Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen
Rezensiert von Mag. phil. Christina Zöhrer, 28.04.2025

Franziska Schutzbach: Die Erschöpfung der Frauen. Wider die weibliche Verfügbarkeit. Droemer Knaur (München) 2021. 304 Seiten. ISBN 978-3-426-30315-3. D: 13,00 EUR, A: 13,40 EUR.
Thema
Franziska Schutzbachs Buch handelt von der Erschöpfung derFrauen in heutigen Zeiten, wo diese vermeintlich alles erreichen können. Wie diesem Mehr an Handlungsoptionen allerdings im selben Atemzug ein normatives Soll folgt, welches die Politologin Katharina Debus mit ‚Allzuständigkeit‘ treffend zu beschreiben weiß, wird im vorgestellten Buch akribisch nachgezeichnet (vgl. Schutzbach 2021, S. 14). Dass Erschöpfung aufgrund vielerlei gesellschaftlicher Verfügungsansprüche kein individuelles Schicksal von Frauen ist, das es hinzunehmen gilt, sondern ihren Ursprung in stark in ökonomischen Logiken hat, macht Schutzbach in ihrem rund 300 Seiten starken Werk sichtbar. Mit vielen historischen und aktuellen Bezügen schafft sie es, feministisches, intersektionales Wissen in die Gesellschaft hineinzutragen, das über viele Jahrhunderte lang immer wieder systematisch aus allgemeinen Geschichtserzählungen verdrängt wurde und liefert so einen wichtigen Baustein zu einer gerechteren Gesellschaft.
Autorin
Franziska Schutzbach, geboren 1978, ist eine promovierte Schweizer Geschlechterforscherin und Soziologin sowie Publizistin, feministische Aktivistin und Mutter zweier Kinder. Sie gilt als eine der bekanntesten und gefragtesten feministischen Stimmen im deutschsprachigen Raum. Ihr neuestes Buch „Revolution der Verbundenheit. Wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert“ von 2024 knüpft argumentativ an das hier rezensierte an und erweitert feministische Deutungsweisen auf literarischer und historischer Ebene.
Entstehungshintergrund
Franziska Schutzbach schreibt einleitend über ihre Beobachtungen, die von einer ausgeprägten Erschöpfung der Frauen in ihrem Umfeld durchzogen sind. Als Geschlechterforscherin und Soziologin stellte sie sich die systematische Frage hinter diesen Zuständen und zeigt wie sehr patriarchal-kapitalistische Verhältnisse weibliche Arbeitskraft auszubeuten weiß und wie sich diese in Zusammenhang mit einer strukturellen Geringschätzung von Frauen wechselseitig bedingt.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in 7 Kapitel, die unabhängig voneinander gelesen werden können:
- Sexuelle Verfügbarkeit,
- Die Ursachen des schlechten Selbstvertrauens,
- Warum Emanzipation so viel Kraft braucht,
- Körperscham,
- Mutterschaft,
- Emotionale Verausgabung im Beruf,
- Mental Load in Beziehungen und Familie.
Jedes dieser Kapitel fächert sich anhand inhaltlicher Schwerpunkte weiter auf und ermöglicht ein gezieltes Erlesen einzelner Interessensbereiche wie beispielsweise „Kampf um den öffentlichen Raum“ (Kap. 1), „Wenn Frauen ihre Verfügbarkeit entziehen“ (Kap. 3) oder „Warum Männer sich im Haushalt nicht zuständig fühlen“ (Kap. 7). Einleitend zu jedem Kapitel finden sich ausgewählte Zitate von Frauen, welche auf die nachfolgenden Inhalte einstimmen und inhaltlich aufgegriffen und kontextualisiert werden, wie etwa von Sylvia Plath „Ich möchte in der Lage sein, auf freiem Feld zu schlafen, nach Westen zu reisen, nachts frei zu gehen…“ (vgl. Schutzbach 2021, S. 25).
