Ben Furman: Lösungsorientiert Schule machen
Rezensiert von Prof. Dr. Lilo Schmitz, 06.05.2025

Ben Furman: Lösungsorientiert Schule machen. Wie Unterrichten wieder mit mehr Freude gelingt.
Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2024.
107 Seiten.
ISBN 978-3-8497-0548-0.
D: 24,95 EUR,
A: 25,70 EUR.
Reihe: Systemische Pädagogik.
Thema
Lehrer, Lehrerinnen und Schulleitungen stehen heute vor vielen Herausforderungen, die es schwierig machen, die anfängliche Freude am Beruf aufrechtzuerhalten. Ben Furman stellt in diesem Buch zahlreiche Methoden und Tools vor, die helfen, bei Lehrenden und Lernenden die Freude an der Schule zu wecken und lebendig zu halten. Statt als Hort von Problemen sieht Furman die Schule in erster Linie als Ort, an dem kleine und große Menschen Fähigkeiten erlernen, die ihnen im Schulalltag wie im ganzen Leben hilfreich und nützlich sind.
Furman‘s Modelle und Beispiele wollen klare Empfehlungen geben, wie Pädagoginnen und Pädagogen diesen Prozess hilfreich unterstützen können.
Autor
Der finnische Psychiater und frühere Schularzt Ben Furman ist wohl die bekannteste Persönlichkeit, wenn es um systemische Methoden und Beratung im Schulkontext geht. Auf humorvolle und unkonventionelle Weise vermittelt er seine praxiserprobten Methoden für die Förderung von Kindern, Jugendlichen, Schulklassen, Teams und die Einzelberatung. Dies tut Ben Furman aus einer humorvollen, menschenfreundlichen und ressourcenorientierten Grundhaltung heraus, die seine gesamte Arbeit kennzeichnet.
Als Beispiel für seine Arbeit möchte ich sein bekanntes Buch „Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben“ nennen, das als Klassiker für den systemisch-lösungsfokussierten Blick auf die Biografie gilt. Im Laufe seines Berufslebens hat Ben Furman immer wieder neue Methoden und Ansätze entwickelt wie „Ich schaff‘s“ für Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene, das „Reteaming“ für Teams oder die „Meisterklasse“ für Schulklassen, um nur einige seiner Methoden und Ansätze zu nennen. Eine Fülle seiner zahlreichen Anregungen für den Schulalltag findet sich in diesem Buch.
Aufbau
Ausgehend von 9 Basisanliegen und Basissituationen aus dem Schulalltag entfaltet Ben Furman seine methodischen Vorschläge:
- Verbesserung der Klassenatmosphäre
- Die Arbeit mit einzelnen Schülern
- Die Arbeit mit Schülergruppen
- Die Arbeit mit Eltern
- Reaktionen auf Fehlverhalten
- Maßnahmen gegen Mobbing
- Schulvermeidung
- Loben
- Motivation
So braucht dieses Buch auch nicht von der ersten bis zur letzten Seite durchgearbeitet zu werden im Sinne eines aufeinander aufbauenden Paradigmas, sondern die Leserin ist eingeladen, Anregungen für gerade die Situationen auszuprobieren, die im Moment im Fokus ihres Interesses stehen.
