt erst erfahrbar wird. Der Leib steht in ständiger Wechselwirkung mit der Umwelt und mit sich selbst, hat dementsprechend einen Doppelcharakter: Er ist gleichzeitig Wahrnehmender und Wahrgenommener, Sehender und Gesehener, Empfindender und Empfundener. Er ist in der Lage, Bewegungen zu beabsichtigen und ist nicht als Gegenstand zu begreifen. Amekor erwähnt außerdem, dass der Leib nur begrenzt empfinden kann, nämlich nur dann, wenn Objekte die Möglichkeit des Empfundenwerdens in sich tragen.

Anschließend geht die Autorin auf den Begriff der Zwischenleiblichkeit ein, der sich nahezu selbstverständlich aus der Zwischenstellung des Leibes bei Merleau-Ponty ergibt und den Amekor als nur konsequente Weiterführung sieht. „Denn so wie der Mensch die Welt durch seinen Leib erlebe, erlebe er, nach Merleau-Ponty, auch den Anderen durch seinen Leib“ (S. 14; vgl. Merleau-Ponty 2010). Menschen nehmen sich gegenseitig durch ihre Leiber wahr, d.h., es findet ein leiblicher Dialog (zwischen den Leibern) statt. Dies wird besonders im Fall von Berührungen sichtbar: Beispielsweise, wenn eine Hand eine andere Hand berührt, sind beide Hände gleichzeitig berührende Hand und berührte Hand. Hierdurch löst sich die leibliche Trennung zwischen zwei Individuen auf, und es entsteht ein gemeinsames Feld.

Im weiteren Verlauf des Theoriekapitels geht Amekor auch auf die Weiterentwicklung des Konzepts der Zwischenleiblichkeit durch Waldenfels ein. Dies verdeutlicht, dass Menschen die Welt gleichzeitig in sich selbst empfinden: „Also erlebt er die Schwere der Situation an sich selbst und nicht außerhalb von sich“ (S. 30). Ebenso bezieht sie sich auf die Weiterentwicklung des Konzepts durch Fuchs, insbesondere durch die Einführung der zwischenleiblichen Resonanz und dem Leibgedächtnis: „Gefühle […] werden in leiblicher Resonanz erlebt“ (S. 35). Das bedeutet: Ein Mensch hat ein Gefühl, das sich wiederum auf einen anderen Menschen in irgendeiner bestimmten Art und Weise auswirkt. Zum Beispiel: „Eine Person A drückt ihre Erleichterung über etwas aus, was sich in typischen körperlichen Veränderungen ausprägt und sichtbar wird. A fühlt die Erleichterung in einer Weitung des Brustkorbs, der Gesichtszüge und in einem spontanen Impuls des Aufatmens, was ebenfalls im Ausdruck für B sichtbar und erlebbar wird. Der Ausdruck von A ist auch für B spürbar, in einer Weitung des eigenen Körpers. B’s Wahrnehmen des Ausdrucks entspricht dem Erleben von A“ (S. 39, vgl. Fuchs 2000). Amekor geht auch auf das Leibgedächtnis nach Fuchs ein, das während der frühen Kindheitsphase ausgeprägt wird und lebenslang formbar bleibt.

Aktueller Forschungsstand zum Konzept der Zwischenleiblichkeit in der Pflegewissenschaft

Amekor betont die Bedeutung der Leiblichkeit im Bereich der Pflege und hebt hervor, dass das Konzept der Zwischenleiblichkeit dort bisher eher weniger detailliert untersucht worden ist. Sie stellt Inhalte relevanter Forschung vor, fasst ausgewählte Studien zusammen und arbeitet zentrale Hauptthemen heraus. So zeigt sie beispielsweise, dass der Leib als Brücke zum anderen Menschen verstanden werden kann und dass in der pflegerischen Versorgung zwischen Pflegeperson und zu versorgendem Menschen gemeinsam geteilte Lebenswelten entstehen. Verbindungskanäle sind dabei sowohl Berührungen als auch Blicke. Amekor leitet daraus den folgenden Forschungs- und Entwicklungsbedarf ab.

