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Daniela Rüther: Die Sex-Besessenheit der AfD

Rezensiert von Johannes Schillo, 06.02.2025

Cover Daniela Rüther: Die Sex-Besessenheit der AfD ISBN 978-3-8012-0694-9

Daniela Rüther: Die Sex-Besessenheit der AfD. Rechte im "Genderwahn". Verlag J.H.W.Dietz (Bonn) 2025. 144 Seiten. ISBN 978-3-8012-0694-9. D: 16,00 EUR, A: 16,50 EUR.

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Thema

Das Buch befasst sich in der Hauptsache mit der – parlamentarisch lancierten – Kritik der AfD an der Gleichstellungspolitik der anderen Parteien, die als „Genderwahn“ oder „Genderideologie“ ins Abseits gerückt und durch eine national orientierte Familienpolitik ersetzt werden soll.

Autorin

Die Historikerin Dr. Daniela Rüther ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Geschichtswissenschaften der Ruhr-Universität Bochum und betreut dort ein DFG-Projek zur Berufstätigkeit von Frauen.

Entstehungshintergrund

Das Buch reagiert auf die neue Lage seit der 20. Legislaturperiode, die mit dem Einzug der AfD in den Bundestag rechtspopulistischen Positionen zur Familienpolitik eine größere Aufmerksamkeit verschafft hat. Dabei geht es auch um die Traditionslinien reaktionärer Politik-Programme, wie man sie aus der NS-Zeit oder von neonazistischen Parteien kennt. Das Anfang 2025, kurz vor der Bundestagswahl veröffentlichte Buch bilanziert den Stand bis ca. Frühjahr 2024.

Aufbau und Inhalt

Eine kurze Einleitung erläutert die Zielsetzung des Buchs, das den „völkischen Ideen“ (S. 7) in Sachen Familie und sexueller Orientierung entgegentreten will. Es kritisiert die Fixierung der AfD auf diese Thematik, wo doch eigentlich „die Migration das Kernthema der rechtsautoritären Partei“ (S. 8) ist, und bescheinigt ihr wahnhafte Züge.

Das erste Kapitel gibt einen Einblick in stereotype parlamentarische AfD-Initiativen auf Bundes- und Landesebene, die sich der Familienpolitik widmen, die aber nicht, wie die Autorin immer wieder mit Verweis auf Repliken der anderen Parteien belegt, die Lage der Familien verbessern (wollen). Vielmehr würden hier nationale Erfordernisse, die Bewältigung einer demographischen Katastrophe betreffend, zur Sprache gebracht. Diese Gefahrendiagnose verortet das zweite Kapitel in einer rechten Tradition, die seit Kaiserreich und Weimarer Republik besteht und kein Alleinstellungsmerkmal des Faschismus ist: „Was die NSDAP schließlich mit ihrer pronatalistischen Politik umsetzte, war auch nicht primär von ihr selbst ersonnen“ (S. 24), heißt es dazu. Die Autorin betont den „Bewegungs“-Charakter, der rechtsradikale Parteien auszeichnet (vgl. S. 23ff), und zeigt im dritten Kapitel, wie daraus ein disruptives, fundamentaloppositionelles Agieren in den Parlamenten erwächst. Diese dienten der Partei als „Propagandabühne“ (S. 28). Welche Methoden dabei zum Einsatz kommen, untersucht das vierte Kapitel. Es benennt vor allem Emotionalisierung und Verkürzung, wobei auch die wichtige Rolle der Sozialen Medien für den Aufschwung der AfD betont wird. Die Autorin räumt allerdings ein, dass hier genau so die traditionellen Medien ihren Beitrag leisten (vgl. S. 37) und dass die von der AfD lancierten „Botschaften … nicht originell sind“ (S. 39). Sie sind, wie dann das fünfte Kapitel am „Kampfbegriff Gender“ ausführt, ein Traditiosbestandteil im Kampf gegen sexuelle Liberalisierung. Dieser Kampf verweise auf einen NPD- bzw. NS-Ursprung, wo auch die Verbindung von Bevölkerungspolitik mit dem Migrationsthema vorgezeichnet sei („Bevölkerungsaustausch“, „Volkstod“ etc.). Gleichzeitig muss Rüther aber zugestehen, dass man hier einerseits auf konservative Gemeinplätze und eine jüdisch-christlich-muslimische Traditionslinie stößt – „der vom Vatikan ausgehenden Anti-Gender-Bewegung“ (S. 56) sei z.B. eine große Bedeutung in Europa beizumessen – und dass die AfD es andererseits verstehe, Frauen oder Homosexuelle gegen religiös motivierte Anfeindungen in Schutz zu nehmen.