Inhalt
Bereits in den achtziger Jahren konzipierte Ben Furman gemeinsam mit Tapani Ahola für die Mannerheim League for the Child eine einjährige Ausbildung in Kurzzeittherapie für Menschen in sozialen Berufen. Im Rahmen dieses Projekts entstand bereits ein Buch, das die besten Geschichten, Erfahrungen und Methoden zusammenfasste, die Lehrer und Lehrerinnen in einem ressourcenorientierten Geist ausprobiert hatten. Angeregt durch diese Geschichten und seine eigene systemisch-lösungsfokussierte Ausbildung und Arbeit hat Furman in den folgenden Jahren eine Fülle von Methoden entwickelt, die teils aus der Praxis selbst stammen oder die in der Praxis erprobt wurden und sich dort bewährt haben. Eine kleine Auswahl will ich im Rahmen dieser Rezension vorstellen:
1. Verbesserung der Klassenatmosphäre
Zunächst stellt Furman kleine Übungen vor, die Schüler anregen und darin üben, Interesse füreinander zu zeigen und sich gegenseitig zu loben. Als größeren Ansatz stellt Furman die „WOWW-Methode“ vor: WOWW, das steht für „Working on what works“. Insoo Kim Berg, die bekannte Begründerin des lösungsfokussierten Ansatzes, entwickelte diese Methode etwa vor 25 Jahren. Unruhige Klassen mit verhaltensauffälligen Schülern und Schwierigkeiten mit Disziplin und Ruhe bekommen Besuch von externen Helferinnen, die die Klasse während einer gesamten Schulstunde beobachten. Nach der Schulstunde bekommt die Klasse als Ganzes und jede einzelne Schülerin eine Rückmeldung dazu, was die Beobachter Positives während der Stunde beobachtet haben. Typische Beispiele sind: einen Unterrichtsstoff interessiert verfolgt, einer Banknachbarin geholfen, durch Lächeln gute Stimmung verbreitet und vieles mehr. Diese Beobachtungen werden am Ende vor der Klasse verlesen. Außerdem wird die Klasse gebeten, sich als Klasse auf einer Skala zwischen eins (schlimmste Klasse im Land) und zehn (beste Klasse im Land) selbst einzuordnen. Diese Art von Beobachtung wird mehrmals in der Woche in einer Klasse durchgeführt. Sie ist aufwändig, aber sehr ertragreich.
Basierend auf den Vorarbeiten von Maiju Ahola entwickelte Furman das Projekt „Meisterklasse“. Hier fragen die Lehrer die Schüler der gesamten Klasse, ob sie Lust auf ein Projekt haben und stellen ihnen eine Belohnung in Aussicht sowie ein Zertifikat. Der Kern des Projektes besteht darin, dass die Schüler sich gemeinsam eine Fähigkeit aussuchen, die sie als Klasse erwerben wollen und sich 2–3 Wochen lang gegenseitig helfen, diese Fähigkeit zu erlernen. Sie wählen aus folgenden sechs Karten aus:
- Den Schulranzen packen
- Den Lehrern zuhören
- Zur Ruhe kommen
- Sich durch Handzeichen melden
- Hausaufgaben erledigen
- Streit schlichten
Die Schüler erhalten eine Anleitung, wie sie sich gegenseitig beim Erwerb dieser Fähigkeiten unterstützen können. Sie loben einander, wenn sie die Fähigkeit gezeigt haben, und erinnern einander an das Vorhaben, wenn es in Vergessenheit gerät.
Wenn nach einigen Wochen Schüler und Lehrer der Meinung sind, dass die Fähigkeit erworben wurde oder zumindest große Fortschritte darin gemacht sind, geht es an die zweite Phase des Projekts: jeder einzelne Schüler sucht sich aus 22 Karten mit Fähigkeiten die Fähigkeit heraus, die er persönlich erwerben möchte. Die Schüler bilden Teams, die sich gegenseitig beim Erwerb dieser Fähigkeiten unterstützen. Wenn alle den Eindruck haben, dass die Schülerinnen weit genug mit den Fähigkeiten gekommen sind, gibt es eine Feier. Diese Methode wird mittlerweile in zahlreichen Ländern eingesetzt und steigert die Zufriedenheit der Schüler und der Lehrerinnen mit ihrem Schulalltag.
