Klaus Fischer: Einführung in die Psychomotorik
Rezensiert von Dr. Richard Hammer, 27.01.2025

Klaus Fischer: Einführung in die Psychomotorik.
Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2024.
5., durchgesehene Auflage.
349 Seiten.
ISBN 978-3-8252-6178-8.
D: 37,90 EUR,
A: 39,00 EUR,
CH: 46,90 sFr.
Reihe: UTB - 2239. Sonderpädagogik.
Thema
Das Fach Psychomotorik hat sich zu einer anerkannten Disziplin vor allem in Pädagogik, Psychologie und Therapie entwickelt. Es ist fester Bestandteil zahlreicher Ausbildungsgänge geworden. Diese Einführung in die Psychomotorik gibt einen Überblick und erläutert Entwicklung, Schlüsselbegriffe, Theorien und Konzepte der Psychomotorik.
Arbeitsaufgaben am Ende der Kapitel helfen bei der systematischen Erarbeitung des Stoffs.
Autor
Prof. Dr. Klaus Fischer war Professor und Direktor des Arbeitsbereiches Bewegungserziehung und -therapie an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Department Heilpädagogik und Rehabilitation
Er ist seit dem 1.3.2019 emeritiert.
Seine Forschungsschwerpunkte waren Psychomotorische Entwicklungstheorie und bewegungsorientierte Entwicklungsförderung in den Entwicklungsspannen der Kindheit und Jugend, Bewegungs- und Wahrnehmungsforschung, Bewegung im Rahmen gesundheitswissenschaftlicher Fragestellungen, Sozialökologische Fragestellungen, Lateralitätsforschung, Bewegung als Lernprinzip für Unterricht und Förderung, Evaluationsforschung und psychomotorische Qualitätsentwicklung im Vor- und Grundschulalter.
Aufbau und Inhalt
Die 5. Auflage des vorliegenden Lehrbuchs gliedert sich in sechs Kapitel. Es ist in dieser Hinsicht im Vergleich zur dritten Auflage nicht wesentlich verändert (s. Rezension von Prof. Dr. Dörte Detert). Mit der 4. Auflage ist es identisch. Deshalb handelt es sich hier um eine durchgesehene Fassung der Rezension zur 4. Auflage.
Im Folgenden wird vor allem auf die im Vergleich zur 3. Auflage neu entstanden Themen und Veränderungen vertieft eingegangen. Es handelt sich hierbei um: die Embodimentdebatte, die Spielthematik in der Psychomotorik, den Stellenwert der psychomotorischen Diagnostik und die Wirksamkeitsforschung in der Psychomotorik
Der historische Teil des Buches (Kap. 1) wird im Wesentlichen aus der 3. Auflag übernommen.
Das Kap. 2 startet mit einer grundsätzlichen Auseinandersetzung zu den Bedeutungsdimensionen der Bewegung, die sich am Klassifikationsschema des Forschungsprojektes „Bik – Bewegung in der frühen Kindheit“ orientiert: die impressive und expressive, die explorative, die personal/​psychisch-emotionale und kognitive, die sozial-kommunikative, sowie die instrumentelle und produktive Bedeutung der Bewegungshandlungen. Im Folgenden diskutiert der Autor die Schlüsselbegriffe der Psychomotorik vor dem Hintergrund der Bezugstheorien. Es geht um Wahrnehmung und Bewegung, um die Entwicklung emotionaler Kompetenzen, um Selbstkonzept und Körpererfahrung, die Bedeutung und Entwicklung sozialer Kompetenzen, die sozial-ökologische Bedeutung von Körper und Bewegung, die sozialräumliche Implikation der Bewegung und schließlich um Kinderspiel und Psychomotorik.
In einem neu entstandenen Abschnitt werden Wesen und Merkmale des Kinderspiels vorgestellt, wobei der Autor hier Oerter (1999) folgt, der aus handlungstheoretischer Sicht drei Wesensmerkmale des Spiels benennt: „den Selbstzweck des Spiels“, „die Realitätskonstruktion im Spiel“ und „Ritual und Wiederholung“. Von Heimlich (2015) wird die Darstellung der Entwicklung der Spielformen übernommen: Explorationsspiel, Phantasiespiel, Rollenspiel, Konstruktionsspiel und Regelspiel. Aus meiner Sicht eine ungewöhnliche Reihenfolge, da das Bauen mit Bauklötzen nicht – wie hier dargestellt – nach dem Rollenspiel beginnt, sondern wesentlich früher und das Rollenspiel nicht im 2. Lebensjahr zum ersten Mal auftritt (S. 107), sondern wesentlich später bedeutsam wird. Im 2. Lebensjahr entwickelt sich allmählich das Fantasiespiel (auch Symbolspiel), auf das der Autor im Text nicht eingeht.
Als „klassische Zugänge zur Theorie des Phänomens Spiel“ werden dann der psychoanalytische, der entwicklungspsychologische und der ökologische Ansatz vorgestellt. Dem Text folgend findet sich die Psychomotorik als „kindzentrierte Mototherapie“ am ehesten unter dem psychoanalytischen Ansatz wieder.