Das sechste Kapitel konzentriert sich auf den Kampf der AfD gegen die universitäre Genderforschung, die als Pseudowissenschaft angegriffen wird. Rüther kann hier ihre Etikettierung rechten Denkens als „Genderwahn“ noch einmal eindrücklich belegen: Die von den Rechtspopulisten hochstilisierte Gefahr von Gender-Studien, die den Wissenschaftsbetrieb dominieren und damit das geistige Klima ungut sexualisieren würden, blamiere sich schon allein an der randständigen Position dieser Disziplin, in der „gerade einmal 0,3 Prozent aller hauptberuflichen Professor*innen lehren und forschen“ (S. 60). Zugleich wird aber auch wieder deutlich, dass hier gar nicht die AfD das lauteste Sprachrohr ist, sondern die FAZ mit Autoren wie Volker Zastrow oder Heike Schmoll (vgl. S. 59, 74f) eine entscheidende Rolle spielt. Dies führt das siebte Kapitel, in dem es um die – von der AfD ebenfalls skandalisierte – Forderung nach geschlechtersensibler Sprache geht, weiter aus und kommt zu dem Befund, dass mittlerweile „die Brandmauer gegen die AfD löchrig geworden ist“ (S. 90). Ja, es soll „im Laufe der Jahre eine zunehmende, deutliche Verschiebung des Diskurses nach rechts außen festzustellen“ sein (S. 93). Das vergleichsweise bescheidene Ziel, durch orthographische Vorschläge und Vorschriften zu garantieren, „dass Frauen und Männer sprachlich gleichgestellt werden“ (S. 86) – an anderer Stelle wird das als „das berechtigte Verlangen nach Gleichberechtigung in der Sprache“ bezeichnet (S. 98) –, werde von der AfD, aber nicht nur von ihr, völlig verzerrt. Es werde zum Ideologie-geleiteten Angriff auf die gesellschaftliche Kommunikation mit ihren landläufigen Vorstellungen von Ehe, Sexualität und Familie umgedeutet und zu einem zentralen gesellschaftlichen Problem aufgebauscht.

Ein kurzer Ausblick, dem ein ausführliches Quellenverzeichnis und zahlreiche, weiterführende Literaturhinweise folgen, schließt das Buch ab. Er greift die – allerdings umstrittenen, weil selber aufbauschenden – Enthüllungen des Recherche-Kollektivs Correctiv über das angebliche Potsdamer „Geheimtreffen“ und die dort besprochenen Remigrations-Pläne des rechten Lagers auf und stellt so, wie eingangs angesprochen, die Verbindung zum Migrationsthema her. Das, was die AfD als Einsatz für Ehe und Familie vortrage, entlarve sich somit als bevölkerungspolitisches Programm, das sich „direkt und indirekt … in Inhalten und vor allem im Vorgehen und in der Sprache auf das Vorbild des Nationalsozialismus“ beziehe (S. 104).

