Annemarie Meyer: Die nie debattierte Geschichte hinter dem Hanfverbot
Rezensiert von Thomas Barth, 14.01.2025

Annemarie Meyer: Die nie debattierte Geschichte hinter dem Hanfverbot. Eine Beweisführung. Nachtschatten Verlag (Solothurn) 2023. 197 Seiten. ISBN 978-3-03788-635-9. D: 23,00 EUR, A: 23,70 EUR, CH: 25,00 sFr.
Thema
Aktuell steht die hierzulande gerade erst gewährte, aber bislang nur unzureichend umgesetzte Entkriminalisierung von Cannabis schon wieder auf der Kippe – der in den Umfragen präferierte Oppositionsführer Merz (CDU) hat eine erneute Kriminalisierung auf seine Wahlkampffahnen geschrieben. Doch in welche Tradition stellt er sich und seine konservative Partei damit? Die Hanfverbote, so Annemarie Meyer, sind ein Erbe rassistischer Zeiten, und sie fordert die Geschichte dahinter anzuerkennen. Die Konsequenzen aus dieser dunklen Vergangenheit zu ziehen, sei notwendig, denn braunes Gedankengut habe heute in Rechtsstaat und Gesetzgebung nichts mehr zu suchen.
Autorin und Hintergrund
Annemarie Meyer wurde als Kind deutscher Einwanderer in Winterthur geboren; Mitte der 1990er Jahre verkaufte sie in der Schweiz rechtswidrig „Hanf-Duftsäckli” an die volljährige Bevölkerung, war drogenpolitisch aktiv, führte eine „Hanfboutique” und war bis zur Hanfinitiative von 2008 viele Jahre aktives Mitglied der Schweizer Hanfkoordination.
Aufbau und Inhalt
Einem Vorwort von Francois Reusser, des Präsidenten von 1996–2006 der Schweizer Hanfkoordination, folgt ein “Offener Brief” an den Schweizer Bundesrat, Parlament, Justiz und Mitbürger:innen, die Einleitung und Danksagungen. Teil 1: Die Drogenverbote als Erbe rassistischer Zeiten hat 36 Unterkapitel, Teil 2: Gesetzestext zum Antidiskriminierungsverbot mit Stellungnahmen der Weltdrogenkommission und der eidgenössischen Kommission für Suchtfragen, hat 13 Seiten, Teil 3: Anhänge umfasst vier Unterkapitel zur Rechtsgeschichte der Drogenverbote; ein Literatur- und ein Abbildungsverzeichnis folgen eine Kurzbio und Adressen zum Thema. Reusser, dessen Schweizer Hanfkoordination der anerkannte Fachverband der Schweizer Hanfbranche ist, stellt die Entwicklung seiner Branche und des Kampfes gegen das Hanfverbot dar, worin die Autorin Meyer eine wichtige Rolle spielte. Aus seiner Sicht waren es die USA, die vor mehr als 90 Jahren eine „wahnsinnige Hetzjagd gegen Hanf begonnen haben“ (S. 11); nun hätten selbst in vielen ihrer Bundesstaaten Cannabis faktisch legalisiert -nur in der Schweiz passiere zu wenig. In der Einleitung bezeichnet Meyer das Hanfverbot als Teil des „Krieges gegen Drogen“, der ein Überbleibsel eines rassistischen „Krieges der übermächtigen Weissen gegen andere Kulturen“ sei (S. 18). Die Schweiz müsse um ihrer Verfassung und der Menschenrechte willen von ihrer Prohibitionspolitik ablassen. Ihr Buch solle die dunklen Geschichte dieser Politik aufdecken, um politische und rechtliche Maßnahmen zur Umsteuerung zu unterstützen.