Kapitel 3 widmet der Autor den entwicklungstheoretischen Grundlagen der Psychomotorik. Sehr ausführlich stellt er die Orientierungen nach Piaget, Erikson (ergänzt um Aspekte der Bindungsforschung) und Bronfenbrenner dar. Anschließend folgt ein Blick auf die aktuelle Orientierung des psychomotorischen Konzeptes, in den v.a. Entwicklung als die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben dargestellt wird.
Eingebettet in dieses Kapitel ist die neue Körper- und Bewegungsdebatte, die im Fachdiskurs unter dem Begriff „embodiment“ geführt wird. Vor allem in den Kognitions- und Entwicklungswissenschaften ist embodiment zur zentralen Fragestellung avanciert. „Es geht darum zu beantworten, welche Bedeutung der Körper als Medium der Erkenntnisgewinnung hat“ (S. 117) – ein relativ neuer Forschungszweig, der im Wesentlichen grundlegende Annahmen der Psychomotorik bestätigt und Argumentationshilfen für die Bedeutung der Psychomotorik liefert.
Nach der Darstellung der Psychomotorik im Spannungsfeld von Therapie und Pädagogik werden im 4. Kapitel unterschiedliche Konzepte dargestellt, die ihrerseits auf weiterführende theoretische Orientierungen zurückgreifen. Eine Übersichtstabelle erlaubt einen guten Vergleich und eine Einordnung der unterschiedlichen Ansätze: die funktionale Perspektive, die erkenntnisstrukturierende/​kompetenztheoretische Perspektive, der verstehende Ansatz und die ökologisch-konstruktivistische Perspektive.
Im Anschluss an die unterschiedlichen Konzepte folgt in 5. Kapitel ein Überblick über verschiedene Aufgaben- und Tätigkeitsfelder, wobei als ausgewählte Beispiele über die Lebensspanne die frühe Kindheit und das Grundschulalter sehr ausführlich, das Jugend- und Erwachsenenalter bis ins „Vierte Lebensalter“ nur knapp dargestellt werden. Betont wird dabei die Bedeutung der Psychomotorik für die Gesundheitsförderung.
Im 6.Kapitel bietet der Autor einen kurzen Überblick über die diagnostischen Instrumente der Psychomotorik, wobei die neu in die 4. Auflage erstellten Tabellen für einen Vergleich sehr hilfreich sind. Er greift den Paradigmenwechsel in der psychomotorischen Diagnostik nach Eggert auf und stellt das Evaluationsinstrument SPES (System Psychomotorischer Effekt-Sicherung) vor. Neu ist ebenfalls die Auseinandersetzung mit der Evaluation und Wirksamkeit in der Psychomotorik, wobei nach Panten (2011) vier Bereiche von Wirkfaktoren zu erkennen sind: der pädagogisch-therapeutische, Bewegung und Körper, Kleingruppe sowie Materialien und mediales Setting.
Diskussion
Mit der 5. Auflage der „Einführung in die Psychomotorik“ hat Klaus Fischer ein Buch vorgelegt, das einen Überblick bietet über die Geschichte und die Konzeptdiskussion der Psychomotorik. Der theoretische Schwerpunkt hilft vor allem, Studierenden die grundlegenden Elemente des Fachgebietes zu erfassen, einzuordnen und einer Diskussion zugänglich zu machen. Dazu helfen auch die Einschübe, die Literaturempfehlungen und die Übungsaufgaben, welche den Text reflektieren lassen und Anregung zu Diskussionen geben. Mit dem Beitrag zum „embodiment“ wurde ein Thema eingeschoben, dessen Bedeutung für die Psychomotorik nur angedeutet werden konnte. Wichtig war für die 4. Auflage die Einführung des Kapitels zum „Kinderspiel und Psychomotorik“, da doch das Spiel vor allem in der Arbeit mit Kindern – und hier liegt nach wie vor der Schwerpunkt der Psychomotorischen Praxis – eine zentrale Rolle spielt. Schade, dass der Autor dabei auf Quellen zurückgreift, die schon in die Jahre gekommen sind: Oerter (1999) und Mogel (2008). Dieser Abschnitt im Buch ist trockene Theorie und spiegelt nicht das wider, was im psychomotorischen Spiel entfaltet wird. Das wird nur kurz angedeutet.
Der Serviceteil war schon in der 4. Auflage veraltet und teilweise falsch. Er wurde auch für die 5. Auflage nicht aktualisiert.
Fazit
Das Buch liefert interessierten Menschen, vor allem aber Studierenden eine gute Grundlage für die Fachdiskussion innerhalb der Psychomotorik. Es stellt die Basistheorien dar, bietet einen guten Überblick über die Entwicklung der Psychomotorik mit ihren unterschiedlichen Ansätzen und zeigt die Arbeitsfelder auf, in denen psychomotorisch gearbeitet wird. Die Literaturempfehlungen, kritischen Stellungnahmen, die Fallbeispiele und Übungsaufgaben am Ende der jeweiligen Kapitel machen dieses Lehrbuch auch zu einem Arbeitsbuch, das hilft, sich einzudenken, aber auch weiter zu denken und damit die Psychomotorik weiter zu entwickeln.
Betrachtet man aber die bewegte Entwicklung der Psychomotorik in den vergangenen 5 Jahren, dann ist es nicht nachzuvollziehen, dass bei dieser Neuauflage keine Aktualisierung der Themen und auch der Literatur durchgeführt wurde.
Rezension von
Dr. Richard Hammer
Dipl. Motologe
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