2. Die Arbeit mit einzelnen Schülern
In diesem Kapitel stellt Furman zunächst sein ziel- und ressourcenorientiertes 6-Schritte – Modell für Einzelgespräche mit Schülern vor, deren Verhalten sich die Lehrer anders wünschen. Dabei liegt das Schwergewicht des Gesprächs auf Lob für bereits gezeigtes positives Verhalten des Schülers, auf dem erwünschten Verhalten, das der Lehrer sehen möchte und den positiven Folgen, die ein solches Verhalten haben wird. Gemeinsam überlegen Lehrer und Schüler, wie die positiven Verhaltensweisen eingeübt werden können und wer dabei helfen kann. Der Lehrer macht der Schülerin Hoffnung, dass sie das erwünschte Verhalten auch lernen kann und beendet das Gespräch in einer wertschätzenden Weise.
Danach stellt Ben Furman das Modell der drei Häuser vor, dass er nach Anregungen der „3-Häuser-Gesprächsführung aus dem Kinderschutz entwickelt hat.
Dort gibt es das Haus der Sorgen und Befürchtungen, das Haus der guten Dinge, die derzeit glücklich machen, und das Haus der Träume mit den Wünschen und Hoffnungen für die Zukunft und die Kinder sind eingeladen, in jedes dieser Häuser Eintragungen zu machen.
Furman startet das Gespräch mit dem Haus der Stärken und Ressourcen, indem er zum Beispiel nach Hobbys und Vorlieben fragt, nach speziellen Begabungen oder Dingen, die andere an dem Schüler loben. Im zweiten Haus der Ziele und Fähigkeiten werden die persönlichen Ziele eingetragen und die Fähigkeiten, die dem Schüler dabei helfen könnten, in der Schule oder im Umgang mit anderen besser klarzukommen. Der Schüler sucht sich eine dieser Fähigkeiten aus und Lehrer und Schüler überlegen gemeinsam, wie der Lehrer und wer außer dem Lehrer den Schüler beim Erwerb dieser Fähigkeiten unterstützen könnte. Dies alles wird ins Haus der Unterstützung eingetragen.
Für den Fall, dass sich Teenager damit schwertun, sich im persönlichen Gespräch zu öffnen, hat Furman die Anregung einer dänischen Kollegin aufgenommen und führt das Gespräch per Computer als eine Art Chatbot. Damit spricht er die Lebenswelt der Jugendlichen an, die sich auf dem Bildschirm oft leichter öffnen als im persönlichen Gespräch.
Furman nennt einige konkrete Tipps für Gespräche mit einzelnen Schülern, die das Risiko minimieren, dass die Schüler unkooperativ sind oder ganz einsilbig antworten:
- Tipp 1: Formulieren Sie die Einladung zum Gespräch auf respektvolle Weise!
- Tipp 2: Bieten Sie dem Schüler an, jemanden mitzubringen
- Tipp 3: Lassen Sie die Schülerin erzählen, wie sie diese Art von Gesprächen bisher erlebt hat.
- Tipp 4: Eröffnen Sie das Gespräch, indem sie mit dem Schüler über seine Stärken und Ressourcen sprechen.
- Tipp 5: Finden Sie heraus, was für die Schülerin aus ihrer Sicht ein gutes Ergebnis des Gesprächs wäre
- Tipp 6: Achten Sie darauf, dass der Fokus ihres Gesprächs auf der Zukunft und auf Zielen liegt Chat auf der Vergangenheit und ihren Problemen
- Tipp 7: Lassen Sie dem Schüler genug Zeit über seine Antworten nachzudenken.
- Tipp 8: Erklären Sie dem Schüler, aus welchen Gründen sie diese Fragen stellen.
