Andrea Römmele: Demokratie neu denken
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 06.06.2025

Andrea Römmele: Demokratie neu denken. Szenarien unserer Welt von morgen. Campus Verlag (Frankfurt) 2024. 223 Seiten. ISBN 978-3-593-51790-2. D: 30,00 EUR, A: 30,90 EUR.
Thema
In die Zukunft denken heißt, Vergangenheit und Gegenwart zu kennen
Zukunftsdenker und -forscher haben die Gabe, Realitäten und Wirklichkeiten auf die Waagschale von Sein und Scheinen zu legen. Sie sind in der Lage, Perspektivenwechsel vorzunehmen. Die Weltkommission „Kultur und Entwicklung“ hat bereits 1995 darauf aufmerksam gemacht, dass die Menschheit vor der Herausforderung stehe, „umzudenken, sich umzuorientieren und gesellschaftlich umzuorganisieren, kurz: neue Lebensformen zu finden“. Es sind die seit Jahrzehnten bekannten Entwicklungen, dass ökonomisches, kapitalistisches Wachstum die humane Existenz der Menschheit gefährdet.
Entstehungshintergrund und Autorin
In Deutschland – und überall in der Welt – braucht es ein neues, visionäres Bewusstsein, dass ein gutes, gelingendes, ethisches, gerechtes und gleichberechtigtes Leben nur mit demokratischer, gesellschaftspolitischer Politik möglich ist. Die aktuellen, realen und virtuellen Entwicklungen – Digitalisierung, KI, Urbanisierung, demografische Veränderungen, Klimawandel, Globalisierung – erzwingen den Paradigmenwechsel: Weg „von der Maximierung des Privaten (hin) zum Denken für die Gemeinschaft“. Optimismus statt Pessimismus. Zukunftsmut statt Zukunftsangst. Die Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele von der Hertie-School in Berlin, verbrachte – gefördert von der Thomas-Mann-Stiftung – als Fellow 2023 einen fünfmonatigen Forschungsaufenthalt in der Villa Aurora, Pacific Palisades/Los Angeles. „Futuring“ – die Zukunft verstehbar und lesbar machen, Chancen und Risiken im alltäglichen, individuellen, lokalen und globalen Dasein der Menschen erkennen. Es sind Entwicklungen und Megatrends, mit denen es gelingen soll, demokratische und emanzipatorische Veränderungsprozesse mitzugestalten.
Aufbau und Inhalt
Fünf Megatrends werden thematisiert und diskutiert: „Digitalisierung und Künstliche Intelligenz“ – „Urbanisierung“ – „Demografie und Migration“ – „Klimawandel“ – Globalisierung“. Die These: Es gibt einen systematischen Zusammenhang zwischen Demokratie und gesellschaftlichem Wandel, bestimmt den Diskurs, eingebettet in die vielfältigen Zusammenhänge und Ganzheiten, wie etwa: Gesundheit, Individualisierung, ethisches Bewusstsein, Menschenwürde… [1]. Zôon politicon. Der Mensch ist ein politisches Lebewesen (Aristoteles), was bedeutet, dass er alles, was er real denkt und tut, bedeutsam für sein individuelles und kollektives Dasein und etabliert ist im Alltag und Gesellschaft. Die Stadt, als Vision von Unabhängigkeit, Freiheit („Stadtluft macht frei“) und der unbegrenzten Möglichkeiten, bedingt ein neues, soziales Bewusstsein vom Leben, Wohnen, Versorgen, Mobilität [2]. Der gesellschaftliche Wandel stellt die Menschen vor neue Herausforderungen: Sozialstaat, Generationenvertrag, Sorge und Identität. Deutschland ist ein Einwanderungsland: Care und kooperativ [3]. Dass sich auf der Erde das Klima wandelt, ist ein erdiges und kosmisches Phänomen, aber auch menschengemacht [4]. Die Welt wächst zusammen. Auf allen Gebieten des menschlichen Lebens, ökonomisch und ökologisch. Gerecht und ungerecht: Die bereits Wohlhabenden werden reicher, und die Habenichtse ärmer. Ego-, Ethnozentrismen, Rassismen und Populismen nehmen zu; demokratisches Bewusstsein verliert an Überzeugungs- und Wirkungskraft [5]. Nichts ist neu an der wissenschaftlichen Analyse von Andrea Römmele. Vieles ist schon gedacht, formuliert und postuliert worden. Im 14-seitigen Quellen- und Literaturverzeichnis verweist die Autorin darauf.
Diskussion
„Demokratie neu denken“. Es sind die Demokratie- und Freiheitsdenker, die Wege aufzeigen, wie es gelingen kann, human zu denken und zu handeln [6]. „Die Politik der Zukunft muss … kurzfristiges Krisenmanagement ebenso beherrschen wie das Handwerk, langfristige Probleme zu antizipieren und nachhaltig zu gestalten“. Gefordert sind Respekt und Resonanz [7]. Nicht die Frage – „Was können Demokratie und Gesellschaft für mich tun?“, sondern „Was kann ich für die Demokratie tun?“; das ist der aktive und humane Perspektivenwechsel.
Fazit
Aufstehen, optimistisch denken und deutlich zu machen: Das Ich im Wir (Axel Honneth) ist existent und wirksam durch die „globale Ethik“, wie sie als universelle, eindeutige, nicht relativierbare Menschenrechte und -pflichten ausgewiesen sind [8]. Die „sozialen Medien“ müssen s o z i a l werden!
[1] Wolf Lotter, Zusammenhänge. Wie wir lernen, die Welt wieder zu verstehen, 2020
[2] Hans Georg Näder, Futuring. Human Mobility, 2019
[3] Gudrun Hentges, u.a., Hrsg., Demokratie im Zeichen von Corona, 2021,
[4] Harald Welzer, Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen, 2019
[5] Peter Mattmann-Allamand, Deglobalisierung. Ein ökologisch-demokratischer Ausweg, 2021
[6] Bruno Heidlberger, Mit Hannah Arendt Freiheit neu denken, 2023
[7] Joachim Bauer, Wie wir werden, wer wir sind. Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz, 2022
[8] Marshall B. Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens, 2009
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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