Diskussion

Das Buch stellt, wie es selber eingesteht, eine Retourkutsche dar. „Genderwahn“ ist ein Vorwurf des rechten Lagers an die Adresse einer zunächst vom rotgrünen, dann auch vom christdemokratischen Lager forcierten Politik, die Geschlechtergerechtigkeit und sexuelle Selbstbestimmung auf ihre Fahnen geschrieben hat. Rüther gibt den Vorwurf an seine Urheber und (ebenfalls vorhandenen) Urheberinnen zurück und kann die Berechtigung einer solchen Replik mit einer Vielzahl von Belegen deutlich machen. Insofern ist die kritische Bemerkungen in der SZ-Rezension (12.1.2024) – „Vieles wird nur angerissen, wo Vertiefung nötig wäre“ – ungerecht, da, im Gegenteil, die Position der Autorin gut belegt und auf die breite fachliche Debatte bezogen wird; der schmale Band wartet dazu mit über 340 Anmerkungen und 16 Seiten Quellen- bzw. Literaturnachweisen auf. Man könnte sich eher über eine Redundanz beklagen, die aber nicht aufs Konto der Autorin geht, sondern dem Agieren der AfD geschuldet ist.

Da das Buch wohl großenteils in der ersten Jahreshälfte 2024 erstellt wurde, konnte allerdings die jüngste Entwicklung nicht mehr angemessen erfasst werden. Das betrifft zum einen die Hochkonjunktur des Migrationsthemas, die auf das zur neuen Wannseekonferenz hochstilisierte „Geheimtreffen“ in Potsdam folgte. Hier ist mittlerweile (Stand: Ende Januar 2025) die Aufbauschung einer sozialen Notlage, die aus den Härten des globalisierten Staatenverkehres folgt, zu einem alle anderen Probleme verdrängenden Staatsnotstand zu verzeichnen. Und in dieser Diagnose stimmen, angefeuert durch die Entwicklungen in den USA, fast alle demokratischen Parteien überein, sodass die Brandmauer, die Rüther beim Thema Gendersprache bröckeln sieht, ganz zu verschwinden droht. „Merz wagt den Tabubruch“ kommentiert etwa die FAZ (25.1.2025) und begrüßt damit genau die Verfahrensweise der AfD, gesellschaftliche Probleme mit nationalistischem, „tabubrechendem“ Furor hochzukochen und als Beleg für die Notwendigkeit eines „systematischen Politikwechsels“ (Merz) zu annoncieren. Zum anderen gibt es erstaunliche, natürlich widersprüchliche Modernisierungsprozesse in der AfD, was etwa den Schutz von Homosexuellen oder Transpersonen betrifft. Judith Goetz, Mitherausgeberin des Sammelbandes „Rechts, wo die Mitte ist – Die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus“ (2024), spricht in einem Interview (Konkret, 2/25) von „strategischen Anpassungen“, die der AfD dazu verhelfen sollen, „sich als offen, tolerant und modern zu inszenieren“; andere Autoren konstatieren das Auftreten eines neuen „Femonationalismus“ oder „Homonationalismus“, der in den betreffenden Szenen – begrenzt – Anklang fände. Dazu passt, dass die Kanzlerkandidatin der AfD in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft mit einer Migrantin lebt.

Diese neueren Entwicklungen schmälern freilich nicht die zentralen Erkenntnisse der Studie in Sachen „Genderwahn“. Erstaunlich ist aber eine andere Leerstelle. An einer einzigen Stelle bemerkt Rüther beiläufig, dass niemand, vor allem keine Frau „zurück in die 1950er Jahre“ möchte (S. 47). Sonst fehlt jeder Hinweis auf diese Zeit, als „1953 die Regierung Adenauer die Familienpolitik in den Rang eines Ministeriums“ erhob, wie es auf der Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) heißt (bmfsfj.de). Die BGB-Praxis mit ihrer Benachteiligung von Frauen war damals verfassungswidrig, erfährt man dort weiter; die Berufstätigkeit der Frau war ständiger Kritik ausgesetzt, auch und gerade durch Bundesminister Wuermeling (CDU), den die Website mit folgenden Äußerungen zitiert: „Für Mutterwirken gibt es nun einmal keinen vollwertigen Ersatz“. Oder: „Eine Mutter daheim ersetzt vielfach Autos, Musiktruhen und Auslandsreisen“. Auf der Website kann man zudem nachlesen, dass es natürlich zu den Aufgaben demokratischen Politik gehört, „den Herausforderungen des demografischen Wandels“ – auch bekannt als die Überalterung unserer Gesellschaft – zu begegnen. Bei Rüther erscheint das Demographieproblem dagegen als eine rechtsradikale Erfindung, die polemisch mit dem Migrationsthema („Bevölkerungsaustausch“) verbunden würde. Dabei geht ganz verloren, dass bereits Anfang der 2000er Jahre die CDU einen Landtagswahlkampf mit der Parole „Kinder statt Inder“ bestritt.