Forschungsfrage und Forschungsdesign

Amekor formuliert folgende Fragestellung: Wie erleben beruflich Pflegende in der chirurgischen und internistischen Pflege zwischenleibliche Ereignisse? Nach einem kurzen Einblick in die Forschungsethik und den Datenschutz geht Amekor auf ihr methodisches Vorgehen ein, insbesondere auf die Auswertung mithilfe der systematischen Metaphernanalyse. Diese bietet sich an, da sich das Erleben von zwischenleiblichen Ereignissen in Metaphern und Sprachbildern ausdrückt. Im Rahmen der Studie wurden fünf examinierte weibliche Pflegefachpersonen im Alter zwischen 27 und 44 Jahren aus verschiedenen Krankenhäusern Norddeutschlands interviewt. Die Datenerhebung erfolgte durch narrative Interviews, die es den Teilnehmenden ermöglichten, ihre Erfahrungen sehr frei zu schildern.

Darstellung der Ergebnisse

Amekor stellt zunächst die Ergebnisse der einzelnen Interviews vor, indem sie in jedem Interview mehrere metaphorische Konzepte identifiziert. Im weiteren Verlauf des Kapitels geht sie auf die Gemeinsamkeiten dieser Konzepte ein und fasst sie in elf Bündelungen zusammen. Die größten Gemeinsamkeiten zeigen sich dabei in den Konzepten des Spürens, des Gefühls und des Gespürs sowie in den Konzepten Verhältnis/​Beziehung/​Zwischenraum/​Lebenswelt.

Die Studie schließt mit einer Diskussion der Ergebnisse, einer Selbstreflexion, der Darstellung qualitativer Gütekriterien und einem Fazit mit Ausblick. Amekor betont abschließend die zentrale Bedeutung von Gefühl und Spüren für beruflich Pflegende in ihrer Tätigkeit. Dabei hebt sie die Unterschiede hervor, die sie zwischen Pflegefachpersonen aus dem internistischen und dem chirurgischen Bereich festgestellt hat.

Mit ihrer Arbeit bestätigt Amekor die zentrale Stellung des Leibes für das pflegerische Handeln und knüpft damit an frühere Forschungsarbeiten an. Abschließend zeigt sie Forschungsdesiderate auf, die als Grundlage für weitere wissenschaftliche Untersuchungen dienen können.

Diskussion

Da ich mich gerade intensiver mit dem Begriff der Zwischenleiblichkeit im Rahmen eines geplanten Forschungsvorhabens beschäftige, habe ich die Arbeit als große Bereicherung empfunden. Schade finde ich allerdings, dass keine der Interviewfragen vollständig abgedruckt ist. Die Autorin spricht von narrativen Interviews, jedoch wurde mir beim Lesen nicht deutlich, welcher Eingangsimpuls den Gesprächen zugrunde liegt. Das hätte ich sehr gern erfahren, da dies die methodische Herangehensweise besser nachvollziehbar gemacht hätte. Abgesehen davon ist die Studie sowohl empirisch als auch theoretisch nachvollziehbar und sehr klar strukturiert. Insgesamt eine spannende Lektüre!

Fazit

Lola Maria Amekors Studie liefert einen wichtigen Beitrag zur Pflegewissenschaft, indem sie die zentrale Bedeutung der Zwischenleiblichkeit für das pflegerische Handeln fundiert und praxisnah beleuchtet. Trotz kleiner methodischer Unklarheiten ist die Arbeit eine bereichernde Grundlage für weitere Forschung in diesem Bereich und eine Arbeit, die die Ansprüche an eine Masterarbeit weit übertrifft.

Literatur

Merleau-Ponty, Maurice; Böhm, Rudolf (2010): Phänomenologie der Wahrnehmung. 6. Aufl., photomechan. Nachdr. der Ausg. 1966; Reprint 2010. Berlin: de Gruyter (Phänomenologisch-psychologische Forschungen de Gruyter-Studienbuch, 7).

Fuchs, Thomas (2000): Leib, Raum, Person. Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie. Teilw. zugl.: München, Univ., Diss., 1999. Stuttgart: Klett-Cotta. Online verfügbar unter http://d-nb.info/958867836/04.

Rezension von
Dr. Franziska Sophie Proskawetz
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Es gibt 13 Rezensionen von Franziska Sophie Proskawetz.

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ISSN 2190-9245