- Tipp 9: Bitten Sie die Schülerin, sich vorzustellen, wie jemand aus seinem Umfeld diese Frage beantworten würde. („Was würde dein bester Freund antworten, wenn ich ihm die die selbe Frage stellen würde? “)
3. Die Arbeit mit Schülergruppen
Angeregt durch den Besuch in einer niederländischen Schule skizziert Ben Furman ein Modell, in dem sich Schülergruppen unter der Moderation einer lösungsfokussierten Fachkraft gegenseitig beraten. Nach einer Erkundung ihrer Stärken und Ressourcen und der Benennung von Ziele sowie der Besprechung der Vorteile dieser Ziele findet die Gruppe einen Namen und ein Bild oder Symbol für ihr Ziel. Sie überlegt, welche Helfer aktiviert werden können, wie und woran man Fortschritte erkennen kann wie Fortschritte verfolgt werden sollen. Alle versprechen sich gegenseitig die nächsten Schritte bis zum nächsten Treffen zu tun. Am Ende steht die Feier eines Erfolges. Der ganze Ablauf erinnert sehr stark an Ben Furman‘s Modell „ich schaffs“.
4. Die Arbeit mit Eltern
Allzu leicht gerät ein Gespräch mit den Eltern eines Schülers in eine Sackgasse, wenn die eine Seite der anderen die Schuld für das Problem zu schiebt oder eine Seite Kritik daran äußert, was die andere unternommen hat und eine Seite die Verantwortung zur Problemlösung ausschließlich bei der anderen sieht.
Auch hier hat Ben Furman hilfreiche Tipps und Anregungen:
Tipp 1: Formulieren Sie eine freundliche Einladung zum Gespräch (Hier präsentiert Furman schlechte und gute Beispiele von der Einladungen) Tipp 2: Schaffen Sie eine gute Gesprächsatmosphäre. Auch hier macht Furman Vorschläge, wie den Eltern Anerkennung und Verständnis übermittelt werden kann. Tipp 3: Vermitteln Sie, was das Gespräch bezwecken soll. Wie die Beispiele zeigen, versteht Furman darunter eine Formulierung der konstruktiven Ziele für das Gespräch und nicht eine Formulierung der Abwesenheit von Problemen. Tipp 4: Sagen Sie den Eltern, wie sie sich den Ablauf des Gesprächs vorstellen. Das betrifft sowohl den Zeitrahmen als auch den inhaltlichen Ablauf. Tipp 5: Beginnen Sie mit den Stärken! Besprechen Sie auch die Meinung der Eltern zu Begabungen, guten Charaktereigenschaften oder Schulleistungen oder Dingen, die sich in letzter Zeit verbessert haben. Das schafft eine freundliche und respektvolle Gesprächsatmosphäre Tipp 6: Achten Sie auf lösungsfokussierte Formulierungen! Statt Gesprächen über Verhalten, dass nicht mehr stattfinden soll, sprechen Sie über Fähigkeiten, in denen die Schülerin besser werden kann. Tipp 7: Laden Sie alle Anwesenden zum Gedankenaustausch über mögliche Lösungen ein Tipp 8: Vergewissern Sie sich, dass es Helfer gibt. Helfer können Eltern, Großeltern, Trainer, Geschwister, Freunde und Freundinnen sein.
Was können Helfer konkret tun? Hier nennt Furman Beispiele
- Interesse zeigen für das Projekt des Schülers
- Darauf achten, ob der Schüler Fortschritte macht
- Den Schüler für seine Fortschritt loben
- Den Schüler an sein Ziel erinnern
- Zur gleichen Zeit selbst an einem ähnlichen Projekt arbeiten
- Verständnis zeigen, wenn der Fortschritt ins Stocken gerät
- Ganz konkrete Hilfe anbieten (zum Beispiel Begleitung)
- Von eigenen Erfahrungen mit ähnlichen Herausforderungen erzählen
- Gemeinsam den Erfolg feiern
Tipp 9: erstellen Sie einen Handlung Plan. Im Handlungsplan soll auch festgehalten werden, wer genau unterstützt und hilft und treffen Sie eine Vereinbarung, wie es nun weitergehen soll und wann das Projekt erfolgreich abgeschlossen und gefeiert wird.