Inhalt
Im Folgenden wird auf ausgewählte Kapitel eingegangen, um einige Kernideen Schutzbachs vorzustellen. Kapitel 1 „Sexuelle Verfügbarkeit“ beginnt 1903 in Amerika, als die junge Touristin Leoti Blaker sich gegen einen sexuell aufdringlichen Mann mittels einer Hutnadel erfolgreich wehrt. Tausende Frauen sollten ihrem Beispiel folgen, um sich gegen übergriffige Männer, sogenannte Mashers, zu Wehr zu setzen. Anstatt den öffentlichen Raum, der historisch traditionell männlich besetzt war, für Frauen vor Gewalt und Belästigung sicherer zu machen, wurden etwa in Chicago und vielen anderen Städten Gesetze gegen Hutnadeln verabschiedet. Dass der öffentliche Raum mehr als 100 Jahre später für 90% der Frauen und FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Menschen) nach wie vor ein Ort bleibt, welcher mit Belästigungserfahrungen einhergeht, zeigen Studien zu Catcalling und Street Harassment (vgl. Schutzbach 2021, S. 28). Trotz dieser erschöpfenden Realität verweist Schutzbach, historisch versiert, auf Elisabeth Wilson, die 1993 zeigte, dass die Großstadt und der öffentliche Raum für Frauen auch immer Zentrum für autonome Entwicklung war und bleibt. Weitere Studien aus dem Jahr 2007 von Yvonne Müller oder aus 1999 von Elke Schön beschreiben Praktiken weiblicher Jugendlicher, sich das Autonomieempfinden im öffentlichen Raum kreativ und selbstbewusst anzueignen wie etwa Skaterinnen in das Territorium männlicher Skater eindringen oder Mädchen ihre Hausaufgaben oder die Betreuung ihrer Geschwister nach draußen ins Freie verlagern (vgl. Schutzbach 2021, S. 60 f.).
In Kapitel 3 „Warum Emanzipation so viel Kraft braucht“ erinnert Schutzbach an vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie das Frauenwahlrecht, die Entkriminalisierung von Abtreibung oder die Zulassung von Frauen zu Universitäten. Sie zieht Parallelen zu heutigen Emanzipationskämpfen wie den Anspruch an der Herstellung tatsächlicher und nicht nur formaler Gleichwertigkeit von Männern und Frauen, der Forderung nach halbe-halbe in Sorgearbeit und zeigt unter anderem die Handlungsmacht weiblicher Stärke darin auf, dass sich diese in der Verweigerung männlicher Anspruchshaltungen äußert. Diese wurde medial und global besonders stark in der MeToo-Debatte sichtbar, welcher ein längst überfälliger Aufschrei über sexualisierte Gewalt und Belästigung war. (Vgl. Schutzbach 2021, S. 114 f.) Schutzbach macht klar, dass mehr Teilhabe nicht automatisch zu mehr Harmonie führt, sondern im Gegenteil, zu mehr Verteilungs- und Interessenskonflikten. Die Philosophin Kate Manne bringt es demzufolge auf den Punkt mit „Du sollst nicht nehmen, was ihm zusteht“ (vgl. Schutzbach 2021, 118 f.) Der nachweisbar angestiegene Frauenhass seit den 2010er-Jahren (vgl. ebda), erklärt sich Schutzbach zufolge als Reaktion der gespiegelten Bedürftigkeit der Männer Frauen gegenüber sowie der Angst, die männlich cis-hetero Vormachtstellung nicht mehr als die Norm zu erleben.
