Christiane Nakao, Sonja Preissing et al. (Hrsg.): Generationenübergreifende Ansätze in der Sozialen Arbeit
Rezensiert von Prof. Dr. Annemarie Jost, 12.05.2025

Christiane Nakao, Sonja Preissing, Katrin Sen (Hrsg.): Generationenübergreifende Ansätze in der Sozialen Arbeit. Perspektiven für digitale und soziale Teilhabe. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2025. 201 Seiten. ISBN 978-3-7799-7572-4. D: 35,00 EUR, A: 36,00 EUR.
Thema und Zielgruppe
In diesem Buch wird das Generationenverhältnis (neu) betrachtet. Auf dieser Grundlage werden generationenspezifische und -übergreifende Ansätze sowie Projekte zur Stärkung sozialer, digitaler Teilhabe der jüngeren und älteren Generation vorgestellt und diskutiert. Die Autor*innen der meisten Kapitel stellen hierbei Bezüge zu sozialarbeitswissenschaftlichen Grundlagen und Konzepten her. Daher richtet sich das Buch vornehmlich an Studierende der Sozialen Arbeit, kann jedoch auch in der Praxis der Sozialen Arbeit als Anregung und Fundierung konzeptioneller Entwicklungen dienen.
Herausgeberinnen und Autor*innen
Christiane Nakao ist als Professorin an der IU Internationale Hochschule (Stuttgart) am Fachbereich Soziale Arbeit tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Soziale Arbeit in Kontexten des Alter(n)s sowie Professionsentwicklung Sozialer Arbeit.
Sonja Preissing arbeitet als Professorin an der IU Internationale Hochschule (Köln) am Fachbereich Soziale Arbeit und forscht in den Bereichen: Jugend-, Migrations- und Stadtforschung, politische Bildung und Partizipation sowie Soziale Arbeit im Quartier.
Katrin Sen ist als Professorin an der IU Internationale Hochschule (Frankfurt am Main) am Fachbereich Soziale Arbeit tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Soziale Teilhabe im Quartier, Migrations- und gerontologische Forschung sowie politische Jugendbildung.
Weitere 21 Autor*innen, vornehmlich aus dem Hochschulbereich, haben an diesem Buch mitgewirkt.
Aufbau
Das Buch enthält nach einer Einleitung 3 Abschnitte mit insgesamt 13 Kapiteln:
I. Generation, Digitalisierung und Teilhabe im Wandel – Theoretische Ausgangspunkte für die Soziale Arbeit
- Digitale und soziale Teilhabe in der Lebensphase Jugend: Herausforderungen, Chancen und Ansätze der Sozialen Arbeit mit jungen Menschen (Nicole Ermel und Sonja Preissing)
- Teilhabe im hybriden Sozialraum zwischen altersbezogenen Zuschreibungen und generationenspezifischen (digitalen) Kompetenzerwartungen (Christiane Nakao)
- Distance Caregiving: Digitale Unterstützung für die Sorge auf Distanz (Johannes Steinle und Maik H.-J. Winter)
- Intergenerationelle Ansätze der Sozialen Arbeit mit älteren Menschen in der Technikentwicklung (Cordula Endter und Angela Osterheider)
II. Generationen, soziale Ungleichheiten und aktuelle Entwicklungen – Chancen und Herausforderungen für die Soziale Arbeit
- Mehrgenerationalität in Gebieten struktureller Besonderheiten: Die Stadt Spremberg/Grodk als Paradebeispiel demografischen Wandels (Sebastian Kron)
- Nachbarschaftliche Beziehungen: Chancen für ein gelingendes Generationenverhältnis (Katrin Sen)
- „Und plötzlich mussten wir das neu denken!“ Soziale Teilhabe Älterer in Mehrgenerationenhäusern unter Pandemie-Bedingungen (Eva Maria Löffler) -
- Soziale Kontakte zwischen älteren Menschen und deren jüngeren Familienangehörigen während der Covid-19-Pandemie: Zwischen sozialer Nähe und digitaler Kluft (Alexander Seifert, Karen Torben-Nielsen, Andreas Pfeuffer, Sebastian Schläfli und Alex Widmer)
III. Blick in die Praxis – Ansätze, Methoden und Konzepte für Teilhabe und eine generationenübergreifende Soziale Arbeit
- lrs:hub – Ein Online-Projekt für Studierende mit Lese-Rechtschreib-Störung (LRS) zur Verbesserung der digitalen und sozialen Teilhabe im Sinne der Chancengleichheit (Nicole Ramacher-Faasen, Kirsten Apel, Matthias Grünke und Josephine Marie Faasen)
- Soziale Medien in Jugendzentren: Zwischen Datenschutz, fehlenden Diensthandys und Adressat*innenorientierung (Ralli Kaita)
- Generationsübergreifende Sportsozialarbeit: Eine theoretische und praktische Einführung (Frank Francesco Birk und Sandra Mirbek)
- Digitalisierung als Katalysator für die Gemeinschaft der Generationen in Mehrgenerationenhäusern (Teresa A.K. Kaya)
- Gesellschaftsspiele als Medium der Intergenerativen Sozialen Arbeit (Petra Fuchs)
Inhalt
Auf den Generationenbegriff wird in verschiedenen Disziplinen Bezug genommen. Vor dem Hintergrund des demografischen, sozialen und technischen Wandels fokussiert die Soziale Arbeit insbesondere das Ziel, mittels eines generationenübergreifenden Austausches intergenerationale Lernprozesse in Gang zu bringen und Teilhabechancen zu erhöhen. Hierbei nehmen Konzepte für Mehrgenerationenhäuser und Lern- und Begegnungsorte im Stadtteil eine prominente Stellung ein. In diesem Sammelband steht die Frage im Zentrum, wie Soziale Arbeit mit Hilfe generationsbezogener und -übergreifender Ansätze einen Beitrag zur Stärkung sozialer und digitaler Teilhabe in den Bereichen Bildung, Wohnen, Gesundheit, Politik sowie im Quartier leisten kann.