Tipp 10: besänftigen Sie empörte Eltern! Furman rät dazu, sich das Verhalten von Personen abzuschauen, die im Kundendienst arbeiten und gewohnt sind, mit unzufrieden und verärgerten Kunden umzugehen. Taktiken wie:
- Aktiv zuhören
- Sich in die Lage des gegenüber versetzen
- Die anderen über frühere negative Erfahrungen befragen
- Verständnis zeigen
- Das Gespräch weg vom Problem dahin führen, was bestenfalls herauskommen kann bringen Ruhe und eine andere Aufmerksamkeit ins Gespräch.
Furman rät: Geben Sie den Eltern ruhig Gelegenheit, Dampf abzulassen. Sobald sie sich beruhigt haben, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Zukunft. Was wären gute Entwicklungen für die Eltern und was für die Schule und was für die Schüler?
5. Reaktion auf Fehlverhalten
An vielen Schulen werden Schüler bei Fehlverhalten zum Direktor geschickt. Die Eltern werden benachrichtigt, Privilegien werden entzogen, Nachsitzen wird angeordnet oder es erfolgen zeitweise Schulverweise. Ben Furman empfiehlt eine andere Reaktion, wenn es um Fehlverhalten von Schülern geht. Gemeinsam mit seinem Kollegen Tapani Ahola entwickelte Ben Furman ein 6-Schritte-Konzept, dass ich hier kurz vorstellen will:
- Zugeben – Schüler sollen Verantwortung übernehmen für das, was sie getan haben und erkennen, dass dieses der erste Schritt zur Lösung der Situation ist.
- Verstehen – Schülerinnen sollen verstehen, welchen Schaden sie angerichtet haben und wessen Leben sie beeinträchtigt haben.
- Sich entschuldigen in einer ehrlichen und aufrichtigen Form, möglicherweise in Anwesenheit anderer oder in schriftlicher Form
- Wiedergutmachung. Der Schüler soll anbieten, den Schaden in irgendeiner Form wieder gutzumachen, indem er etwas für die geschädigte Person tut. Dies soll er sich nicht selbst aussuchen, sondern mit dem Geschädigten gemeinsam ausmachen.
- Etwas versprechen - Die Schülerin soll sich aktiv in die Diskussion einbringen, was sie tun kann, damit so etwas nicht noch einmal vorfällt
- Sich für andere einsetzen – Der Schüler denkt darüber nach, was er vielleicht tun kann, andere davon abzuhalten, etwas Ähnliches zu tun, in dem er sich zum Beispiel gegen Mobbing in der Schule engagiert.
6. Maßnahmen gegen Mobbing
Aus Furmans Sicht haben Aufklärungskampagnen keinen nennenswerten positiven Effekt auf Mobbing in der Schule. Er bevorzugt die Methode der Helfergruppe oder Peer-Unterstützungs-Gruppe, wie sie in den neunziger Jahren in England von Sue Young entwickelt wurde. Sie bietet aus Furmans Sicht eine Möglichkeit, schnell und effektiv einzugreifen, wenn ein Kind in der Schule schikaniert wird. Eine Lehrkraft oder Sozialarbeiterin bildet eine Helferinnengruppe, deren Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, dass das betreffende Kind sich in der Schule wieder gut aufgehoben fühlt. Die Intervention startet mit einem Telefonanruf der Eltern und danach wird sofort ein Helfer-Team zusammengestellt. Die Moderatorin dieses Teams spricht mit den Eltern. Sie dankt Ihnen, dass sie angerufen und von dem Vorfall berichtet haben. Danach trifft sich die Moderatorin mit dem Schüler, dem es nicht gut geht. Sie forscht nicht genau nach, was geschehen ist, sondern erklärt ihre eigene Aufgabe: dafür zu sorgen, dass sich niemand in der Schule unwohl fühlt, und