Kapitel 1, „Die rassistischen Anfänge des Hanfverbots in den USA“ beginnt mit der Abstinenzbewegung der USA, die von 1920–1933 ein Alkoholverbot durchsetzte. Diese Prohibition legte die Basis für eine Mafia, die mit dem Namen Al Capone verbunden ist. Auf der Genfer Opiumkonferenz 1925 wurde Cannabis mit Heroin auf eine Stufe gestellt und verboten. Der rassistische Geheimbund Ku-Klux-Klan hatte seinerzeit in den USA Millionen Mitglieder, vor allem in Texas, wo man begann „die Mär zu verbreiten, Genussmittel wie Marihuana (…) würden die Mexikaner, Schwarzen und Latinos denken lassen, sie seien genauso gut und gleichwertig wie der weisse Mann“ (S. 28). Zusammen mit Jazzmusik sei Cannabis eine Gefahr für weisse Frauen, sich mit Schwarzen einzulassen, der moralische Abgrund für weisse Rassisten. 1933 beendete der neu gewählte F.D.Roosevelt die Prohibition, die zu Mafia-Boom und Erblindungs-Epidemien wegen schwarzgebranntem Fusel geführt hatte. „Im Gegenzug begann die Verfolgung von Marihuana“ (S. 30). Die Siler-Kommission hatte in einem Bericht zwar die Harmlosigkeit des Hanfkonsums nachgewiesen, doch Hanfgegner wie Harry S. Anslinger starteten Propaganda gegen Hanf. Der rechtsextreme und ultrareligiöse Anslinger war 1930 Chef des FBN (Federal Bureau of Narcotics) geworden und hatte eine Studie erstellen lassen, die behauptete: „Die herrschende Rasse und die aufgeklärtesten Länder sind alkoholisch, derweil die Rassen und Nationen, die Cannabis und Opium verfallen sind, …sowohl geistig als auch physisch zugrunde gegangen sind.“ (S. 29) Diese Propaganda gegen ein verbreitetes Naturheilmittel wurde mit Plakaten, Büchern, Kinofilmen in den USA verbreitet, obwohl selbst George Washington persönlich noch Cannabis gegen seine Zahnschmerzen geraucht habe. Die Nazis in Deutschland sorgten sich 1934 über „Süchtlinge“, die sich „außerhalb der Volksgemeinschaft“ stellen würden und NS-Jurist forderten ein Vorgehen gegen sie (S. 32).
Kapitel 3 „'Rauschgiftsucht' als Erbe des Dritten Reiches und Prohibition als Werkzeug zur Unterdrückung“ erörtert, wie mit der Justiz auch die Psychiatrie im neu benannten „Süchtigen“ neue Klientel entdeckte; die NS-Justiz ersetzte das Wort „Genussgift“ durch den dramatischeren Begriff „Rauschgift“, von dem Alkohol ausgenommen war (S. 34). In den USA wurden die Kampagnen Anslingers inzwischen vom Chemie-Konzern DuPont unterstützt. Der Papier- und Zeitungsbaron William Randolph Hearst war bei Hanfverbot- und -verteufelung dabei, weil er als Waldbesitzer sein Papier lieber aus Holz statt, wie bis dahin üblich, aus Hanf herstellen wollte; Proteste der AMA (American Medical Association), die Anslingers Kampagne für nicht wissenschaftlich fundiert hielt, waren vergeblich (S. 35). Anslinger wurde von den USA 1947 zum Vorsitzenden der UN-Drogen-Kommission gemacht und konnte nun weltweit gegen Hanf agieren, dem weiter unterstellt wurde, die „Süchtigen“ zu Gewalttaten zu enthemmen. 1948 befanden sich die USA im Kalten Krieg und Anslinger behauptete nun plötzlich, dass Cannabis nach neuester Forschung die Amerikaner zu friedlich machen könnte, weshalb die Kommunisten seine Verbreitung in den USA fördern wollten. Diese neue Propaganda hätte man in der UdSSR und China ernst genommen und Hanf dort verboten, aus Angst vor Verlust der Kampfbereitschaft (S. 39). In den USA liefen derweil bekanntlich geheime Drogenforschungen der CIA unter dem Namen MK-ULTRA ca. von 1949–1970, deren Ziel Bewusstseinskontrolle war. Allen Dulles habe auch für dieses Programm nach dem Krieg Nazi-Verbrecher ihrer Bestrafung entzogen, um sie als Wissenschaftler für die CIA weiter forschen zu lassen (S. 41).
Kapitel 8, „Wie die WHO dem Hanf jeglichen therapeutischen Wert absprechen“ klärt darüber auf, dass Hanf als Medikament in der Schweiz bis 1951 weithin geschätzt war, in Deutschland bis 1958 in Apotheken verkauft wurde. Annemarie Meyer zitiert Manfred Fankhauser, Cannabis sei „eine der ungefährlichsten psychoaktiven Pflanzen überhaupt“ (S. 46). Auf Anslingers Betreiben verkündete die WHO jedoch 1954, dass Hanf keinerlei therapeutischen Wert habe. 1961 wurde Cannabis sogar in die Drogenverbots-„Single Convention“ als gefährliches Rauschgift aufgenommen. Hanf sei Einstiegsdroge zum Heroin, eine „These, die noch heute in vielen Köpfen verankert ist“ (S. 49). Doch inzwischen bröckelt die Prohibition von Hanf langsam. Kanada habe „mutig bereits im Jahr 2000 die Verfassungswidrigkeit des Hanfverbots in der Medizin anerkannt“ und ab 2018 sogar den Freizeitkonsum legalisiert (S. 52).