Diese Verbindung zum anerkannten Konservatismus der BRD wird in der Studie weitgehend ausgeklammert. Sie kommt nur da vor, wo es um ein eher untaugliches – und sachlich auch nachrangiges – Thema geht, nämlich bei der rechten Polemik gegen die „Gendersprache“. Nun ist die Verunstaltung der Schriftsprache durch gendersensible Einfälle ein Thema, bei dem von vielen Seiten Einspruch eingelegt wird. Somit geht hier gerade die Verbindungslinie zum normalen Konservatismus verloren, wie sie etwa in den Publikationen des FAZ-Redakteurs Patrick Bahners über die Ausländerfeindlichkeit („Die Panikmacher“, 2011) oder über den neuen deutschen Nationalismus der AfD („Die Wiederkehr“, 2023) Thema ist. Die letztgenannte Studie suchte nach den intellektuellen Wurzeln der rechten Partei und wurde dabei – wie schon in der Untersuchung zu den antiislamischen, migrationsfeindlichen „Panikmachern“ – im eigenen, nämlich konservativen Lager, speziell in einem von der FAZ geförderten Geistesleben fündig.

Natürlich haben die Hinweise von Rüther auf die Verbindung der rechtspopulistischen Gender-Agitation mit rechten und rechtsradikalen Vorgängern oder mit den Leitbildern (weniger mit der Praxis) faschistischer Staaten Bestand. Nur wäre deren Kompatibilität mit der Praxis demokratischer Staaten, wo Demographie, Bevölkerungspolitik, Steuerung des Reproduktionsverhaltens ebenfalls anerkannte Politikfelder sind, stärker in den Blick zu nehmen. Bei Rüther kommen ja auch demokratische Repliken auf die familienpolitischen AfD-Initiativen zur Sprache (vgl. S. 15, 19), die gerade mit dem Vorwurf antworten, auf die von rechts favorisierte Weise lasse sich in der breiten Bevölkerung keine Motivation zur Nachwuchs-Produktion verankern. Der hoheitliche Zugriff aufs menschliche Leben – von der befruchteten Eizelle bis zum letzten Atemhauch – und auf die Regulierung des reproduktiven Verhaltens – von der Empfängnisverhütung bis zum Steuersatz auf Babywindeln – ist eben selbstverständliche staatliche Praxis. Natürlich stimmt es, dass Parteien wie die AfD dies in einer Weise zuspitzen, die sich nicht um das Wohlergehen der Menschen kümmert, sondern einem nationalistischen Wahn zu verdanken ist. Dessen bedrohlicher Charakter wird von Rüther schlüssig herausgestellt.

Fazit

Das Buch bietet eine gute Einführung in die familienpolitischen Vorstellungen des rechtspopulistischen und rechtsradikalen Lagers, fokussiert auf die (Hyper-)Aktivität der AfD im deutschen Parlamentarismus, wo die Partei auf Disruption und Tabubruch setzt. Mit zahlreichen Hinweisen auf einschlägige Kontroversen der Parteien und auf Debatten der Wissenschaft kann es die These eines rechten „Genderwahns“ belegen und dessen bedenklichen politischen Kontext deutlich herausarbeiten.

Rezension von
Johannes Schillo
Sozialwissenschaftler und Autor
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Es gibt 22 Rezensionen von Johannes Schillo.

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ISSN 2190-9245