Johannes Zang: Kein Land in Sicht?
Rezensiert von Prof. i.R. Dr. Peter Bünder, 03.02.2025

Johannes Zang: Kein Land in Sicht? Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg.
PapyRossa Verlag
(Köln) 2024.
279 Seiten.
ISBN 978-3-89438-835-5.
D: 16,90 EUR,
A: 17,40 EUR.
Reihe: Neue kleine Bibliothek - 343.
Das Thema
Das Buch skizziert anhand von gut einhundert Fragen die Entwicklungs- und Leidensgeschichte des Gazastreifens von der Antike bis zum Jahr 2024.
Zum Autor
Johannes Zang ist Musiklehrer, Reiseleiter und Journalist. Er hat fast zehn Jahre in Israel und den besetzten palästinensischen Gebiete gelebt. Als Journalist mit Sitz in Ostjerusalem schrieb er u.a. für die Zeit Online, die taz und den Freitag.
Aufbau
Nach einer kurzen Widmung und Vorwort gliedert sich das Buch in sieben Kapiteln, einem Nachwort und einem ausführlichen Anhang.
- Kapitel 1: Von der frühesten Zeit bis 1967
- Kapitel 2: Die israelische Militärbesatzung 1967 bis heute
- Kapitel 3: Die Blockade bzw. die Verschärfung der Blockade
- Kapitel 4: Die Hamas
- Kapitel 5: Vom widerständigen Alltag in Gaza
- Kapitel 6: Der 7. Oktober 2023
- Kapitel 7: Der Krieg ab dem 7. Oktober 2023 und seine Folgen
Inhalt
Nach einer Widmung des Buches für Menschen, die er im Gazastreifen persönlich kennenlernte, führt Johannes Zang aus, dass er 1986 zum ersten Mal den Gazastreifen besuchte. Die folgenden Darstellungen beruhen auf etwa 30 Besuchen in den letzten Jahrzehnten.
Kapitel 1 thematisiert ganz kurz einige historische Aspekte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, um dann mit dem Beginn der britischen Mandatsverwaltung 1923 in die konkrete Geschichte des Gazastreifens einzusteigen.
Kapitel 2 informiert über die Zeit der israelischen Militärbesatzung, die nach dem „Sechs-Tage-Krieg“ im Jahr 1967 begann und zur Besetzung von Ostjerusalem, dem Westjordanland, dem Gazastreifen, der Sinai-Halbinsel und den Golanhöhen führte. Die Folgen der Besatzung werden nicht in geschichtlicher Abfolge geschildert, sondern sehr anschaulich durch konkrete Schilderungen von Menschen, die sowohl damals als auch heute betroffen waren.
Kapitel 3 fokussiert auf die heute noch existierende Blockade aller Zugangswege in den Gazastreifen, die sich mit dem früheren Wahlsieg der Hamas im Jahr 2006 deutlich verschärfte. Nach dem Paris-Abkommen von 1994 standen der Palästinensischen Autonomie-Behörde die Einnahmen aus Zöllen und Steuern zu, die von Israel auf Waren erhoben werden, die für den Gazastreifen bestimmt waren. Nach der Regierungsbildung durch die Hamas wurden diese sehr wichtigen Zahlungen durch Israel eingestellt. Die sich daraus ergebenden fatalen Folgen für die Bevölkerung im Gazastreifen werden an sehr konkreten Beispielen verdeutlicht.
Kapitel 4 gibt der Schilderung der Entstehung und den Funktionen der Hamas einen breiteren Raum. Sehr detailgetreu wird die Entstehungsgeschichte im Zuge der 1. Intifada von 1987/88 dargestellt, ihre Struktur und Wählerschaft, ihre Gewalttaten, die internen Konflikte mit der Fatah, sowie das wechselnde Verhalten von Israel im Umgang mit der Hamas über die Jahre bis hin zu 2023.