Kapitel 15 „Die 80er Jahre und die Reagan/​Bush-Scientology-Verbindung“ zeigt noch eine weitere dunkle Wurzel der Cannabis-Verbote auf: Die Scientology-Sekte sei in Nancy Reagans „Just say no“-Kampagne gegen Drogen 1988 mit dem Slogan „For a Drug Free America“ eingestiegen (S. 81). Scientology habe auch in der Schweiz und Westdeutschland agiert. 1987 erschien Peggy Manns Anti-Hanf-Propaganda-Buch „Hasch, Zerstörung einer Legende“, aus dem auch Scientology-Broschüren zitierten (S. 83). Von Bush und Reagan angeschoben, habe US-Präsident Bill Clinton eine neoliberale Welle von Gefängnis-Privatisierungen begonnen. Dank wegen geringer Drogendelikte hart kriminalisierter Afroamerikaner füllten sich die Anstalten mit billigen Arbeitskräften, so Kapitel 19 „Sklavenarbeit in US-Gefängnissen dank Drogenkriminalität“ (S. 91). So zeigt das Buch Verknüpfungen von geopolitischen US-Interessen, neoliberaler Ausbeutung und Hanfverboten. In der Schweiz sei dann in den 90er Jahren dank einer Gesetzeslücke Hanf wieder angebaut und als „Duftsäckli“ in Umlauf gebracht worden – die Autorin war maßgeblich daran beteiligt, ihr Land zur „Selbstversorgerin“ zu machen (S. 105). Sie zeigt, wie die Schweizer vor Volksabstimmungen zum Hanf mit Desinformation in die Irre geführt wurden und wie die Gefahren durch Cannabis im Straßenverkehr gegenüber denen von Alkohol maßlos übertrieben wurden; mit dem Effekt, dass Kiffer schon bei winzigsten Mengen, weit unterhalb einer Rauschwirkung mit Führerschein-Entzug bestraft wurden (S. 151).
Diskussion
Annemarie Meyer hat in ihrer eindringlichen Beschreibung der Entkriminalisierung von Cannabis insbesondere für medizinische Zwecke, aber auch als Genussdroge bislang kaum bekannte historische und politische Argumente geliefert. Mit überzeugenden Quellen und Argumenten legt Annemarie Meyer dar, dass die bis heute auf der politischen Rechten bis zur rechtsextremen Szene dominierenden Desinformationen über Cannabis wissenschaftlich haltlos sind. Ihr Fazit im Kapitel 35 „Zusammenfassung der Fakten“ wirkt auf den ersten Blick von sogenannten „Verschwörungstheorien“ inspiriert: Bis heute hätten „Geheimdienste, Regierungen, Industriekonzerne und Sekten gemeinsam mit der Pharma-, Tabak- und Alkoholindustrie“ die Hanfverbote „durch Falschinformationen zementiert“ (S. 155).
Doch die Belege zeigen, dass es sich vielleicht um eine Verschwörung, aber keineswegs nur um Theorien handelt. Die Verknüpfung von Antikommunismus, Hass auf die Hippiekultur und Dämonisierung von deren bevorzugter Droge Cannabis ist ohnehin mehr als plausibel. Das hundertjährige Hanfverbot habe nie der Gesundheit dienen sollen, argumentiert Meyer, sondern sei eine Ausgeburt der Angst vor fremden Kulturen. Ihr Schluss ist überzeugend: Justiz, Politik, Medien und Öffentlichkeit sollten nie wieder über Cannabis Konsumierende urteilen dürfen, ohne die von der Unterdrückung anderer bestimmte Geschichte dahinter zu kennen.
Fazit
Das kleine, gut lesbar geschriebene Buch gibt einen profunden Einblick in die Kämpfe gegen das Cannabisverbot, dessen Wurzeln in dunklen Zeiten der rassistischen USA und in der Nazi-Drogenpolitik des Hitler-Regimes lokalisiert werden. Cannabis als „Rauschgift“, seine angeblichen Schadwirkungen und seine abgeleugneten Qualitäten als medizinische Heilpflanze – das alles stammt ursprünglich aus perfiden Regierungskampagnen rechtsgerichteter US-Regierungen, die damit die Befreiungsbewegung der Schwarzen und die Friedensbewegung der Hippies denunzieren und kriminalisieren, sowie geopolitische Ziele verfolgen wollte.
Rezension von
Thomas Barth
Dipl.-Psych, Dipl.-Krim.
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