Kapitel 7 „Mental Load in Beziehungen und Familie“ ergründet die Sphäre persönlicher Beziehungen. Das Bedürfnis nach Alleinsein ist bei Männern und Frauen gleichermaßen vorhanden, aber in unterschiedlichem Maße ausgeprägt. Frauen haben aufgrund ihrer gesellschaftlich zugeschriebenen Allzuständigkeit für häusliche Gemütlichkeit und Harmonie mehr Bedarf an Erholungsräumen, die ihnen aber aufgrund ihres Frauseins weniger zugestanden werden. Die 1989 publizierte Studie „The Second Shift“ der Soziologin Arlie Hochschild zeigte, die häusliche Zuständigkeit berufstätiger Frauen nach Absolvierung ihrer Erwerbsarbeit. So arbeiten Frauen, Familien- und Hausarbeit inklusive, in den USA einen Monat pro Jahr länger als Männer. (Vgl. Schutzbach 2021, S. 245) Das häufig vorgetragene Argument des Maternal Gate Keeping, also Frauen würden die Themen Kinder, Erziehung und Haushalt an sich reißen, sei nicht haltbar, da Männer sich einerseits erfolgreich der Verantwortungsübernahme entziehen und dabei sichtlich profitieren sowie ein unordentlicher Haushalt oder nicht gut versorgte Kinder andererseits auf Frauen zurückfallen würden. Männer sehen sich in heterosexuellen Beziehungsformen nach wie vor nur als Unterstützer der Frauen in häuslichen und familiären Angelegenheiten und nicht als gleichberechtigte Partner. (Vgl. Schutzbach 2021, S. 252 f.)
„Frauen, denkt ökonomisch!“, mahnt die Philosophin Nancy Fraser und zeigt die starke Verbindung eines zeitgemäßen Feminismus mit ökonomisch-kapitalistischen Machtverhältnissen auf (vgl. Schutzbach 2021, S. 259). So werde die unbezahlte Care-Arbeit nach wie vor auf dem Rücken von mehrfach belasteten Frauen ausgetragen, ohne diese entsprechend monetär abzugelten, was zu einer chronischen Erschöpfung unzähliger Frauen beiträgt. Dass die systematische Abwertung von Frauen bei gleichzeitiger Verfügbarmachung von Sorgearbeit zusammenhängen und ökonomisch profitabel sind, hat sich in vorherrschenden wirtschaftlichen Modellen und Theorien nach wie vor nicht festgeschrieben.
Abschließend plädiert Schutzbach für eine neue Zeitpolitik für alle: eine Verkürzung der Vollerwerbsarbeit auf 20 Stunden, eine stärkere Einbindung von Männern in unbezahlte Sorge-, Pflege- und Hausarbeit, mehr Zeit für kulturelle Arbeit und nicht mehr nur Privileg für Reiche sowie mehr Zeit für politisches Engagement, um die Gesellschaft aktiv mitgestalten zu können. (Vgl. Schutzbach 2021, S. 263)
Diskussion
Das Buch eignet sich für alle Interessierte zum Thema Gleichberechtigung, Freiheit, Emanzipation, Feminismus. Mit Bezug auf historische Tatsachen und Verknüpfung aktueller Diskurse und Kämpfe rund um die genannten Themen erfrischt es mit sachlicher Argumentation und reichhaltigen Faktenlagen. Schutzbach zeigt analytisch scharf geschlechtliche Schieflagen innerhalb unserer Gesellschaften auf und schreckt auch nicht davor zurück vermeintlich emanzipierte Beziehungsmodelle schonungslos auf reale Gleichstellung hin zu überprüfen (Kapitel 7). Schutzbach formuliert am Schluss scheinbar Utopisches, das an einer sich im teilweise Backlash befindlichen Realität zu scheitern droht. Und dennoch scheint dieses Utopische Hoffnung zu geben und zu stärken im Kampf um fundamentale Rechte.
Fazit
Das Buch „Die Erschöpfung der Frauen: Wider die weibliche Verfügbarkeit“ liefert einen beeindruckenden Einstieg in weibliche Realitäten patriarchaler Hegemonievorstellungen und schließt auch FINTA-Personen umfassend in den Kampf um eine gleichberechtigte Zukunft mit ein. Es versteht sich auf niederschwellige Art und Weise mit reichhaltig historisch und aktuellen Wissen einer Leser:innenschaft zu präsentieren, das eine globale Schwesternschaft als Gegenmodell isolationistischer Lebenspraktiken gegenüberstellt.
Rezension von
Mag. phil. Christina Zöhrer
Lecturer am
Arbeitsbereich Bildungstheorie und Schulforschung | Institut für
Bildungsforschung und PädagogInnenbildung, Universität Graz
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