fragt dann nach den sozialen Beziehungen des Schülers. Wer sind deine Freunde? Mit wem wärest du gerne befreundet? Wer macht dir in der Schule eher das Leben schwer? Schließlich entsteht eine Gruppe von etwa 5–8 Schülern, unter denen sich mindestens ein Kind befindet, dass auch aktiv im Mobbing beteiligt war. Dieser Gruppe erklärt die Moderatorin, dass es ihre Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass alle Schüler gerne zur Schule kommen und bittet dann die Gruppe dabei behilflich zu sein, dass der betreffende Schüler wieder gerne zur Schule gehen kann. Das Mobbing selbst wird nicht erwähnt und niemand wird gefragt, ob er dabei war. In der Regel erklären sich alle Kinder bereit dabei zu helfen und die Moderatorin fragt nach Vorschlägen, wie sie, was sie in der kommenden Woche tun können, um dem Mitschüler die Schule angenehmer zu machen. Gegen Ende des Treffens, dankt die Moderatorin allen für Ihre Hilfe und vereinbart ein Treffen in der nächsten Woche. In der Regel geht es den gemobbten Kindern schon besser und die Moderatorin fragt, was der Schüler denn auch selbst unternommen habe, um die Situation zu verbessern. Damit soll die Selbstwirksamkeit des Schülers gestärkt werden. Mit dieser Methode ist in der Regel innerhalb von ein bis zwei Wochen eine positive Veränderung möglich. Aber die Gruppe kann sich auch noch eine dritte Woche treffen. Die Methode ist ökonomisch, effektiv und funktioniert auch dann, wenn niemand das Mobbing zugeben will.
Im Anschluss verrät Ben Furman noch einige kleinere Methoden, um das Selbstbewusstsein und die Selbstwirksamkeit von Kindern so zu stärken, dass sie nicht Opfer von Mobbing werden. So verwendet er viel Zeit darauf, mit Kindern witzige, schlagfertige Erwiderungen auf Beleidigungen einzuüben, also eine Schikane oder Kränkung durch Humor zu entkräften. Er schildert Methoden, die die Kooperationsfähigkeit von Schülern stärken, die Fähigkeit, Konflikte zu lösen, die Fähigkeit, sich zu entschuldigen, die Fähigkeit, für seine Freunde einzustehen und die Fähigkeit, schlagfertig zu sein.
Gegen Ende dieses Kapitels formuliert Ben Furman noch ein Mediations-Modell, dessen Schritte ich hier kurz vorstellen möchte:
- Loben Sie beide Seiten für deren Bereitschaft, mit Ihnen über das Geschehen zu sprechen!
- Finden Sie heraus, ob die Schülerinnen möglicherweise schon miteinander gesprochen und erste Schritte in Richtung Konfliktlösung unternommen haben.
- Bieten Sie beiden Seiten an, den Konflikt auch ohne ihre Hilfe zu lösen.
- Schauen Sie, ob es die Möglichkeit einer Mediation unter Gleichaltrigen gibt.
- Statt mit beiden Seiten darüber zu sprechen, was passiert ist und was jede Seite gesagt oder getan hat, laden Sie dazu ein, sich zu überlegen, was aus ihrer Sicht das bestmögliche Ergebnis dieses Gesprächs wäre.
- Binden Sie das soziale Umfeld mit ein (Eltern, Mitschüler, die informiert werden).
- Danken Sie beiden Seiten für Ihre Mitarbeit.
7. Schulvermeidung
Schul-Absentismus ist ein Problem in vielen Gesellschaften. Ben Furman schlägt vor, auch hier ein Helferteam zu bilden, denn nicht nur die Jugendlichen oder Kinder brauchen Hilfe, sondern auch deren Eltern, die von den Gesellschaftern dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Kinder die Schule nicht besuchen.