Kapitel 5 bietet einen kleinen Einblick in den Alltag der Menschen im Gazastreifen unter der „Normalität“ der gegebenen Blockadebedingungen bis zum Oktober 2023. Wiederum sind es sehr konkrete Schilderungen und Bezüge von dort lebenden Menschen, deren Hauptproblem es war und ist, einfach nur zu überleben.
Kapitel 6 fokussiert dann sehr kurz auf die Ereignisse um den 7. Oktober 2023. Ohne dass die völkerrechtswidrigen Taten der Hamas in irgendeiner Weise verharmlost oder gar als verständlich dargestellt werden, nimmt sich Johannes Zang die Freiheit, die verbrecherischen Taten der Hamas in einem historischen Kontext zu beleuchten. Dabei wird wiederum an den Beispielen deutlich, wie viele bekannte Informationen zu der Rolle von Israel bei diesen Taten in den westlichen Medien überhaupt nicht erwähnt werden, weil sie wohl nicht in die Schemata der Berichterstattung der „Guten“ passen.
Kapitel 7 behandelt als letztes Kapitel nochmals ausführlich den neuen Krieg ab dem 7. Oktober 2023 und seine Folgen. Anhand von über 33 stichwortartigen Zwischenüberschriften beleuchtet der Autor eine Reihe von politischen, gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Problemlagen und einzelnen Problemen, die sich letztlich nicht nur den Menschen im Gazastreifen und in Israel stellen, sondern im Grunde die gesamte Weltbevölkerung betreffen und berühren.
Diskussion
Wie Johannes Zang in seinem Nachwort ausführt, hat ihn dieses Buch seelisch an seine Grenzen gebracht (S. 234). Wer dieses Buch aufmerksam liest, wird dies gut nachvollziehen können. Unter Berücksichtigung der vorliegenden verurteilenden Beschlüsse und Resolutionen der Vereinten Nationen bis 2024, des Folterberichts von Amnesty International aus dem Jahr 2015, sowie den Apartheidberichten der Nichtregierungsorganisationen B’Tselen (Israel), Human Rights Watch und Amnesty International aus den Jahren 2021/22 wird mehr als deutlich, dass der Staat Israel und seine Regierungen über Jahrzehnte das Völkerrecht verletzt und die Menschenwürde der palästinensischen Bevölkerung mit Füßen getreten haben. Es ist daher beeindruckend, wie es der Autor schafft, dennoch immer wieder die kleinen Aspekte auszuführen, die auf Zeit und Dauer vielleicht wieder einen Funken Hoffnung für einen Prozess von Frieden und Verständigung ergeben könnten. Bei aller berechtigten Kritik und Verurteilung der abscheulichen Taten der Hamas steht nach der Lektüre die Erkenntnis im Raum, dass von Seiten der sogenannten westlichen Demokratien viel mehr getan werden müsste, um die inzwischen wohl rechtsradikale israelische Regierung wieder an einen Verhandlungstisch mit den Palästinensern zu bringen.
Fazit
Dieses Buch leistet einen wertvollen Beitrag zum besseren Verständnis des Dauerkonflikts zwischen Israel und Palästina seit 1948. Mit kurzen, aber verständlichen Ausführungen ermöglicht der Autor dieses Buches einen sehr wertvollen Einblick in die Dauer-Tragödie des Gazastreifens und seiner Bewohner*innen. Ich kann die Lektüre dieses Buches persönlich nur sehr empfehlen und schließe mit einem Zitat aus dem Buch: „Die kommenden Generationen werden wissen, dass wir diese menschliche Tragödie über soziale Medien und Nachrichtenkanäle mitverfolgt haben. Wir werden nicht sagen können, wir hätten es nicht gewusst.“ (Philippe Lazzarini, Seite 225).
Rezension von
Prof. i.R. Dr. Peter Bünder
Vormals Hochschule - University of Applied Sciences - Düsseldorf, Lehrgebiet Erziehungswissenschaft am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
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