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Monika Pigorsch: Demenz

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 03.06.2025

Cover Monika Pigorsch: Demenz ISBN 978-3-662-70022-8

Monika Pigorsch: Demenz. Herausforderndes Verhalten verstehen : Für einen besseren Pflegealltag ohne Gewalt. Springer (Berlin) 2025. 114 Seiten. ISBN 978-3-662-70022-8. D: 34,99 EUR, A: 56,53 EUR, CH: 61,00 sFr.

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Thema

Der Begriff „herausforderndes Verhalten“ stammt ursprünglich aus der Behindertenpflege und hat sich erst in den letzten Jahrzehnten u.a. in der Demenzpflege etabliert. Überwiegend sind damit stressbedingte Verhaltensweisen wie Unruhe, verbale und tätliche Aggressionen nebst Pflegeverweigerung gemeint, die Ausdruck der Überforderung mit inneren und auch äußeren Reizimpulsen bei den Erkrankten sind. Dieses Verhalten stellt auch für die Pflegenden und Betreuenden eine große Belastung dar, fehlt doch oft die Zeit, um auf dieses Verhalten angemessen eingehen zu können. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass die Begrifflichkeit „herausforderndes Verhalten“ in der Demenzpflege gegenwärtig teils als zu unspezifisch bezogen auf die verschiedenen Krankheitssymptome eingeschätzt wird. Als Alternative wird vorrangig die englische Abkürzung BPSD („Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia“ – „verhaltensbezogene und psychologische Symptome einer Demenz“) vorgeschlagen und im Heimbereich und in den Krankenhäusern auch schon verwendet (Haußmann et al. 2024).

Autorin

Monika Pigorsch ist Dipl.-Sozialpädagogin und gerontopsychiatrische Fachkraft. Sie war zuerst im sozialen Dienst und später als Heimleiterin in einem Pflegeheim mit einer Demenzabteilung tätig. Gegenwärtig arbeitet sie als Dozentin für Mitarbeitende in der Pflege und Betreuung, gibt Seminare für Angehörige und ist Autorin im Bereich Altenpflege.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in fünf Kapitel nebst Einleitung untergliedert. Mehrere Fotos illustrieren den Text. Zur Verdeutlichung der Sachverhalte werden ca. 140 kurze Fallbeispiele und zusätzlich zu jeder Themenstellung Empfehlungen und Tipps angeführt.

In Kapitel 1 (Wie zeigt sich herausforderndes Verhalten im Alltag? Seite 1 – 42) werden einige Verhaltensweisen dargestellt, die für die Pflege belastend sind. Zu Beginn werden Symptome des Verweigerungsverhalten aufgeführt: die fehlende Mitwirkung bei der Pflege (Pflegeverweigerung), die Ablehnung, Inkontinenzartikeln zu tragen und die Verweigerung der Nahrungsaufnahme. Es folgt das Krankheitssymptom „Horten“ u.a. von Lebensmitteln und anderen Gegenständen mit den damit verbundenen Gefahren für die Demenzkranken. Des Weiteren wird die Unsauberkeit der Kleidung und das Essen mit den Fingern als Belastung beschreiben. Auch das teils zwanghafte repetitive Verhalten und ständiges Rufen, Klagen und Fragen erschweren die Pflege und Betreuung. Hinzu kommen noch verbale Beleidigungen, Beschuldigungen und sexuelle Übergriffe, die den Umgang mit den Demenzkranken deutlich massiv beeinträchtigen. Auch das Erleben ständiger Furcht und Unruhe teils verbunden mit Weinen und Klagen ist für die Mitarbeitenden schwer zu ertragen.

In Kapitel 2 (Wann spricht man von Gewalt in institutionellen Einrichtungen? Seite 43 – 69) werden zu Beginn Alltagsgegebenheiten im Heim wie die Zugänglichkeit zum Eigenbetrag („Taschengeld“) und die Verfügbarkeit von Zigaretten mitsamt den damit verbundenen Stressfaktoren für die Erkrankten als „strukturelle Gewalt“ klassifiziert. Es folgen Ausführungen u.a. über die Verweigerung der Nutzung von Inkontinenzartikeln, fehlende Flexibilität bei der Gestaltung des Frühstücks für Spätaufsteher („Frühstück bis 10 Uhr“), Betreuungsangebote ohne ausreichende Einbeziehung der Demenzkranken, Umgang mit kritischen Angehörigen, Probleme mit der Umsetzung von Fortbildungsimpulsen in den Einrichtungen, unzureichender Personalbesatz in der Pflege verbunden mit häufigem Personalwechsel, Erfordernisse einer demenzspezifischen Raumstruktur (u.a. Rückzugsbereiche und Bewegungsflächen) und einige weitere Organisations- und Koordinierungsprobleme im Heimalltag (u.a. fester Termin für die Geschirrrückgabe nach dem Mittagessen).