Nach Furmans Modell vereinbart die Schule ein Treffen mit den Eltern des Schülers und schlägt vor, eine Helfergruppe zu bilden, die das Kind dabei unterstützen soll, in die Schule zurückzukehren. Gemeinsam mit den Eltern wird eine Liste von Personen angelegt, die man zu der Helfergruppe dazu bitten könnte, etwa Großeltern, Geschwister, Cousinen, Onkel, Tanten oder Freunde und vielleicht auch Menschen wie Sporttrainer oder Musiklehrer. Helfen Sie den Eltern beim Verfassen einer Einladung für die Helferinnen. Es kann auch eine WhatsApp-Gruppe mit Schülern und allen Helfern erstellt werden. Wichtig ist, dass eine Lehrerin der Schule und die Eltern gemeinsam den Brief verfassen. Die Mitglieder der Helfer-Gruppe werden gebeten, sich mit dem Schüler in Verbindung zu setzen, mit ihm gemeinsam zu überlegen, wie sie ihn unterstützen können. Beispiele für Unterstützung wären zum Beispiel: Freunde holen ab zum gemeinsamen Schulweg. Freunde bringen die Hausaufgaben vorbei. Großeltern oder andere Verwandte arbeiten mit dem Kind an den Hausaufgaben, so dass es im Stoff mitkommt. Der Beratungslehrer zeigt dem Kind, wie man mit emotionalen Krisen in der Schule umgehen kann, Verwandte berichten von eigenen Schulschwierigkeiten.
8. Loben
Echtes und aufrichtiges Lob im Sinne von Anerkennung ist ein wichtiges Instrument in Furmans Ansatz. Er liegt viel Wert darauf, dass auch ganze Gruppen und Klassen gelobt werden. Lob kann verbal und oder ohne Worte ausgesprochen werden, letzteres durch anerkennendes Nicken, den Daumen hoch zu strecken oder jemanden abzuklatschen. Bekannt ist Furman durch seine Art, durch Fragen zu loben. „Das kann nicht jeder. Wie hast du das geschafft?“ „Du singst in letzter Zeit viel besser. Wie machst du das?“ „ Du hast diese Situation sehr gut in den Griff bekommen. Wie hast du das angestellt, dass es dir so gut gelungen ist?“ Auch indirektes Lob ist sehr wirkungsvoll: „Darf ich deinen Eltern erzählen, wie gut du heute mitgemacht hast?“ „Deine Englischlehrerin hat mir gesagt, dass du neulich eine sehr gute Arbeit geschrieben hast.“ „Ich habe gehört, dass du dieses Schuljahr im Vergleich zum letzten große Fortschritte gemacht hast.“ Weitere Arten des Lobs sind Lob durch Dank: „Danke, dass du mir so toll mit dem Computer geholfen hast.“ „Vielen Dank, dass ihr euch so auf die Arbeit konzentriert“ Auch Lob für den Versuch sollte nicht vergessen werden. „Du hast dich heute sehr bemüht, du hast es wirklich probiert. Es hat zwar noch nicht ganz geklappt aber du bist auf dem Weg.“ Manchmal ist es auch nötig, sich die Erlaubnis für ein Lob einzuholen. „Ich würde eure Klasse gerne loben. Darf ich das?“ „Wollt ihr wissen, was ich euch zu sagen habe?“ oder „Deine Englischlehrerin hat dich sehr gelobt. Weißt du, was sie gesagt hat?“ Außerdem sollten die Mitschülerinnen lernen, sich und einander Lob und positive Rückmeldungen zu geben.
9. Motivation
Der lösungsfokussierte Ansatz hat eine ganz bestimmte Auffassung von Motivation. Motivation ist das Ergebnis von
- Attraktivität des Ziels.
- Vertrauen in den Erfolg, Zuversicht
- Das Gefühl Fortschritte zu machen
- Und die Bereitschaft, Rückschläge zu bewältigen.
Von all diesen Faktoren hängt die Intensität der Motivation an.