Im ersten Teil werden zunächst digitale Spaltungen sowohl in der jüngeren als auch in der älteren Generation dargestellt. Diese umfassen sowohl die Hardwareausstattung und den Internetzugang als auch unterschiedliche Nutzungspraktiken und Medienkompetenzen und werden zudem beeinflusst durch infrastrukturelle Ungleichheiten, die sich z.B. durch Algorithmen (personalisierte Unterschiede) und Programmstrukturen äußern. Im Fazit werden bestehende Ungleichheitsrelationen im digitalen Raum fortgeschrieben, was sowohl in der Kinder- und Jugendarbeit als auch in der Arbeit mit Senior*innen von Bedeutung ist. Hinzu kommen altersbezogene (In-)Kompetenzerwartungen und Zuschreibungen sowie digitale Barrieren. Ausführlich wird der europäische digitale Kompetenzrahmen (DigComp) in seiner Bedeutung für Teilhabechancen dargestellt.
Ein Kapitel zum Distance Caregiving thematisiert Entwicklungen der Unterstützung bei räumlicher Entfernung und gibt einen Überblick über einige technische Lösungen (Care Apps, AAL, Waerables, digitale Pflegeanwendungen). Hier wird auch das Handlungsfeld Technikberatung für die Soziale Arbeit umrissen.
Das 4. Kapitel dieses Abschnitts problematisiert die mangelnde direkte Beteiligung der älteren Generation an Technikentwicklungsprojekten.
Der Abschnitt II beginnt mit Betrachtungen intergenerationeller Herausforderungen einer mittelgroßen Stadt in der Strukturwandelregion Lausitz und stellt ausgewählte Initiativen zweier Träger vor. Der zweite Beitrag hebt die Bedeutung nachbarschaftlicher Beziehungen hervor und stellt Studienergebnisse zu Gelegenheits- und Verhinderungsstrukturen für den Aufbau guter nachbarschaftlicher Beziehungen unter Berücksichtigung von Perspektiven von Menschen mit Migrationshintergrund dar. Hieran schließen sich Schlussfolgerungen für die (intergenerationelle) Gemeinwesenarbeit an. Der 3. und der 4. Beitrag dieses Abschnitts befassen sich mit Verwerfungen durch die Pandemiemaßnahmen und der Bedeutung der Aneignung digitaler Kompetenzen und dem Bedürfnis nach persönlichen (nicht digitalen) Kontakten. Eine Schweizer Studie zu genutzten Kontaktformen während der Pandemie gibt detaillierte Einblicke in Kommunikationsbedürfnisse und digitale Kompetenzen.
Im Abschnitt III werden ausgewählte Bereiche eingehender dargestellt: Die Überwindung von digitalen Barrieren für Menschen mit Lese-Rechtschreibschwäche, die Arbeit mit Sozialen Medien in Jugendzentren, die Digitalisierung von Mehrgenerationenhäusern sowie die generationenübergreifende Sportsozialarbeit und der Einsatz von Gesellschaftsspielen. Insbesondere die Überlegungen zur Sportsozialarbeit als auch die methodischen Hinweise zum Einsatz von Gesellschaftsspielen bieten Praktiker*innen noch einmal neue Anregungen für die generationenübergreifende Arbeit.
Diskussion
Das Buch ist eher akademisch gehalten und beschäftigt sich intensiv mit Begriffsklärungen und sozialarbeitswissenschaftlichen Überlegungen. Allerdings sind die von den Autor*innen selbst durchgeführten Studien z.T. recht klein und wenig mit anderen (nationalen und internationalen) Studien vernetzt. Beispielsweise wird im Kapitel Soziale Medien in Jugendzentren eine Studie mit 2 Fokusgruppen (6 und 4 Teilnehmende) ausgewertet, in der sich Fachkräfte bewusst für Datenschutzverstöße entscheiden, um mit der Zielgruppe digital in Kontakt zu treten.
Die Disruptionen, die durch KI entstehen werden, sind in diesem Buch nur am Rande thematisiert. So werden sich bereits die thematisierten Unterstützungserfordernisse für Studierende mit Lese-Rechtschreibschwäche durch KI verändert haben, da vielfältige Tools nun leicht verfügbar sind. Was bleibt, ist die Bedeutung von Zusammenschlüssen gleichermaßen Betroffener und von Selbstwertstärkung und Empowerment.
Für Praktiker*innen wären möglicherweise noch etwas mehr konkrete Best-Practice Lösungen hilfreich gewesen, wie z.B. bei der Überwindung von Datenschutzverstößen oder dem Aufbau von Netzwerken mit freiwilligen Helfer*innen und Peer to Peer Unterstützung beim Erwerb digitaler Kompetenzen.
Fazit
In diesem Buch werden aus akademischer Perspektive generationenspezifische und -übergreifende Ansätze sowie Projekte zur Stärkung sozialer, digitaler Teilhabe der jüngeren und älteren Generation aus dem deutschsprachigen Raum vorgestellt. Die disruptiven Veränderungen, die mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz verbunden sein werden, finden hierbei nur eine begrenzte Aufmerksamkeit.
Rezension von
Prof. Dr. Annemarie Jost
Professorin für Sozialpsychiatrie an der Fakultät 4 der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg
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