Kapitel 3 (Lebensqualität als Maßnahme zur Prävention und Minimierung von herausforderndem Verhalten und Gewalt, Seite 71 – 92) beinhaltet eine Reihe von Betreuungsangeboten zur Stabilisierung des psychosozialen Gleichgewichts: u.a. Spaziergänge, Haustiere zum Streicheln und kleine und große Feste. Des Weiteren werden biografisch bedingte Verhaltensautomatismen wie ständige Putzbewegungen und fortwährende Telefontätigkeit verbunden mit denselben immer wiederkehrenden Worten beschrieben. Auch auf die Angst und Furcht, die sich nicht nur in Worten, sondern auch in der Mimik und Körperhaltung zeigt, wird mit entsprechenden Hinweisen zur Behandlung hingewiesen (u.a. Atem- und Entspannungsübungen). Anhand von Fallbeispielen wird auch aufgezeigt, wie stark sich die bloße Präsenz der Mitarbeiter auf das Wohlbefinden der Demenzkranken auswirkt. Das Alleingelassenwerden, wie z.B. bei den Übergabegesprächen, erhöht bei den Bewohnern deutlich das orientierungslose Herumirren und damit einhergehend auch die Sturzhäufigkeit. Darüber hinaus werden u.a. Empfehlungen für das räumliche und psychosoziale Umfeld gegeben (u.a. Bewegungsflächen und Vermeidung akustische Überstimulierung); auch Tipps zur Behebung von Konfliktsituationen (z.B. Streit unter Bewohnern durch ein frohes ablenkendes Lied zu beenden).

In Kapitel 4 (Handeln in und nach gewaltvollen Situationen, Seite 93 – 96) werden anhand von wenigen Fallbeispielen Hinweise gegeben, wie mit tätlichen aggressiven Handlungen Demenzkranker umzugehen ist. Die entscheidenden Faktoren sind u.a. Ruhe bewahren, sich gegebenenfalls auch aus der Situation zurückzuziehen, besänftigen und verschiedene Vorgehensweisen der Ablenkung und Beruhigung zu praktizieren (z.B. Singen oder Rufen).

Kapitel 5 (Psychohygiene, Seite 97 – 99) enthält Empfehlungen für die Mitarbeiter, wie sie ihre Belastbarkeit und Resilienz bezüglich des Umgangs mit Demenzkranken, die aggressiv und damit äußerst belastend sind, steigern können.

Diskussion

Eine Fülle verschiedener Facetten des Verhaltens Demenzkranker überwiegend im schweren Stadium im Heimbereich bildet das empirische Gerüst der vorliegenden Publikation. Circa 140 Fallbeispiele sind zusammengetragen worden, vermutlich wohl überwiegend das Erfahrungswissen der Autorin, die auf eine jahrzehntelange Berufstätigkeit im Pflegeheim (sozialer Dienst und Heimleitung) zurückblicken kann. Des Weiteren wurden Fallbeispiele von Pflegenden und Betreuenden aus Fortbildungsveranstaltungen der Autorin verwendet. Somit liegt ein großer Erfahrungsschatz aus dem Alltag der Heime vor.

 Trotz dieser Datenfülle gilt es zu bemängeln, das wesentliche belastende demenzspezifische Krankheitssymptome in diesem Zusammenhang nicht angeführt werden. Es handelt sich dabei u.a. um Realitätsverluste und Realitätsverzerrungen nebst den stressverursachenden Fehlwahrnehmungen, die besonders häufig im schweren Stadium der Erkrankung auftreten. Es sind u.a. die Desorientierungsphänomene einschließlich biografisch bedingtem Zwangsverhalten, wahnhafte Halluzinationen und angstauslösende Erinnerungen, die die Pflege und Betreuung äußerst erschweren. So werden dann auch nicht die vielen Strategien und Umgangsformen des „Mitmachens und Mitgehens“ und des „therapeutischen Ablenkens“ angeführt (Lind 2024 und 2025).

Die Empfehlungen und Tipps im Umgang mit den Demenzkranken sind überwiegend alltagstauglich und somit oft auch wirksam. Die Kernprinzipien der Demenzpflege und Demenzbetreuung werden hingegen nicht erläutert, die bei den Betroffenen die Empfindungen von Sicherheit und Vertrautheit hervorrufen und damit zugleich Furcht und Unruhe deutlich vermindern. Es handelt sich dabei vorrangig um die personale Stetigkeit (Bezugspflege oder Gruppenpflege), die Handlungsstetigkeit und die Milieustetigkeit. So wird in diesem Zusammenhang auch nicht der Sachverhalt vermittelt, dass Demenzkranke im schweren Stadium noch zu Lernleistungen fähig sind – unbewusstes Lernen oder Gewohnheitslernen aufgrund ständiger Wiederholungen der Reizimpulse in Gestalt der Ritualisierung oder Konditionierung. Denn Demenzkranke sind trotz des fortgeschrittenen Abbauprozesses noch in der Lage, sich an das Heimgeschehen anzupassen (Lind 2024a).

Fazit

Die vorliegende Veröffentlichung enthält viel Erfahrungswissen aus dem Heimalltag, das den Pflegenden und Betreuenden in den Heimen jedoch in der Regel bekannt ist. Weiterführende Impulse und damit neue Anregungen zur Verbesserung der Pflege und Betreuung Demenzkranker besonders in belastenden Situationen werden hingegen nicht vermittelt.

Literatur

Haußmann, R. et al. (Hrsg.) (2024). Verhaltensstörungen bei Demenzerkrankungen. Berlin: Springer. https://www.socialnet.de/rezensionen/32316.php

Lind, S. (2024a). Vollständigkeitskonzept vereint Alt- und Neubiografie. Pflegezeitschrift, 77 (7): 32–34

Lind, S. (2024). Ablenken, wenn es brenzlig wird. Altenpflege, 48 (4): 50–52

Lind, S. (2025). Wenn sich die Aufmerksamkeit verengt. Aktivieren, 11 (2): 34–37.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Es gibt 230 Rezensionen von Sven Lind.

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ISSN 2190-9245