Wir erhöhen die Attraktivität des Ziels, indem wir die Vorteile herausstellen und nicht die Nachteile beim Nichterreichen des Ziels
Die Zuversicht auf Erfolg hängt davon ab, welche Erfahrungen wir schon mit anderen Zielen gemacht haben, welche Hilfe und Unterstützung wir bekommen haben, ob wir uns in kleinen Schritten dem Ziel nähern können und ob wir glauben, dass das Erreichen Spaß macht.
Das Gefühl, Fortschritte zu machen, kann von außen bestärkt werden durch Beobachtung und Anerkennung. Ein positives Feedback ruft Stolz hervor. Das gilt besonders, wenn die Erfolge von den Schülern selber gewünscht werden.
Freundlichkeit ist das Zauberwort, wenn wir Kindern dabei helfen wollen, mit Rückschlägen fertig zu werden. Neugier auf Fehler und Fehler als Lernmöglichkeiten sind hier die Stichworte.
Zusammenfassend lässt sich die lösungsfokussierte Haltung zur Motivation so darstellen: Schülerinnen setzen ihre eigenen Lernziele, soweit nur irgend möglich.
Lehrerinnen und Pädagogen helfen dabei, dass die Schüler sehen, welche Vorteile sie von den gesetzten Zielen zu erwarten haben. Sie stärken das Selbstvertrauen der Schülerinnen, indem sie die Aufmerksamkeit auf das richten, was eine Person schon gelernt hat. Pädagoginnen sorgen für Hilfsangebote durch Mitschüler oder andere Personen und gestalten ihren Unterricht so spaßbetont wie möglich. Sie vermitteln ihren Schülerinnen, dass sie Ihnen etwas zutrauen, richten deren Blick auf kleine Schritte und sorgen dafür, dass jede Schülerin auf jeden kleinen Schritt stolz ist. Insgesamt fördern Sie eine Schulkultur, in der es eine positive, neugierige und mutmachende Einstellung zu Fehlern und Missgeschick gibt.
10. Fallbeispiele
In diesem letzten Kapitel stellt Ben Furman der Leserin Fallbeispiele vor, die deutlich illustrieren, wie Furmans Modelle in der Praxis umgesetzt werden können.
Im Anhang findet die Leserin neben einem Literaturverzeichnis eine Faltanleitung für einen Himmel und Höllespiel, das Kindern und Jugendlichen beim Loben hilft und einen QR-Code mit Zugang zum umfangreichen Online-Material, das Ben Furman gerne und großzügig mit seinen Leserinnen teilt.
Diskussion
In diesem praxisorientierten Band präsentiert Ben Furman seine bewährten Methoden explizit für Alltagssituationen und besondere Anliegen rund um die Schule und bietet damit Lehrer*innen, pädagogischen Fachkräften und interessierten Eltern sofort Anregung und Unterstützung. Ben Furmans detaillierte und entspannte Vorschläge nehmen Stress aus dem Schulalltag und machen zuversichtlich.
Mit dem Buch kommt auch der Zugang zu detailliertem Videomaterial und ergänzenden Hinweisen, die das jeweilige Thema vertiefen und einen weiteren Zugang zu Furmans Ansätzen ermöglichen. Buch und Ergänzungsmaterial bilden eine hilfreiche kleine, aber reiche Alltagsbibliothek für alle, die mit Schule zu tun haben. Ein Schatz!
Fazit
Im Laufe seines Lebens als hilfreicher Lehrer, Berater und Ausbilder hat Ben Furman, angeregt durch eigene Ideen und stets auf der Suche nach Impulsen von Kolleg*innen eine Menge nützlicher Modelle entwickeln, die es erleichtern, Jugendlichen und Kindern zur Seite zu stehen und sie dabei zu unterstützen, wichtige Fähigkeiten zu erlernen. In diesem Band sind die wichtigsten Ansätze vereint, die die Arbeit in der Schule und das Leben als Schülerin und Lehrerin leichter machen.
Rezension von
Prof. Dr. Lilo Schmitz
Hochschule Düsseldorf (Ruhestand) und ILBB - Institut für Beratung Brühl
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